Verwaltungsrecht

Zwangsgeld wegen unzureichener Absturzsicherung bei Bauarbeiten an einem Gebäude

Aktenzeichen  B 2 K 14.877

Datum:
22.2.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 43
BayVwVfG BayVwVfG Art. 44 Abs. 1, 2, Art. 37 Abs. 1
BayVwZVG BayVwZVG Art. 23 Abs. 1, Art. 31 Abs. 3 S. 2, S. 3, Art. 36 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

1 Nichtig sind auch inhaltlich nicht in hinreichend bestimmte Verwaltungsakte, wenn die bestehende Unbestimmtheit offensichtlich ist und auch nicht durch Auslegung behoben werden kann. Dies ist der Fall, wenn sie in wesentlichen Punkten unklar, widersprüchlich, unsinnig oder unverständlich sind. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine Fälligkeitsmitteilung ist kein mittels Anfechtungsklage angreifbarer Verwaltungsakt, sondern nur die Mitteilung eines Bedingungseintritts. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
3 Ein Betroffener, der sich gegen den Eintritt der Fälligkeit eines Zwangsgeldes wendet, kann die Erklärung der Verwaltungsbehörde, ein angedrohtes Zwangsgeld sei fällig geworden, nur durch Klage auf Feststellung nach § 43 VwGO angreifen, dass die Fälligkeit nicht eingetreten ist. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
4 Dass technischen Maßnahmen zum Schutz vor Absturz bei Baumaßnahmen ist auch deshalb der Vorrang vor organisatorischen und individuellen Schutzmaßnahmen einzuräumen, weil jeder Beschäftigte auf der Baustelle, gleichgültig ob Arbeiter, Vorarbeiter, Polier oder Baustellenleiter, vor den Gefahren eines Absturzes geschützt sein muss. Individuelle Maßnahmen dienen aber nur dem Schutz des Einzelnen. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Über die Klage kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden werden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Halbs.1 VwGO). Die Beteiligten wurden gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid gehört.
Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung, dass der Bescheid vom 20.08.2014 nichtig ist.
Die Klage auf Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakt nach § 43 Abs. 1 Alt. 2 VwGO erfordert das Vorliegen eines berechtigten Interesses der Klägerin an der alsbaldigen Feststellung. Dieses Feststellungsinteresse ist gegeben, wenn die Beseitigung des Rechtsstreits des nichtigen Verwaltungsakt die Position des Klägers in rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Hinsicht zu verbessern geeignet ist. Dies ist hier der Fall.
Soweit die Klägerin mit ihrem Klageantrag 1 beantragt hat, dass festgestellt werden soll, dass die Anordnung des Beklagten vom 20.08.2014 nichtig ist, hat dieser Antrag in der Sache keinen Erfolg. Die erhobene Nichtigkeitsfeststellungsklage erweist sich als unbegründet. Die Voraussetzungen des Art. 44 Abs. 1 BayVwVfG sind nicht erfüllt. Es bestehen keine durchgreifenden Anhaltspunkte für eine Nichtigkeit.
Nach Art. 44 Abs. 1 BayVwVfG ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einen besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung alle in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Einen solchen besonders schwerwiegenden Fehler, der auch noch offensichtlich ist, kann das Gericht hier nicht erkennen. Besonders schwerwiegende Fehler sind solche, die in einem so schwerwiegenden Widerspruch zur geltenden Rechtsordnung und den ihr zugrundeliegenden Wertvorstellungen der Gemeinschaft stehen, dass es unerträglich wäre, wenn der Verwaltungsakt die mit ihm intendierten Rechtwirkungen hätte. Nichtig sind auch inhaltlich nicht in hinreichend bestimmte Verwaltungsakte (vgl. Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG), wenn die bestehende Unbestimmtheit offensichtlich ist und auch nicht durch Auslegung behoben werden kann (vgl. Kopp/Ramsauer VwVfG 7. Aufl. § 44 Rn 27). Im Ergebnis sind also nichtig solche Verwaltungsakte, die in wesentlichen Punkten unklar, widersprüchlich, unsinnig oder unverständlich sind.
Im vorliegenden Fall wurde in Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheides angeordnet: „Die Arbeiten in den Gebäuden (speziell BT 43) ohne Arbeitssicherung dürfen erst fortgesetzt werden, wenn die Gebäude durch ausreichenden Seitenschutz/Abdeckung versehen sind.“ Soweit der Bevollmächtigte der Klägerin meint, dass der Adressat dieser Anordnung schlichtweg nicht in der Lage gewesen sei, die konkrete Anordnung zu erfüllen, da diese gänzlich unbestimmt sei, da die Anordnung allgemein von Arbeiten in Gebäuden spreche, welche ohne Absicherung nicht fortgesetzt werden dürften, bis die Gebäude durch ausreichenden Seitenschutz/Abdeckung versehen seien, teilt das Gericht diese Auffassung nicht. Für den Adressaten der Anordnung ist sehr wohl bestimmbar gewesen, welche Absturzsicherung im Einzelnen das Gewerbeaufsichtsamt im Auge hatte, und er war damit auch in der Lage zu beurteilen, ob die einzelnen Maßnahmen, welche grundsätzlich zur Verfügung standen, die Anforderungen des Anordnungsgebers befriedigen würden, also dass der Bedingungseintritt für das angedrohte Zwangsgeld nicht erfolgt. Der Beklagte hat auch mit Schreiben vom 20.03.2015 dargelegt, dass die Mängel an der Baustelle mit dem Aufsichtsführenden des Unternehmens besprochen worden seien, wo und welche Absturzsicherung fehle und durch welche Absicherungsmaßnahmen man Abhilfe schaffen könne, so dass eine ausführliche schriftliche Auflistung im formularmäßigen Bescheidsvordruck entbehrlich gewesen sei. Zwar hätte das Gericht es für sinnvoll gehalten, die konkreten Absicherungsmaßnahmen im Bescheid aufzunehmen. Das Fehlen hat allerdings nicht die Nichtigkeit des Bescheides insofern zur Folge; es war für den Aufsichtsführenden vielmehr klar zu erkennen, was zu tun war. Der Verwaltungsakt ist nicht nichtig.
Soweit die Klägerin mit ihrem Klageantrag 2 beantragt hat, dass festgestellt werde, dass das mit Schreiben vom 28.11.2014 fällig gestellte Zwangsgeld in Höhe von 5.000,00 EUR nicht zur Zahlung fällig ist, bleibt die Klage ebenfalls erfolglos.
Eine Fälligkeitsmitteilung ist kein mittels Anfechtungsklage angreifbarer Verwaltungsakt, sondern nur die Mitteilung eines Bedingungseintritts. Nach Art. 31 Abs. 3 S. 2 Bayerisches Verwaltungs- und Zustellungsgesetz (VwZVG) liegt bereits in der Androhung eines bestimmten Zwangsgeldes ein – nach Maßgabe des Art. 23 Abs. 1 VwZVG – vollstreckbarer, aber aufschiebend bedingter Leistungsbescheid. Wird die zu erfüllende Pflicht dies innerhalb der Handlungsfrist des Art. 36 Abs. 1 S. 2 VwZVG erfüllt bzw. die angeordnete Unterlassungspflicht befolgt, wird die Zwangsgeldforderung gem. Art. 31 Abs. 3 S. 3 VwZVG zur Zahlung fällig. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshof kann ein Betroffener, der sich gegen den Eintritt der Fälligkeit eines Zwangsgeldes wendet, die Erklärung der Verwaltungsbehörde, ein angedrohtes Zwangsgeld sei fällig geworden, nur durch Klage auf Feststellung nach § 43 VwGO angreifen, dass die Fälligkeit nicht eingetreten ist.
Soweit sich die Klage gegen die Fälligkeitsmitteilung des Zwangsgeldes richtet, ist also die Feststellungsklage gem. § 43 VwGO zulässig (wie auch beantragt). Ein berechtigtes Interesse der Klägerin an dieser Feststellung ist zweifelsohne gegeben.
Die Klage hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Die Klägerin kann die begehrte Feststellung nicht verlangen, da das mit Schreiben vom 28.11.2014 fällig gestellte Zwangsgeld tatsächlich auch fällig geworden ist. Die Zwangsgeldandrohung im Ausgangsbescheid vom 20.08.2014 ist bestandskräftig, da die Klägerin hiergegen keinen Rechtsbehelf erhoben hat. Es besteht kein Zweifel daran, dass der Beklagte zu Recht davon ausgeht, dass die Klägerin der bestandskräftigen (Art. 19 Abs. 1 Nr. 1 VwZVG; daneben ist hier auch Art. 19 Abs. 1 Nr. 3 VwZVG einschlägig) Verpflichtung aus Nr. 1 des Bescheids vom 20.08.2014 nicht nachgekommen ist.
Das Zwangsgeld ist deshalb fällig geworden, weil die Klägerin am 03.11.2014 jedenfalls gegen die Sicherungspflichten, die im Bescheid vom 20.08.2014 angeordnet worden sind, verstoßen hat. Dass dies der Fall war, geht aus den Unterlagen der Regierung von Oberfranken hervor (Aktenheftung des Gewerbeaufsichtsamtes – Bl. 1-11). Aus diesen Unterlagen (vgl. Bl. 1) ist ersichtlich, dass keine bzw. nur eine nicht dem Stand der Technik entsprechende Absturzsicherung angebracht war. Dort wird unter 5. des Revisionsschreibens vom 03.11.2014 ausgeführt, dass Gebäudeöffnungen BT 131 an denen gearbeitet wird, mit Absturzsicherung versehen werden müssen. Laut Auskunft der Regierung von Oberfranken hat der Technische Gewerbeaufsichtsbeamte B. dazu mitgeteilt, dass zum Zeitpunkt seiner Kontrolle am 03.11.2014 keinerlei Absturzsicherung an dem Bauteil, an dem gearbeitet wurde, angebracht war. Zwar gibt es einen Aktenvermerk, aus dem hervorgeht, dass am 03.11.2014 keine Absturzsicherung angebracht war, nicht. Die fehlende Absturzsicherung kann jedoch als Umkehrschluss aus dem Revisionsschreiben vom 03.11.2014 gezogen werden, da darin angemahnt wird, die Gebäudeöffnungen, an denen gearbeitet wird, mit Absturzsicherung zu versehen. Mit Schriftsatz vom 17.09.2015 hat im Übrigen der Beklagte auch nochmals ausdrücklich darauf hingewiesen, dass bei einer Kontrolle der Baustelle durch Herrn B. (Mitarbeiter des Gewerbeaufsichtsamts) am 03.11.2014 auf der Baustelle am Gebäude 131 ohne Absturzsicherung gearbeitet wurde.
Aus den technischen Regeln für Arbeitsstätten, ASR A2.1: Schutz vor Absturz und herabfallenden Gegenständen, Betreten von Gefahrenbereichen ergibt sich unter Nr. 4.2: Rangfolge der Maßnahmen zum Schutz vor Absturz eine eindeutige Reihenfolge der Schutzmaßnahmen. Danach ist baulichen und technischen Maßnahmen der Vorrang vor organisatorischen und individuellen Schutzmaßnahmen einzuräumen. Dies auch deshalb, weil jeder Beschäftigte auf der Baustelle, gleichgültig ob Arbeiter, Vorarbeiter, Polier oder Baustellenleiter, vor den Gefahren eines Absturzes geschützt sein muss. Individuelle Maßnahmen dienen nur dem Schutz des Einzelnen und sind nur dann und unter Beachtung weiterer in Nr. 4.2 ASR A2.1 genannten Voraussetzungen zulässig, wenn die Eigenart und der Fortgang der Tätigkeit und die Besonderheiten des Arbeitsplatzes die baulichen und technischen Schutzmaßnahmen nicht zulassen. Der Bescheid vom 20.08.2014 forderte deshalb auch ausdrücklich eine Absturzsicherung und nicht nur Maßnahmen zum Schutz vor Absturz. Zudem hat Herr B. vom Gewerbeaufsichtsamt vor Ort mündlich ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Anseilen keine ausreichende Schutzmaßnahme ist.
Dabei bezieht sich der Bescheid vom 20.08.2014 auch auf alle Gebäudeöffnungen auf dem ehemaligen …-Gelände. Der Vortrag des Bevollmächtigten der Klägerin, dass der Bescheid vom 20.08.2014 sich nur auf das Bauteil 43, und nicht auf das Bauteil 131 bezieht, geht ins Leere. Sämtliche Gebäude auf dem ehemaligen …-Gelände sollten abgebrochen werden. Der Bescheid vom 20.08.2014 ist auch dementsprechend formuliert; der Gebäudeteil 43 wird nur deshalb im Bescheid quasi stellvertretend angesprochen und auch nur in Klammern ausdrücklich erwähnt, weil an diesem Gebäudeteil zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides offensichtlich gearbeitet wurde.
Im Übrigen geht auch aus der Stellungnahme des technischen Gewerbeaufsichtsbeamten H. an die Kriminalpolizeiinspektion … (Bl. 2 und 3 der Aktenheftung des Gewerbeaufsichtsamtes) hervor, dass zum Zeitpunkt des tödlichen Unfalls am 11.11.2014 und bei der Unfalluntersuchung durch die Kriminalpolizei an der Gebäudeöffnung, an der gearbeitet wurde, keine Absturzsicherung vorhanden war.
Die Fälligerklärung des angedrohten Zwangsgeldes erfolgte zu Recht.
Die Klage hat somit insgesamt keinen Erfolg.
Nach alldem ist die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. der Zivilprozessordnung – ZPO -.


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