Aktenzeichen XI R 24/19 (XI R 30/17), XI R 24/19, XI R 30/17
§ 4 Nr 14 Buchst b S 2 DBuchst bb UStG 2005 vom 19.12.2008
§ 118 Abs 2 FGO
Art 132 Abs 1 Buchst b EGRL 112/2006
Art 132 Abs 1 Buchst c EGRL 112/2006
Art 267 AEUV
UStG VZ 2010
Leitsatz
1. NV: Die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 UStG ist auch bei einer entsprechenden beruflichen Qualifikation eines Gesellschafters einer GbR zu gewähren .
2. NV: Medizinische Analysen eines Facharztes für Dermatologie sind nach § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 UStG steuerfrei (Parallelentscheidung zum Senatsurteil vom 18.12.2019 – XI R 23/19 (XI R 23/15)) .
Verfahrensgang
vorgehend FG Hamburg, 29. August 2017, Az: 2 K 221/15, Urteilvorgehend BFH, 2. Juli 2019, Az: XI R 30/17, Beschluss
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Finanzgerichts Hamburg vom 29.08.2017 – 2 K 221/15 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Tatbestand
I.
1
Die Beteiligten streiten über die umsatzsteuerrechtliche Behandlung von Laborleistungen, die die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) an externe Ärzte und Kliniken erbringt.
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Die Klägerin ist eine aus … Gesellschaftern bestehende ärztliche Gemeinschaftspraxis in der Rechtsform einer GbR. Sie betreibt ein eigenes Labor zur Analyse und Befundung von Gewebeproben und erbringt Leistungen im Bereich der Dermatologie, Allergologie, operativen Dermatologie, Gefäßchirurgie sowie der dermatologischen und allergologischen Labordiagnostik einschließlich der Histopathologie. Sie verfügt über keine vertragsärztliche Zulassung.
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Das Labor wird von … der … Gesellschafter operativ betrieben. … sind Fachärzte für … und verfügen über eine histopathologische Zusatzausbildung. Die Laboruntersuchungen werden aufgrund ärztlicher Anordnung durchgeführt und dienen der Erkennung von Krankheiten. Die Gewebeproben werden bei Eingang von einem der … verantwortlichen Gesellschafter gesichtet und nach Fragestellung und Dringlichkeit vorsortiert. Anschließend wird das vom Patienten gewonnene Gewebe vom nichtärztlichen Personal aufbereitet. Das vorbereitete Gewebe wird sodann von den Ärzten untersucht und befundet. Der Befund wird sowohl schriftlich als auch fotografisch dokumentiert und dem Einsendenden mitgeteilt.
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In dem Labor der Klägerin werden zum einen Gewebeproben von eigenen (Privat-)Patienten des … untersucht. Hinsichtlich dieser Leistungen besteht zwischen den Beteiligten Einvernehmen, dass insoweit eine unselbständige Nebenleistung zur Heilbehandlung vorliegt, die von der Umsatzsteuer befreit ist.
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Zum anderen analysiert und befundet die Klägerin Gewebeproben anderer niedergelassener oder privatärztlich tätiger Ärzte und Kliniken (sog. Fremdhistologien). Die Fremdhistologien werden entweder gegenüber dem Einsender, einem niedergelassenen Arzt oder einer Klinik abgerechnet oder direkt gegenüber dem Patienten, wenn es sich um Privatpatienten oder um Selbstzahler handelt.
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Mit der Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr 2010 meldete die Klägerin Umsatzsteuer in Höhe von … € an. Sie erklärte darin entsprechend der von ihr vertretenen Rechtsauffassung alle Laborumsätze, auch die aus Fremdhistologien, als umsatzsteuerfrei. Ergänzend schlüsselte sie die Einnahmen auf und wies diejenigen aus der Fremdhistologie gesondert aus. Ebenfalls bezifferte sie die bei anderer Rechtsauffassung ergänzend zu berücksichtigende Vorsteuer.
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Mit Bescheid vom 08.03.2012 setzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) die Umsatzsteuer für 2010 abweichend auf … € fest. Er vertrat die Auffassung, dass die Laborleistungen der Klägerin, die gegenüber anderen Ärzten und Kliniken erbracht würden, nicht unter die Regelung des § 4 Nr. 14 Buchst. a und b des Umsatzsteuergesetzes i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2009 (UStG) fielen. Mit Bescheid vom 28.12.2012 hob das FA den Vorbehalt der Nachprüfung auf.
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Den Einspruch wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom 30.09.2015 als unbegründet zurück. Für eine Steuerbefreiung fehle das persönliche Vertrauensverhältnis zwischen den Ärzten der Klägerin und den Patienten.
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Die dagegen von der Klägerin erhobene Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) Hamburg gab der Klage mit in Entscheidungen der Finanzgerichte 2018, 409 veröffentlichtem Urteil vom 29.08.2017 – 2 K 221/15 statt und setzte unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung und Änderung des angefochtenen Steuerbescheides die Umsatzsteuer wieder auf … € fest.
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Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Es macht im Wesentlichen geltend, dass Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin außerhalb von Krankenhäusern und ähnlichen Einrichtungen nur dann gemäß Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) steuerfrei seien, wenn sie im Rahmen eines persönlichen Vertrauensverhältnisses erbracht werden.
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Das FA beantragt,das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,die Revision zurückzuweisen.
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Der erkennende Senat hat mit Beschluss vom 02.07.2019 das Verfahren bis zum Ergehen einer Entscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in der Rechtssache Peters C-700/17 (Aktenzeichen des Bundesfinanzhofs –BFH–: XI R 23/15) ausgesetzt.
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Das Verfahren wurde nach Ergehen des EuGH-Urteils Peters vom 18.09.2019 – C-700/17 (EU:C:2019:753, Umsatzsteuer-Rundschau –UR– 2019, 775) wieder aufgenommen.
Entscheidungsgründe
II.
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Die Revision ist unbegründet; sie ist daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–).
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Das FG hat zutreffend entschieden, dass die von der Klägerin erbrachten Leistungen der Analyse und Befundung von Gewebeproben, die im Bereich der Dermatologie, Allergologie, operativen Dermatologie, Gefäßchirurgie sowie der dermatologischen und der allergologischen Labordiagnostik einschließlich Histopathologie erbracht werden, nach § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 UStG von der Umsatzsteuer befreit sind.
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1. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Voraussetzungen der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 Buchst. b Satz 2 Doppelbuchst. bb UStG für ein Zentrum für Diagnostik oder Befunderhebung erfüllt sind. Insoweit hat der EuGH bereits zur gleichlautenden Regelung in Art. 132 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL entschieden, dass ein privatrechtliches Labor, das medizinische Analysen zu Diagnosezwecken vornimmt, als eine Einrichtung “gleicher Art” wie “Krankenanstalten” und “Zentren für ärztliche Heilbehandlung und Diagnostik” im Sinne dieser Vorschrift einzustufen ist, wenn diese Analysen im Hinblick auf ihren therapeutischen Zweck unter den Begriff “ärztliche Heilbehandlung” in der genannten Bestimmung fallen (vgl. EuGH-Urteile L. u. P. vom 08.06.2006 – C-106/05, EU:C:2006:380, UR 2006, 464, Rz 18 und 35; CopyGene vom 10.06.2010 – C-262/08, EU:C:2010:328, UR 2010, 526, Rz 60; De Fruytier vom 02.07.2015 – C-334/14, EU:C:2015:437, UR 2015, 636, Rz 35; Peters, EU:C:2019:753, UR 2019, 775, Rz 23).
18
2. Die Umsätze sind jedenfalls von § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 UStG erfasst. Nach dieser Vorschrift in der seit dem 01.01.2009 geltenden Fassung sind Umsätze aus Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut, Hebamme oder einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit durchgeführt werden, steuerfrei. Unionsrechtlich beruht dies auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL. Danach sind “Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und arztähnlichen Berufe durchgeführt werden”, steuerfrei.
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3. Der EuGH hat in der Rechtssache Peters (EU:C:2019:753, UR 2019, 775, Rz 28) einerseits entschieden, dass aus dem Wortlaut des Art. 132 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL nicht hervorgeht, dass diese Bestimmung die Reichweite von Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL beschränkt. Andererseits ergibt sich aus dem Wortlaut von Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL nach dem Urteil Peters (EU:C:2019:753, UR 2019, 775, Rz 33) –entgegen der Ansicht des FA– auch in keiner Weise, dass diese Bestimmung die Befreiung der Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin daran knüpft, dass sie im Rahmen eines Vertrauensverhältnisses zwischen der behandelnden und der behandelten Person erbracht werden (s. im Einzelnen BFH-Urteil vom 18.12.2019 – XI R 23/19 (XI R 23/15), BFHE 267, 571, Deutsches Steuerrecht 2020, 553). Damit steht im Streitfall das fehlende Vertrauensverhältnis zum Patienten bei der Labortätigkeit der Klägerin der Anwendung des § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 UStG nicht entgegen.
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Soweit der V. Senat in seiner Entscheidung vom 24.08.2017 – V R 25/16 (BFHE 259, 171) eine andere Auffassung vertreten hat, hat er dem Senat auf Anfrage mitgeteilt, dass er daran nicht mehr festhält.
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4. Die weiteren Tatbestandvoraussetzungen des § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 UStG (bzw. Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL) sind im Streitfall ebenfalls erfüllt. Insbesondere erfolgten die Heilbehandlungen im Rahmen der Ausübung der Tätigkeit als Arzt. Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin eine GbR ist. Die histologischen Untersuchungen wurden nach den Feststellungen des FG, an die der Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist, durch Gesellschafter der Klägerin vorgenommen, die Fachärzte sind und über eine Zusatzqualifikation als Histopathologe verfügen. Ohne Bedeutung ist dabei der Umstand, dass die Gewebeproben vom nichtärztlichen Laborpersonal präpariert wurden. Es ist nicht –wie das FG zutreffend erkannt hat– notwendig, dass jeder Aspekt einer therapeutischen Behandlung von ärztlichem Personal durchgeführt wird (vgl. EuGH-Urteile L. u. P., EU:C:2006:380, UR 2006, 464; Verigen Transplantation Service International vom 18.11.2010 – C-156/09, EU:C:2010:695, UR 2011, 215). Die Steuerbefreiung ist grundsätzlich auch bei einer entsprechenden beruflichen Qualifikation der Mitarbeiter zu gewähren (vgl. BFH-Urteil vom 29.06.2011 – XI R 52/07, BFHE 234, 461, BStBl II 2013, 971, Rz 25). Die entscheidenden Arbeitsschritte der Untersuchung und Befundung werden bei der Klägerin von den Fachärzten vorgenommen, so dass insoweit die Tatbestandsvoraussetzungen ohne weitere Zweifel erfüllt sind.
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.