Verwaltungsrecht

Zuerkennung subsidiären Schutzes in Deutschland bei bereits in einem anderen EU-Mitgliedstaat erlangten Schutzstatus

Aktenzeichen  20 B 15.30016

Datum:
11.7.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 49256
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 4, § 71a, § 77

 

Leitsatz

Das Begehren auf Zuerkennung von unionsrechtlichem subsidiärem Schutz ist unzulässig, wenn dem Ausländer bereits im Ausland die Rechtsstellung eines Flüchtlings oder eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist (vgl. BVerwG BeckRS 2014, 54339). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RN 7 K 13.30392 2014-05-14 Ent VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I.
Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 14. Mai 2014 wird aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I. Die Klägerin begehrt die Zuerkennung subsidiären Schutzes in Deutschland.
Die Klägerin ist eigenen Angaben zufolge somalische Staatsangehörige. Sie meldete sich im März 2010 in Karlsruhe als Asylsuchende. Nachdem mehrere Versuche, der Klägerin Fingerabdrücke für eine EURODAC-Recherche abzunehmen, fehlgeschlagen waren, erklärte der damalige Bevollmächtigte der Klägerin mit Schreiben vom 7. September 2011, dass ihre Fingerkuppen manipuliert seien um Voraufenthalte in Italien und Holland zu verschleiern. Sie sei über Äthiopien, den Sudan und Libyen im Februar 2008 mit dem Boot nach Italien gekommen. Angekommen sei sie in Lampedusa. Nachdem sie fünf Monate in einem Flüchtlingslager in „Caratonia“ untergebracht gewesen sei, habe sie ein Aufenthaltspapier für drei Jahre bekommen und das Lager verlassen müssen. Nach einem weiteren Aufenthalt in Holland sei sie nach Deutschland gekommen.
In einer „Situationsschilderung“ beim Caritasverband Straubing vom 8. August 2011 gab die Klägerin unter anderem an, in Italien nach fünf Monaten in einem Lager ein „Aufenthaltspapier“ für drei Jahre bekommen zu haben. Auf elektronische Nachfrage gab die Liaisonbeamtin des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) in Italien an, dass die Klägerin subsidiären Schutz in Napoli gewährt bekommen habe, der Aufenthaltstitel sei gültig bis zum 8. Mai 2011 (Aktenvermerk vom 7.12.2012).
In einem vom 11. Dezember 2012 datierten Aktenvermerk hielt das Bundesamt fest, dass die Zuständigkeit für die Behandlung des Asylantrags auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen sei. Hierüber wurde die Bevollmächtigte der Klägerin mit Schreiben vom 24. Januar 2013 informiert.
Mit Bescheid vom 23. Juli 2013 wurde der Antrag der Klägerin auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nach § 71a AsylVfG abgelehnt. Hiergegen ließ die Klägerin durch ihre Bevollmächtigte fristgerecht Klage erheben. Die zunächst angekündigten Verpflichtungsanträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und hilfsweise auf Feststellung von Abschiebungsverboten wurden in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht nicht gestellt.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin den subsidiären Schutz im Sinne von § 4 AsylVfG zu gewähren und den Bescheid der Beklagten vom 23. Juli 2013 aufzuheben, soweit er dem entgegensteht.
Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 14. Mai 2014 den Bescheid vom 23. Juli 2013 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, der Klägerin subsidiären Schutz gem. § 4 AsylVfG zu gewähren. Auf die Begründung wird Bezug genommen.
Die Beklagte begehrt mit der vom Senat zugelassenen Berufung die Abweisung der Klage. Sie beantragt,
unter Änderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung die Klage abzuweisen.
Zur Begründung führt sie aus, dass zwischenzeitlich höchstrichterlich mit Urteil vom 17. Juni 2014 (BVerwG, Az. 10 C 7.13) geklärt sei, dass kein Anspruch auf Zuerkennung des unionrechtlich subsidiären Schutzstatus bestehe, wenn dieser bereits durch einen anderen Mitgliedsstaat zuerkannt sei. Dann sei die Beklagte aufgrund § 60 Abs. 2 Satz 2 AufenthG zur Durchführung eines Verfahrens nicht verpflichtet, darüber hinaus dazu auch gar nicht berechtigt. Eine Abschiebungsandrohung sei nicht ergangen, daher fehle es am Rechtschutzbedürfnis für die gerichtlich begehrte Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbotes.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung wird zurückgewiesen.
Bezüglich des streitgegenständlichen Bescheids und dessen Regelungsbereich sei auf die Rechtslage zum Zeitpunkt seines Erlasses abzustellen. Anders als in dem vom Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 17. Juni 2014 entschiedenen Fall habe das Bundesamt vorliegend eine Sachentscheidung getroffen und von der Möglichkeit der Ablehnung des Asylantrages als unzulässig gerade keinen Gebrauch gemacht. Daher könnten die die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts tragenden Rechtssätze nicht auf diesen Fall übertragen werden. Bei der Zweitantragsprüfung handele es sich um eine inhaltliche Prüfung des Asylantrags, während die auf § 26a AsylVfG gestützte Ablehnung lediglich die formale Frage der Zulässigkeit des Asylantrags behandele ohne irgendwelche inhaltlichen Prüfungen vorzunehmen. Da das Bundesamt den Antrag in der Sache angenommen und nicht als unzulässig abgelehnt habe, seien die gesetzlichen Neuerungen des § 60 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 und Abs. 2 Satz 2 AufenthG sowie die hierzu ergangene Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auf den vorliegenden Altfall aufgrund des echten Rückwirkungsverbots nicht anwendbar. Ein Anspruch auf Feststellung des subsidiären Schutzstatus bestehe. Zumindest aber sei eine Feststellung bezüglich der nationalen Abschiebungsverbote zu treffen. Daneben werde auf den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Oktober 2015 (Az. 1 B 41.15) verwiesen. Danach dürfe ein Asylantrag, der vor dem 20. Juli 2015 gestellt worden sei, nur dann als unzulässig behandelt werden, wenn dem Betreffenden in dem anderen Mitgliedsstaat bereits die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden sei. Dies sei hier unstreitig nicht der Fall.
Mit Schreiben vom 19. Mai 2016 hörte der Senat die Beteiligten zur Möglichkeit einer Entscheidung nach § 130a VwGO an.
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die Behördenakten, die Gerichtsakten des erstinstanzlichen Verfahrens und die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
II. Die zulässige Berufung ist begründet.
Über die Berufung konnte nach vorheriger Anhörung der Beteiligten mit Hinweis auf die aktuelle Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entsprechend § 130a VwGO durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, weil der Senat die Berufung der Beklagten einstimmig für begründet hält.
Streitgegenständlich ist vorliegend allein die Frage, ob die Klägerin einen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes in Deutschland nach § 4 AsylG hat. Denn die im erstinstanzlichen Klageverfahren noch angekündigten Anträge auf Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung von Flüchtlingsschutz und auf (hilfsweise) Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG wurden von der Bevollmächtigten der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht nicht gestellt. Dementsprechend ist auch im vorliegenden Berufungsverfahren nicht darüber zu befinden.
Die Klägerin hat entgegen den Ausführungen des Verwaltungsgerichts im Urteil vom 14. Mai 2014 keinen Anspruch auf Zuerkennung des unionsrechtlichen subsidiären Schutzstatus.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U. v. 17.6.2014 – 10 C 7.13 – BVerwGE 150, 29 = NVwZ 2014, 1460) ist das Begehren auf Zuerkennung von unionsrechtlichem subsidiärem Schutz unzulässig, wenn dem Ausländer bereits im Ausland die Rechtsstellung eines Flüchtlings oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne von § 4 AsylG zuerkannt worden ist (Leitsatz 3). Das Bundesamt ist bei Vorliegen einer ausländischen Anerkennungsentscheidung zur Feststellung von subsidiärem Schutz oder der (erneuten) Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Deutschland weder verpflichtet noch berechtigt. Ein gleichwohl gestellter Antrag ist unzulässig.
So liegt der Fall hier. Der Klägerin wurde in Italien subsidiärer europarechtlicher Schutz zuerkannt. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats einerseits aus der Mitteilung der Liaisonbeamtin des Bundesamts vom 7. Dezember 2012, in der explizit ausgeführt wurde, dass der Klägerin in Neapel der subsidiäre Schutzstatus mit einem bis zum 8. Mai 2011 gültigen Aufenthaltstitel gewährt wurde. Es deckt sich im Übrigen auch mit den Angaben der Klägerin gegenüber dem Caritasverband Straubing vom 8. August 2011, wonach sie nach fünf Monaten in einem Lager ein „Aufenthaltspapier“ für drei Jahre bekommen habe. Zur Zeit des Aufenthalts der Klägerin in Italien erhielten subsidiär Schutzberechtigte in Italien (anders als anerkannte Flüchtlinge) einen auf drei Jahre begrenzten Aufenthaltstitel (vgl. aida country report Italy, Stand Dez. 2015, S. 29, FN 79; Stand April 2014, S. 17, FN 23). Im Übrigen wurde die subsidiäre Schutzgewährung im Verfahren auch durch die Klägerin nicht bestritten.
Gegen die Anwendung der genannten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auf den vorliegenden Fall lässt sich auch nicht anführen, dass das Bundesamt hier eine Sachentscheidung getroffen und den Antrag der Klägerin gerade nicht als unzulässig abgelehnt habe. Denn statthafte Klageart ist vorliegend eine Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1, 2. Alt. VwGO. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist nach § 77 Abs. 1 AsylG der der gerichtlichen Entscheidung, hier des Verwaltungsgerichtshofs. In diesem Zeitpunkt müssen die Voraussetzungen für den klägerseits begehrten Anspruch vorliegen. Ob die Verwaltungsbehörde den Antrag aus materiellen oder formellen Gründen abgelehnt hat ist insoweit irrelevant. Auch die Frage nach einer etwaigen Umdeutung stellt sich nicht. Wegen § 77 Abs. 1 AsylG liegt hier entgegen der Argumentation der Klägerbevollmächtigten ebenso wenig ein Fall einer unzulässigen echten Rückwirkung vor.
Auch aus dem klägerseits angeführten Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Oktober 2015 (Az. 1 B 41.15) ergibt sich nichts Anderes. Denn das Bundesverwaltungsgericht hat dort klargestellt, dass ein Asylantrag, der vor dem 20. Juli 2015 gestellt wurde, nicht deswegen als unzulässig abgelehnt werden darf, weil der Antragsteller in einem anderen Mitgliedsstaat als subsidiär Schutzberechtigter anerkannt wurde. Die Frage, unter welchen Umständen ein Asylantrag als unzulässig abgelehnt werden darf, ist hier aber gar nicht streitgegenständlich (s.o.). Eine Aussage dahingehend, dass in Abkehr von den eindeutigen Aussagen des Urteils vom 17. Juni 2014 ein in Deutschland gestellter Antrag auf (erneute) Zuerkennung der subsidiären Schutzberechtigung nicht unzulässig ist, ist dem Beschluss aber nicht zu entnehmen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 83 b AsylG gerichtskostenfrei.
Die Revision wird nicht zugelassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

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