Zivil- und Zivilprozessrecht

Aufklärungsobliegenheit bei Kaskoversicherung

Aktenzeichen  22 O 748/15

Datum:
13.4.2017
Fundstelle:
ZfS – 2018, 32
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Schweinfurt
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
VVG § 28
AKB E 1.3

 

Leitsatz

1 Sieht der Kaskoversicherungsvertrag die Obliegenheit des Versicherten vor, im Falle eines Fremdschadens dem Versicherer Feststellungen zur ermöglichen, so greift diese Obliegenheit nur dann, wenn der Fremdschaden erkennbar ist. Die Erkennbarkeit ist dabei vom Versicherer zu beweisen (Anschluss an OLG Karlsruhe BeckRS 2008, 12466). (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
2 Ein Fremdschaden in diesem Sinne entfällt auch dann, wenn er so gering ist, dass mit Ansprüchen Dritter nicht gerechnet werden muss. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 9.300,00 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 17.03.2015 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.019,83 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 17.02.2016 zu bezahlen.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
5. Der Streitwert wird auf 9.300,00 € festgesetzt.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet.
I.
1. Der Kläger hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Versicherungsleistung in Höhe von 9.300 € aus dem zwischen ihnen bestehenden Versicherungsvertrag.
a.) Am Baum ist kein feststellbarer Fremdschaden entstanden. Dies hat die Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts ergeben. Auch das erholte Sachverständigengutachten hat keinen nennenswerten Schaden ergeben.
aa.) Der Kläger führte im Rahmen seiner persönlichen Anhörung aus, das Fahrzeug sei nicht am Baum mit einem lauten Knall abrupt stehen geblieben, sondern es habe sich beim Rutschen auf dem Hang ja schon verlangsamt und sei dort quasi hängengeblieben. Jedenfalls sei es so gewesen, dass nicht einmal die Airbags ausgelöst hätten.
bb.) Der Zeuge C bekundete im Rahmen seiner Vernehmung, er habe am Baum keinen Schaden festgestellt, der dazu führen würde, dass er entfernt werden müsste. Es sei auch kein landschaftsrelevanter Baum, sondern ein Baum, der am Waldrand stehe. Es handele sich um eine 35 bis 40 cm ca. starke Esche. Er habe dann entschieden, dass hinsichtliches dieses Baumes keine Maßnahmen erforderlich seien. Deshalb habe sich die aufgestellte Summe allein auf die Fahrzeit zur Feststellung bezogen. Dieser Baum, um den es hier konkret gehe, der sei aber nur in sehr geringer Art und Weise beschädigt, so dass er sagen würde, das steckt er locker weg.
Zum Zustand des Baumes jetzt könne er sagen, dass es das allgemeine Auftreten von Eschentriebsterben gebe, welches durch einen Pilz verursacht werde, der einen Befall im Juni/Juli zeige. Das sei auch bei dieser Esche der Fall, wobei man aus seiner Sicht nicht sagen könne, dass es etwas mit diesem Anfahrschaden zu tun habe. Der Baum sei auch in verschiedenerlei Hinsicht beeinträchtigt: Zum einen durch sein nahen Standort zur Straße, so dass auch das Streusalz von der Straße auf ihn einwirke, zum anderen durch den genannten Pilz und dann hinzukommend noch durch den streitgegenständlichen Anfahrschaden.
cc.) Der Sachverständige S führt in seinem Gutachten aus, die Vorschadensbilanz könne als erheblich eingestuft werden. Der fallgegenständliche Baum sei Bestandteil des Waldes und als Waldbaum Teil einer Produktionsstätte für Holz. Der streitgegenständliche Baum sei von erheblichen Mängeln geprägt, welche aufgrund einer Urbanen Wertberechnung einen Totalschaden bedeuten würde. Diese Maßstäbe hätten erst recht zu gelten, wenn der fallgegenständlichen Waldbaum anhand seines Ertragswertes berechnet werde.
Aufgrund der massiven Vorschäden (Anfahrschäden als auch wuchsbedingte Strukturschäden) habe die Esche vor dem streitgegenständlichen Unfallereignis den Wert von Brennholz. Der durch den streitgegenständlichen Unfall zugeführte Schaden habe den Wert des Brennholzes nicht verändert.
Sie habe daher keinen Schaden von 3.000 € erlitten. Die Esche habe selbst als vollkommen intakter Waldbaum keinen Baumwert von 3.000 €.
b.) Die streitgegenständliche Klausel im Versicherungsvertrag ist nicht unwirksam. Es handelt sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der nicht intransparent ist, sondern eine zulässige und erforderliche Verallgemeinerung enthält.
c.) Nach der durchgeführten Beweisaufnahme ist das Gericht aber davon überzeugt, dass die Erkennbarkeit eines Schadens, der ein Ausmaß erreicht, der den Kläger zu weiteren Maßnahmen zur Ermöglichung von Feststellungen hätte veranlassen müssen, im vorliegenden Fall nicht gegeben ist. Die Erkennbarkeit ist vom Versicherer zu beweisen (OLG Karlsruhe, Urt. v. 05.06.2008 -12 U 13/08 = NJW-RR 2008, 1248; Prölss/Martin – Knapmann, Versicherungsvetragsgesetz, AKB 2008 E.2, Rn 55). Ein Fremdschaden entfällt auch dann, wenn der Schaden so gering ist, dass mit Ansprüchen Dritter nicht gerechnet werden muss.
aa.) Der Berechtigte hat – außer Feststellungskosten – keinen Schaden geltend gemacht. Der Zeuge C hat die für die Abwägung maßgeblichen Gesichtspunkte auch plausibel und nachvollziehbar erläutert.
bb.) Der Sachverständige hat für das Gericht nachvollziehbar und unter Berücksichtigung anderweitiger Feststellungen in einem Privatgutachten ausgeführt, dass ein Schaden nicht entstanden ist. Dem schließt sich das Gericht nach eigener Prüfung an.
d.) Die Beklagte kann auch nicht mit dem Vortrag gehört werden, die Frage der Schädigung könne vom Kläger aus eigener Anschauung nicht beurteilt werden. Wenn der Zeuge der Straßenmeisterei und der gerichtliche Sachverständige jedoch keinen Schaden am Baum selbst feststellen können, kann ein solche Vermögenseinbuße aber nicht im Sinne der Versicherungsbedingungen „erkennbar“ sein. Ein nicht bestehender Schaden ist keinesfalls „erkennbar“. Der Kläger hat keine versicherungsrechtliche Obliegenheit verletzt.
Dies gilt umso mehr unter Berücksichtigung der Sichtbedingungen am Unfallort zur Unfallzeit und bei Würdigung der winterlichen Bedingungen neben der Straße.
2. Der Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten ergibt sich aus § 280 I, II; 286, 288 BGB.
Die Klage hat damit vollumfänglich Erfolg.
II.
1. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO.
2. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1, 2 ZPO.
III.
Die Entscheidung zum Streitwert folgt us § 3 ZPO i.V.m. §§ 48 11, 63 II GKG.


Ähnliche Artikel


Nach oben