Aktenzeichen 1 WNB 4/10
Art 103 Abs 1 GG
§ 3a Abs 2 S 1 VwVfG
§ 3a Abs 2 S 2 VwVfG
Verfahrensgang
vorgehend Truppendienstgericht Süd, 9. Juni 2010, Az: S 4 BLa 3/10, S 4 RL 2/10, Beschluss
Gründe
1
Die fristgerecht eingelegte und mit einer Begründung versehene Beschwerde hat keinen Erfolg. Die von der Beschwerde geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 22a Abs. 2 Nr. 1 WBO) kommt der Sache nicht zu. Der gemäß § 22a Abs. 2 Nr. 3 WBO geltend gemachte Verfahrensmangel liegt nicht vor. Die auf § 22a Abs. 2 Nr. 2 WBO gestützte Divergenzrüge ist nicht prozessordnungsgemäß dargelegt.
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1. Nach der ständigen Rechtsprechung der Revisionssenate des Bundesverwaltungsgerichts ist eine Rechtssache nur dann grundsätzlich bedeutsam im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden klärungsbedürftigen Rechtsfrage des revisiblen Rechts zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss daher dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), d.h. näher ausgeführt werden (stRspr; vgl. u.a. Beschluss vom 2. Oktober 1961 – BVerwG 8 B 78.61 – BVerwGE 13, 90 = Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 18 S. 21 f.), dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des Bundesrechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung im beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (vgl. auch Beschluss vom 24. Januar 2008 – BVerwG 6 BN 2.07 – Buchholz 402.41 Allgemeines Polizeirecht Nr. 85 Rn. 14). Dies gilt nach der Rechtsprechung der beiden Wehrdienstsenate auch für die § 132 Abs. 2 Nr. 1 und § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nachgebildeten (vgl. dazu BTDrucks 16/7955 S. 36 zu Nr. 18) Regelungen des § 22a Abs. 2 Nr. 1 WBO und des § 22b Abs. 2 Satz 2 WBO (vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. Juli 2009 – BVerwG 1 WNB 1.09 – NZWehrr 2009, 258 und vom 6. Januar 2010 – BVerwG 1 WNB 7.09 – Buchholz 450.1 § 22a WBO Nr. 3 = NZWehrr 2010, 160).
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a) Die von der Beschwerde als grundsätzlich bedeutsam bezeichneten Fragen,
welche Anforderungen an eine per E-Mail eingelegte Beschwerde gestellt werden dürfen, damit die in § 6 Abs. 2 WBO vorgeschriebene Form eingehalten wird,
und
ob eine per E-Mail im Kommunikationsverbund Lotus-Notes der Bundeswehr versandte E-Mail (verschlüsselt und signiert) den Formerfordernissen des § 6 Abs. 2 WBO genügt,
führen nicht zur Zulassung der Rechtsbeschwerde, weil sie sich unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Senats aus den maßgeblichen Rechtsvorschriften ohne Weiteres beantworten lassen oder im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht geklärt werden müssten.
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Ohne Weiteres aus dem Gesetz ergibt sich, dass das Wort „schriftlich“ in § 6 Abs. 2 Satz 1 WBO nicht die elektronische Form der Einlegung der Beschwerde einschließt. Das folgt aus dem Umstand, dass sowohl das materielle als auch das Verfahrens- und Prozessrecht die elektronische Form nicht als Unterfall der Schriftform, sondern als einen durch eine spezielle normative Regelung (vgl. z.B. § 126a BGB, § 3a VwVfG, § 55a VwGO) zugelassenen „Ersatz“ für eine durch Rechtsvorschrift angeordnete Schriftform behandelt.
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In der Wehrbeschwerdeordnung fehlt eine spezielle Regelung der elektronischen Kommunikation. Für das vorgerichtliche Verfahren könnten sich Zulässigkeit und Voraussetzungen einer Beschwerdeeinlegung durch E-Mail allenfalls aus einer entsprechenden Anwendung von § 3a VwVfG ergeben. In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass § 23a WBO es nicht ausschließt, einzelne Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes im Wehrbeschwerdeverfahren anzuwenden (zu § 49 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG: Beschluss vom 7. Juli 2009 – BVerwG 1 WB 51.08 – Buchholz 449 § 3 SG Nr. 53).
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Ob § 3a VwVfG im Wehrbeschwerdeverfahren entsprechend anwendbar ist (bejahend: Dau, WBO, 5. Auflage 2009, § 6 Rn. 41), bedarf im vorliegenden Fall jedoch keiner Klärung, weil die vom Antragsteller gewählte Form der elektronischen Einlegung der Beschwerde – die Anwendbarkeit des § 3a VwVfG unterstellt – die Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht erfüllt.
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Nach § 3a Abs. 2 Satz 1 VwVfG kann eine durch Rechtsvorschrift angeordnete Schriftform, soweit nicht durch Rechtsvorschrift etwas anderes bestimmt ist, durch die elektronische Form ersetzt werden. In diesem Fall ist gemäß § 3a Abs. 2 Satz 2 VwVfG das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz zu versehen. Nach den mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen Feststellungen des Truppendienstgerichts entsprachen die vom Antragsteller beim Versand der E-Mail vom 22. Dezember 2009 verwendeten Sicherheitsoptionen „Signieren“ und „Verschlüsseln“ jedoch nicht den Vorgaben für eine qualifizierte elektronische Signatur nach dem Signaturgesetz, weil der Antragsteller das innerhalb des Lotus-Notes-Netzes der Bundeswehr einzuhaltende Verfahren zur Anforderung und zum Erhalt einer derartigen qualifizierten elektronischen Signatur zu keiner Zeit durchlaufen hat.
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b) Hinsichtlich der außerdem von der Beschwerde als grundsätzlich bedeutsam bezeichneten Frage,
ob eine über den Kommunikationsverbund Lotus-Notes der Bundeswehr versandte E-Mail, die unter Aktivierung der Funktionen „Signieren“ und „Verschlüsseln“ versandt worden ist, dem Schriftformerfordernis genügt, weil eine eindeutige Zuordnung der Beschwerde zu ihrem Absender möglich ist,
ist bereits deren behauptete Bedeutung über den konkreten Einzelfall hinaus nicht dargelegt.
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Abgesehen davon würde sich die aufgeworfene Frage in dem angestrebten Rechtsbeschwerdeverfahren nicht stellen, weil die geltend gemachte Möglichkeit der eindeutigen Zuordnung einer Beschwerde zu ihrem Absender als Absicherung des Schriftformerfordernisses für die hier entscheidungsmaßgebliche Frage, ob der Antragsteller seine Beschwerde in gesetzlich zulässiger Form eingelegt hat, nicht erheblich ist.
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Wie oben dargelegt, schließt die in § 6 Abs. 2 Satz 1 WBO geregelte Schriftform der Beschwerde die elektronische Form nicht ein. Die elektronische Form stellt vielmehr einen Ersatz, also ein aliud gegenüber der Schriftform dar. Deshalb hat die Frage der eindeutigen Zuordnung einer per E-Mail versandten Beschwerde zu ihrem Absender für das gesetzliche Schriftformerfordernis keine Bedeutung.
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c) Die von der Beschwerde weiterhin als grundsätzlich bedeutsam bezeichneten Fragen,
ob ein Beschwerdeführer, welcher eine formunwirksame Beschwerde eingereicht hat, Vertrauensschutz genießt, wenn der binnen Monatsfrist seit Lauf der Beschwerdefrist zugestellte Beschwerdebescheid die Beschwerde als zulässig, jedoch als unbegründet zurückweist,
und
ob sich dieser Vertrauensschutz darauf erstreckt, dass die Beschwerde auch im Weiteren als zulässig behandelt wird,
führen ebenfalls nicht zur Zulassung der Rechtsbeschwerde, weil sie unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Senats dahin zu beantworten sind, dass ein Beschwerdeführer unter den in der Grundsatzrüge dargelegten Kautelen keinen Vertrauensschutz genießt.
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In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass innerhalb des durch die Beschwerde abgesteckten Rahmens die zuständige Beschwerdestelle eine umfassende Kontrollkompetenz über die Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit der angefochtenen truppendienstlichen Entscheidung oder Maßnahme erlangt (vgl. im Einzelnen: Beschluss vom 27. Januar 2010 – BVerwG 1 WB 52.08 – DokBer 2010, 211). Das gilt nach § 16 Abs. 4 WBO ebenso für das Verfahren der weiteren Beschwerde und nach den Maßgaben in § 17 Abs. 3, § 19 Abs. 1 WBO – mit Einschränkungen hinsichtlich der Ermessenskontrolle (§ 23a Abs. 2 WBO i.V.m. § 114 VwGO) – auch für das Truppendienstgericht. Aus dieser umfangreichen (Rechts-)Kontrollkompetenz folgt, dass die jeweils zuständige Beschwerdestelle eigenständig prüft, ob die eingelegte Beschwerde zulässig ist oder nicht. Das schließt eine darauf bezogene Bindungswirkung für das weitere Verfahren und den von der Beschwerde behaupteten Vertrauensschutz für den Beschwerdeführer aus.
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2. Die Beschwerde rügt außerdem die Versagung rechtlichen Gehörs und die Verletzung der Amtsermittlungspflicht, indem sie geltend macht, das Truppendienstgericht habe vor seiner Entscheidung dem Antragsteller rechtliches Gehör zu der im Beschluss vom 9. Juni 2010 niedergelegten Rechtsauffassung gewähren müssen.
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Mit diesem Vorbringen macht die Beschwerde einen Verfahrensmangel im Sinne des § 22a Abs. 2 Nr. 3 WBO geltend. Ein Verfahrensmangel liegt unter anderem dann vor, wenn der Anspruch eines Antragstellers oder Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt wird. Dieser in Art. 103 Abs. 1 GG verankerte Grundsatz gilt auch im wehrbeschwerderechtlichen Antragsverfahren und erstreckt sich – über den Wortlaut des § 18 Abs. 2 Satz 4 WBO hinaus – auf alle für die Entscheidung maßgeblichen Sachfragen sowie auf die Beweisergebnisse, ferner auf entscheidungsrelevante Rechtsfragen, wenn der Einzelfall dazu Veranlassung gibt (Beschluss vom 24. März 2010 – BVerwG 1 WNB 3.10 – m.w.N.). Die Gewährung rechtlichen Gehörs zu Rechtsfragen kommt in Betracht, wenn ein entscheidungserheblicher rechtlicher Gesichtspunkt im bisherigen Verfahren von keinem Verfahrensbeteiligten erkannt oder angesprochen oder in keiner der gerichtlich angefochtenen Entscheidungen thematisiert worden ist. In derartigen Fällen besteht zur Vermeidung eines Überraschungsurteils eine Hinweis- und Anhörungspflicht des Gerichts.
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Gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs hat das Truppendienstgericht in dem angegriffenen Beschluss nicht verstoßen.
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Mit seiner Gehörsrüge verkennt der Antragsteller, dass Art. 103 Abs. 1 GG grundsätzlich nicht verlangt, dass das Gericht vor seiner Entscheidung auf seine Rechtsauffassung hinweist; dem Gericht obliegt insoweit auch keine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht (BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 1991 – 1 BvR 1383/90 – BVerfGE 84, 188 = NJW 1991, 2823 = juris Rn. 7). Deshalb ist das Gericht nicht gehalten, unter dem Blickwinkel der Gewährung rechtlichen Gehörs seine die Entscheidung tragende Rechtsauffassung schon vor der Urteils- oder Beschlussberatung im Einzelnen festzulegen und den Beteiligten zur Erörterung bekanntzugeben (Beschlüsse vom 24. Januar 1991 – BVerwG 8 B 164.90 – Buchholz 316 § 54 VwVfG Nr. 6 = juris Rn. 14 und vom 23. Oktober 2008 – BVerwG 4 B 30.08 – BauR 2009, 233 = juris Rn. 11).
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Sollte der Antragsteller mit seinem Vorbringen den Vorwurf eines Überraschungsurteils erheben, verkennt er, dass das vom Truppendienstgericht in dem angefochtenen Beschluss entscheidungstragend dargelegte Erfordernis einer qualifizierten elektronischen Signatur für die Einlegung der Beschwerde in elektronischer Form schon ausführlich im Beschwerdebescheid des Kommandeurs des Sanitätskommandos II vom 18. Februar 2010 erörtert worden ist. Deshalb bedurfte es weiterer rechtlicher Hinweise bzw. einer hierauf bezogenen Anhörung der Verfahrensbeteiligten durch das Truppendienstgericht nicht.
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3. Die mit der Beschwerde erhobene Divergenzrüge (§ 22a Abs. 2 Nr. 2 WBO) ist nicht prozessordnungsgemäß dargelegt.
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Nach ständiger Rechtsprechung der Revisionssenate des Bundesverwaltungsgerichts setzt die gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO erforderliche Bezeichnung des Zulassungsgrundes der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) voraus, dass die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in einer genau bezeichneten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz, der sich auf dieselbe Rechtsvorschrift bezieht, widersprochen hat (vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. September 1997 – BVerwG 8 B 144.97 – Buchholz 406.11 § 128 BauGB Nr. 50 S. 11, vom 20. November 2007 – BVerwG 7 BN 4.07 – juris Rn. 9, vom 28. August 2009 – BVerwG 8 B 42.09 – juris Rn. 9 und vom 4. September 2009 – BVerwG 7 B 8.09 – juris Rn. 15 f., jeweils m.w.N.). Diese Anforderungen gelten auch für die Vorschriften über die Divergenzrüge in § 22a Abs. 2 Nr. 2 WBO und § 22 b Abs. 2 Satz 2 WBO (Beschluss vom 6. Januar 2010 – BVerwG 1 WNB 7.09 – a.a.O.).
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Der Antragsteller behauptet eine Divergenz der angefochtenen Entscheidung zum Beschluss des Senats vom 30. Juni 1983 – BVerwG 1 WB 27.81 – (NZWehrr 1984, 38), indem er geltend macht, das Truppendienstgericht sei von dieser Entscheidung mit dem Rechtssatz abgewichen, dass das Schriftformerfordernis des § 6 Abs. 2 WBO eine unterschriebene Beschwerde bzw. die manuelle Unterschrift bedinge. Dieser Satz trägt indessen die angefochtene Entscheidung vom 9. Juni 2010 nicht. Entscheidungstragend ist vielmehr der Rechtssatz des Truppendienstgerichts, dass das Einlegen einer Beschwerde mittels E-Mail nur zulässig ist, wenn sie gemäß § 3 a Abs. 2 VwVfG mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz versehen ist.
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 23a Abs. 2 WBO i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO.