Aktenzeichen 8 ZB 16.30066
AufenthG § 60 Abs. 1 S. 2, S. 3
RL 2005/85/EG Art. 38 Abs. 1 lit. b, Abs. 2
VwGO § 108 Abs. 2
GG Art. 103 Abs. 1
Leitsatz
1. Auf Ausländer, die in einem anderen Staat als Flüchtling anerkannt sind, finden die Regelungen zum Dublin-Verfahren keine Anwendung (wie BVerwG, Urt. v. 17.06.2014 – BeckRS 2014, 54339). (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Ablehnung eines Beweisantrags verletzt das rechtliche Gehör nur dann, wenn sie im Prozessrecht objektiv keine Stütze findet; für hilfsweise gestellte Beweisanträge gilt insoweit nichts anderes. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
B 2 K 15.30367 2016-02-22 Ent VGBAYREUTH VG Bayreuth
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Zulassungsverfahren wird abgelehnt.
Gründe
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) liegt nicht vor.
Einer Rechtssache kommt grundsätzliche Bedeutung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zu, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Tatsachen- oder Rechtsfrage von Bedeutung war, deren noch ausstehende obergerichtlich Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2017 – 11 ZB 17.31711 – juris Rn. 2; BVerwG, B.v. 21.11.2017 – 1 B 148.17 u.a. – juris Rn. 4 zu § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist. Ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2017 – 11 ZB 17.31711 – juris Rn. 2; BVerwG, B.v. 30.9.2015 – 1 B 42.15 – juris Rn. 3). Darzulegen sind mithin die konkrete Frage sowie ihre Klärungsbedürftigkeit, Klärungsfähigkeit und allgemeine Bedeutung (vgl. OVG NRW, B.v. 15.12.2017 – 13 A 2841/17.A – juris Rn. 3 ff.).
Diesen Anforderungen wird das klägerische Vorbringen nicht gerecht.
1.1 Die vom Kläger im Zulassungsantrag für grundsätzlich bedeutsam gehaltene Rechtsfrage,
„ob ein Dublin-Verfahren auch dann durchzuführen ist, wenn der Betroffene bereits in einem anderen Mitgliedstaat des gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) internationalen Schutz zugesprochen bekommen hat“,
ist nicht klärungsbedürftig, weil sie von der höchstrichterlichen und obergerichtlichen Rechtsprechung bereits geklärt wurde. Das Bundesverwaltungsgericht hat hierzu in seinem Urteil vom 17. Juni 2014 (Az. 10 C 7.13 – BVerwGE 150, 29 = juris Rn. 26) die Auffassung vertreten, dass auf Ausländer, die in einem anderen Staat als Flüchtling anerkannt sind, die Regelungen zum Dublin-Verfahren nicht anwendbar sind. Dass diese Aussage in einem sog. obiter dictum getroffen wurde, ändert daran nichts. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat sich dieser Rechtsprechung im Urteil vom 29. April 2015 (Az. A 11 S 57/15 – InfAuslR 2015, 310 = juris Leitsatz 1 und Rn. 36 m.w.N.) angeschlossen. Auf die ausführliche Begründung hierzu wird Bezug genommen.
Dies entspricht offensichtlich auch dem eigenen Verständnis des Verordnungsgebers, der in Art. 16 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 vom 18. Februar 2003 [Dublin-II-Verordnung] – vorliegend findet nach der Übergangsbestimmung in Art. 49 UA 2 Satz 2 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 vom 26. Juni 2013 [Dublin-III-Verordnung] die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 vom 18. Februar 2003 [Dublin-II-Verordnung] Anwendung – noch nicht geregelt hat, dass Begünstigte internationalen Schutzes dem Geltungsbereich der Verordnung unterliegen. Erst im aktuellen Vorschlag der Kommission zum Entwurf zur Reform der Dublin-III-Verordnung vom 4. Mai 2016 (COM[2016] 270 final) ist nunmehr erstmals vorgesehen, dass auch dieser Personenkreis in den Geltungsbereich der Verordnung einzubeziehen ist (vgl. dort Erwägungsgrund 12 [S. 26], Art. 20 Abs. 1 Buchst. e [S. 56]). In der Begründung des Vorschlags heißt es hierzu (vgl. S. 19):
„Der zuständige Mitgliedstaat wurde nunmehr verpflichtet, Begünstigte internationalen Schutzes wieder aufzunehmen, die in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt haben oder sich dort irregulär aufhalten. Aufgrund dieser Verpflichtung verfügen die Mitgliedstaaten über das erforderliche Rechtsinstrument zur Durchführung von Rücküberstellungen, dem im Hinblick auf die Eindämmung der Sekundärmigration große Bedeutung zukommt.“
Hieraus („nunmehr“) ergibt sich zweifelsfrei, dass die bisherigen Dublin-Verordnungen eine Wiederaufnahmeverpflichtung von Ausländern, denen bereits in einem anderen Mitgliedstaat internationaler Schutz gewährt wurde, nicht regeln.
1.2 Die weiter für grundsätzlich bedeutsam erachtete Frage,
„ob der Ausschluss von der Durchführung eines Asylverfahrens durch § 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG auch dann zur Anwendung kommt, wenn der in einem anderen Anwenderstaat der europäischen Richtlinien und Verordnungen zum Flüchtlingsrecht erlangte Flüchtlingsstatus mittlerweile erloschen ist und nicht mehr fortbesteht,“
ist nicht entscheidungserheblich. Das Verwaltungsgericht hat darauf abgestellt, dass die dem Kläger in Italien zuerkannte Flüchtlingseigenschaft nicht erloschen ist (vgl. Urteilsabdruck S. 10). Zur Begründung dieser Annahme hat es auf die europarechtlichen Vorgaben der Asylverfahrensrichtlinie (hier anzuwenden in der Fassung der Richtlinie 2005/85/EG vom 1. Dezember 2005, vgl. Art. 52 UA 1 Satz 2 der Richtlinie 2013/32/EU vom 26. Juni 2013) verwiesen. Dies ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die dort für alle Mitgliedstaaten verbindlich vorgegebenen Verfahrensgarantien bei Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft verlangen u.a. eine schriftliche Entscheidung nach persönlicher Anhörung des Betroffenen (Art. 38 Abs. 2, Abs. 1 Buchst. b Richtlinie 2005/85/EG). Dass dies im Fall des Klägers erfolgt wäre, legt der Zulassungsantrag nicht dar; die pauschale Behauptung, in Italien gebe es in erheblichem Umfang die Praxis, den einmal gewährten Status zum Erlöschen zu bringen bzw. die weitere oder erneute Schutzgewährung zu versagen, genügt hierfür nicht.
2. Der Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG) wegen einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist nicht in einer Weise dargetan, die den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügt.
2.1 Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG, Art. 91 Abs. 1 BV) hat eine zweifache Ausprägung: Zum einen untersagt es dem Gericht, seiner Entscheidung Tatsachen und Beweisergebnisse zugrunde zu legen, zu denen sich die Beteiligten nicht äußern konnten. Zum anderen gibt es den Beteiligten einen Anspruch darauf, dass rechtzeitiges und möglicherweise erhebliches Vorbringen vom Gericht zur Kenntnis genommen und bei der Entscheidung in Erwägung gezogen wird, soweit es aus verfahrens- oder materiell-rechtlichen Gründen nicht ausnahmsweise unberücksichtigt bleiben muss oder kann (vgl. BayVerfGH, E.v. 25.8.2016 – Vf. 2-VI-15 – juris Rn. 34 f.; BVerfG, B.v. 5.4.2012 – 2 BvR 2126/11 – NJW 2012, 2262; BVerwG, B.v. 17.6.2011 – 8 C 3.11 u.a. – juris Rn. 3). Das rechtliche Gehör ist allerdings erst dann verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Die Gerichte sind nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in der Begründung der Entscheidung ausdrücklich zu befassen. Vielmehr müssen im Einzelfall besondere Umstände deutlich ergeben, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (vgl. BVerfG, B.v. 29.10.2015 – 2 BvR 1493/11 – NVwZ 2016, 238 = juris Rn. 45).
Dementsprechend erfordert die Rüge einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör regelmäßig, dass substanziiert vorgetragen wird, zu welchen entscheidungserheblichen Tatsachen oder Beweisergebnissen sich der Kläger nicht hat äußern können oder welches entscheidungserhebliche Vorbringen das Verwaltungsgericht nicht zur Kenntnis genommen oder nicht in Erwägung gezogen haben soll. Außerdem muss dargelegt werden, was der Kläger vorgetragen hätte, wenn ihm ausreichendes Gehör gewährt worden wäre, und inwiefern der weitere Vortrag zur Klärung des geltend gemachten Anspruchs geeignet gewesen wäre (BVerwG, U.v. 14.11.2016 – 5 C 10.15 D – BVerwGE 156, 229 = juris Rn. 65 m.w.N.).
2.2 Diesen Darlegungsanforderungen genügt das Zulassungsvorbringen nicht.
2.2.1 Das Verwaltungsgericht hat den klägerischen Vortrag zu dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Hilfsbeweisantrag erkennbar zur Kenntnis genommen. Es hat sich mit der darin aufgestellten Behauptung des Klägers, sein Status als anerkannter Flüchtling in Italien sei erloschen, auseinandergesetzt (vgl. Urteilsabdruck S. 10). Insbesondere im Hinblick auf die für alle Mitgliedstaaten verbindlichen europarechtlichen Verfahrensvorgaben zur Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft ist es aber zu dem Ergebnis gelangt, dass der Flüchtlingsstatus des Klägers nicht erloschen sein kann. Dass es in den Entscheidungsgründen hierzu nicht ausdrücklich – wie zu der im selben Hilfsbeweisantrag unter Beweis gestellten Frage der Gesundheitsversorgung (vgl. Urteilsabdruck S. 14) – klargestellt hat, dass es eine weitere Beweiserhebung für nicht angezeigt erachtet, ändert daran nichts.
2.2.2 Dass das Verwaltungsgericht zur Frage des Erlöschens der Flüchtlingseigenschaft des Klägers keinen Beweis erhoben hat, erweist sich ebenfalls nicht als verfahrensfehlerhaft. Die Verfahrensgarantie des rechtlichen Gehörs gebietet dem Gericht, formell ordnungsgemäßen, prozessrechtlich beachtlichen Beweisanträgen nachzugehen. Die Ablehnung eines Beweisantrags verletzt das rechtliche Gehör folglich nur dann, wenn sie im Prozessrecht objektiv keine Stütze findet; für hilfsweise gestellte Beweisanträge gilt insoweit nichts anderes (vgl. BVerfG, B.v. 22.9.2009 – 1 BvR 3501/08 – juris Rn. 13 m.w.N.). Wird ein Hilfsbeweisantrag abgelehnt, ist die hiergegen erhobene Aufklärungsrüge nur dann begründet, wenn sich dem Gericht auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung eine weitere Beweisaufnahme hätte aufdrängen müssen (vgl. BVerwG, B.v. 28.7.2014 – 1 B 6.14 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 22.11.2017 – 11 ZB 17.30768 – juris Rn. 8). Das zeigt der Zulassungsantrag nicht auf. Weshalb die – für alle Mitgliedstaaten verbindlichen – Vorgaben der Asylverfahrensrichtlinie für die Einschätzung des Erlöschens der Flüchtlingseigenschaft des Klägers ohne Bedeutung sein sollten, erschließt sich dem Senat nicht. Auch die Würdigung der Auskunft des Auswärtigen Amts vom 26. Februar 2015 durch das Verwaltungsgericht (vgl. Urteilsabdruck S. 10) hat der Kläger nicht erschüttert; das angegriffene Urteil stellt insoweit rechtsfehlerfrei fest, dass der Kläger – anders als in dem der Auskunft zugrunde liegenden Sachverhalt – über italienische Aufenthaltsdokumente verfügt (vgl. S. 18 der Behördenakte der Beklagten).
3. Soweit sich der Zulassungsantrag gegen die Feststellung des Verwaltungsgerichts wendet, die Beklagte hätte anstatt der Ablehnung des Asylantrags als unzulässig auch nur gemäß § 26a AsylG i.V.m. § 31 Abs. 4 AsylG feststellen können, dass dem Kläger aufgrund seiner Einreise aus einem sicheren Drittstaat kein Asylrecht zusteht (vgl. Urteilsabdruck S. 12), wird schon kein Zulassungsgrund nach § 78 Abs. 3 AsylG geltend gemacht. Abgesehen davon handelt es sich dabei um keine tragende Entscheidungsbegründung.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 Satz 1 RVG.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).
5. Angesichts der fehlenden Erfolgsaussichten des Zulassungsantrages war auch der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Anwaltsbeiordnung für das Zulassungsverfahren nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO abzulehnen. Im Übrigen hat der Kläger keine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt (vgl. § 117 Abs. 2 Satz 1 ZPO).