Verwaltungsrecht

Widerruf der Fahrschulerlaubnis

Aktenzeichen  B 1 S 17.178

Datum:
20.3.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 157663
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FahrlG aF § 11 Abs. 1 Nr. 1, § 21 Abs. 2

 

Leitsatz

1. In der Widerrufsvorschrift des § 21 Abs. 2 FahrlG wird die Verletzung von fahrlehrerrechtlichen Vorschriften nur beispielhaft genannt, so dass auch Verstöße gegen andere Gesetze oder auch einmalige Verstöße von besonderem Gewicht zum Widerruf der Fahrschulerlaubnis führen können. Möglich ist ein Rückgriff auf den allgemeinen gewerberechtlichen Begriff der Unzuverlässigkeit sowie auf Tatsachen, die die Unzuverlässigkeit als Fahrlehrer bedingen, und schließlich sind auch Straftaten außerhalb des beruflichen wie gewerblichen Umfelds berücksichtigungsfähig (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Zuverlässigkeit im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 1 FahrlG setzt ein hohes Maß an charakterlicher Integrität voraus, insbesondere dürfen keine berücksichtigungsfähigen Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten gegeben sein, die die Annahme rechtfertigen, der Betreffende sei nicht bemüht oder in der Lage, sich genau im Rahmen der Rechtsordnung zu halten. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
3. Gerichte und Behörde dürfen grundsätzlich von der Richtigkeit der strafgerichtlichen Feststellungen und Bewertungen ausgehen. Nur ausnahmsweise, wenn ohne weiteres erkennbar ist, dass die Verurteilung auf einem Irrtum beruht, oder die Behörde bzw. das Gericht den Vorfall besser beurteilen kann als die Strafverfolgungsorgane, gilt anderes (vgl. BVerwG BeckRS 2008, 38049 Rn. 9 mwN). (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 7.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

Der Antragsteller ist seit dem 01.02.2007 Inhaber einer Fahrlehrererlaubnis der Klasse BE und seit dem 21.12.2009 Inhaber einer Fahrschulerlaubnis der Klasse BE sowie seit dem 29.05.2013 einer Zweigstellenerlaubnis.
Er wurde mit Strafbefehl des Amtsgerichts … vom 30.11.2015, rechtskräftig seit 27.01.2016, wegen Nötigung in zwei tateinheitlichen Fällen in Tatmehrheit mit exhibitionistischen Handlungen in zwei tateinheitlichen Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten und zwei Wochen, ausgesetzt zur Bewährung auf drei Jahre ab Rechtskraft der Entscheidung, verurteilt. Dem Antragsteller wurde auferlegt, einen Geldbetrag in Höhe von 3.000,00 Euro an die … zu bezahlen. Weiter wurde der Antragsteller angewiesen, sich in der Fachambulanz des … psychotherapeutisch betreuen und behandeln zu lassen, so lange dies seitens der Therapeuten für erforderlich gehalten wird, längstens aber für die Dauer von einem Jahr.
Dem Strafbefehl ist zu entnehmen, dass der Antragsteller im Jahr 2013 mit einem seinerzeit 16-jährigen Mädchen in einem Internetportal, das für gewerbliche Dienstleister, aber auch für Privatpersonen die Möglichkeit bietet, sexuelle Kontakte anzubahnen, Kontakt aufnahm. Nach telefonischer Vereinbarung eines Treffens wartete der Antragsteller mit seinem Fahrschulfahrzeug auf einem Parkplatz auf das Mädchen. Dieses erschien mit einer 15-jährigen Freundin, weigerte sich aber, das Auto des Antragstellers zu besteigen. Daraufhin nötigte er die beiden Mädchen unter Anwendung körperlicher Gewalt, in das Auto einzusteigen, fuhr mit den beiden Mädchen in einen Wald, wo er ausstieg und die beiden Mädchen aufforderte, ihm dabei zuzusehen, wie er sich selbst befriedigte. Er onanierte, während sich die beiden Mädchen ca. 2 m von ihm entfernt aufhielten. Diese waren nicht damit einverstanden, den Antragsteller bei seinen sexuellen Handlungen zu beobachten und ihn – wie von ihm gefordert – zu beschimpfen, wagten jedoch aus Furcht nicht, sich zu entfernen oder dem Handeln zu widersprechen. Nachdem der Antragsteller sich befriedigt hatte, forderte er die beiden Mädchen auf, wieder ins Fahrzeug einzusteigen und fuhr anschließend zu dem Parkplatz zurück, an dem er sie aufgegriffen hatte. Er übergab dem älteren Mädchen 150,00 Euro mit dem Hinweis, dass dies leicht verdientes Geld sei, dass es nicht so schlimm sei, wenn die Mädchen noch minderjährig seien, da er öfters mit Minderjährigen zu tun habe und wenn sie einmal bei ihm die Fahrschule machen wollten, sei dies kostenlos.
Das Landratsamt … hörte den Antragsteller am 16.06.2016 zum beabsichtigten Widerruf der Fahrschul- und der Fahrlehrererlaubnis an, da aufgrund des o.g. Vorfalls Zweifel an seiner Zuverlässigkeit bestünden. Der …, Psychotherapeutische Fachambulanz, erklärte am 29.08.2015, dass der Antragsteller insgesamt nur sechs Einzelgespräche geführt habe, dies jedoch noch Vorgespräche gewesen seien und deshalb noch keine Stellungnahme über den Therapieverlauf abgegeben werden könne. Dem Antragsteller wurde daraufhin mit Schreiben vom 09.09.2016 die Möglichkeit eingeräumt, seine charakterliche Eignung durch ein Gutachten einer Begutachtungsstelle für Fahreignung nachzuweisen. Hierfür wurde ihm eine Frist bis 07.11.2016 gesetzt, die auf Antrag bis zum 07.12.2016 verlängert wurde. Am 13.12.2016 gab die Begutachtungsstelle für Fahreignung die Akte an das Landratsamt … zurück. Das vom Landratsamt geforderte Gutachten wurde nicht vorgelegt.
Der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers teilte am 05.01.2017 mit, dass der Antragsteller beabsichtige, gegen den Strafbefehl des Amtsgerichts … vom 30.11.2015 vorzugehen und ein Wiederaufnahmeverfahren anzustrengen. Das Landratsamt … hörte daraufhin den Antragsteller zum beabsichtigten Widerruf der Fahrlehrer- und der Fahrschulerlaubnis an.
Mit Bescheid vom 24.02.2017 Az. …widerrief das Landratsamt auch die dem Antragsteller am 01.02.2007 erteilte Fahrlehrererlaubnis der Klasse BE.
Mit weiterem Bescheid vom 24.02.2017 Az. … wiederrief das Landratsamt … auch die Fahrschulerlaubnis der Klasse BE, ausgestellt am 21.12.2009, sowie die Zweigstellenerlaubnis, ausgestellt am 29.05.2013, forderte den Antragsteller auf, die Fahrschulerlaubnis sowie die Zweigstellenerlaubnis spätestens fünf Tage nach Zustellung des Bescheides beim Landratsamt abzugeben, im Falle der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung drei Tage nach Bestandskraft des Bescheides. Die sofortige Vollziehung der Ziffern 1 und 2 des Bescheides wurde angeordnet und für den Fall der Nichtbefolgung der Ziffer 2 ein Zwangsgeld in Höhe von 500,00 Euro angedroht.
Zur Begründung führte das Landratsamt im Wesentlichen aus, dass die Fahrschulerlaubnis zu widerrufen sei, wenn nachträglich eine der in § 11 Abs. 1 Fahrlehrergesetz (FahrlG) genannten Voraussetzungen weggefallen sei. Unzuverlässig i.S.v. § 11 Abs. 1 Nr. 1 FahrlG sei, wer keine Gewähr dafür biete, dass er eine Fahrschule ordnungsgemäß führen werde. So kämen als Tatsachen i.S.d. § 11 Abs. 1 Nr. 1 FahrlG auch Straftaten in Betracht, die in keinem Zusammenhang mit dem ausgeübten Gewerbe stünden, aber auf eine Charakterschwäche hinwiesen, die eine unkorrekte Leitung der Fahrschule befürchten ließen. Die Zuverlässigkeit des Fahrschulinhabers betreffe als persönliche Charaktereigenschaft das besondere Vertrauensverhältnis zwischen ihm und seinen Fahrschülern im Hinblick auf eine sachgemäße Ausbildung. Aufgrund der festgestellten massiven sexuellen Belästigung von Minderjährigen, denen er auch noch für sexuelle Handlungen kostenlose Fahrstunden angeboten habe, habe der Antragsteller sich als charakterlich ungeeignet erwiesen, die Verantwortung für eine Fahrschule zu übernehmen. Auch wenn er als Inhaber persönlich keinen theoretischen oder praktischen Unterricht durchführen müsse, der es ihm ermögliche, unter Ausnutzung der sich als Fahrlehrer ergebenden besonderen Macht- und Vertrauensposition zur Befriedigung seiner sexuellen Bedürfnisse auf Schülerinnen zuzugreifen, so müsse doch von ihm erwartet werden, dass er ggf. derartigem Fehlverhalten anderer Fahrlehrer in seinem Fahrschulbetrieb wirksam entgegen treten werde. Dies könne vom Antragsteller, der keine Rücksichtnahme auf sexuelle Ehrgefühle von Minderjährigen zeige, gerade nicht erwartet werden.
Dem Antragsteller sei die Möglichkeit eingeräumt worden, seine Eignung durch ein Gutachten einer Begutachtungsstelle für Fahreignung nachzuweisen. Da er innerhalb der gesetzten und ausreichend bemessenen Fristen das geforderte Gutachten nicht vorgelegt habe, müsse das Landratsamt von seiner Nichteignung zur Ausbildung von Fahrschülern ausgehen.
Das Landratsamt halte es in Ausübung seines pflichtgemäßen Ermessens für geboten, die sofortige Vollziehung anzuordnen. Dies liege im öffentlichen Interesse. Es könne nicht bis zur Bestandskraft der Anordnung gewartet werden, da nicht auszuschließen sei, dass der Antragsteller in dieser Zeit weiter eine Fahrschule führe und dadurch Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung von Fahrschülern begehe. Hier wiege der Schutz von Minderjährigen schwerer als das Interesse an der weiteren Ausübung seines Berufes.
Weiter wird die Anordnung des Zwangsgeldes begründet.
Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 01.03.2017 beantragte der Antragsteller,
die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Bescheides des Landratsamts … vom 24.02.2017 (Az.: …*) aufzuheben.
Es liege zwar ein rechtskräftiger Strafbefehl vor, so dass der Anschein gerechtfertigt erscheine, es gebe Bedenken zur charakterlichen Eignung. Den Antragsteller hätten jedoch folgende Überlegungen zur Annahme des Strafbefehls erwogen: Bei einem Vorgehen gegen den Strafbefehl wäre es zu einer öffentlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht … gekommen. Die örtlichen Medien hätten mit Sicherheit über die Verhandlung berichtet. Allein diese Tatsache wäre – ungeachtet eines positiven Ausgangs für den Antragsteller – ausreichend gewesen, in der Öffentlichkeit eine Vorverurteilung zu bewirken. Dies hätte zu einer Rufschädigung der Fahrschule geführt. Der Antragsteller habe deshalb den Strafbefehl angenommen, um dieser Rufschädigung zu entgehen.
Allein aus der Tatsache eines Strafbefehls könne noch nicht auf die Ungeeignetheit des Antragstellers geschlossen werden. Der Strafbefehl sei in Kenntnis des unzutreffenden Sachverhalts angenommen worden, da dessen Folgen als das kleinere Übel – auch in finanzieller Hinsicht – angesehen worden seien. Eine Entscheidung für die wirtschaftliche Sicherung der eigenen Familie könne nicht als charakterlicher Mangel gewertet werden, selbst wenn dadurch die Wahrheit und die persönliche Gerechtigkeit auf der Strecke blieben. In Bezug auf die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei zu berücksichtigen, dass sich die Situation beim Antragsteller als Selbständigem insoweit anders darstelle als etwa bei einem Angestellten, der nach einem gewonnenen Verfahren wieder an seinen Arbeitsplatz zurückkehren könne. Bei einem Selbständigen bedeute die Schließung seines Betriebes, dass der Kundenstamm nicht gehalten werden könne, wenn das Geschäft nicht fortgeführt werde. Die Schließung bedeute für den Antragsteller das wirtschaftliche Aus. Er könne seine Fahrschule weder mit einem angestellten Fahrlehrer betreiben noch selbst als Fahrlehrer bei einer anderen Fahrschule arbeiten. Diese Überlegungen seien bei der Anordnung der sofortigen Vollziehung insoweit zu berücksichtigen, als der Ausgang des Hauptsacheverfahrens vorweggenommen werde. Zu berücksichtigen sei weiter, dass der Antragsteller sich in seiner über zehnjährigen Tätigkeit als Fahrlehrer bisher noch nichts habe zuschulden kommen lassen. Dies spreche für eine charakterliche Eignung für den Fahrlehrerberuf, die langjährig unter Beweis gestellt worden sei.
Klage werde noch erhoben.
Das Landratsamt … legte mit Schriftsatz vom 13.03.2017 die Akten vor und beantragte,
Der Antrag wird abgelehnt.
Das Landratsamt vertiefte das bisherige Vorbringen und wies darauf hin, dass nach Auskunft des … noch keine Stellungnahme über den Erfolg der Therapie habe abgegeben werden können, da bislang lediglich sechs Vorgespräche geführt worden seien. Über den Verlauf des angekündigten Wiederaufnahmeverfahrens sei das Landratsamt vom Antragsteller auch nach mehr als zwei Monaten nicht informiert worden. Im Interesse der öffentlichen Sicherheit und Ordnung habe deshalb die Fahrschulerlaubnis widerrufen werden müssen. Der effektive Schutz der Allgemeinheit und die Gefahr der Wiederholung einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung eines Fahrschülers überwögen das Interesse des Antragstellers an der weiteren Ausübung seiner Tätigkeit zur wirtschaftlichen Sicherung der eigenen Familie. Es genüge auch bereits der einmalige Vorfall vom 03.05.2014, um eine Wiederholungsgefahr begründen zu können.
Wegen der Einzelheiten wird auf das Vorbringen der Beteiligten sowie die beigezogenen Akten Bezug genommen.
II.
Der Antragsteller begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer noch zu erhebenden Klage gegen den Bescheid des Landratsamts … vom 24.02.2017, mit dem die dem Antragsteller erteilte Fahrschulerlaubnis sofortvollziehbar widerrufen wurde. Lediglich zur Klarstellung wird darauf hingewiesen, dass der Widerruf der Fahrlehrererlaubnis nicht Gegenstand des Verfahrens ist.
Der Antrag ist auch bereits vor Klageerhebung innerhalb offener Klagefrist zulässig (§ 80 Abs. 5 S. 2 VwGO), hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Der angefochtene Bescheid erscheint nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten.
Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. anordnen. Bei der Entscheidung hat das Gericht entsprechend § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung abzuwägen. Dabei sind auch die überschaubaren Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen.
Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist der Antrag abzulehnen, da eine Klage des Antragstellers nach summarischer Überprüfung keine Aussicht auf Erfolg hätte. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung wiegt insoweit schwerer als das Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer Klage.
Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ist § 21 Abs. 2 Fahrlehrergesetz (FahrlG). Danach ist die Fahrschulerlaubnis insbesondere zu widerrufen, wenn nachträglich eine der in § 11 Abs. 1 Nr. 1 2. Halbsatz, Nr. 2 und 5 FahrlG genannten Voraussetzungen weggefallen ist. Unzuverlässig i.S.d. dieser Vorschrift ist der Erlaubnisinhaber insbesondere dann, wenn er wiederholt die Pflichten gröblich verletzt hat, die ihm nach diesem Gesetz oder den auf ihm beruhenden Rechtsverordnungen obliegen. Zwar bemisst das FahrlG lediglich Verstößen „nach diesem Gesetz oder den auf ihn beruhenden Rechtsverordnungen“ relevante Bedeutung zu, jedoch müssen neben derartigen Tatsachen einerseits auch solche, die den Betrieb der Fahrschule als Gewerbebetrieb kennzeichnen und somit den gewerberechtlichen Begriff der Unzuverlässigkeit kennzeichnen, Berücksichtigung finden (BVerwG, B.v. 30.10.1996 – 1 B 197/96; VG München U.v. 10.10.2006 – M 16 K 06.2051, BeckRS 2006, 32288). § 11 FahrlG differenziert entgegen dem allgemeinen Gewerberecht die Unzuverlässigkeit (Nr. 1) vom Unvermögen der Erfüllung spezialgesetzlicher Verpflichtungen (§ 16 FahrlG). Ein Rückgriff auf den allgemeinen gewerberechtlichen Begriff der Unzuverlässigkeit in § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO ist daher mangels spezialgesetzlicher Definition des Fahrlehrergesetzes trotz § 35 Abs. 8 Satz 1 GewO möglich (vgl. VG München, a.a.O. m.w.N). Andererseits sind auch Tatsachen, die die Unzuverlässigkeit des Klägers als Fahrlehrer bedingen, berücksichtigungsfähig und schließlich Straftaten außerhalb des beruflichen wie gewerblichen Umfelds (so auch VG Mainz, B.v. 25.10.2011 – 3 L 995/11; Bouska, Fahrlehrer-Recht, 3. Aufl. Rn. 2 zu § 11). Wie der Formulierung „insbesondere“ zu entnehmen ist, wird die Verletzung von fahrlehrerrechtlichen Vorschriften in § 21 Abs. 2 FahrlG nur beispielhaft genannt. Daher können auch Verstöße gegen andere Gesetze oder auch einmalige Verstöße von besonderem Gewicht zum Widerruf der Fahrschulerlaubnis führen.
Fehlt die Zuverlässigkeit im Sinne des § 2 Nr. 2 FahrlG, so kann die betreffende Person nicht Fahrlehrer, erst recht nicht Inhaber einer Fahrschulerlaubnis sein. Die Zuverlässigkeit im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 1 FahrlG setzt ein hohes Maß an charakterlicher Integrität voraus, insbesondere dürfen keine berücksichtigungsfähigen Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten gegeben sein, die die Annahme rechtfertigen, der Betreffende sei nicht bemüht oder in der Lage, sich genau im Rahmen der Rechtsordnung zu halten. Der Inhaber der Fahrschulerlaubnis ist der eigentliche Garant dafür, dass die notwendige, staatlich vorgeschriebene und für den Fahrschüler zeit- und kostenaufwendige Ausbildung vorschriftsmäßig und qualitativ hochwertig angeboten und durchgeführt wird (zu allem: Bouska, a.a.O., Rn. 2 zu § 11).
Nach diesen Kriterien geht die Behörde zutreffend von einer Unzuverlässigkeit des Antragstellers zum Führen einer Fahrschule aus. Der im Strafbefehl des Amtsgerichts … vom 30.11.2015 abgeurteilte Vorfall stellt eine so schwerwiegende Verfehlung dar, dass bereits der einmalige Vorfall zur Unzuverlässigkeit des Antragstellers führt. Er hat gezeigt, dass ihm die Bedeutung der sexuellen Selbstbestimmung, insbesondere auch von Minderjährigen nicht in dem Ausmaß bewusst ist, wie dies vom Leiter einer Fahrschule gefordert werden muss. Letztlich hat er durch den Hinweis auf kostenlose Fahrstunden auch belegt, dass er die Möglichkeiten in Bezug auf seine berufliche Tätigkeit und seine sexuellen Interessen, die der Beruf eines Fahrlehrers bietet, offensichtlich auch auszunützen bereit ist. Bei dieser Einstellung kann vom Antragsteller nicht erwartet werden, dass er eine Fahrschule ordnungsgemäß leitet und eventuellen Übergriffen von Angestellten in ausreichendem Maß entgegentritt.
Dass es sich um einen einmaligen Vorfall gehandelt hat, aus dem keine negative Prognose gezogen werden kann, hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht. Er hat nach der Auskunft der Fachambulanz des … vom 29.08.2015 (richtig wohl: 29.08.2016) die ihm im Beschluss des Amtsgerichts … vom 30.11.2015 auferlegte Therapie noch nicht so umfassend abgeschlossen, dass ihm eine günstige Prognose gestellt werden könnte. Von der Möglichkeit, die aufgrund des Vorfalls vom 03.05.2014 bestehenden Zweifel an seiner Zuverlässigkeit auszuräumen und diese durch Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens glaubhaft zu machen, hat er keinen Gebrauch gemacht. Im Hinblick auf die regelmäßig bei sexuellen Verfehlungen bestehende hohe Rückfallwahrscheinlichkeit hat das Landratsamt deshalb in rechtlich nicht zu beanstandender Weise die Fahrschulerlaubnis widerrufen. Formelle Fehler des angefochtenen Bescheides sind weder erkennbar noch wurden solche gerügt.
Schließlich hat das Landratsamt bei der Anordnung der sofortigen Vollziehung den formalen Begründungserfordernissen des § 80 Abs. 3 VwGO in ausreichendem Umfang Rechnung getragen. Nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist in den Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Dabei sind an den Inhalt der Begründung keine zu hohen Anforderungen zu stellen. Für bestimmte Arten behördlicher Anordnungen ist das Erlassinteresse mit dem Vollzugsinteresse identisch. § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO verpflichtet die Behörde daher nicht, eine Begründung zu geben, die ausschließlich auf den konkreten Einzelfall zutrifft. Gerade dann, wenn immer wiederkehrenden Sachverhaltsgestaltungen eine typische Interessenlage zugrunde liegt, kann sich die Behörde zur Rechtfertigung der Anordnung der sofortigen Vollziehung vielmehr darauf beschränken, die für diese Fallgruppen typische Interessenlage aufzuzeigen und deutlich zu machen, dass diese Interessenlage nach ihrer Auffassung auch im konkreten Fall vorliegt. Das kommt insbesondere im Bereich des Sicherheitsrechts in Betracht, denn es liegt in der Regel auf der Hand, dass die Gründe für eine Unzuverlässigkeit gleichzeitig die Anordnung des Sofortvollzuges bedingen.
Insgesamt überwiegt auch bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen eigenständigen Interessenabwägung des Gerichts das öffentliche Interesse gegenüber dem privaten Interesse des Antragstellers. Im Hinblick auf den rechtskräftigen Strafbefehl ist davon auszugehen, dass dem Antragsteller die Straftaten zur Last liegen, wegen denen er verurteilt wurde. Es besteht weder für die Behörde noch das Gericht ein Anlass, im Rahmen des vorliegenden Verfahrens die Richtigkeit der erfolgten strafgerichtlichen Feststellungen und Bewertungen einer weitergehenden Überprüfung zu unterziehen oder anzuzweifeln. Denn Gerichte und Behörde dürfen grundsätzlich von der Richtigkeit der strafgerichtlichen Feststellungen und Bewertungen ausgehen. Nur ausnahmsweise, wenn ohne weiteres erkennbar ist, dass die Verurteilung auf einem Irrtum beruht, oder die Behörde bzw. das Gericht den Vorfall besser beurteilen kann als die Strafverfolgungsorgane, gilt anderes (vgl. BVerwG, B.v. 21.7.2008 – 3 B 10.08 -, vom 27.3.2007 – 6 B 108.06 – und vom 22.4.1992 – 1 B 61.92; OVG Münster, B.v. 27.10.2008 – 20 A 867/08). Derartige Umstände liegen hier nicht vor, insbesondere hat der Antragsteller keine nachprüfbaren Gesichtspunkte vorgetragen, aus denen sich Anhaltspunkte für eine zu Unrecht erfolgte Verurteilung herleiten ließen. Im Übrigen erscheint es auch nicht schlüssig, dass der Antragsteller wegen der von ihm befürchteten Vorverurteilung eine mündliche Verhandlung scheute. Gerade in einer mündlichen Verhandlung hätte öffentlichkeitswirksam die Möglichkeit bestanden, etwaige falsche Anschuldigungen zu widerlegen.
Dem Antragsteller ist darin zu folgen, dass ihn die negativen Auswirkungen des Sofortvollzuges sehr schwer treffen können. Dem Gericht ist bewusst, dass allein die Zeit, in der deswegen die Fahrschulerlaubnis nicht genutzt werden kann, für den Antragsteller erhebliche wirtschaftliche Nachteile mit sich bringt, die u.U. bis zu seinem Ruin führen können. Dies ist in der gerichtlichen Interessenabwägung zu berücksichtigen. Dennoch überwiegt im Hinblick auf die voraussichtliche Erfolglosigkeit einer Klage das öffentliche Interesse. Letztlich werden auch bei einer Fortführung der Fahrschule hochrangige Rechtsgüter möglicherweise gefährdet. Es ist weiter darauf hinzuweisen, dass der Antragsteller negative Auswirkungen möglicherweise dadurch mindern kann, dass die Fahrschule gemäß § 20 Abs. 1 S. 2 FahrlG durch einen verantwortlichen Leiter weitergeführt werden könnte. Dies würde – neben den tatsächlichen Voraussetzungen – einen dahingehenden Antrag erfordern.
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird nach allem mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abgelehnt. Die Höhe des Streitwerts richtet sich nach § 63 Abs. 2, § 53 Abs. 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und 54.2 analog des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (s. NVwZ-Beilage 2013, 57).

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