Verwaltungsrecht

Vorläufige Sicherung eines Überschwemmungsgebiets für einen geplanten Flutpolder

Aktenzeichen  M 2 K 15.3620

Datum:
14.6.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG GG Art. 14
WHG WHG § 76 Abs. 2 und 3, § 78 Abs. 1 S. 1 Nrn. 1 bis 9, Abs. 4 S. 3, Abs. 6
BayWG BayWG Art. 47

 

Leitsatz

Mit der vorläufigen Sicherung eines Überschwemmungsgebiets ist keine Verletzung des Eigentumsgrundrechts aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG verbunden, denn der mit der vorläufigen Sicherung verbundene Grundrechteingriff ist als Inhalts- und Schrankenbestimmung (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) gerechtfertigt. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Allgemeinverfügung vom 27. Juli 2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Rechtsgrundlagen der Allgemeinverfügung sind §§ 76, 78 WHG i. V. m. Art. 47 BayWG.
a) Nach § 76 Abs. 3 WHG sind die noch nicht nach § 76 Abs. 2 WHG festgesetzten Überschwemmungsgebiete zu ermitteln, in Kartenform darzustellen und vorläufig zu sichern. Ermittelte und kartierte Überschwemmungsgebiete, die noch nicht als Überschwemmungsgebiete festgesetzt sind, gelten als vorläufig gesicherte Überschwemmungsgebiete, wenn sie als solche ortsüblich bekanntgemacht sind (Art. 47 Abs. 1 Satz 1 BayWG).
Vorliegend handelt es sich bei den nach Maßgabe der Ziffern 1. und 2. der Allgemeinverfügung vorläufig gesicherten Flächen für den möglichen Flutpolderstandort K. um ein nach § 76 Abs. 2 WHG festsetzbares und damit nach § 76 Abs. 3 WHG vorläufig sicherbares Überschwemmungsgebiet. Überschwemmungsgebiete sind nicht nur Flächen, die bei Hochwasser eines oberirdischen Gewässers überschwemmt oder durchflossen werden, sondern auch solche Gebiete, die zur Hochwasserentlastung und Rückhaltung beansprucht werden (§ 76 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 WHG; vgl. auch § 76 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 WHG). Bei solchen Gebieten für die Hochwasserentlastung handelt es sich um Bereiche, in welche im Hochwasserfall gezielt Hochwasser eingeleitet wird. Es geht um Gebiete, die nicht natürlicherweise überschwemmt werden, sondern menschlicherseits in diesem Sinne eingesetzt oder geschaffen werden, was durch das menschliche Tätigkeiten beschreibende Wort „beansprucht“ deutlich wird. Unerheblich ist dabei, ob diese Gebiete früher tatsächlich überflutet wurden (Rossi in Sieder-Zeitler-Dahme, Wasserhaushaltsgesetz und Abwasserabgabengesetz, Stand 1.9.2015, § 76 WHG Rdnr. 20 i. V. m. Rdnr. 10). Daran gemessen handelt es sich vorliegend bei den Flächen, die für den geplanten gesteuerten Flutpolder K. benötigt werden und in die bei Hochwasser gezielt Wasser eingeleitet werden soll, um ein Überschwemmungsgebiet im Sinne des § 76 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 WHG, das einer vorläufigen Sicherung nach § 76 Abs. 3 WHG zugänglich ist. Dem steht der vom Kläger vorgebrachte Umstand, dass sich diese Flächen derzeit nicht in einem natürlichen Überschwemmungsbereich befinden, nicht entgegen.
Dieses Überschwemmungsgebiet wurde vom Wasserwirtschaftsamt Ingolstadt als wasserwirtschaftlicher Fachbehörde ermittelt und kartiert (vgl. die mit Schreiben vom 11. Dezember 2014 und 26. Mai 2015 vorgelegten Pläne und sonstigen Unterlagen) und vom Landratsamt Pfaffenhofen a.d. Ilm nach Maßgabe des Art. 47 Abs. 2 Satz 2 BayWG ortsüblich bekannt gemacht (Bekanntmachung im Amtsblatt des Landkreises Pfaffenhofen a.d. Ilm vom 30. Juli 2015 und im Amtsblatt für den Landkreis und die Stadt Eichstätt vom 31. Juli 2015). Damit gilt das Überschwemmungsgebiet für den möglichen Flutpolderstandort K. als vorläufig gesichert (Art. 47 Abs. 1 Satz 1 BayWG).
b) Mit der vorläufigen Sicherung ist es gemäß § 78 Abs. 6 i. V. m. Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 2 WHG bereits kraft Gesetzes untersagt, neue Baugebiete in Bauleitplänen oder sonstigen Satzungen nach dem Baugesetzbuch, ausgenommen Bauleitpläne für Häfen und Werften, auszuweisen, sowie bauliche Anlagen nach den §§ 30, 33, 34, 35 BauGB zu errichten oder zu erweitern. Hierauf weist Ziffer 4. der Allgemeinverfügung in nicht zu beanstandender Weise deklaratorisch hin.
c) Die allgemeine Zulassung der Maßnahmen nach § 78 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 3 – 9 WHG in Ziffer 5. der Allgemeinverfügung findet ihre Rechtsgrundlage in § 78 Abs. 6 i. V. m. Abs. 4 Satz 3 WHG. Unbeschadet dessen handelt es sich insoweit um die Klagepartei nicht belastende Regelungen, so dass diesbezüglich von vornherein keine Verletzung in eigenen Rechten vorliegen kann.
2. Das Vorbringen des Klägers zeigt keine Rechtsfehler auf, die ihn in seinen Rechten verletzen könnten.
a) Insbesondere ist mit der vorläufigen Sicherung des Überschwemmungsgebiets keine Verletzung des Eigentumsgrundrechts des Klägers aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG verbunden. Der mit der vorläufigen Sicherung verbundene Grundrechteingriff ist als Inhalts- und Schrankenbestimmung (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) gerechtfertigt, insbesondere liegt entgegen der Auffassung des Klägers kein Verstoß gegen das Übermaßverbot vor:
Die streitgegenständliche vorläufige Sicherung greift (nur) insoweit in den Schutzbereich des Eigentumsgrundrechts des Klägers ein, als es diesem in Bezug auf sein Grundstück Fl.Nr. 1297 gemäß § 78 Abs. 6 i. V. m. Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WHG untersagt ist, bauliche Anlagen nach den §§ 30, 33, 34, 35 BauGB zu errichten oder zu erweitern. Daraus folgt, dass die bisherige Nutzung des klägerischen Grundstücks zu landwirtschaftlichen Zwecken in Gestalt des Anbaus von Kartoffeln, Zwiebeln, Zuckerrüben etc. durch die vorläufige Sicherung von vornherein nicht eingeschränkt wird. Allenfalls eine ohnehin nur im Rahmen des § 35 BauGB denkbare Bebauung ist dem Kläger infolge der Allgemeinverfügung untersagt.
Die damit verbundene Grundrechtsbeschränkung ist gerechtfertigt, insbesondere ist sie nicht unverhältnismäßig: Hierfür streitet vor allem die in Art. 14 Abs. 2 GG zum Ausdruck kommende Sozialpflichtigkeit des Eigentums. Der Eingriff dient dem überragend wichtigen Gemeinwohlbelang des Hochwasserschutzes und der damit verbundenen Abwehr erheblicher Gefahren für Leib, Leben und Eigentum vieler Dritter. Hinzu kommt die Situationsgebundenheit des klägerischen Grundstücks: Zwar liegt dieses nicht im natürlich überschwemmten Bereich der Donau, gleichwohl ist die Situation des Grundstücks maßgeblich durch die Nähe zur Donau und zu deren natürlichem Überschwemmungsgebiet geprägt, weshalb es für Maßnahmen zur Hochwasserentlastung und Rückhaltung besonders in Betracht kommt, auch wenn es bislang selbst nicht überschwemmt worden war. Zu Unrecht meint der Kläger, den Begriff der Situationsgebundenheit auf einen natürlichen Überschwemmungsbereich einengen zu können. Weiter ist zu berücksichtigten, dass die vorläufige Sicherung spätestens nach fünf Jahren endet und diese Frist nur im begründeten Einzelfall um höchsten zwei Jahre verlängert werden kann (Art. 47 Abs. 3 Sätze 2 und 3 BayWG).
Entgegen der Auffassung des Klägers erweist sich die streitgegenständliche Allgemeinverfügung auch nicht deshalb als willkürlich und übermäßig, weil der Beklagte vorläufige Sicherungsmaßnahmen hinsichtlich eines derzeit nicht natürlich überschwemmten Bereichs ohne hinreichende technische Planung ergreifen würde: Richtig ist vielmehr, dass der vorläufigen Sicherung eine ausreichende naturwissenschaftlich-technische Bewertung durch die wasserwirtschaftlichen Fachbehörden zugrunde liegt. Diese Bewertung beruht wiederum auf einer intensiven naturwissenschaftlich-technischen Untersuchung der TU München aus dem Jahr 2012, bei der potentielle Retentionsmaßnahmen entlang der bayerischen Donau ermittelt und deren Wirkung auf den Hochwasserabfluss untersucht worden sind. Diese fachliche Bewertung (vgl. zum Einschätzungsvorsprung der wasserwirtschaftlichen Fachbehörden in st. Rspr. BayVGH, B. v. 4.8.2014 – 8 ZB 14.385 – juris Rn. 5 f. m.w.N) hat der Kläger nicht einmal im Ansatz in Frage gestellt. Anders als der Kläger andeutet, ist für die vorläufige Sicherung eines Überschwemmungsgebiets nach § 76 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 WHG auch nicht erforderlich, dass zu diesem Zeitpunkt bereits eine Detailplanung wie im späteren wasserrechtlichen Planfeststellungsverfahren vorhanden ist. Es liegt auf der Hand, dass ein solch fortgeschrittener Planungszustand bei der lediglich vorläufigen Sicherung des Überschwemmungsgebiets noch nicht vorliegen kann und auch nicht vorliegen muss.
Keine Unverhältnismäßigkeit kann der Kläger auch mit der Rüge aufzeigen, es sei nicht erkennbar, ob und wann der Beklagte überhaupt beabsichtige, den Flutpolder K. planerisch konkret weiterzuverfolgen. Der Kläger übersieht, dass zum Zeitpunkt einer vorläufigen Sicherung eines Überschwemmungsgebiets zur künftigen Hochwasserentlastung und Rückhaltung durch einen Flutpolder noch nicht endgültig feststehen muss, ob, wann und inwieweit sich der geplante Flutpolder rechtlich und tatsächlich realisieren lässt. Diese Prüfung ist vielmehr der weiteren Planung und dabei insbesondere dem späteren wasserrechtlichen Planfeststellungsverfahren vorbehalten. Im Rahmen der Prüfung der Rechtmäßigkeit der vorläufigen Sicherung des Überschwemmungsgebiets erfolgt insbesondere auch keine antizipierte Prüfung der Rechtmäßigkeit eines künftigen Planfeststellungsbeschlusses. Die vorläufige Sicherung des Überschwemmungsgebiets könnte allenfalls dann rechtswidrig sein, wenn schon jetzt feststünde, dass der geplante Flutpolder nicht realisiert werden kann. Hiervon kann allerdings hinsichtlich des Flutpolders K. angesichts der Prüfung durch die wasserwirtschaftlichen Fachbehörden, der eine intensive naturwissenschaftlich-technische Untersuchung der TU München zugrunde liegt, die insbesondere auch die grundsätzliche Eignung des Standorts für einen Flutpolder festgestellt hat, keine Rede sein.
Nach alldem ist festzuhalten, dass der ohnehin nicht besonders schwere Eingriff in das Eigentumsgrundrecht – der Kläger kann die bisherige landwirtschaftliche Nutzung seines Grundstücks unverändert ausüben – in jeder Hinsicht verhältnismäßig ist und insbesondere nicht gegen das Übermaßverbot verstößt.
b) Soweit der Kläger mögliche Beeinträchtigungen durch eine zukünftige tatsächliche Errichtung des Flutpolders und dessen mögliche Flutung im Hochwasserfall vorbringt (z. B., dass das Grundstück des Klägers mit der Flutung kontaminiert werde und für die Lebensmittelerzeugung nicht mehr geeignet sei), kann er schon im Ansatz keine Rechtswidrigkeit der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung aufzeigen. Diese regelt nur die vorläufige Sicherung des Überschwemmungsgebiets. Sie enthält hingegen keine Erlaubnis zur Errichtung des Polders oder dessen Flutung im Hochwasserfall. Etwaige Beeinträchtigungen durch eine Errichtung des Polders und dessen spätere Flutung sind erst im späteren wasserrechtlichen Planfeststellungsverfahren zu prüfen.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Berufung war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 Nrn. 3 oder 4 VwGO nicht vorliegen (§ 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 5.000,00 festgesetzt (§ 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz -GKG-).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,– übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.


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