Verwaltungsrecht

Beginn der allgemeinen archivrechtlichen Schutzfrist bei Personenakten des Bundesamtes für Verfassungsschutz

Aktenzeichen  6 C 21/18

Datum:
11.12.2019
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2019:111219U6C21.18.0
Normen:
§ 1 Nr 5 BArchG 2017
§ 1 Nr 9 BArchG 2017
§ 5 Abs 1 BArchG 2017
§ 6 Abs 1 BArchG 2017
§ 6 Abs 2 BArchG 2017
§ 10 Abs 1 BArchG 2017
§ 11 Abs 1 BArchG 2017
§ 11 Abs 6 BArchG 2017
§ 13 Abs 1 BArchG 2017
§ 3 Abs 1 BVerfSchG
§ 13 Abs 3 BVerfSchG
Spruchkörper:
6. Senat

Leitsatz

1. Das einzelne in einer Akte enthaltene Schriftstück ist eine Unterlage im Sinne von § 11 Abs. 6 und § 1 Nr. 9 BArchG.
2. Der in § 1 Nr. 5 BArchG genannte Begriff des Vorgangs ist materiell zu bestimmen. Er erfasst einzelne Unterlagen, die als inhaltlich zusammengehörende Teile einer Gesamtakte abgetrennt werden können. Dies gilt auch in Bezug auf die vom Bundesamt für Verfassungsschutz zu einem Beobachtungsobjekt geführten Akten.
3. Die allgemeine archivrechtliche Schutzfrist von 30 Jahren nach § 11 Abs. 1 und 6 BArchG beginnt bei den vom Bundesamt für Verfassungsschutz geführten Akten nicht erst mit der letzten inhaltlichen Bearbeitung der Gesamtakte. Wird ein Schriftstück nach inhaltlicher Prüfung ohne weitere Bearbeitungsschritte in die Akte aufgenommen, ist bereits der Zeitpunkt der “zdA”-Verfügung als letzte inhaltliche Bearbeitung der Unterlagen eines Vorgangs im Sinne der Bestimmung des Begriffs der Entstehung in § 1 Nr. 5 BArchG maßgeblich.

Verfahrensgang

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 5. Juli 2018, Az: 15 A 2147/13, Urteilvorgehend VG Köln, 25. Juli 2013, Az: 20 K 74/13, Urteil

Tatbestand

1
Der Kläger ist Journalist und Redakteur einer Tageszeitung. Mit Schreiben vom 27. Februar 2012 und 15. Mai 2012 beantragte er Akteneinsicht in und Kopien von bei dem Bundesamt für Verfassungsschutz befindlichen Akten zu verschiedenen Personen, darunter Alois Brunner, einem Mitarbeiter Adolf Eichmanns. Am 21. August 2012 hat der Kläger Untätigkeitsklage erhoben und einen Anspruch auf Nutzung der Dokumente nach dem Bundesarchivgesetz in der zum damaligen Zeitpunkt geltenden Fassung (BArchG a.F.) geltend gemacht. Mit Bescheid vom 30. April 2013 lehnte die Beklagte eine Einsichtnahme in Akten zu Alois Brunner ab.
2
Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte mit Urteil vom 25. Juli 2013 unter Aufhebung des Bescheides vom 30. April 2013 verpflichtet, den Antrag des Klägers auf Nutzung des Archivguts betreffend Alois Brunner unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Einsicht in das fragliche Archivgut und auf Herstellung von Kopien daraus. Zum einen seien die personenbezogenen Schutzfristen nach § 5 Abs. 2 i.V.m. Abs. 8 BArchG a.F. noch nicht abgelaufen. Zum anderen beginne die 30-jährige Schutzfrist nach § 5 Abs. 1 i.V.m. Abs. 8 BArchG a.F. frühestens ab 2014 auszulaufen, da Unterlagen aus der Zeit vor 1984 beim Bundesamt für Verfassungsschutz nicht vorhanden seien. Zwar dränge sich eine Verkürzung der Schutzfristen auf der Grundlage des § 5 Abs. 5 Satz 4 i.V.m. Abs. 8 BArchG a.F. auf, da Alois Brunner als einer der schlimmsten NS-Verbrecher eine Person der Zeitgeschichte sei, schutzwürdige Belange zu seinen Gunsten nur schwer vorstellbar seien und unter Berücksichtigung der bisher bekannten Einzelheiten zu den Umständen seines jahrzehntelangen Untertauchens ein herausgehobenes Informationsinteresse gegeben sei. Die Voraussetzungen für eine Ermessensreduzierung auf Null lägen indes nicht vor.
3
Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht mit Urteil vom 5. Juli 2018 das Urteil des Verwaltungsgerichts teilweise geändert und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 30. April 2013 verpflichtet, den Antrag des Klägers auf Nutzung der Unterlagen betreffend Alois Brunner unter Beachtung der Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts hinsichtlich solcher Unterlagen neu zu bescheiden, die bis zum 4. Juli 1988 zur Akte des Bundesamtes für Verfassungsschutz genommen worden sind. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Die weitergehende Berufung hat das Oberverwaltungsgericht zurückgewiesen. Ferner hat es die Revision zugelassen, soweit die Beklagte zur Neubescheidung verpflichtet ist.
4
Zur Begründung hat das Oberverwaltungsgericht ausgeführt: Gegenstand der Berufung der Beklagten sei allein ihre Verpflichtung zur Neubescheidung des geltend gemachten Nutzungsanspruchs des Klägers betreffend Unterlagen zu Alois Brunner. In zeitlicher Hinsicht seien von dem Neubescheidungsanspruch nur Unterlagen erfasst, die ab dem Januar 1984 entstanden seien. Anspruchsgrundlage sei § 11 Abs. 6 i.V.m. § 10 Abs. 1 BArchG in der nunmehr geltenden Fassung. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 11 Abs. 6 BArchG seien für die Unterlagen gegeben, die vor mehr als 30 Jahren zur Akte des Bundesamtes für Verfassungsschutz genommen worden seien. Eine Unterlage im Sinne der Vorschrift sei – wie sich bereits aus § 1 Nr. 9 BArchG ergebe – das einzelne, in einer Akte enthaltene Dokument bzw. Schriftstück. Älter als 30 Jahre seien zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren alle Unterlagen, die zu Vorgängen gehörten, die bis zum 4. Juli 1988 zur Akte des Bundesamtes für Verfassungsschutz genommen worden seien. Für die Entstehung einer Unterlage als Ausgangspunkt der Berechnung ihres Alters sei nach § 1 Nr. 5 BArchG der Zeitpunkt der letzten inhaltlichen Bearbeitung der Unterlagen eines Vorgangs maßgeblich. Als Vorgang sei im Geschäftsbereich des Bundesamtes für Verfassungsschutz nicht die Gesamtakte als Abbild der unter Umständen jahrzehntelangen Beobachtungstätigkeit zu einem Objekt zu verstehen. Denn bei den vom Bundesamt für Verfassungsschutz geführten Akten ließen sich Vorgänge identifizieren, die kleinere Teileinheiten bildeten als die Gesamtakte. Da eine Anbietung von Unterlagen nach § 5 Abs. 1 Satz 1 BArchG nur in Betracht komme, wenn diese zur Erfüllung der öffentlichen Aufgaben nicht mehr benötigt würden und wenn der Behörde ihre weitere Aufbewahrung nicht durch besondere Rechtsvorschriften gestattet sei, bleibe die Vollständigkeit der Akten erhalten. Der Nutzungsanspruch nach § 11 Abs. 6 i.V.m. § 10 Abs. 1 BArchG sei ohnehin hiervon unabhängig. Ein Gleichlauf zwischen Anbietungs- und Nutzungsvoraussetzungen bestehe nur im Fall des § 6 Abs. 1 Satz 2 BArchG, weil es dem Zweck dieser Vorschrift entspreche, als hochgradig geheimschutzbedürftig zu qualifizierende Unterlagen überhaupt nicht, also auch nicht in eingeschränkter Form zur Verfügung stellen zu müssen.
5
Hiervon ausgehend sei im vorliegenden Fall als letzte inhaltliche Bearbeitung eines Vorgangs der Zeitpunkt zu verstehen, in dem eine Unterlage zur Personenakte des Alois Brunner genommen wurde, ohne dass weitere Bearbeitungsschritte beabsichtigt waren. Damit sei der durch den Eingang eines Schriftstücks ausgelöste Geschäftsvorfall abschließend bearbeitet und der Vorgang insoweit abgeschlossen. Die Prüfung der eingegangenen Dokumente durch den zuständigen Sachbearbeiter und gegebenenfalls ihre Aufnahme in die Personenakte sei auch angesichts der Aufgabe des Bundesamtes für Verfassungsschutz nach § 3 BVerfSchG, dem Sammeln und Auswerten von Informationen, als inhaltliche Bearbeitung im Sinne des § 1 Nr. 5 BArchG zu verstehen. Eine spätere erneute Befassung mit dem entsprechenden Dokument – etwa eine Auswertung im Hinblick auf neu eingegangene Erkenntnisse – aktualisiere den Entstehungszeitpunkt der Unterlage nicht.
6
Ausschlussgründe nach § 6 Abs. 1 Satz 2 BArchG n.F. bzw. § 13 Abs. 1 i.V.m. § 11 Abs. 6 BArchG habe die Beklagte nicht substantiiert geltend gemacht und seien angesichts des seit der letzten Bearbeitung von Vorgängen in der Akte zu Alois Brunner im Jahr 1998 oder auch im Jahr 2001 verstrichenen Zeitraums nicht ersichtlich.
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Bei der Neubescheidung werde die Beklagte zugrunde zu legen haben, dass die an das Geburtsjahr anknüpfende Schutzfrist des § 11 Abs. 2 Satz 2 BArchG abweichend von der früheren Rechtslage nur noch 100 Jahre betrage und für den im Jahr 1912 geboren Alois Brunner bereits abgelaufen sei. Auf einen gebundenen Anspruch könne das Oberverwaltungsgericht nicht erkennen, weil die Beklagte mit der Berufung allein die Verpflichtung zur Neubescheidung angegriffen habe und eine reformatio in peius zu Lasten des Berufungsführers ausgeschlossen sei. Da die Beklagte angesichts der Änderung der Rechtslage durch Einführung des § 11 Abs. 2 Satz 2 BArchG in der seit 2017 geltenden Fassung nicht mehr an die Auffassung des Verwaltungsgerichts zur Abkürzung der personenbezogenen Schutzfristen gebunden sei, könne das Oberverwaltungsgericht sie allerdings zur Neubescheidung unter Beachtung seiner eigenen Rechtsauffassung verpflichten.
8
Soweit das Verwaltungsgericht die Beklagte verpflichtet habe, den Antrag des Klägers auf Aktennutzung auch hinsichtlich solcher Unterlagen erneut zu bescheiden, die ab dem 5. Juli 1988 zur Akte des Bundesamtes für Verfassungsschutz genommen wurden, sei die Berufung begründet. Eine Verkürzung der Frist des § 11 Abs. 6 BArchG sei nicht im Ermessensweg möglich.
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Mit ihrer Revision macht die Beklagte geltend, die Annahme, die im Zeitraum zwischen 1984 und dem 4. Juli 1988 zu der zu Alois Brunner geführten Personenakte genommenen Unterlagen seien älter als 30 Jahre, verletze § 11 Abs. 6 i.V.m. § 10 Abs. 1 BArchG. Da die letzte inhaltliche Bearbeitung der Personenakte zu Alois Brunner frühestens im Jahr 1998 erfolgt sei, liege sie noch keine 30 Jahre zurück. Enthalte die Akte somit keine Unterlagen und Vorgänge, die im Sinne von § 11 Abs. 6 BArchG älter als 30 Jahre seien, sei der vom Kläger geltend gemachte Nutzungsanspruch ausgeschlossen, ohne dass es auf Einschränkungs- und Versagungsgründe ankomme.
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Das Oberverwaltungsgericht gehe von einem rechtlich unzutreffenden Verständnis der Begriffe des “Vorgangs” und der “letzten inhaltlichen Bearbeitung” im Sinne von § 1 Nr. 5 BArchG aus. Unter Berücksichtigung der gesetzlichen Aufgaben des Bundesamtes für Verfassungsschutz und der damit verbundenen Besonderheiten der Aktenführung sei der Vorgang mit der Gesamtakte gleichzusetzen. Die Sammlung und Auswertung von Informationen zu Personen sei ein auf die Gesamtdauer der Beobachtung ausgelegter Vorgang, bei dem die gewonnenen Erkenntnisse die Bewertung des Beobachtungsobjekts im Hinblick auf die in § 3 Abs. 1 BVerfSchG genannten Bestrebungen und Tätigkeiten “revolvierend aktualisierten und ergänzten”. Es ließen sich keine tatsächlichen Abläufe definieren, an deren Ende eine verwaltungsmäßige Entscheidung stehe und die daher unter den Begriff des Vorgangs im Sinne des § 1 Nr. 5 BArchG subsumiert werden könnten. Die gesetzlich vorgegebene Auswertungstätigkeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz sei stets auf den gesamten Inhalt einer Akte bezogen.
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Selbst wenn die einzelne Unterlage als Vorgang im Sinne von § 1 Nr. 5 BArchG zu qualifizieren wäre, sei für den Entstehungszeitpunkt der Personen- und Sachakten des Bundesamtes für Verfassungsschutz und damit für die Berechnung der 30-Jahres-Frist des § 11 Abs. 6 BArchG auf die letzte inhaltliche Bearbeitung der jeweiligen Gesamtakte abzustellen. Dieser Zeitpunkt sei “retrospektiv” zu bestimmen. Sei ein Vorgang mehrfach Gegenstand inhaltlich substantieller Bearbeitung, verschiebe dies den Entstehungszeitpunkt nach hinten. Auch könne der Zeitpunkt der letzten inhaltlichen Bearbeitung – und damit der Entstehung – nicht bereits bei der Aufnahme einer Unterlage in eine Akte ermittelt werden. Durch die Aufnahme einer Einzelerkenntnis in die Akte werde nur die Voraussetzung für die weitere inhaltliche Bearbeitung dieser Erkenntnis – nämlich deren Auswertung im Rahmen der in der Gesamtakte enthaltenen und weiteren Informationen – geschaffen. Die inhaltlich substantielle Bearbeitung sei erst abgeschlossen, wenn die Gesamtakte geschlossen werde, etwa weil die Gründe für die Beobachtung entfallen seien. Das Oberverwaltungsgericht habe im Ergebnis die erste inhaltlich substantielle Bearbeitung einer Erkenntnis mit der letzten entsprechenden Bearbeitung gleichgesetzt. Die Anbietungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BArchG, dass die Unterlagen nicht mehr zur Aufgabenerfüllung benötigt werden, gelte auch für den Nutzungsanspruch aus § 11 Abs. 6 i.V.m. § 10 Abs. 1 BArchG. Die Konnexität zwischen Anbietungspflicht und Nutzungsanspruch sei nicht auf die Fälle des § 6 Abs. 1 Satz 2 BArchG begrenzt. Sei für die Abgabe an das Bundesarchiv – und damit den Nutzungsanspruch unmittelbar aus § 10 Abs. 1 BArchG – bei Fragen der Entstehung auf die Gesamtakte abzustellen, könne im Rahmen des § 11 Abs. 6 BArchG und für die dortige 30-Jahres-Frist nichts Anderes gelten.
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Das Oberverwaltungsgericht habe zudem die archivbezogenen Vorgaben des Bundesverfassungsschutzgesetzes nicht in den Blick genommen. Die in § 13 Abs. 3 Satz 1 BVerfSchG normierte Pflicht, eine “Akte” zu vernichten, wenn sie “insgesamt” zur Erfüllung der Aufgaben des Bundesamtes für Verfassungsschutz nicht oder nicht mehr erforderlich ist, stehe – wie § 13 Abs. 3 Satz 7 BVerfSchG zeige – in unmittelbarem inhaltlichem Zusammenhang zur archivrechtlichen Nutzung von Akten des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Die Weitergabe von Akten des Bundesamtes für Verfassungsschutz an das Bundesarchiv sei ein Surrogat zur Aktenvernichtung. Eine Vernichtung könne der Gesetzesbegründung zufolge aus Gründen der Aktenvollständigkeit erst erfolgen, wenn die jeweilige Akte insgesamt nicht mehr zur Aufgabenerfüllung erforderlich sei, wenn also der Beobachtungsgrund entfalle. Nach dem BVerfSchG seien nicht einzelne “Vorgänge”, “Unterlagen”, “Aktenteile” oder “Aktenauszüge” zu vernichten oder dem Bundesarchiv anzubieten, sondern nur die ganze Akte. Wäre für die archivrechtliche Fristberechnung nicht die letzte inhaltliche Bearbeitung der Gesamtakte maßgeblich, käme es zu einer – nach § 13 Abs. 3 BVerfSchG ausgeschlossenen – teilweisen Freigabe des Inhalts einer Gesamtakte.
13
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil.

Entscheidungsgründe

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Die Revision der Beklagten ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 144 Abs. 2 VwGO).
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Gegenstand der Revision ist nur die im Berufungsurteil unter Aufhebung des Bescheides vom 30. April 2013 ausgesprochene Verpflichtung der Beklagten, den Antrag des Klägers auf Nutzung der Unterlagen betreffend Alois Brunner unter Beachtung der Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts hinsichtlich solcher Unterlagen neu zu bescheiden, die bis zum 4. Juli 1988 zur Akte des Bundesamtes für Verfassungsschutz genommen worden sind. Insoweit beruht das angefochtene Urteil nicht auf der Verletzung revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO). Maßgeblich ist hier das im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung geltende Bundesarchivgesetz (BArchG) in der Fassung des Gesetzes zur Neuregelung des Bundesarchivrechts vom 10. März 2017 (BGBl. I S. 410), zuletzt geändert durch Gesetz vom 4. Dezember 2018 (BGBl. I S. 2257 i.V.m. Bekanntmachung vom 12. April 2019, BGBl. I S. 496).
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Das Oberverwaltungsgericht hat im Einklang mit dem Bundesrecht angenommen, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des Nutzungsanspruchs aus § 11 Abs. 6 i.V.m. § 10 Abs. 1 BArchG für die Unterlagen gegeben sind, die – bezogen auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren – vor mehr als 30 Jahren zur Akte des Bundesamtes für Verfassungsschutz genommen worden sind. In Bezug auf die Annahme, dass keine Ausschlussgründe nach § 6 Abs. 1 Satz 2 BArchG bzw. § 13 Abs. 1 i.V.m. § 11 Abs. 6 BArchG gegeben sind, ist das Berufungsurteil rechtskräftig geworden. Der Kläger hat daher einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Neubescheidung seines Antrags auf archivrechtliche Nutzung der genannten Unterlagen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts.
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Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 BArchG steht jeder Person nach Maßgabe dieses Gesetzes auf Antrag das Recht zu, Archivgut des Bundes zu nutzen. § 11 Abs. 6 BArchG bestimmt, dass auf die Nutzung von Unterlagen, die älter als 30 Jahre sind und noch der Verfügungsgewalt der öffentlichen Stellen des Bundes unterliegen, die Absätze 1 bis 5 der Vorschrift und die §§ 10, 12 und 13 BArchG entsprechend anzuwenden sind. Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 BArchG beträgt die allgemeine Schutzfrist für Archivgut des Bundes 30 Jahre, sofern durch Rechtsvorschrift nichts anderes bestimmt ist. Die Frist beginnt mit der Entstehung der Unterlagen (§ 11 Abs. 1 Satz 2 BArchG). Der Begriff der “Entstehung” wird in § 1 Nr. 5 BArchG als Zeitpunkt der letzten inhaltlichen Bearbeitung der Unterlagen eines Vorgangs bestimmt. “Unterlagen” sind nach § 1 Nr. 9 BArchG Aufzeichnungen jeder Art, unabhängig von der Art ihrer Speicherung. Diesen gesetzlichen Bestimmungen lassen sich die das Berufungsurteil tragenden Rechtssätze entnehmen, dass der Begriff der Unterlage im Sinne der §§ 11 Abs. 6 und 1 Nr. 9 BArchG das einzelne, in einer Akte enthaltene Dokument bzw. Schriftstück erfasst (1.), ein Vorgang im Sinne des § 1 Nr. 5 BArchG im Geschäftsbereich des Bundesamtes für Verfassungsschutz regelmäßig eine Teileinheit der Gesamtakte, nicht aber die Gesamtakte als Ganzes ist, (2.) und bei Personenakten als letzte inhaltliche Bearbeitung im Sinne des § 1 Nr. 5 BArchG der Zeitpunkt zu verstehen ist, in dem eine Unterlage zur Akte genommen wurde, ohne dass weitere Bearbeitungsschritte beabsichtigt waren (3.). Hieraus hat das Oberverwaltungsgericht zu Recht geschlossen, dass die Entstehung und damit auch das Alter für jeden in einer Gesamtakte enthaltenen Vorgang, der gegebenenfalls auch aus nur einer Unterlage bestehen kann, grundsätzlich gesondert festzustellen ist.
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1. Das Oberverwaltungsgericht hat ohne Rechtsverstoß angenommen, dass das einzelne in einer Akte enthaltene Dokument bzw. Schriftstück dem Begriff der Unterlage im Sinne von § 11 Abs. 6 und § 1 Nr. 9 BArchG unterfällt.
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Soweit § 11 Abs. 6 BArchG bestimmt, dass auf die Nutzung von Unterlagen, die älter als 30 Jahre sind und noch der Verfügungsgewalt der öffentlichen Stellen des Bundes unterliegen, u.a. die Regelung zum Nutzungsanspruch (§ 10 Abs. 1 BArchG) entsprechend anzuwenden ist, ist für den Begriff der Unterlage die Legaldefinition in § 1 Nr. 9 BArchG maßgeblich. Nach § 1 Nr. 9 BArchG sind Unterlagen Aufzeichnungen jeder Art, unabhängig von der Art ihrer Speicherung. Der Begriff der Aufzeichnung hat nach herkömmlichem Sprachgebrauch die Bedeutung, dass etwas durch Schrift, Bild oder Ton festgehalten wird. Mit dem Wortsinn ist es ohne weiteres vereinbar, einzelne Schriftstücke hierunter zu fassen. Dieses Verständnis wird durch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift bestätigt. Denn aus der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung ergibt sich, dass der Begriff der Aufzeichnung gewählt wurde, weil er die unterschiedlichen Informationsträger und Speicherungsformen und damit das potentielle Archivgut möglichst vollständig erfasst (BT-Drs. 18/9633 S. 44 f.).
20
Ob der Begriff der Unterlage neben der einzelnen Aufzeichnung zusätzlich auch eine Sammlung von Aufzeichnungen in Form einer Akte o.ä. erfasst, kann dahingestellt bleiben. Soweit das Oberverwaltungsgericht insoweit Zweifel erkennen lässt, übersieht es, dass in der bislang geltenden Bestimmung des § 2 Abs. 8 Bundesarchivgesetz vom 6. Januar 1988 (BGBl. I S. 62), zuletzt geändert durch Gesetz vom 18. Juli 2016 (BGBl. I S. 1666) – BArchG a.F. – neben “Schriftstücken” ausdrücklich auch “Akten” genannt waren. Dafür, dass der Gesetzgeber hieran etwas ändern und den Anwendungsbereich der Anbietungspflicht im Ergebnis einschränken wollte, bestehen keine Anhaltspunkte. Hierauf kommt es jedoch im vorliegenden Zusammenhang nicht an. Denn selbst wenn grundsätzlich nicht nur einzelne Schriftstücke, sondern auch Akten als Archivgut und damit als Gegenstand des Nutzungsanspruchs aus § 11 Abs. 6 i.V.m. § 10 Abs. 1 BArchG in Betracht kommen, ist für die hier zu entscheidende Frage der Berechnung der 30-jährigen Schutzfrist nach § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 BArchG der in § 1 Nr. 5 BArchG definierte Begriff der Entstehung maßgeblich, der an die letzte inhaltliche Bearbeitung der Unterlagen eines Vorgangs anknüpft.
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2. Mit revisiblem Recht ebenfalls vereinbar ist der das Berufungsurteil tragende Rechtssatz des Oberverwaltungsgerichts, dass ein Vorgang im Sinne des § 1 Nr. 5 BArchG im Geschäftsbereich des Bundesamtes für Verfassungsschutz regelmäßig eine Teileinheit der Gesamtakte, nicht aber die Gesamtakte als Ganzes ist. Der in § 1 Nr. 5 BArchG genannte Begriff des Vorgangs ist materiell zu bestimmen. Er erfasst grundsätzlich auch einzelne Unterlagen, die als inhaltlich zusammengehörende Teile einer Gesamtakte abgetrennt werden können. Dies ergibt sich bereits aus dem Gesetzeswortlaut (a) und wird durch die historische (b), systematische (c) und teleologische (d) Auslegung bestätigt. Für die vom Bundesamt für Verfassungsschutz zu einem Beobachtungsobjekt geführten Akten gelten insoweit keine Besonderheiten (e).
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a) Bereits dem Wortsinn des in § 1 Nr. 5 BArchG genannten Begriffs des Vorgangs ist zu entnehmen, dass auch Teileinheiten von Akten hiervon erfasst werden, sofern sich die betreffenden Dokumente auf einen inhaltlich abgrenzbaren Verwaltungsablauf beziehen. In der Terminologie der öffentlichen Verwaltung wird der Begriff des Vorgangs überwiegend in zwei unterschiedlichen Bedeutungen verwendet: Zum einen bezeichnet der Vorgang die konkrete Einzelmaßnahme einer Behörde im Rahmen der Umsetzung ihrer Aufgaben als kleinste operationalisierte Einheit eines Verwaltungsablaufs mit einem abgeschlossenen, maßnahmenbezogenen Arbeitsergebnis (so genannte Prozesssicht). Es handelt sich also um eine Folge von Bearbeitungsschritten (z.B. Nachweis des Posteingangs, Mitzeichnung), die von einem oder mehreren Bearbeitern in einer bestimmten Reihenfolge ausgeführt werden. Zum anderen bezeichnet der Vorgang Dokumente in Papierform oder elektronischer Form, die bei einer Einzelmaßnahme einer Behörde angefallen und gemeinsam und chronologisch geordnet abgelegt sind (so genannte Objektsicht). Es handelt sich um die unterste, sachlich nicht mehr teilbare Stufe der Aktenbildung (vgl. Archivschule Marburg, Begriff “Vorgang”, http://m.archivschule.de/DE/forschung/schriftgut/terminologie/vorgang.html, zuletzt abgerufen am 09.12.2019).
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b) Dass der archivrechtliche Begriff des Vorgangs grundsätzlich auch einzelne Unterlagen erfasst, die als inhaltlich zusammengehörende Teile einer Gesamtakte abgetrennt werden können, wird durch die historische Auslegung bestätigt.
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Nach der Begründung zu § 1 Nr. 5 BArchG im Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Neuregelung des Bundesarchivrechts soll der “Vorgang im Sinne von § 3 RegR” maßgebend sein (BT-Drs. 18/9633 S. 43). Bei der damit angesprochenen Registraturrichtlinie für das Bearbeiten und Verwalten von Schriftgut in Bundesministerien (RegR) vom 11. Juli 2001 (vgl. BT-Drs. 18/9633 S. 42) handelt es sich um eine von der Bundesregierung beschlossene Verwaltungsvorschrift, die die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO) ergänzt und das Bearbeiten von Geschäftsvorfällen und Verwalten von Schriftgut in den Bundesministerien regelt (§ 1 Abs. 1 RegR). Der Hinweis der Beklagten, dass es sich für nachgeordnete Stellen des Bundes – zu denen das Bundesamt für Verfassungsschutz zählt – lediglich um eine unverbindliche Leitlinie handele, geht ins Leere, weil es im vorliegenden Zusammenhang auf die Bindungswirkung nicht ankommt. Für die Auslegung des § 1 Nr. 5 BArchG maßgeblich ist, dass die Gesetzesbegründung für die Unterlagen aller öffentlichen Stellen des Bundes unterschiedslos auf die Registraturrichtlinie Bezug nimmt. Nach § 3 RegR ist ein Vorgang die “kleinste Sammlung von zusammengehörenden Dokumenten aus der Bearbeitung eines Geschäftsvorfalls; Teileinheit einer Akte”. Der Begriff der Akte wird als “geordnete Zusammenstellung von Dokumenten mit eigenem Aktenzeichen und eigener Inhaltsbezeichnung” definiert. Ein Geschäftsvorfall ist § 3 RegR zufolge die “kleinste Bearbeitungseinheit im Rahmen der Aufgabenwahrnehmung. Aus der Bearbeitung des Geschäftsvorfalls entsteht der Vorgang.”
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Die Bezugnahme auf diese Begriffsbestimmungen der Registraturrichtlinie lässt klar erkennen, dass dem Bundesarchivgesetz ein materieller Vorgangsbegriff zugrunde liegt, der nicht an die formale Zusammenfassung von Dokumenten in einer Akte anknüpft, sondern auf die inhaltliche Zusammengehörigkeit von Dokumenten als Verkörperung eines abgrenzbaren Verwaltungsablaufs. Die Differenzierung zwischen Vorgang und Akte liegt auch dem Hinweis in der Gesetzesbegründung zugrunde, dass der Zeitpunkt, zu dem ein Vorgang durch eine “zdA”-Verfügung geschlossen wurde, mit der gleichzeitigen Schließung der Akte im Sinne von § 3 RegR, zu welcher der betreffende Vorgang gehört, zusammenfallen kann (BT-Drs. 18/9633 S. 43). Die Akte entsteht nach dem Ansatz der Gesetzesbegründung mithin aus der fortlaufenden Zusammenfassung thematisch zusammenhängender Vorgänge.
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c) Für dieses materielle Verständnis des Vorgangsbegriffs im Sinne des § 1 Nr. 5 BArchG spricht auch die Gesetzessystematik.
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Der Begriff der Akte wird im Bundesarchivgesetz lediglich im Zusammenhang mit der Informationspflicht bei der Einführung oder wesentlichen Änderung von Systemen der Informationstechnologie insbesondere zur Führung elektronischer Akten gemäß § 6 des E-Government-Gesetzes erwähnt (vgl. § 3 Abs. 4 Satz 2 BArchG). Hiervon abgesehen knüpft das Gesetz sowohl bei der Bestimmung der Aufgaben des Bundesarchivs (§ 3 BArchG) als auch bei der Ausgestaltung der Anbietungspflichten der öffentlichen Stellen des Bundes (§§ 5 ff. BArchG) und der Nutzungsansprüche (§§ 10 ff.) durchgehend an die Begriffe der “Unterlagen” (§ 1 Nr. 5 BArchG) oder des “Archivguts” (§ 1 Nr. 2 BArchG) an. Hierin kommt zum Ausdruck, dass für die archivrechtliche Behandlung der Unterlagen materielle Kriterien ausschlaggebend sind, nicht hingegen das formale Kriterium der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Akte, die in der Regel von der Praxis der Aktenführung in der jeweiligen Behörde abhängt.
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d) Dass sich der Begriff des Vorgangs im Sinne des § 1 Nr. 5 BArchG auf inhaltlich abgrenzbare Teileinheiten der von der jeweiligen öffentlichen Stelle geführten Gesamtakte bezieht, entspricht schließlich dem Sinn und Zweck der Novellierung des Bundesarchivgesetzes, mit der eine Verbesserung der Nutzer- und Wissenschaftsfreundlichkeit erreicht werden soll (BT-Drs. 18/9633 S. 27).
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Würde sich der Zeitpunkt der Entstehung einer Unterlage und damit der Beginn der 30-jährigen Frist für die Anbietungspflicht (§ 5 Abs. 1 Satz 2 BArchG) und die Nutzungsansprüche (§ 11 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 6 BArchG) nur auf die Gesamtakte beziehen, der eine Unterlage zugeordnet worden ist, könnte der mit der Novellierung des Bundesarchivgesetzes im Juli 2017 verfolgte Zweck einer Verbesserung der Nutzer- und Wissenschaftsfreundlichkeit (BT-Drs. 18/9633 S. 27 und S. 29) nicht erreicht werden. Denn dann läge es in der Hand der jeweiligen öffentlichen Stelle, durch die Zusammenfassung von Unterlagen zu laufend fortgeführten Gesamtakten den Zeitpunkt hinauszuschieben, ab dem sie die in einer solchen Akte enthaltenen Unterlagen dem Bundesarchiv zur Übernahme anzubieten bzw. die Nutzung der noch ihrer Verfügungsgewalt unterliegenden Unterlagen zu gewähren hat. Sowohl die Anbietungspflicht (§ 5 BArchG) als auch die Nutzungsansprüche (§§ 10 ff. BArchG) könnten dadurch weitgehend ausgehebelt werden.
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e) Der Hinweis der Revision auf die gesetzlichen Aufgaben des Bundesamtes für Verfassungsschutz rechtfertigt nicht die Annahme, als Vorgang im Sinne des § 1 Nr. 5 BArchG sei jedenfalls im Geschäftsbereich des Bundesamtes für Verfassungsschutz nur die jeweils zu einem bestimmten Beobachtungsobjekt geführte Gesamtakte zu verstehen.
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§ 3 Abs. 1 BVerfSchG bestimmt, dass Aufgabe der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder die Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sach- und personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen, über die in § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 BVerfSchG genannten Bestrebungen und Tätigkeiten ist. Zwar liegt es in der Natur der Sache, dass die Sammlung und Auswertung von Informationen zu einem bestimmten Beobachtungsobjekt in der Regel auf eine zunächst unbestimmte Dauer angelegt und erst dann abgeschlossen ist, wenn der Grund für die Beobachtung entfällt. Dies schließt jedoch eine Untergliederung der im Rahmen der Beobachtungstätigkeit entstehenden Akten in kleinere Teileinheiten nicht aus. Denn die Sammlung und Auswertung von Informationen zu einer bestimmten Person oder Personenvereinigung besteht regelmäßig aus einer Vielzahl einzelner Arbeitsabläufe, die sowohl in zeitlicher als auch in sachlicher Hinsicht – z.B. in Bezug auf bestimmte Ereignisse oder Quellen – voneinander abgegrenzt werden können.
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Bezogen auf die hier streitgegenständlichen Unterlagen hat das Oberverwaltungsgericht in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, dass die Bearbeitung eines eingehenden Schriftstücks regelmäßig in der Weise erfolgte, dass vom zuständigen Sachbearbeiter geprüft wurde, ob die Unterlage neue Erkenntnisse enthielt, um sie dann gegebenenfalls zur Akte zu nehmen. Bei der Abfolge von Bearbeitungsschritten, die mit dem Eingang der Information beim Bundesamt für Verfassungsschutz beginnt, durch die Prüfung der Relevanz für den Beobachtungszweck fortgesetzt wird und gegebenenfalls mit der “zdA”-Verfügung bzw. der Aufnahme in die Akte ihren Abschluss findet, handelt es sich folglich um einen durch Eingangs- und Verfügungsdatum zeitlich fixierten Verwaltungsablauf innerhalb des Gesamtvorgangs der Beobachtung eines bestimmten Objekts. Zwar weist die Revision nachvollziehbar darauf hin, dass die gesetzlich vorgegebene Auswertungstätigkeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz mit der Ergänzung der Informationssammlung um eine bestimmte Einzelunterlage nicht abgeschlossen sei, sondern jeweils den gesamten Akteninhalt umfasse und gerade darin bestehe, die in einer Akte zusammengefassten Einzelerkenntnisse zueinander und gegebenenfalls zu den Inhalten anderer Akten in Beziehung zu setzen. Dieser Befund steht jedoch der Annahme, dass es sich auch bei der Aufnahme einer Unterlage in die Informationssammlung jeweils um einen eigenständigen Vorgang im archivrechtlichen Sinne handelt, nicht entgegen. Wird etwa eine zur Akte genommene Einzelunterlage zu einem späteren Zeitpunkt – erstmals oder erneut – ausgewertet, entsteht hierdurch gegebenenfalls ein neuer Vorgang im Sinne des § 1 Nr. 5 BArchG.
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3. In Übereinstimmung mit dem revisiblen Recht steht schließlich auch die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, dass bei den vom Bundesamt für Verfassungsschutz geführten Akten als letzte inhaltliche Bearbeitung im Sinne des § 1 Nr. 5 BArchG der Zeitpunkt zu verstehen ist, in dem eine Unterlage zur Akte genommen wurde, ohne dass weitere Bearbeitungsschritte beabsichtigt waren. Die Auffassung der Revision, maßgeblicher Entstehungszeitpunkt könne im Hinblick auf das Wesen der Sammlungs- und Auswertungstätigkeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz nur die letzte inhaltliche Bearbeitung der Gesamtakte sein, widerspricht dem Wortlaut (a), der Entstehungsgeschichte (b) sowie dem Sinn und Zweck der maßgeblichen Vorschriften (c) und lässt sich auch nicht auf die geltend gemachten systematischen Erwägungen stützen (d).
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a) Nach dem Wortlaut des § 1 Nr. 5 BArchG bezieht sich der Begriff der “letzten inhaltlichen Bearbeitung” nicht auf die jeweilige (Gesamt-)Akte, sondern auf die “Unterlagen eines Vorgangs”. Bezugspunkt sind also eine oder mehrere Unterlagen, sofern diese einem bestimmten Vorgang zuzuordnen und insoweit abgrenzbar sind. Die inhaltliche Bearbeitung eines Dokuments kann sich nach dem Wortsinn auch in einer bloßen Prüfung mit dem Ergebnis erschöpfen, das Dokument zur Akte zu nehmen und von weiteren Bearbeitungsschritten zunächst abzusehen. Wird ein Schriftstück nach inhaltlicher Prüfung mit einer “zdA”-Verfügung in eine behördliche Akte aufgenommen, ist bei diesem Verständnis in aller Regel der mit dem Eingang des Dokuments eingeleitete konkrete Vorgang bzw. Geschäftsvorfall abgeschlossen. Es handelt sich bei einem derartigen Verwaltungsablauf entgegen der Auffassung der Revision demnach nicht nur um die “erste”, sondern zugleich auch um die “letzte” inhaltliche Bearbeitung dieses Vorgangs im Sinne des § 1 Nr. 5 BArchG. Durch die Bearbeitung einer zur Akte genommenen Unterlage wird nicht – wovon die Beklagte ausgeht – der ursprüngliche Vorgang bzw. Geschäftsvorfall fortgesetzt oder wieder aufgenommen, sondern es entsteht dann gegebenenfalls ein weiterer Vorgang im Sinne des § 1 Nr. 5 BArchG. Entsprechendes gilt, wenn es in der Folge zwar nicht zu einer Veränderung des Inhalts des ursprünglichen Dokuments kommt, aber zu einer erneuten Befassung mit dem vorhandenen Inhalt, wie z.B. im Rahmen der von der Beklagten genannten Erstellung eines Auswertungsvermerks auf der Grundlage der früher zur Akte genommenen Erkenntnisse. Auch in diesen Fällen handelt es sich entgegen der Auffassung der Beklagten nicht um eine fortgesetzte inhaltliche Bearbeitung der Unterlagen, die dem ursprünglichen, mit der “zdA”-Verfügung abgeschlossenen Vorgang zuzuordnen ist, sondern um einen neuen Vorgang im Sinne des § 1 Nr. 5 BArchG.
35
b) Die Wortlautauslegung wird durch die Entstehungsgeschichte bestätigt. Nach der Gesetzesbegründung zu § 1 Nr. 5 BArchG fixiert die Vorschrift den Zeitpunkt der Entstehung von Unterlagen auf den Zeitpunkt der letzten inhaltlichen Bearbeitung des Originals bei den öffentlichen Stellen des Bundes vor der Abgabe an das Bundesarchiv. Maßgebend ist danach die letzte inhaltlich substantielle Bearbeitung eines Vorgangs im Sinne von § 3 RegR, die formal durch eine Verfügung mit Datumsangabe kenntlich gemacht wird (BT-Drs. 18/9633 S. 43). Die Bearbeitung soll sich nach dem Willen des Gesetzgebers also nicht auf die Gesamtakte, sondern auf die Teileinheit einer Akte in Gestalt der kleinsten Sammlung von zusammengehörenden Dokumenten aus der Bearbeitung eines Geschäftsvorfalls beziehen. Für die Behauptung der Beklagten, das Merkmal der “letzten inhaltlichen Bearbeitung” in § 1 Nr. 5 BArchG solle die Funktion der früher in § 5 Abs. 5 Satz 5 BArchG a.F. geregelten und im geltenden Bundesarchivgesetz entfallenen Möglichkeit übernehmen, die allgemeine 30-jährige Schutzfrist zu verlängern, so dass auf die Bearbeitung der Gesamtakte abgestellt werden müsse, findet sich in der Gesetzesbegründung keine Grundlage.
36
c) Die Auffassung der Revision, die inhaltliche Bearbeitung der Unterlagen eines Vorgangs sei immer erst mit der letzten inhaltlichen Bearbeitung der Gesamtakte abgeschlossen, läuft vor allem den Gesetzeszwecken zuwider.
37
Unzutreffend ist schon die Prämisse, sowohl die 30-Jahres-Frist als auch die in § 1 Nr. 5 BArchG normierten Vorgaben zu ihrer Berechnung seien darauf gerichtet, zwischen Unterlagen, die für die aktuelle Behördentätigkeit mit Gewissheit und seit Langem nicht mehr benötigt werden und solchen Unterlagen zu unterscheiden, mit denen die betroffene Behörde aktuell noch arbeitet oder innerhalb der zurückliegenden 30 Jahre noch gearbeitet hat. Für eine dahingehende Bestimmung des Normzwecks finden sich weder im Gesetzeswortlaut noch in den Gesetzesmaterialien Anhaltspunkte. Nach der Gesetzesbegründung, die sich zum Zweck der allgemeinen Schutzfrist nicht ausdrücklich verhält, entsprechen § 11 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 6 BArchG in der Sache § 5 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 8 BArchG a.F. (BT-Drs. 18/9633 S. 67, 71). In der Gesetzesbegründung zu der Vorgängerregelung des § 5 Abs. 1 BArchG a.F. wird als Zweck der Sperrfrist von 30 Jahren allgemein die Sicherstellung des “notwendigen Schutzes verwaltungsinterner Informationen” genannt. Die Festlegung der Frist von 30 Jahren durch Gesetz solle der Rechtssicherheit dienen, da der Anspruch auf Nutzung von Archivgut des Bundes aus einer Reihe von offensichtlichen Gründen (Persönlichkeitsrechtsschutz, staatliche Sicherheitsinteressen, Effizienz der Verwaltung) rechtsverbindlich eingegrenzt werden müsse (BR-Drs. 371/84 S. 11).
38
Letztlich ist für die teleologische Auslegung auch im vorliegenden Zusammenhang wieder das mit der Novellierung des Bundesarchivgesetzes im Jahr 2017 verfolgte Ziel der Verbesserung der Nutzer- und Wissenschaftsfreundlichkeit ausschlaggebend (vgl. BT-Drs. 18/9633 S. 27). Würde man der Beklagten folgen und die “inhaltlich substantielle Bearbeitung” des in der Aufnahme einer Erkenntnis in die Akte bestehenden Vorgangs erst dann als abgeschlossen ansehen, wenn die Gesamtakte letztmalig bearbeitet wird, könnte dieser Gesetzeszweck nicht erreicht werden. Durch die gesetzlich nicht determinierte Entscheidung, eine Gesamtakte – etwa durch Aufnahme neuer oder Prüfung bereits vorhandener Dokumente – erneut zu bearbeiten, könnte die aktenführende Behörde für sämtliche in der Akte enthaltenen Unterlagen vollständig autonom den Zeitpunkt festlegen, zu dem die allgemeine 30-jährige Schutzfrist für die Anbietungspflicht und den Nutzungsanspruch (§ 11 Abs. 1 Satz 1, Abs. 6 BArchG) zu laufen beginnt. Die Vorschriften des § 11 Abs. 6 i.V.m. § 10 Abs. 1 und § 1 Nr. 5 BArchG sind daher – dem Oberverwaltungsgericht folgend – so auszulegen, dass der dargelegten erheblichen Missbrauchsgefahr wirksam entgegengewirkt wird. Die seitens des Vertreters der Beklagten in der mündlichen Verhandlung erwähnte Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung reicht hierzu nicht aus. Die allgemeine archivrechtliche Schutzfrist von 30 Jahren nach § 11 Abs. 1 und 6 BArchG beginnt bei den vom Bundesamt für Verfassungsschutz geführten Akten daher nicht erst mit der letzten inhaltlichen Bearbeitung der Gesamtakte. Wird ein Schriftstück nach inhaltlicher Prüfung ohne weitere Bearbeitungsschritte in die Akte aufgenommen, fordert der Gesetzeszweck vielmehr, dass bereits der Zeitpunkt der “zdA”-Verfügung als letzte inhaltliche Bearbeitung der Unterlagen eines Vorgangs im Sinne der Bestimmung des Begriffs der Entstehung in § 1 Nr. 5 BArchG maßgeblich ist.
39
d) Schließlich führen auch die von der Beklagten geltend gemachten systematischen Gesichtspunkte zu keinem anderen Ergebnis. Weder die zu den Vorschriften des § 11 Abs. 2 BArchG und des § 6 Abs. 1 Satz 2 BArchG ergangenen Entscheidungen des Senats noch die Vorgaben des § 13 BVerfSchG lassen Rückschlüsse auf die Auslegung des Merkmals der “letzten inhaltlichen Bearbeitung” im Sinne des § 1 Nr. 5 BArchG zu.
40
(1) Zwar hat der Senat in seinem Urteil vom 30. Januar 2019 im Zusammenhang mit der Frage der Anwendbarkeit der in § 11 Abs. 2 BArchG normierten personenbezogenen Schutzfristen, die im Einzelfall über den Ablauf der allgemeinen Schutzfrist des § 11 Abs. 1 BArchG hinaus die Nutzung von Archivgut für zusätzliche Zeiträume ausschließen, auf die Gesamtakte abgestellt. Gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 BArchG ist maßgeblich, ob sich das fragliche Archivgut seiner Zweckbestimmung oder seinem wesentlichen Inhalt nach auf eine oder mehrere natürliche Personen bezieht. Der “Zweckbestimmung nach” personenbezogenes Archivgut liegt nach Ansicht des Senats, der insoweit auf die Gesetzesbegründung Bezug genommen hat, vor, wenn die Behörde die Akte zu einer oder mehreren Personen angelegt hat; entscheidend ist ihr Wille, die Akte als Personenakte zu führen. Indiz hierfür ist die Bezeichnung der Akte. Demgegenüber ist das Archivgut seinem “wesentlichen Inhalt nach” personenbezogen, wenn die in der Akte enthaltenen Unterlagen aus objektiver Sicht im Wesentlichen Angaben zu einer oder mehreren Personen enthalten, also die personenbezogenen Unterlagen den Anteil der sachbezogenen Unterlagen deutlich überwiegen und hierdurch der Sachbezug der Akte in den Hintergrund tritt (BVerwG, Urteil vom 30. Januar 2019 – 6 A 1.17 [ECLI:DE:BVerwG:2019:300119U6A1.17.0] – NJW 2019, 2186 Rn. 36). Akten, die nur vereinzelt personenbezogene Daten wie z.B. Namen oder Adressen enthalten, ohne dass diese wesentlicher Bestandteil der Akte sind, sind demgegenüber kein Archivgut mit personenbezogenen Daten, sondern Sachakten. Darin enthaltene personenbezogene Daten sind nur über die allgemeine 30-jährige Schutzfrist und über die Möglichkeit der Untersagung bzw. Einschränkung der Nutzung gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BArchG geschützt (BVerwG, Urteil vom 30. Januar 2019 – 6 A 1.17 – NJW 2019, 2186 Rn. 37 unter Bezug auf BT-Drs. 18/9633 S. 68).
41
Dass danach für die bei der Entscheidung über die (ergänzende) Anwendbarkeit der personenbezogenen Schutzfristen gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 BArchG maßgebliche Voraussetzung, ob sich das betreffende Archivgut seiner Zweckbestimmung oder seinem wesentlichen Inhalt nach auf eine oder mehrere natürliche Personen bezieht, der Bezeichnung und dem überwiegenden Inhalt der jeweiligen Akte ausschlaggebende Bedeutung zukommt, lässt jedoch keinen Rückschluss darauf zu, dass auch bei der Auslegung des Begriffs der “letzten inhaltlichen Bearbeitung” nach § 1 Nr. 5 BArchG und damit der Bestimmung des an die “Entstehung” der Unterlagen geknüpften Beginns der allgemeinen Schutzfrist des § 11 Abs. 6 BArchG auf die jeweilige Akte abzustellen ist. Denn der Vorschrift des § 11 Abs. 2 BArchG liegt mit der Sicherstellung eines erhöhten Schutzes personenbezogenen Archivguts ein anderer Gesetzeszweck zugrunde. Hinzu kommt, dass sich die Frage, ob Unterlagen ihrem wesentlichen Inhalt nach einen Personenbezug aufweisen, in vielen Fällen nur im Kontext mit weiteren in der betreffenden Akte enthaltenen Dokumenten beantworten lassen wird. Demgegenüber ist der Zeitpunkt der Bearbeitung einer Unterlage in der Regel ohne weiteres aus einer in der Unterlage selbst enthaltenen Datumsangabe ersichtlich.
42
(2) Die Auffassung der Revision, bei der Bestimmung des Zeitpunkts der “letzten inhaltlichen Bearbeitung” im Sinne des § 1 Nr. 5 BArchG sei auf die jeweilige Akte abzustellen, lässt sich auch nicht auf den Gesichtspunkt einer Konnexität zwischen der in § 5 Abs. 1 BArchG geregelten Pflicht zur Anbietung von Unterlagen gegenüber dem Bundesarchiv und dem Nutzungsanspruch aus § 11 Abs. 6 BArchG stützen.
43
Soweit die Beklagte geltend macht, dass Unterlagen, die (noch) nicht anbietungspflichtig seien, auch (noch) nicht Archivgut des Bundes werden und damit auch nicht tauglicher Gegenstand eines Nutzungsanspruchs aus § 10 Abs. 1 Satz 1 BArchG sein könnten, übersieht sie, dass dem Bundesarchivgesetz ein derartiger Gleichlauf zwischen Anbietungspflicht und Nutzungsanspruch gerade nicht als allgemeines Prinzip zugrunde liegt. Vielmehr ermöglicht § 11 Abs. 6 BArchG eine Nutzung von Unterlagen in entsprechender Anwendung der Absätze 1 bis 5 des § 11 BArchG und der §§ 10, 12 und 13 BArchG gerade auch dann, wenn die aktenführende Stelle diese Unterlagen – aus welchen Gründen auch immer – noch nicht dem Bundesarchiv als Archivgut angedient hat, sofern die Unterlagen älter als 30 Jahre sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. November 2013 – 6 A 5.13 – Buchholz 402.71 BNDG Nr. 3 Rn. 15 ff. zu § 5 Abs. 8 BArchG a.F.).
44
Die Beklagte kann sich für ihre Auffassung nicht mit Erfolg darauf berufen, dass der Senat im Zusammenhang mit der im Jahr 2017 neu geschaffenen Vorschrift des § 6 Abs. 1 Satz 2 BArchG eine Verbindung zwischen der Anbietungspflicht der öffentlichen Stellen des Bundes gegenüber dem Bundesarchiv nach § 5 und § 6 BArchG und dem gegen die öffentlichen Stellen des Bundes gerichteten Nutzungsanspruch ausdrücklich hervorgehoben hat. Unterlagen der Nachrichtendienste können danach nicht zu Archivgut des Bundes im Sinne des § 1 Nr. 2 BArchG sowie zum Gegenstand eines Nutzungsanspruchs aus § 10 Abs. 1 BArchG werden, soweit und solange sie dem Bundesarchiv nach § 6 Abs. 1 Satz 2 BArchG nicht anzubieten sind, und sind infolgedessen auch einer Nutzung auf der Grundlage von § 11 Abs. 6 BArchG entzogen (BVerwG, Beschlüsse vom 12. September 2017 – 6 A 1.15 [ECLI:DE:BVerwG:2017:120917B6A1.15.0] – Buchholz 421.9 BArchG Nr. 1 Rn. 3 ff. und vom 25. September 2017 – 6 A 4.15 [ECLI:DE:BVerwG:2017:250917B6A4.15.0] – juris Rn. 3 ff.).
45
Der vom Senat in den genannten Entscheidungen erwähnte Grundsatz der Konnexität zwischen Anbietungspflicht und Nutzungsanspruch bezieht sich indes nur auf die in § 6 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 BArchG geregelten Geheimhaltungs-, Vernichtungs- oder Löschungspflichten. § 6 Abs. 1 Satz 2 BArchG bestimmt, dass Unterlagen der Nachrichtendienste anzubieten sind, wenn sie deren Verfügungsberechtigung unterliegen und zwingende Gründe des nachrichtendienstlichen Quellen- und Methodenschutzes sowie der Schutz der Identität der bei ihnen beschäftigten Personen einer Abgabe nicht entgegenstehen. Die Norm konkretisiert die Anbietungspflicht der Nachrichtendienste. Stehen die in der Vorschrift genannten Gründe der Anbietung entgegen, werden die Unterlagen von der Anbietungspflicht ausgenommen. Der Gesetzgeber hat in diesen Fällen ein erhöhtes Geheimhaltungsbedürfnis (“zwingende Gründe”) für erforderlich gehalten, das über das durch §§ 11 und 13 BArchG vermittelte Schutzniveau hinausgeht. Unterfallen die Unterlagen nicht der Anbietungspflicht, kann sich der in § 11 Abs. 6 i.V.m. § 10 Abs. 1 Satz 1 BArchG normierte Nutzungsanspruch nicht auf diese Unterlagen erstrecken (BVerwG, Urteil vom 30. Januar 2019 – 6 A 1.17 – NJW 2019, 2186 Rn. 27). Entsprechendes gilt für § 6 Abs. 2 Nr. 1 und 2 BArchG, wonach solche Unterlagen von der Anbietungspflicht ausgenommen sind, deren Offenbarung gegen das Brief-, Post- oder Fernmeldegeheimnis verstößt, sowie Unterlagen, die nach gesetzlichen Vorschriften vernichtet oder gelöscht werden müssen und die nach diesen gesetzlichen Vorschriften nicht ersatzweise den zuständigen öffentlichen Archiven angeboten werden dürfen. Es liegt auf der Hand, dass Unterlagen, die deshalb nicht der Anbietungspflicht unterliegen, weil sie nach den jeweiligen gesetzlichen Vorschriften geheim gehalten, vernichtet oder gelöscht werden müssen, auch nicht Gegenstand eines Nutzungsanspruchs nach § 11 Abs. 6 i.V.m. § 10 Abs. 1 Satz 1 BArchG sein können.
46
Kein entsprechender Gleichlauf zwischen Anbietungspflicht und Nutzungsanspruch besteht jedoch in Bezug auf die in § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BArchG geregelte Voraussetzung, dass die betreffende öffentliche Stelle die Unterlagen nicht mehr zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben benötigt. Diese Anbietungsvoraussetzung dient nicht – wie § 6 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 BArchG – der Sicherstellung gesetzlicher Geheimhaltungs-, Vernichtungs- oder Löschungspflichten, die unabhängig vom Aufbewahrungsort der Unterlagen zu beachten sind, sondern soll lediglich verhindern, dass die öffentliche Stelle auf Unterlagen, die sie weiterhin zur Aufgabenerfüllung benötigt, nicht mehr zugreifen kann. Dieser Regelungszweck kommt nicht zum Tragen, wenn keine Abgabe an das Bundesarchiv, sondern ein Nutzungsanspruch nach § 11 Abs. 6 i.V.m. § 10 Abs. 1 Satz 1 BArchG in Rede steht. Die von der Revision den gesetzlichen Vorschriften entnommene Angleichung der Voraussetzungen von Anbietungspflicht und Nutzungsanspruch auch in diesen Fällen würde dem Gesetzeszweck der Verbesserung der Nutzer- und Wissenschaftsfreundlichkeit letztlich ohne erkennbaren Sachgrund zuwiderlaufen.
47
(3) Dass die letzte inhaltliche Bearbeitung eines Vorgangs im Sinne des § 1 Nr. 5 BArchG mit der letzten inhaltlichen Bearbeitung der Gesamtakte zusammenfallen müsste, folgt entgegen der Ansicht der Revision auch nicht aus “archivbezogenen Vorgaben” des Bundesverfassungsschutzgesetzes.
48
Zwar ordnet § 13 Abs. 3 Satz 1 BVerfSchG an, dass eine Akte zu vernichten ist, wenn sie insgesamt zur Erfüllung der Aufgaben des Bundesamtes für Verfassungsschutz nicht oder nicht mehr erforderlich ist. Ferner bestimmt § 13 Abs. 3 Satz 7 BVerfSchG, dass eine Vernichtung der Akte nicht erfolgt, wenn sie nach den Vorschriften des Bundesarchivgesetzes dem Bundesarchiv zur Übernahme anzubieten und zu übergeben ist. Soweit die Beklagte diesen Vorschriften entnimmt, dass es sich bei der Weitergabe von Akten des Bundesamtes für Verfassungsschutz an das Bundesarchiv um ein Surrogat zur Aktenvernichtung handele und beide Pflichten daher im Ausgangspunkt unter den gleichen Voraussetzungen stehen müssten, verkennt sie das systematische Verhältnis zwischen den Vorschriften beider Gesetze. Die Anbietung und Abgabe von Unterlagen nach § 5 Abs. 1 BArchG kann gerade nicht als “Surrogat” der Aktenvernichtung nach § 13 Abs. 3 BVerfSchG qualifiziert werden. Vielmehr steht – im Gegenteil – die Pflicht und Befugnis des Bundesamtes für Verfassungsschutz zur Vernichtung von Akten von vornherein unter dem Vorbehalt, dass diese Akten nicht nach den Vorschriften des Bundesarchivgesetzes dem Bundesarchiv zur Übernahme anzubieten und zu übergeben sind. Dass in § 13 Abs. 3 Satz 7 BVerfSchG nicht Unterlagen oder Vorgänge, sondern Akten als Gegenstand der Anbietungspflicht erwähnt werden, findet seine Erklärung darin, dass die Vorschrift an § 13 Abs. 3 Satz 1 BVerfSchG anknüpft, der aus Gründen der Aktenvollständigkeit (vgl. BT-Drs. 18/4654 S. 29) eine Vernichtung von Aktenteilen nicht vorsieht. Hieraus folgt jedoch nicht, dass die in einer Akte enthaltenen Unterlagen auch nach den Vorschriften des Bundesarchivgesetzes – z.B. in Bezug auf die hier relevante Berechnung der allgemeinen Schutzfrist – einheitlich zu behandeln sind.
49
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.


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