Verwaltungsrecht

Zuweisung einer Obdachlosenunterkunft

Aktenzeichen  4 CS 17.1450

Datum:
27.12.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BayVBl – 2018, 559
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5

 

Leitsatz

Die aus einem sozialschädlichen Verhalten des Obdachlosen folgende „Unterbringungsunfähigkeit“ in einer Gemeinschaftseinrichtung lässt die grundsätzliche Verpflichtung der Sicherheitsbehörde zur Gefahrenabwehr unberührt; bei festgestellter Selbst- oder Fremdgefährdung kommt allerdings vorrangig eine Unterbringung nach dem Unterbringungsgesetz in Betracht. (Rn. 13)

Verfahrensgang

B 1 S 17.510 2017-07-10 Bes VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gegen die Anordnung der Antragsgegnerin, die von ihm bewohnte Obdachlosenunterkunft zu räumen, und hält diesen Antrag auch nach Zuweisung einer anderen Obdachlosenunterkunft zum 1. Dezember 2017 aufrecht.
Mit Bescheid vom 2. Januar 2014 wies die Antragsgegnerin den Antragsteller sowie seine heutige Ehefrau und das gemeinsame Kind in die städtische Obdachlosenunterkunft in der H. W. Straße 3 (Wohnung mit ca. 72 m²) ein. Der Antragsteller zog aus dieser Wohnung wieder aus, weil er dort nicht wohnen könne; er wurde von der Antragsgegnerin mit Bescheid vom 21. September 2015 in eine Obdachlosenunterkunft in der J. P. Straße 21 (Gesamtwohnfläche 42,97 m²) eingewiesen.
Nachdem bereits ein Widerruf der Einweisung und eine Räumungsanordnung hinsichtlich der Unterkunft des Antragstellers unter dem 12. April 2017 ergangen waren, verfügte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 23. Juni 2017 gegenüber dem Antragsteller erneut, die zugewiesene Wohnung bis zum 6. Juli 2017 zu räumen, und ordnete die sofortige Vollziehung des Bescheids an. Grund für die Räumungsanordnungen waren im Wesentlichen verbale und tätliche Auseinandersetzungen des Antragstellers mit einem Nachbarn, eine Bedrohung einer Mitarbeiterin der Wohnungsgesellschaft der Antragsgegnerin sowie Belästigungen zweier weiterer Personen in der Obdachlosenunterkunft, in der seine (heutige) Ehefrau und sein Kind untergebracht sind, ferner eine mutmaßliche Anwendung körperlicher Gewalt gegen eine dieser Personen. Entsprechende Vorfälle sind bei der Polizei aktenkundig; hinsichtlich der Bedrohung besteht eine Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Bamberg vom 29. Mai 2017, in der dem Antragsteller zur Last gelegt wird, einer Mitarbeiterin der Wohnungsgesellschaft der Antragsgegnerin damit gedroht zu haben, sie „abzustechen“.
Ebenfalls mit sofort vollziehbarem Bescheid vom 23. Juni 2017 widerrief die Antragsgegnerin die Einweisung der Ehefrau des Antragstellers in die bisherige Unterkunft mit Wirkung zum 7. Juli 2017 und wies diese gleichzeitig in die städtische Notunterkunft in der B. Straße 49 ein. Zur Begründung führte die Antragsgegnerin aus, die derzeitige Notunterkunft sei für einen Zweipersonenhaushalt zu groß; sie werde für die Unterbringung anderer Familien benötigt. Die neu zugewiesene Unterkunft sei mit 46,42 m² ausreichend groß. Die Ehefrau des Antragstellers erhob dagegen Klage zum Verwaltungsgericht Bayreuth und stellte einen Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO, den das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 17. Juli 2017 ablehnte; die dagegen erhobene Beschwerde wies der Senat mit Beschluss vom 13. Oktober 2017 (4 CS 17.1514) zurück.
Auch der Antragsteller erhob Klage zum Verwaltungsgericht gegen die Bescheide vom 12. April und 23. Juni 2017. Darüber hinaus stellte er einen Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO gegen den Bescheid vom 23. Juni 2017, den das Verwaltungsgericht Bayreuth mit Beschluss vom 10. Juli 2017 ablehnte.
Hiergegen richtet sich die vorliegende Beschwerde des Antragstellers. Er bestreitet die gegen ihn erhobenen Vorwürfe und macht geltend, seit dem Tod seines (ungeborenen) Kindes am 3. April 2017 psychotherapeutisch behandlungsbedürftig zu sein. Er wolle mit seiner Ehefrau und seinem Kind in einer gemeinsamen Obdachlosenunterkunft untergebracht werden.
Nachdem der Senat mit Schreiben vom 9. August 2017 darauf hingewiesen hatte, dass Obdachlose grundsätzlich Anspruch auf ganztägige Unterbringung hätten und ein bloßer Schlaf Platz für die Nacht unabhängig von den Witterungsverhältnissen nicht ausreiche, wies die Antragsgegnerin den Antragsteller schließlich mit Ergänzungsbescheid vom 20. November 2017 zum 1. Dezember 2017 in dieselbe Obdachlosenunterkunft ein, in die auch seine Ehefrau und sein Kind eingewiesen worden waren.
Der Antragsteller machte mit Schriftsatz vom 8. Dezember 2017 im Hinblick auf den Ergänzungsbescheid geltend, dass die vorgesehene gemeinsame Obdachlosenunterkunft hinsichtlich ihrer Größe ungeeignet sei. Vorgesehen sei die Einweisung dreier Personen. Es werde nun aber auch der 16-jährige Sohn des Antragstellers, der bislang in einer Wohngruppe in H. wohne, zum Antragsteller ziehen, so dass vier Personen unterzubringen seien. Der Umzug des Sohnes sei bereits in einem Hilfeplangespräch am 27. November 2017 besprochen worden. Der Sohn wolle auf keinen Fall zu seiner Mutter. Vor diesem Hintergrund sei es unsinnig, in eine zu kleine Wohnung zu ziehen, wenn alsbald eine andere Einweisung erfolgen müsse.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
1. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren erforderlichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung begegnet die sofortige Vollziehbarkeit der mit Bescheid vom 23. Juni 2017 verfügten Räumungsanordnung jedenfalls aus heutiger Sicht keinen rechtlichen Bedenken.
a) Der obdachlosenrechtlich Untergebrachte hat grundsätzlich keinen Rechtsanspruch darauf, in der ihm einmal zugewiesenen Unterkunft auf Dauer zu bleiben, sondern muss es hinnehmen, in eine andere Unterkunft verlegt zu werden (vgl. BayVGH, B .v. 17.8.2017 – 4 C 17.1340 – juris Rn. 8; B.v. 4.10.1994 – 4 CS 94.3112 – BayVBl 1995, 86; OVG MV, B.v. 21.7.2009 – 3 M 92/09 – NJW 2010, 1096/1097; Ruder, VBlBW 2017, 1/8). Die Einweisung in die bisherige Unterkunft kann daher aus sachlichen Gründen jederzeit widerrufen und der Eingewiesene zur Räumung aufgefordert werden.
b) Im vorliegenden Fall waren der Widerruf der Einweisung und die Räumungsanordnung hinsichtlich der bisherigen Obdachlosenunterkunft wegen der Störung des Hausfriedens, an der der Antragsteller nach Aktenlage zumindest maßgeblich beteiligt war, gemäß § 8 Abs. 3 der Obdachlosenunterkunftssatzung der Antragsgegnerin – unabhängig von der strafrechtlichen Relevanz der Vorfälle – rechtlich nicht zu beanstanden. Zweifelhaft erscheint allerdings, ob die in der Begründung des Bescheids vom 23. Juni 2017 anklingende (vom Verwaltungsgericht ausdrücklich gebilligte) Vorstellung der Antragsgegnerin, den Antragsteller bis auf weiteres gar nicht mehr unterbringen zu müssen, mit geltendem Recht vereinbar war (nachfolgend aa). Ein daraus möglicherweise folgender Ermessensfehler beim Erlass der Räumungsanordnung wäre aber jedenfalls durch den mittlerweile ergangenen Bescheid vom 20. November 2017 geheilt (nachfolgend bb). Ob die dem Antragsteller nunmehr angebotene Unterkunft den rechtlichen Anforderungen genügt, ist für das vorliegende Verfahren irrelevant (nachfolgend cc).
aa) Nach der Rechtsprechung des Senats haben Obdachlose grundsätzlich (zu einer möglichen Ausnahme BayVGH, B.v. 6.8.2015 – 4 C 15.1578 – NVwZ-RR 2015, 895) Anspruch auf ganztägige Unterbringung (vgl. BayVGH, B.v. 4.4.2017 – 4 CE 17.615 – NVwZ-RR 2017, 575, B.v. 23.1.2017 – 4 C 16.2638 – n.v.; ebenso Huttner, Die Unterbringung Obdachloser durch die Polizei- und Ordnungsbehörden, 2014, Nr. 4.7/S. 31; Ruder, VBlBW 2017, 1/9; VGH BW, B.v. 24.2.1993 – 1 S 279/93 – NVwZ 1993, 1220; OVG NW, B.v. 4.3.1992 – 9 B 3839/91 – NVwZ 1993, 202 auch zur Trennung von Übernachtungs Platz und Aufenthaltsraum). Dabei kommen auch Unterkünfte einfachster Art in Frage, soweit eine menschenwürdige Unterbringung gewährleistet ist (vgl. BayVGH, B.v. 3.8.2012 – 4 CE 12.1509 – juris Rn. 5 f.; B.v. 9.1.2017 – 4 C 16.2565 – juris Rn. 13; Ehmann, Obdachlosigkeit, 2. Aufl. 2006, S. 32 Nr. 3.1.5 a. E.). Die bloße Zurverfügungstellung einer Schlafmöglichkeit in der Nacht beseitigt unabhängig von den Witterungsverhältnissen die Obdachlosigkeit des Betroffenen nicht. Auch die aus einem unangepassten, sozialschädlichen Verhalten des Obdachlosen folgende „Unterbringungsunfähigkeit“ in einer Gemeinschaftseinrichtung ändert an der grundsätzlichen Verpflichtung der Sicherheitsbehörde zur Gefahrenabwehr nichts; bei festgestellter Selbst- oder Fremdgefährdung kommt allerdings vorrangig eine Unterbringung nach dem Unterbringungsgesetz in Betracht.
bb) Die Antragsgegnerin konnte hiernach angesichts der in der bisherigen Unterkunft aufgetretenen Konflikte zwar das bisherige Nutzungsverhältnis mit dem Antragsteller beenden und ihn zur Räumung auffordern; sie durfte ihm aber aufgrund der ersichtlich fortbestehenden Obdachlosigkeit die erneute Unterbringung wohl nicht generell verweigern. Die ersatzlose Beendigung des bisherigen Benutzungsverhältnisses mit der Begründung, es bestehe aufgrund seines Verhaltens keine Unterbringungspflicht, dürfte danach (ursprünglich) ermessensfehlerhaft gewesen sein, so dass das Rechtsschutzbegehren des Antragstellers hätte Erfolg haben müssen. Mit der nunmehr durch Ergänzungsbescheid vom 20. November 2017 erfolgten Zuweisung in eine neue Unterkunft (zusammen mit seiner Ehefrau und seinem Kind) ab dem 1. Dezember 2017 und der gleichzeitigen Verlängerung der Räumungsfrist bis zum 30. November 2017 hat aber die Antragsgegnerin diesen früheren Fehler insoweit geheilt, als damit für eine lückenlose Möglichkeit der Unterbringung gesorgt wurde. Darin kann in Bezug auf den streitgegenständlichen Bescheid vom 23. Juni 2017, soweit dieser neben dem Ergänzungsbescheid überhaupt aufrechterhalten wurde, zugleich eine Nachholung der defizitären Ermessensbegründung nach § 114 Satz 2 VwGO gesehen werden.
cc) Soweit der Antragsteller, der trotz des Ergänzungsbescheids vom 20. November 2017 an seiner Beschwerde festhält, nunmehr geklärt wissen will, ob die ihm angebotene neue Unterkunft den obdachlosenrechtlichen Mindestanforderungen genügt, ist ihm entgegenzuhalten, dass Gegenstand des vorliegenden Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO allein die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gegen die Räumungsanordnung vom 23. Juni 2017 sein kann. Ein möglicher Anspruch auf eine größere bzw. anders ausgestattete Unterkunft kann dagegen nur im Wege einer Verpflichtungsklage und ggf. eines Antrags nach § 123 VwGO verfolgt werden.
Ungeachtet dieser fehlenden Entscheidungserheblichkeit weist der Senat darauf hin, dass ein entsprechendes Verpflichtungsbegehren nach derzeitigem Stand kaum Aussicht auf Erfolg haben dürfte. Die dem Antragsteller, seiner Ehefrau und dem gemeinsamen Kind neu zugewiesene Obdachlosenunterkunft ist mit einer Größe von 46,42 m² auch für eine dreiköpfige Familie als Obdachlosenunterkunft ausreichend groß (vgl. BayVGH, B.v. 14.8.1990 – 21 B 90.335 – juris Rn. 20). Obdachlose haben keinen Anspruch auf eine „Sozialwohnung“ mit den hierfür geltenden Anforderungen hinsichtlich der Größe (vgl. auch BayVGH, B.v. 26.4.1993 – 21 B 91.1461 – juris Rn. 28 f.). Die Unterbringung obdachloser Personen in Obdachlosenunterkünften soll ihrem Wesen als sicherheitsrechtlicher Notmaßnahme entsprechend grundsätzlich nur für einen begrenzten Zeitraum erfolgen; die Beseitigung der Obdachlosigkeit durch menschenwürdige Unterbringung ist das vorrangige sicherheitsrechtliche Ziel. Dabei kann auf ein etwaiges Umzugsgut der Betroffenen (Hausstand) und – zumindest vorübergehend – auf gesundheitliche Einschränkungen keine Rücksicht genommen werden. Da die Obdachlosenunterbringung nicht der Verschaffung angemessenen Wohnraums dient, wäre die hier zugewiesene Wohnung ihrer Größe nach auch dann noch ausreichend, wenn eine weitere minderjährige Person – etwa der bisher auswärts untergebrachte Sohn des Antragstellers – dort zusätzlich unterzubringen wäre, was im Übrigen bisher weder hinsichtlich des „Ob“ noch hinsichtlich des „Wie“, hier der zeitlichen Absehbarkeit, glaubhaft gemacht worden ist.
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG, wobei in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Hälfte des Auffangwerts angemessen erscheint (vgl. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, Anh. § 164 Rn. 14).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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