Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Umfang der Bindungswirkung des § 35 ZPO bei nachträglicher objektiver Klagehäufung

Aktenzeichen  101 AR 154/20

Datum:
10.2.2021
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 1758
Gerichtsart:
BayObLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 22, § 35, § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2, § 38 Abs. 1, § 281 Abs. 2 S. 4
GG Art. 103 Abs. 1

 

Leitsatz

Zur Frage der Bindungswirkung i. S. d. § 35 ZPO bei objektiver Klagehäufung mit fehlerbehafteter Wahl für einzelne Ansprüche
1. Verweist das Gericht den gesamten Rechtsstreit bei objektiver Klagehäufung, ohne dabei auf einen Streitgegenstand einzugehen, der die eigene Zuständigkeit begründet, verletzt es den Anspruch auf rechtliches Gehör und die Verweisung hat keine Bindungswirkung. (Rn. 20 – 27) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ist bei objektiver Klagehäufung für einzelne Ansprüche eine örtliche Zuständigkeit nicht gegeben, so tritt dennoch gemäß § 35 ZPO Bindungswirkung bezüglich der Ansprüche ein, für die eine örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts besteht. Es kommt daher nur eine Verfahrenstrennung mit Teilverweisung in Betracht. (Rn. 36 – 40) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Nürnberg ist nicht bindend.
Die Sache wird an das Amtsgericht Nürnberg zurückgegeben.

Gründe

I.
Die Klägerin ist ein Softwareunternehmen und IT-Dienstleister für Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater in der Rechtsform einer Genossenschaft. Der Beklagte ist Rechtsanwalt.
Mit Mahnbescheid vom 8. Mai 2020 hat die Klägerin gegen den Beklagten beim Amtsgericht Coburg – Zentrales Mahngericht – die Bezahlung eines Betrags in Höhe von 94,01 € nebst Verzugszinsen aus „Dienstleistungsvertrag gem. Rechnung (…) vom 31. Januar 2019“ sowie „Mahnkosten“ in Höhe von 40,00 € geltend gemacht. Nachdem der Beklagte Widerspruch eingelegt hat, ist das Verfahren – wie im Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids angegeben – an das Amtsgericht Nürnberg abgegeben worden.
Mit Anspruchsbegründung vom 20. August 2020 hat die Klägerin die Zahlungsklage um einen Betrag in Höhe von 765,00 € erweitert.
Zur Begründung hat sie ausgeführt, sie verlange von dem Beklagten den Ausgleich der Forderungen für die von ihr erbrachten Leistungen im Januar 2019 gemäß Abrechnung vom 31. Januar 2019 in Höhe von 94,01 € (Anlage K 2); auf diese habe der Beklagte keine Zahlungen geleistet. In der Rechnung – die an den Beklagten als Rechtsanwalt gerichtet worden ist – sei zum einen die Grundgebühr enthalten, die der Beklagte dafür schulde, dass er bei ihr Mandantendaten gespeichert habe. Darüber hinaus sei ihre datenverarbeitende Leistung in Anspruch genommen worden, wofür die vertraglich vereinbarte Gegenleistung in Rechnung gestellt worden sei. Schließlich habe der Beklagte mit ihr Softwarelizenzverträge geschlossen; danach habe sie die bestellte Software für die Datenverarbeitung im Büro des Beklagten zur Verfügung gestellt, während sich dieser verpflichtet habe, hierfür monatliche Gebühren gemäß Preisliste zu bezahlen.
Die Geltendmachung der Pauschale beruhe auf § 288 Abs. 5 BGB.
Außerdem sei der Beklagte mit Schreiben vom 14. Dezember 2018 erfolglos darauf hingewiesen worden, dass er Geschäftsanteile in Höhe von 765,00 € zu bezahlen habe. Der Beklagte sei seit Dezember 2018 Mitglied der Genossenschaft. Gemäß §§ 7, 7a GenG i. V. m. § 14 ihrer Satzung sei jedes Mitglied verpflichtet, drei Anteile zu übernehmen. Ein Anteil betrage 255,00 €.
Die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Nürnberg ergebe sich aus § 22 ZPO, denn danach sei das Gericht, bei dem die Genossenschaft ihren allgemeinen Gerichtsstand habe, für diejenige Klage zuständig, die von der Genossenschaft gegen ihre Mitglieder erhoben werde. Zudem seien auf die vertraglichen Beziehungen ihre Geschäftsbedingungen anzuwenden; diese lauten in Ziffer 25.1 (Anlage K 1):
„Ausschließlicher Gerichtsstand ist Nürnberg. Für Nichtkaufleute gilt diese Vereinbarung nur in Ermangelung eines inländischen Gerichtsstandes.“
Nach Zustellung der Anspruchsbegründung hat der Beklagte mit Schreiben vom 30. September 2020 gerügt, das Amtsgericht Nürnberg sei nicht zuständig. Er sei kein Kaufmann. Die Gerichtsstandsvereinbarung sei daher „nichtig“.
Daraufhin hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 16. Oktober 2020 unter Hinweis darauf, dass davon ausgegangen werde, dass der Beklagte als Rechtsanwalt kein Kaufmann sei, die Verweisung des Rechtsstreits an das für den Wohnsitz des Beklagten zuständige Amtsgericht Mitte beantragt. Zu diesem Schriftsatz ist dem Beklagten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden, von der er keinen Gebrauch gemacht hat.
Mit Beschluss vom 11. November 2020 hat das Amtsgericht Nürnberg den Streitwert auf 94,01 € festgesetzt (Tenor Ziffer 1), sich für örtlich unzuständig erklärt (Tenor Ziffer 2) und den Rechtsstreit an das Amtsgericht Mitte verwiesen (Tenor Ziffer 3). Zur Begründung hat es ausgeführt, die Entscheidung beruhe auf § 281 Abs. 1 ZPO. Das angegangene Gericht sei örtlich unzuständig. Auf Antrag der Klägerin habe es sich für unzuständig zu erklären und den Rechtsstreit an das örtlich zuständige Gericht zu verweisen.
Nach Eingang der Akten beim Amtsgericht Mitte hat dieses am 26. November 2020 die Übernahme des Rechtsstreits abgelehnt und sich für örtlich unzuständig erklärt. Die Akten seien dem Oberlandesgericht Nürnberg zur Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 36 ZPO vorzulegen. Die Klägerin mache gegen den Beklagten, dessen Wohnsitz sich im Zuständigkeitsbereich des Amtsgerichts Mitte befinde, als Mitglied der Genossenschaft Mitgliedsbeiträge geltend. Die Zuständigkeit des Amtsgerichts Mitte sei nicht gegeben. Die Klägerin habe die ihr nach § 35 ZPO zustehende Wahl des Gerichtsstands unwiderruflich zugunsten des Gerichtsstands der Mitgliedschaft bei dem Amtsgericht Nürnberg ausgeübt und die Wahl in der Anspruchsbegründung sogar ausführlich begründet. Dass daneben die Gerichtsstandsvereinbarung mangels Kaufmannseigenschaft des Beklagten nicht greifen möge, sei unerheblich. Zudem ergebe sich aus dem Verweisungsbeschluss nicht einmal, dass das Amtsgericht Nürnberg seine Zuständigkeit aus diesem Grund verneine. Der Verweisungsbeschluss sei objektiv willkürlich und nicht bindend. Das Amtsgericht Nürnberg sei nach § 22 ZPO zuständig. Weshalb auf den unerheblichen Einwand des Beklagten eine Verweisung unter Missachtung der Zuständigkeit nach § 22 ZPO erfolgt sei, sei in keiner Weise nachvollziehbar und werde mit keinem Wort begründet.
Das Oberlandesgericht Nürnberg hat das Verfahren an das Bayerische Oberste Landesgericht abgegeben.
Die Parteien sind vom Senat angehört worden.
Die Klägerin hat vorgebracht, das Amtsgericht Nürnberg sei in dem Verfahren gegen ihr Mitglied örtlich zuständig. Die Klage betreffe mit den offenen Mitgliedsbeiträgen auch das Rechtsverhältnis der Mitgliedschaft selbst. Dass daneben noch die Forderung aus der Rechnung vom 31. Januar 2019 geltend gemacht werde, sei unschädlich. Diesbezüglich ergebe sich die Zuständigkeit aus §§ 12, 13 ZPO. Nachdem mehrere – nicht ausschließliche – Gerichtsstände einschlägig seien, habe sie von ihrem Wahlrecht nach § 35 ZPO im Rahmen der Anspruchsbegründung Gebrauch gemacht und das Amtsgericht Nürnberg gewählt.
Der Beklagte hat sich nicht geäußert.
II.
Auf die zulässige Vorlage des Amtsgerichts Mitte ist auszusprechen, dass der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom 11. November 2020 keine Bindungswirkung entfaltet (dazu 2.). Die Sache ist – auch zur Nachholung der gebotenen Sachaufklärung – an das Ausgangsgericht zurückzugeben (dazu 3.).
1. Die Voraussetzungen für die Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO (vgl. Schultzky in Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 36 Rn. 34 ff. m. w. N.) durch das Bayerische Oberste Landesgericht liegen vor.
Das Amtsgericht Nürnberg hat sich nach Rechtshängigkeit der Streitsache durch unanfechtbaren Verweisungsbeschluss vom 11. November 2020 für unzuständig erklärt, das Amtsgericht Mitte durch die die Übernahme ablehnende Entscheidung vom 26. November 2020. Die jeweils ausdrücklich ausgesprochene Leugnung der eigenen Zuständigkeit erfüllt das Tatbestandsmerkmal „rechtskräftig“ im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 15. August 2017, X ARZ 204/17, NJW-RR 2017, 1213 Rn. 12 m. w. N.; Schultzky in Zöller, ZPO, § 36 Rn. 34 f. m. w. N.). Dem steht nicht entgegen, dass das Amtsgericht Mitte die Parteien vor seiner Entscheidung nicht gehört hat, denn es hat seine Entscheidung den Parteien zumindest nachträglich bekannt gemacht, so dass diese nicht mehr als gerichtsinterner Vorgang angesehen werden kann, der die Anforderungen des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO nicht erfüllte (vgl. BayObLG, Beschluss vom 8. April 2020, 1 AR 18/20, juris Rn. 8 m. w. N.).
Zuständig für die Bestimmungsentscheidung ist nach § 36 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 9 EGZPO das Bayerische Oberste Landesgericht, weil die Bezirke der am negativen Kompetenzkonflikt beteiligten Gerichte zu den Zuständigkeitsbereichen unterschiedlicher Landgerichte (Nürnberg und Berlin) gehören, so dass das für sie gemeinschaftliche im Rechtszug zunächst höhere Gericht der Bundesgerichtshof ist (vgl. BayObLG, Beschluss vom 24. September 2019, 1 AR 83/19, juris Rn. 5 ff.). An dessen Stelle entscheidet das Bayerische Oberste Landesgericht, weil das mit der Rechtssache zuerst befasste Gericht in Bayern liegt.
2. Der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Nürnberg entfaltet ausnahmsweise keine Bindungswirkung nach § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO.
a) Der Gesetzgeber hat in § 281 Abs. 2 Sätze 2 und 4 ZPO die grundsätzliche Unanfechtbarkeit von Verweisungsbeschlüssen und deren Bindungswirkung angeordnet. Auch ein sachlich zu Unrecht oder verfahrensfehlerhaft ergangener Verweisungsbeschluss entzieht sich danach grundsätzlich der Nachprüfung. Dies hat der Senat im Verfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu beachten. Im Falle eines negativen Kompetenzkonflikts innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit ist daher grundsätzlich das Gericht als zuständig zu bestimmen, an das die Sache in dem zuerst ergangenen Verweisungsbeschluss verwiesen worden ist.
Nach ständiger Rechtsprechung kommt einem Verweisungsbeschluss allerdings dann keinerlei Bindungswirkung zu, wenn dieser schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen angesehen werden kann, etwa weil er auf der Verletzung rechtlichen Gehörs beruht oder weil er jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet werden muss (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 9. Juni 2015, X ARZ 115/15, NJW-RR 2015, 1016 Rn. 9; Beschluss vom 10. September 2002, X ARZ 217/02, NJW 2002, 3634 [juris Rn. 13 f.]; Greger in Zöller, ZPO, § 281 Rn. 16).
c) Bei Anlegung dieses Maßstabs entfaltet der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Nürnberg keine Bindungswirkung, weil er gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs verstößt.
aa) Art. 103 Abs. 1 GG garantiert den Beteiligten an einem gerichtlichen Verfahren die Gelegenheit, sich zu dem einer gerichtlichen Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt vor der Entscheidung zu äußern und verpflichtet die Gerichte, dass die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen werden. Zwar schützt Art. 103 Abs. 1 GG nicht vor falschen Entscheidungen und legt den Gerichten nicht die Pflicht auf, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Es ist vielmehr grundsätzlich davon auszugehen, dass das Gericht das Vorbringen eines Beteiligten zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Wenn allerdings im Einzelfall aus besonderen Umständen heraus das Gegenteil deutlich wird, kann eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör vorliegen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2020, 1 BvR 117/16, juris Rn. 12; Beschluss vom 19. Mai 1992, 1 BvR 986/91, BVerfGE 86, 133/146 [juris Rn. 39]; Beschluss vom 8. Oktober 1985, 1 BvR 33/83, BVerfGE 70, 288/293 [juris Rn. 16]; Beschluss vom 22. November 1983, 2 BvR 399/81, BVerfGE 65, 293/295 f. [juris Rn. 11]).
bb) Ein solcher Ausnahmefall liegt hier vor.
Das Amtsgericht Nürnberg hat den Rechtsstreit insgesamt verwiesen, jedoch zugleich den Streitwert auf lediglich 94,01 € festgesetzt, obwohl die Klägerin mit der Anspruchsbegründung die Klage erweitert und sich auf den Gerichtsstand der Mitgliedschaft nach § 22 ZPO berufen hat. In dem Beschluss wird nur formelhaft ausgeführt, das angegangene Gericht sei örtlich unzuständig. Als Teilverweisung kann der Verweisungsbeschluss nicht verstanden werden. Das Verfahren ist beim Amtsgericht Nürnberg nicht hinsichtlich des auf die Mitgliedschaft gestützten Klageantrags fortgesetzt worden.
Entgegen der üblichen Vermutung, dass eine Klageerweiterung sowie Vorbringen zu einem besonderen Gerichtsstand für den zusätzlich eingeführten Streitgegenstand vom Gericht zur Kenntnis genommen und erwogen wird, lässt der Verweisungsbeschluss darauf schließen, dass das Amtsgericht Nürnberg das Vorbringen der Klägerin in der Anspruchsbegründung entweder nicht zur Kenntnis genommen oder jedenfalls nicht erwogen hat. Der Streitwertbeschluss sowie der pauschale Hinweis auf die eigene Unzuständigkeit, der keinerlei konkret auf die Sache bezogene Begründungen enthält, sind nicht geeignet, zu erkennen zu geben, dass sich das Amtsgericht Nürnberg mit dem Schriftsatz der Klägerin vom 20. August 2020 befasst hat. Das Gericht verletzt den Anspruch auf rechtliches Gehör, wenn es einen zulässig eingereichten Schriftsatz übersieht (BVerfGE 70, 288/295 [juris Rn. 22]).
3. Eine Bestimmung des zuständigen Gerichts kann in der Streitsache nicht erfolgen, weil unter Berücksichtigung der allgemeinen Zuständigkeitsvorschriften und eingetretenen verfahrensrechtlichen Bindungswirkungen das für den gesamten Rechtsstreit zuständige Gericht nicht ermittelt werden kann; der Rechtsstreit ist – unter deklaratorischer Feststellung der fehlenden Bindung des Verweisungsbeschlusses – an das verweisende Gericht zurückzugeben, damit dieses die erforderliche verfahrensrechtliche Aufklärung nachholen und gegebenenfalls sodann – nach Trennung des Verfahrens – hinsichtlich des auf die Bezahlung des Betrags von 94,01 € gerichteten Klageantrags erneut verweisen kann.
aa) Die Parteien haben keine wirksame, auf den Amtsgerichtsbezirk Nürnberg lautende Gerichtsstandsvereinbarung, § 38 Abs. 1 ZPO, abgeschlossen. Der Beklagte ist kein Kaufmann.
bb) Unstreitig liegt der allgemeine Gerichtsstand des Beklagten im Amtsgerichtsbezirk Mitte, §§ 12, 13 ZPO.
cc) Soweit der rückständige Rechnungsbetrag in Höhe von 94,01 € und die Pauschale nach § 288 Abs. 5 BGB für die IT-Leistungen geltend gemacht werden, ist ein besonderer, beim Amtsgericht Nürnberg liegender Gerichtsstand, etwa nach § 29 Abs. 1 ZPO, nicht ersichtlich. Durch die Angabe des zuständigen Gerichts im Mahnantrag, § 690 Abs. 1 Nr. 5 ZPO, ist keine Bindung eingetreten, da das Amtsgericht Nürnberg für diesen Klageantrag unzuständig ist; die Klägerin konnte noch durch den Verweisungsantrag, § 281 Abs. 1 ZPO, wählen (vgl. Schultzky in Zöller, ZPO, § 35 Rn. 2; Patzina in Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2020, § 35 Rn. 7).
dd) Jedoch besteht beim Amtsgericht Nürnberg der besondere Gerichtsstand des § 22 ZPO für die auf die Bezahlung der Genossenschaftsanteile gerichtete Klage; diesen hat die Klägerin bereits mit Erhebung dieses Antrags bindend und unwiderruflich gewählt, § 35 ZPO.
(1) Nach § 22 ZPO ist das Gericht, bei dem eine Genossenschaft ihren allgemeinen Gerichtsstand hat, für die Klagen zuständig, die von ihr gegen die Mitglieder als solche erhoben werden. Der allgemeine Gerichtsstand einer Genossenschaft wird gemäß §§ 12, 17 Abs. 1 Satz 1 ZPO durch ihren Sitz bestimmt; dieser liegt hier in Nürnberg. Der vorliegende Rechtsstreit hat, soweit es um die Genossenschaftsanteile geht, die Klage einer Genossenschaft gegen ein Mitglied als solches i. S. d. § 22 ZPO zum Gegenstand. Mit der hierauf gerichteten Zahlungsklage werden gesellschaftsrechtliche Ansprüche der Klägerin gegen den Beklagten geltend gemacht. Dieser wird als Mitglied der Klägerin in Anspruch genommen. § 22 ZPO begründet einen besonderen Gerichtsstand im Übrigen auch für Klagen, bei denen die Personenvereinigung von ihren Mitgliedern nach Beendigung der Mitgliedschaft Beitragszahlungen verlangt (vgl. BayObLG, Beschluss vom 15. Mai 2019, 1 AR 32/19, juris Rn. 20 m. w. N.). Die klägerische Genossenschaft hätte daher die Klage, soweit diese die Mitgliedschaft des Beklagten betrifft, bei dem nach § 22 ZPO örtlich zuständigen Gericht selbst dann erhoben, wenn der Beklagte nicht mehr Genossenschaftsmitglied wäre.
Die Angabe des Streitgerichts in einem Mahnantrag bezieht sich nur auf den Gegenstand des Mahnverfahrens. Da die Klägerin ihre Ansprüche aus der Mitgliedschaft erst im Weg der Klageerweiterung in den Prozess eingeführt hat, war ihr Wahlrecht gemäß § 35 ZPO noch nicht verbraucht (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 12. April 2006, 15 AR 6/06, juris Rn. 14 f.).
(2) Die Wahl des Gerichtsstands Nürnberg für die Klage aus der Mitgliedschaft, § 22 ZPO, ist bindend, § 35 ZPO, obwohl das angerufene Amtsgericht Nürnberg für den weiteren, auf die Bezahlung der IT-Leistungen gerichteten Klageantrag unzuständig ist und eine Zuständigkeit für den Rechtsstreit insgesamt beim Amtsgericht Nürnberg gegeben wäre.
Die Frage der Bindungswirkung i. S. d. § 35 ZPO bei objektiver Klagehäufung mit fehlerbehafteter Wahl für einzelne Ansprüche ist streitig.
Ein Teil der Kommentarliteratur vertritt – zumeist unter Hinweis auf die Entscheidung des Landgerichts Frankfurt am Main vom 4. Juli 2018, 6 O 73/18, NJW-RR 2018, 1216 Rn. 7 – die Auffassung, die Wahl des Gerichtsstands sei bei objektiver Klagehäufung nur dann wirksam ausgeübt, wenn das Gericht für alle in einer Klage verbundenen Ansprüche zuständig sei. Sei dies nicht der Fall, könne die Klage nach § 281 ZPO insgesamt an ein für alle verbundenen Ansprüche zuständiges Gericht verwiesen werden (vgl. Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 41. Aufl. 2020, § 35 Rn. 2; Schultzky in Zöller, ZPO, § 35 Rn. 3; Toussaint in BeckOK ZPO, 39. Ed. Stand: 1. Dezember 2020, § 35 Rn. 11.2; Heinrich in Musielak/Voit, ZPO, 17. Aufl. 2020, § 35 Rn. 3; Chasklowitz in Kern/Diehm, ZPO, 2. Aufl. 2020, § 35 Rn. 3; Smid/Hartmann in Wieczorek/Schütze, ZPO, 5. Aufl. 2020, § 35 Rn. 2; vgl. auch LG Berlin, Beschluss vom 16. September 2020, 2 O 426/19, juris Rn. 27; offenlassend: Fischer, MDR 2020, 75 Rn. 17 ff.).
Nach anderer Auffassung in der obergerichtlichen Rechtsprechung gibt es in einem solchen Fall keinen Gerichtsstand „kraft Sachzusammenhangs“ oder der „Prozessökonomie“. Der Kläger könne – vorbehaltlich der hier nicht gegebenen Fallkonstellation, dass er das Wahlrecht nicht habe kennen können – eine einmal ausgeübte Wahl nicht nachträglich ändern. Der Zweck des § 281 ZPO gebiete in einem solchen Fall eine – die Verfahrenstrennung einschließende – Teilverweisung (OLG Hamm, Beschluss vom 23. November 2018, 32 SA 51/18, NJW-RR 2019, 408 Rn. 14).
Der Senat schließt sich jedenfalls für einen Fall wie hier der zuletzt genannten Auffassung an. Die Klägerin hatte Kenntnis von der fehlenden Kaufmannseigenschaft des Beklagten und damit von dem Umstand, dass beim Amtsgericht Nürnberg kein Gerichtsstand nach § 38 Abs. 1 ZPO für die auf die Vergütung der IT-Leistung gerichteten Ansprüche eröffnet gewesen ist. Dennoch hat sie für den im Wege der Klageerweiterung geltend gemachten Anspruch den Gerichtsstand des § 22 ZPO in Nürnberg gewählt. Der in § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO verankerte Grundsatz der Zuständigkeitsfortdauer erfordert, dass die äußerste zeitliche Grenze für die Ausübung des Wahlrechts der Eintritt der Rechtshängigkeit bei einem von mehreren zuständigen Gerichten ist (vgl. Patzina in Münchener Kommentar zur ZPO, § 35 Rn. 4; OLG Hamm, Beschluss vom 21. Oktober 2011, 31 SA 72/11, juris Rn. 21). Ein Ausnahmefall, der eine andere Bewertung rechtfertigt, liegt nicht vor.
ee) Es kommt somit nur eine Teilverweisung durch das Amtsgericht Nürnberg in Betracht, falls der Beklagte sich nicht rügelos einlässt (§ 39 ZPO) und die Klägerin einen entsprechenden Antrag stellt. Der mit Schriftsatz der Klägerin vom 16. Oktober 2020 gestellte Antrag auf Verweisung an das Amtsgericht Mitte kann nicht (auch) als ein (hilfsweise gestellter) Antrag auf Teilverweisung nur hinsichtlich des auf Bezahlung der IT-Leistungen gerichteten Klageantrags behandelt werden (vgl. BayObLG, Beschluss vom 8. April 2020, 1 AR 23/20, juris Rn. 31; zur Aufklärungspflicht des Gerichts bei einem Antrag, an ein bestimmtes Gericht zu verweisen: Thole in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2018, § 281 Rn. 26). Auf die Vorlage der Anlage K 3, die der Anspruchsbegründung nicht beiliegt, sollte hingewirkt werden.


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