Aktenzeichen 21 CS 17.2029
WaffG WaffG § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a bis c, § 4 Abs. 1 Nr. 2, § 10 Abs. 4 Satz 4
§ 45 Abs. 2 Satz 1, Abs. 5
Leitsatz
1. Personen, die der sog. „Reichsbürgerbewegung“ zugehörig sind oder sich deren Ideologie als für sich verbindlich zu eigen gemacht haben, sind waffenrechtlich unzuverlässig (wie BayVGH BeckRS 2017, 128941). (Rn. 11 – 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Durch die Beantragung eines Staatsangehörigkeitsausweises unter Berufung auf das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz (RuStAG) idF von 1913 mit behaupteter Staatsangehörigkeit „Königreich Bayern“ sowie Beantragung von EStA-Registerauszügen (vgl. § 33 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StAG) mit dem nachdrücklich verfolgten Ziel, die Auskunft „erworben am“ und „erworben durch“ („Abstammung RuStAG“) zu erhalten, wird eindeutig nach außen gegenüber einer Behörde zu erkennen gegeben, dass es nicht nur um den Erwerb eines Staatsangehörigkeitsausweises geht, sondern dass ideologische, für Reichsbürger typische Ziele verfolgt werden. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Begriff „Erlaubnis“ in § 45 Abs. 2 S. 1 und Abs. 5 WaffG umfasst alle Erlaubnistatbestände des Waffengesetzes, also auch den Kleinen Waffenschein nach § 10 Abs. 4 S. 4 WaffG. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
4. Das öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug einer waffenrechtlichen Widerrufsentscheidung besteht aus Gründen der Gefahrenabwehr regelmäßig auch für die mit dieser Entscheidung verbundenen notwendigen Anordnungen, die ausgestellte Erlaubnisurkunde zurückzugeben (§ 46 Abs. 1 S. 1 WaffG). (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
M 7 S 17.1331 2017-09-05 Bes VGMUENCHEN VG München
Tenor
I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 5. September 2017 wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung aufgehoben.
Der Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 14. März 2017 anzuordnen bzw. wiederherzustellen, wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsgegner begehrt unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts die Ablehnung des auf einstweiligen Rechtsschutz gerichteten Antrags der Antragstellerin gegen den Widerruf ihres Kleinen Waffenscheins.
Das Landratsamt Traunstein erteilte der Antragstellerin am 26. Oktober 2015 den Kleinen Waffenschein.
Am 23. März 2016 beantragte die Antragstellerin unter Verwendung eines Antragsformulars des Bundesverwaltungsamtes beim Landratsamt Traunstein die Erteilung eines Staatsangehörigkeitsausweises. Eine Überprüfung der eingereichten Antragsunterlagen und einiger Schreiben der Antragstellerin durch das Polizeipräsidium Oberbayern Süd, Sachgebiet E 3 – Staatsschutz (Stellungnahme vom 8. Februar 2017) führte zu der Einschätzung, dass eine Zugehörigkeit der Antragstellerin zur Ideologie der sog. „Reichsbürgerbewegung“ eindeutig erkennbar sei. In dem Antrag auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit habe sie sich als deutsche Staatsangehörige gemäß „Abstammung nach §§ 1, 3 Nr. 1, 4 Absätze 1 und 4 Nr. 1 RuStAG Stand 1913“ bezeichnet. Als weitere Staatsangehörigkeit sei unter Nr. 4.2 des Antrages das „Königreich Bayern“ seit Geburt mit Zusatz „RuStAG Stand 1913“ angegeben. Die Antragstellerin habe zwei formlose Anlagen hinzugefügt. Eine Anlage habe sie als „Abstammungserklärung“ betitelt und erklärt, „Abkömmling“ des Alois Reiter, geb. 1906 in Laufen, im „Königreich Bayern (Deutschland)“ zu sein. In der zweiten Anlage habe sie unter Verweis auf § 33 Abs. 1 StAG i.V.m. dem EStA-Register gefordert, ihren Namen entsprechend in Groß-Kleinschreibung auf dem Staatsangehörigkeitsausweis zu vermerken. Das Siegel sei „auf zwölf Uhr“ auszurichten. Siegel und Unterschrift seien erst bei Abholung des Ausweises im Beisein der Antragstellerin anzubringen. Weiterhin seien im Bereich „Sachverhalt“ im EStA-Register alle Angaben zu befüllen, insbesondere „Deutsche Staatsangehörigkeit erworben am“ und „erworben durch“. Im von der Antragstellerin mitunterzeichneten Schreiben vom 26. Juli 2016 hätte sie u.a. beklagt, dass im EStA-Register nicht alle Angaben in Bezug auf „Abstammung RuStAG“ ausgefüllt worden seien, ihr Antrag aber genau unter dieser Maßgabe gestellt worden sei. Den Staatsangehörigkeitsausweis habe sie als „gelben Schein“ bezeichnet.
Im Anhörungsverfahren äußerte die Antragstellerin zum beabsichtigten Widerruf ihrer waffenrechtlichen Erlaubnis wegen Unzuverlässigkeit aufgrund ihrer vermuteten Zugehörigkeit zur sog. „Reichsbürgerbewegung“, dass sie mit dieser nichts zu tun habe. Den Staatsangehörigkeitsausweis habe sie für einen Immobilienkauf in den USA beantragt.
Mit Bescheid vom 14. März 2017 widerrief der Antragsgegner den der Antragstellerin erteilten Kleinen Waffenschein (Nr.1). Gleichzeitig wurde der Antragstellerin unter Anordnung der sofortigen Vollziehung (Nr. 3) und Androhung von Zwangsgeld (Nr. 4) unter Fristsetzung von vier Wochen aufgegeben, die Erlaubnis innerhalb einer Frist von vier Wochen nach Bescheidszustellung beim Landratsamt abzugeben (Nr. 2). Die von der Antragstellerin gezeigten Verhaltensweisen seien als typisches Verhalten der Reichsbürgerszene zu bewerten. Da sog. „Reichsbürger“ die Gültigkeit bundes- und landesrechtlicher Normen in Abrede stellten und damit auch die waffenrechtlichen Regelungen nicht für sich als verbindlich ansähen, fehle der Antragstellerin die Zuverlässigkeit.
Die Antragstellerin hat gegen den Bescheid am 29. März 2017 Klage erhoben und vorläufigen Rechtsschutz beantragt. Das Verwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 5. September 2017 die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin angeordnet bzw. wiederhergestellt. Es bestünden nach summarischer Prüfung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheids. Allein die Art und Weise der Beantragung des Staatsangehörigkeitsausweises ließen nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf eine waffenrechtliche Unzuverlässigkeit der Antragstellerin schließen. Zwar seien die im Rahmen des Antrags auf einen Staatsangehörigkeitsausweis gemachten Angaben durchaus ein erhebliches Indiz für eine Zugehörigkeit zur „Reichsbürgerbewegung“ und eine Teilhabe an deren Gedankengut. Auch sei die von der Antragstellerin angeführte Begründung zum mehrfachen Verweis auf das „RuStAG Stand 1931“ nicht (jedenfalls nicht vollumfänglich) überzeugend. Andererseits lägen aber über den Antrag hinaus keine weiteren Erkenntnisse vor, die eine Zugehörigkeit zur Reichsbürgerbewegung oder eine entsprechende Überzeugung – und nicht bloß eine möglicherweise vorhandene Sympathie für entsprechendes Gedankengut – belegten. Trotz vorhandener Indizien stehe somit nicht fest, dass die tatsächliche Grundhaltung der Antragstellerin der „Reichsbürgerideologie“ entspreche. Im Eilverfahren könne jedenfalls eine hinreichende Grundlage für eine Prognose der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit nicht festgestellt werden und bleibe daher der im Hauptsacheverfahren gebotenen Beweiswürdigung überlassen.
Dagegen richtet sich die am 28. September 2017 eingelegte Beschwerde des Antragsgegners. Die Annahme der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit der Antragstellerin sei auf Grund von objektiven Anknüpfungstatsachen erwiesen. Die Antragstellerin habe einen Staatsangehörigkeitsausweis in der für Reichsbürger typischen Weise beantragt. Der Vorstellung des Verwaltungsgerichts, es müsse ein aktives Umsetzen der Reichsbürgerideologie hinzukommen, um Tatsachen i.S. des § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG anzunehmen, könne nicht gefolgt werden. Die Antragstellerin habe sich vielmehr durch ihr gegenüber der Behörde gezeigtes und damit nach außen gerichtetes Verhalten im Zusammenhang mit der Beantragung des Staatsangehörigkeitsausweises als „Reichsbürgerin“ oder „Reichsbürgern nahestehend“ zu erkennen gegeben. Die Erfolgsaussichten der Klage der Antragstellerin seien jedenfalls als offen zu bezeichnen. Im Rahmen der Interessenabwägung falle zugunsten des öffentlichen Interesses die vom Waffenbesitz ausgehende erhöhte Gefahr für die Allgemeinheit ins Gewicht (arg. § 45 Abs. 5 WaffG), so dass ihr gegenüber den privaten Interessen der Antragstellerin der Vorrang einzuräumen sei.
II.
1. Die zulässige Beschwerde (§ 146 Abs. 1 und 4, § 147 VwGO) des Antragsgegners hat Erfolg.
Aus den mit der Beschwerde dargelegten Gründen (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) ergibt sich, dass das Verwaltungsgericht der Antragstellerin zu Unrecht vorläufigen Rechtsschutz gewährt hat. Nach der gebotenen summarischen Prüfung fällt die nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung zugunsten des öffentlichen Interesses aus. Die Erfolgsaussichten der Klage der Antragstellerin gegen den angefochtenen waffenrechtlichen Bescheid sind nach der derzeitigen Aktenlage als offen zu bewerten. Im Eilverfahren kann nicht mit der erforderlichen Sicherheit eine Aussage über die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts getroffen werden (1.1). Ausgehend von einem offenen Verfahrensausgang geht die vorzunehmende reine Interessenabwägung zu Lasten der Antragstellerin. Das Vollzugsinteresse des Antragsgegners überwiegt das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin (1.2).
1.1 Das Verwaltungsgericht hat die Umstände, die für und gegen die waffenrechtliche Zuverlässigkeit der Antragstellerin sprechen (§ 45 Abs. 2 Satz 1, § 4 Abs. 1 Nr. 2, § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a bis c WaffG; § 10 Abs. 4 Satz 4 WaffG), zunächst zutreffend angeführt, jedoch rechtfertigen die nach Aktenlage vorhandenen Tatsachen nicht die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, es bestünden ernsthafte Bedenken an der Rechtmäßigkeit des Widerrufsbescheids. Der der Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt bedarf vielmehr – wovon auch das Verwaltungsgericht ausging (BA S. 11) – weiterer Aufklärung.
1.1.1 Personen, die der sog. „Reichsbürgerbewegung“ zugehörig sind oder sich deren Ideologie als für sich verbindlich zu eigen gemacht haben, sind waffenrechtlich unzuverlässig (vgl. Beschluss des Senats vom 5. Oktober 2017- 21 CS 17.1300 – juris).
Der Verfassungsschutzbericht 2016 des Bundes (S. 90) definiert „Reichsbürger“ als eine organisatorisch wie ideologisch äußerst heterogene Szene, der jedoch die fundamentale Ablehnung des Staates, seiner Repräsentanten sowie der gesamten Rechtsordnung gemein ist. Nach dem Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 (S. 180 ff.) sind „Reichsbürger“ Gruppierungen und Einzelpersonen, die aus unterschiedlichen Motiven mit unterschiedlichen Begründungen die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen. Den Vertretern des Staates sprechen sie die Legitimation ab oder definieren sich gar in Gänze als außerhalb der Rechtsordnung stehend. Sie berufen sich in unterschiedlichster Form auf den Fortbestand des Deutschen Reiches. Reichsbürger behaupten, Deutschland habe keine gültige Verfassung und sei damit als Staat nicht existent, oder das Grundgesetz habe mit der Wiedervereinigung seine Gültigkeit verloren. Daher fühlen sich Reichsbürger auch nicht verpflichtet, den in der Bundesrepublik geltenden Gesetzen Folge zu leisten. Die Reichsbürgerbewegung wird als sicherheitsgefährdende Bestrebung eingestuft. Die Reichsbürgerideologie insgesamt ist geeignet, Personen in ein geschlossenes verschwörungstheoretisches Weltbild zu verstricken, in dem aus Staatsverdrossenheit Staatshass werden kann. Dies kann Grundlage für Radikalisierungsprozesse sein (Verfassungsschutzbericht Bayern 2016, S. 185).
Wer der Ideologie der Reichsbürgerbewegung folgend die Existenz und Legitimation der Bundesrepublik Deutschland negiert und die auf dem Grundgesetz fußende Rechtsordnung generell nicht als für sich verbindlich anerkennt, gibt Anlass zu der Befürchtung, dass er auch die Regelungen des Waffengesetzes nicht strikt befolgen wird. Dies gilt für den Umgang mit Waffen ebenso wie für die Pflicht zur sicheren Waffenaufbewahrung, die Pflicht zur getrennten Aufbewahrung von Waffen und Munition, die Pflicht zu gewährleisten, dass andere Personen keinen Zugriff haben können, sowie die strikten Vorgaben zum Schießen mit Waffen im Besonderen (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a bis c WaffG). Ausgehend von dem Grundsatz, dass nur derjenige im Besitz von Waffen sein soll, der nach seinem Verhalten das Vertrauen darin verdient, dass er mit Waffen und Munition jederzeit und in jeder Hinsicht ordnungsgemäß umgehen wird (vgl. BVerwG, B.v. 26.3.1997 – 1 B 9/97 – juris), muss einer der sog. „Reichsbürgerbewegung“ zuzuordnenden Person anknüpfend an die Tatsache, dass sie die waffenrechtlichen Normen gerade nicht als für sich verbindlich ansieht, die nach § 5 WaffG erforderliche Zuverlässigkeit abgesprochen werden (vgl. zum Ganzen: NdsOVG, B.v. 18.7.2017 – 11 ME 181/17; VG Minden, U.v. 29.11.2016 – 8 K 1965/16; VG Cottbus, U.v. 20.9.2016 – VG 3 K 305/16; VG München, B.v. 8.6.2017 – M 7 S. 17.933; einschränkend VG Gera, U.v. 16.9.2015 – 2 K 525/14 Ge – jeweils juris).
1.1.2 Zur Klärung der Frage, ob vorliegend die Verhaltensweisen und Einlassungen der Antragstellerin, die sich typischerweise als solche der sog. „Reichsbürgerbewegung“ darstellen, die auf Tatsachen gestützte Prognose ihrer waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit rechtfertigen, bedarf es der weiteren Sachaufklärung.
Der Senat teilt nicht die vom Verwaltungsgericht vertretene Auffassung, dass die vorhandenen Umstände allenfalls eine möglicherweise vorhandene Sympathie der Antragstellerin für das Gedankengut der Reichsbürger belegen, jedenfalls aber nicht ausreichen, um eine Zugehörigkeit zur Reichsbürgerbewegung oder eine entsprechende Grundhaltung anzunehmen. Die Begründung des Verwaltungsgerichts hierfür, nämlich dass die Antragstellerin nicht bewusst und aktiv – wie in gerichtsbekannten anderen Fallkonstellationen – die Reichsbürgerideologie gegenüber Behörden umgesetzt habe, wie z.B. durch Zahlungsverweigerung von Ordnungsgeldern, Gebühren, Steuern oder Beiträgen oder Rückgabe von amtlichen Ausweis- oder Legitimationsdokumenten, trägt nicht vollumfänglich.
Durch die Beantragung eines Staatsangehörigkeitsausweises unter Berufung auf das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz (RuStAG) in der Fassung von 1913 mit behaupteter Staatsangehörigkeit „Königreich Bayern“ sowie Beantragung von EStA-Registerauszügen (vgl. § 33 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StAG) mit dem nachdrücklich verfolgten Ziel, die Auskunft „erworben am“ („in unserem Fall durch Geburt“, vgl. Schreiben der Antragstellerin und ihres Ehemannes vom 26. Juli 2016) und „erworben durch“ („Abstammung RuStAG“) zu erhalten, hat die Antragstellerin eindeutig nach außen gegenüber einer Behörde zu erkennen gegeben, dass es ihr nicht nur um den Erwerb eines Staatsangehörigkeitsausweises geht – ggf. zu dem Zweck des Erwerbs einer Immobilie in den USA –, sondern dass sie ideologische für Reichsbürger typische Ziele verfolgt. Reichsbürger sind davon überzeugt, dass sie aus der Bundesrepublik Deutschland austreten können. Als ersten Schritt zu ihrem vermeintlichen Austritt betrachten sie häufig die Beantragung eines Staatsangehörigkeitsausweises (in der Terminologie der Reichsbürger sog. „gelber Schein“) unter Berufung auf das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913 (Verfassungsschutzbericht Bayern 2016, S. 184). Vom Staatsangehörigkeitsausweis erhofft sich dieser Personenkreis – rechtlich völlig unzutreffend – u.a. den „Ausstieg aus der Firma BRD“ oder die Sicherung vermeintlicher Rechte beim „Untergang des Systems“. Die Angabe „Königreich Bayern“ als weitere Staatsangehörigkeit der Antragstellerin legt ebenfalls „reichsbürgertypisch“ nahe, dass sich die Antragstellerin nicht als zur Bundesrepublik Deutschland zugehörig ansieht.
Unter Berücksichtigung der von der Antragstellerin im Rahmen der Beantragung eines Staatsangehörigkeitsausweises nach außen getretenen Haltung und der polizeilichen Einschätzung, dass bei der Antragstellerin eine Zugehörigkeit zur Ideologie der sog. Reichsbürgerbewegung eindeutig erkennbar ist, wird das Verwaltungsgericht im Hauptsacheverfahren zu klären haben, inwieweit die Einlassungen der Antragstellerin im Einzelnen glaubhaft und geeignet sind, die Antragstellerin als eine Person erscheinen zu lassen, die nicht die Ideologien der Reichsbürger als für sich verbindlich beansprucht. Insbesondere von Belang dürfte insoweit die Einsicht in die Behördenakte zum beantragten Staatsangehörigkeitsausweis sein (z.B. Original-Eintragungen in das Antragsformular, ggf. Inhalt der von der Antragstellerin mitunterzeichneten Schreiben, E-Mail Korrespondenz hinsichtlich der Eintragung in das EStA-Register). Diese Akte hat das Verwaltungsgericht im Eilverfahren nicht beigezogen.
1.2 Da nach alldem keine zuverlässige Prognose über den Verfahrensausgang getroffen werden kann, ist eine reine Interessenabwägung erforderlich.
§ 45 Abs. 5 WaffG (angefügt durch Gesetz zur Änderung des Waffengesetzes und weiterer Vorschriften vom 26.3.2008, BGBl. I 426) beseitigt von Gesetzes wegen (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO) die aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage gegen den Widerruf einer waffenrechtlichen Erlaubnis wegen nachträglichen Wegfalls der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit. Der Begriff „Erlaubnis“ (45 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 5 WaffG) umfasst dabei alle Erlaubnistatbestände des Waffengesetzes (BT-Drs. 14/7758, S. 79), also auch den Kleinen Waffenschein nach § 10 Abs. 4 Satz 4 WaffG. Der Gesetzgeber hielt in dieser Fallgruppe die Anordnung der sofortigen Vollziehung für dringend angezeigt. In derartigen Fällen sei im Interesse der öffentlichen Sicherheit und Ordnung immer eine umgehende Beendigung des Waffenbesitzes geboten bzw. ein höherwertiges legitimes Interesse an einem weiteren Waffenbesitz bis zum Eintritt von Bestands- oder Rechtskraft (u.U. mehrere Monate oder Jahre) überhaupt nicht zu erkennen. Den berechtigten Belangen der Betroffenen könnte in Ausnahmefällen durch eine abweichende (Eil-) Anordnung der Verwaltungsgerichte Rechnung getragen werden (BT-Drs. 16/7717, S. 33).
In Fällen der gesetzlichen Sofortvollzugsanordnung unterscheidet sich die Interessenabwägung von derjenigen, die in den Fällen einer behördlichen Anordnung stattfindet. Während im Anwendungsbereich von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO bei der Interessenabwägung die Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers für die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen bedeutsam wird, ist in Fällen der Nummern 1 bis 3 zu beachten, dass hier der Gesetzgeber einen grundsätzlichen Vorrang des Vollziehungsinteresses angeordnet hat und es deshalb besonderer Umstände bedarf, um eine hiervon abweichende Entscheidung zu rechtfertigen. Hat sich schon der Gesetzgeber für den Sofortvollzug entschieden, sind die Gerichte –neben der Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache – zu einer Einzelfallbetrachtung grundsätzlich nur im Hinblick auf solche Umstände angehalten, die von den Beteiligten vorgetragen werden und die Annahme rechtfertigen können, dass im konkreten Fall von der gesetzgeberischen Grundentscheidung ausnahmsweise abzuweichen ist (vgl. BVerfG, B.v. 10.10.2003 – 1 BvR 2025/03 – juris Rn. 21 f.).
Die Antragstellerin hat insoweit keine Gründe vorgetragen, die auf besondere, über die im Regelfall mit der Anordnung sofortiger Vollziehung verbundenen Umstände hingewiesen hätten, aufgrund derer eine Abwägung zugunsten ihrer privaten Interessen ausfallen müsste. Der im streitgegenständlichen Bescheid des Antragsgegners verfügte Widerruf des Kleinen Waffenscheins dient dem besonderen Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit an einem sicheren und zuverlässigen Umgang mit Schusswaffen und daher dem Schutz überragender Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit der Bevölkerung. Der „Kleine Waffenschein“ ist eine Neuschöpfung des Gesetzes zur Neuregelung des Waffenrechts vom 11.10.2002 (BGBl. I 3970), ber. 19.12.2002 (BGBl. I 4592) und 19.9.2003 (BGBl. I 1957). Für das Führen von Schreckschuss-, Reizstoff- und Signalwaffen i.S. der Anl. 2 Abschn.2 Unterabschn. 3 Nr. 2.1 sind nur das Vorliegen der Zuverlässigkeit (§ 5) und der persönlichen Eignung (§ 6) zu prüfen (vgl. § 10 Abs. 4 Satz 4 WaffG; BT-Drs. 14/7758 S. 58). Grund für die Einführung des Kleinen Waffenscheins war die seit Jahren gemachte Erfahrung, dass in Deutschland etwa die Hälfte der mit Schusswaffen verübten Delikte unter Verwendung von bis dahin erlaubnisfrei zu führenden, nur an die Altersgrenze von 18 Jahren gebundenen Schreckschuss-, Reizstoff- oder Signalwaffen begangen worden sind (Heinrich in Steindorf, Waffenrecht, 10. Aufl. 2015, § 10 Rn. 12). Gegenüber diesem gewichtigen öffentlichen Interesse hat das rein private Interesse der Antragstellerin an einer Aussetzung der Vollziehung, das sie nicht gesondert begründet hat, weniger Gewicht. Nach alldem kann der Auffassung des Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin, dass von Gas-, Signal- und Schreckschusswaffen keine Gefährdung für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehe, nicht gefolgt werden.
Das öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) besteht aus Gründen der Gefahrenabwehr regelmäßig auch für die mit der Widerrufsentscheidung verbundenen notwendigen Anordnungen, die ausgestellte Erlaubnisurkunde zurückzugeben (§ 46 Abs. 1 Satz 1 WaffG). Denn diese Folgeentscheidung stellt sicher, dass der kraft Gesetzes (§ 45 Abs. 5 WaffG) sofort vollziehbare Widerruf der waffenrechtlichen Erlaubnis tatsächlich umgesetzt wird (vgl. BayVGH, B.v. 4.3.2016 – 21 CS 15.2718 – juris Rn. 17).
2. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 154 Abs. 2 VwGO.
3. Der Streitwert ergibt sich aus § 47, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG unter Berücksichtigung der Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Für den Widerruf eines Kleinen Waffenscheins wird der Auffangwert von 5.000,00 EUR angesetzt, der in Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes halbiert wird (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 5.7.2017 – 21 CS 17.856 – juris).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 GKG).