Verwaltungsrecht

Widersprüchliches und unschlüssiges Vorbringen über die Verfolgungsgeschichte

Aktenzeichen  Au 4 K 16.32864

Datum:
17.2.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3, § 3a, § 4
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

Widersprüchliches und unschlüssiges Vorbringen über die Verfolgungsgeschichte vereiteln die Glaubhaftmachung der Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG sowie eines drohenden ernsthaften Schadens gemäß § 4 AsylG. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Anerkennung als Asylberechtigter, die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, die Gewährung subsidiären Schutzes und die Feststellung von Abschiebungsverboten. Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamts vom 30. November 2016 (Gz.: 6811635-252) ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Ein Flüchtling muss unter Angabe genauer Einzelheiten einen schlüssigen und in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich ergibt, dass ihm mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit im Heimatland (politische) Verfolgung droht. Zwar dürfen hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Verfolgerland keine unerfüllbaren Beweisanforderungen gestellt werden, sondern es genügt in tatsächlich zweifelhaften Fällen ein für das praktische Leben brauchbarer Grad der Gewissheit, auch wenn Zweifel nicht völlig auszuschließen sind. In der Regel kommt deshalb dem persönlichen Vorbringen des Asylbewerbers, seiner Persönlichkeit und Glaubwürdigkeit sowie der Art seiner Einlassung besondere Bedeutung zu (vgl. BayVGH, U.v. 26.1.2012 – 20 B 11.30468 m.w.N.). Gemessen an diesen Voraussetzungen konnte der Kläger nicht glaubhaft machen, dass ihm (politische) Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG bzw. ein ernsthafter Schaden gemäß § 4 AsylG droht. Die Angaben des Klägers sind, gerade auch in wesentlichen Punkten, widersprüchlich, unschlüssig und damit unglaubhaft.
Widersprüchlich und unschlüssig ist das Kernvorbringen des Klägers, wegen der Abkehr vom muslimischen Glauben von Verfolgung bedroht zu sein. Der Kläger hat vor dem Bundesamt erklärt, sich noch nicht entschieden zu haben, ob und welchen Glauben er annehmen wolle. In ähnlicher Weise hat er in der mündlichen Verhandlung erklärt, derzeit keiner Religion anzugehören; er habe sich noch nicht für eine Religion entschieden, neige aber derzeit dem Christentum zu. Vor diesem Hintergrund ist es jedoch nicht erklärlich, weshalb sich der Kläger bereits mit 14 Jahren ein Kreuz in den linken Oberarm gebrannt haben will. Das Kreuz stellt eines der wichtigsten Symbole, wenn nicht das wichtigste Symbol des christlichen Glaubens dar. Wenn der Kläger also tatsächlich – wie er angibt – keine Entscheidung über die Zugehörigkeit zur einer Religion getroffen haben will, ist nicht nachvollziehbar, weshalb er sich dann selbst gleichwohl bereits vor Jahren – unter Zufügung von Schmerzen – mit dem wichtigsten christlichen Symbol dauerhaft kennzeichnet. Auch sonst ist das Vorbringen des Klägers hinsichtlich des von ihm eingebrannten Kreuzes widersprüchlich und nicht nachvollziehbar. Am Oberarm des Klägers lässt sich – wie die mündliche Verhandlung ergeben hat – wenn überhaupt ein „Kreuz“ nur aus nächster Nähe und bei äußerst genauem Hinsehen erkennen. Dies spricht gegen die Angabe des Klägers vor dem Bundesamt, wegen des Kreuzes viele Probleme bekommen zu haben. Hiergegen spricht auch, dass der Kläger ausweislich seiner Angaben vor dem Bundesamt nach dem Verlassen seines Heimatortes ein Jahr in Marrakesch und für 14 Monate in Tanger gelebt hat. Damit ist zudem seine Angabe, dass man ihn überall als nicht gläubigen Muslim kannte, nicht nachvollziehbar. Zudem hat der Kläger sein Vorbringen in der Klagebegründung in unglaubwürdiger Weise gesteigert, indem er angeführt hat, es sei ihm ein Messer in das eingebrannte Kreuz gerammt worden. In der Sache macht er damit eine symbolhafte Verletzung geltend, von der er jedoch vor dem Bundesamts nichts geschildert hat; angesichts der, wie ausgeführt, allenfalls äußerst schlechten Erkennbarkeit des Kreuzes ist auch nicht nachvollziehbar, dass es zu einer bewussten Verletzung des Klägers an dem Kreuz gekommen sein soll.
Ferner hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt, in Marokko einmal in der Kirche gewesen zu sein. Demgegenüber hat er vor dem Bundesamt angegeben, er sei mit seinem Mitbewohner „ein paar Mal in der Kirche“ gewesen; in der Klagebegründung hat er angeführt, „des Öfteren in die Kirche gegangen“ zu sein. Dies stellt, wenn – wie hier – eine Verfolgung aus religiösen Gründen angeführt wird, einen Widerspruch in einem zentralen Punkt dar. Zudem lässt sich der Klagebegründung entnehmen, dass die Tatsache, der Kläger sei „des Öfteren in die Kirche gegangen“, für seine Familie besonders schlimm gewesen sei; sie hätten ihn verstoßen. Demnach hätte der Kläger zu einem Zeitpunkt die Kirche besucht, als er noch bei seiner Familie gewesen sei. Demgegenüber hat der Kläger vor dem Bundesamt angegeben, mit seinem Mitbewohner in der Kirche gewesen zu sein, d.h. zu einem Zeitpunkt, als er seinen Heimatort bereits verlassen hatte.
Auch die weiteren Geschehnisse in Marokko werden vom Kläger widersprüchlich dargestellt. So hat er in der mündlichen Verhandlung angegeben, sich zuletzt in Casablanca aufgehalten zu haben; in Casablanca habe er sich auch zwischen seinen Aufenthalten in Marrakesch und Tanger aufgehalten. Von einem Aufenthalt – oder gar, wie in der mündlichen Verhandlung angegeben, von einem Kirchenbesuch – in Casablanca hat der Kläger vor dem Bundesamt jedoch nicht berichtet, sondern nur von Aufenthalten in Marrakesch und Tanger. Ferner hat der Kläger beim Bundesamt angegeben, bei einem christlichen Jungen gewohnt zu haben. Dieser habe Arbeit gehabt und hätte ihn manchmal zur Arbeit mitgenommen. Er habe im Kanalbau gearbeitet. Dies steht im Widerspruch zum Vorbringen des Klägers in der mündlichen Verhandlung, er habe bei einem Jungen, der Christ gewesen sei, lediglich für einen Monat gewohnt. Da der Kläger seinen Aufenthalt bei dem Jungen vor dem Bundesamt auf die Frage angegeben hatte, von was er gelebt habe, lässt sich daraus schließen, dass es sich nicht lediglich, wie in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht, um einen kurzfristigen Aufenthalt gehandelt hat.
Widersprüchlich ist auch das Vorbringen des Klägers in der Klagebegründung, er habe auf der Straße leben müssen und es sei ihm nicht möglich gewesen, zu arbeiten. Denn der Kläger hat – wie ausgeführt – vor dem Bundesamt auf die Frage, von was er gelebt habe, angegeben, bei dem christlichen Jungen gewohnt zu haben und (gelegentlich) im Kanalbau gearbeitet zu haben.
Da somit das Vorbringen des Klägers in zentralen Punkten unschlüssig und widersprüchlich ist, muss sein Vortrag hinsichtlich einer Verfolgung bzw. Bedrohung als unglaubhaft gewertet werden.
Selbst wenn jedoch das Vorbringen des Klägers hinsichtlich der von ihm behaupteten Abkehr vom muslimischen Glauben zutreffend wäre, stünden ihm die geltend gemachten Ansprüche nicht zu. Das Gericht folgt gemäß § 77 Abs. 2 AsylG der Begründung des streitgegenständlichen Bescheids und nimmt hierauf Bezug. Insbesondere ist nach der auch in dem Bescheid dargestellten Erkenntnislage bezüglich Marokkos die Religionsfreiheit gewährleistet. Apostasie und Konversion sind nicht strafbewehrt. Der freiwillige Religionswechsel ist weder strafnoch zivilrechtlich verboten. Für die Behauptung des Klägers, bereits der Versuch des Übertritts zu einem anderen Glauben sei strafbewehrt, bestehen nach den im streitgegenständlichen Bescheid zitierten und den in das Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln keine Anhaltspunkte. Zwar erleben Christen mit muslimischem Hintergrund oft gesellschaftlichen Druck und soziale Isolation, wie dies wohl auch der Kläger geltend gemacht hat. Verfolgungshandlungen i.S.d. § 3a AsylG durch beachtliche Akteure i.S.d. § 3c AsylG (auch i.V.m. § 4 Abs. 3 AsylG) werden hierdurch jedoch nicht begründet. Zudem hat sich der Kläger, wie er selbst geltend macht, eben gerade (noch) nicht zum Christentum bekannt. In Bezug auf eine Verfolgung bzw. Bedrohung durch Privatpersonen bestehen für das Vorliegen der Voraussetzungen gem. § 3c Nr. 3 AsylG (auch i.V.m. § 4 Abs. 3 AsylG) keinerlei Anhaltspunkte. Soweit es um die Befürchtung geht, dass der Kläger als dem christlichen Glauben Nahestehender identifiziert wird, ist zu bemerken, dass das von ihm geschilderte „Kreuz“ kaum als solches zu erkennen ist und ihm, wie der streitgegenständliche Bescheid zu Recht ausführt, ohne Weiteres zugemutet werden kann, dieses zu bedecken, zumal da der Kläger – wie er geltend macht – gerade kein bzw. noch kein Christ ist. Dem Kläger ist es zudem offenbar gelungen, über zwei Jahre von seiner Verwandtschaft entfernt in verschiedenen marokkanischen Städten zu leben und dort nach seinem Vorbringen vor dem Bundesamt auch zu arbeiten. Auch dies spricht gegen eine (Vor-) Verfolgung gemäß §§ 3 ff. AsylG bzw. gegen die Bedrohung mit einem ernsthaften Schaden gemäß § 4 AsylG.
Auch im Übrigen ist der Begründung des streitgegenständlichen Bescheids – insbesondere in Bezug auf das Nichtbestehen von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG – zu folgen; hierauf wird gemäß § 77 Abs. 2 AsylG erneut Bezug genommen. Insbesondere hat der Kläger bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt angegeben, für seine Reise nach Deutschland ca. 700 EUR aufgewendet zu haben, dies seien seine Ersparnisse gewesen. Der Kläger ist damit offenbar in Marokko in der Lage gewesen, sich diesen Betrag durch Arbeit bzw. anderes Einkommen anzusparen, so dass davon auszugehen ist, dass er bei einer Rückkehr erneut seinen Lebensunterhalt bestreiten könnte.
Rechtliche Bedenken im Hinblick auf die auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG beruhende Abschiebungsandrohung bestehen ebenso wenig wie im Hinblick auf die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 und 2 AufenthG. Auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheids wird insoweit nochmals Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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