Verwaltungsrecht

Flüchtlingseigenschaft, Freiheitsstrafe, Wiederholungsgefahr, Summarische Prüfung, Aufenthaltsrecht, Prognoseentscheidung, Maßgeblicher Zeitpunkt, Verwaltungsgerichte, Abschiebungsverbot, Flüchtlingsanerkennung, Einstweiliger Rechtsschutz, Antragstellers, Widerrufsverfügung, Widerrufsverfahren, Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, Schwere Straftat, Strafverfahrensrecht, Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit, Vorsätzliche Körperverletzung, Sofortige Vollziehbarkeit

Aktenzeichen  M 31 S 20.33463

Datum:
11.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 2777
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
AsylG § 73 Abs. 1 S. 1, § 75 Abs. 2 S. 1 Nr. 1
AufenthG § 60 Abs. 8 S. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen den Widerruf seiner Flüchtlingseigenschaft wegen Straffälligkeit.
Der Antragsteller ist afghanischer Staatsangehöriger. Auf seinen Asylantrag vom 23. April 2013 hin erkannte das Bundesamt für … (im Folgenden: Bundesamt) dem Antragsteller mit Bescheid vom 30. Mai 2017 die Flüchtlingseigenschaft zu, während es den Antrag auf Asylanerkennung ablehnte. Der Bescheid ist seit 20. Juni 2017 bestandskräftig.
Mit Urteil des Amtsgerichts Ebersberg vom 13. Juni 2018 (Az.: 7 Ls 51 Js 38226/16) wurde der Antragsteller wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die Berufungen des Antragstellers und der Staatsanwaltschaft wurden vom Landgericht München II mit Urteil vom 4. April 2019 (8 Ns 51 Js 38226/15) als unbegründet verworfen. Rechtskraft trat am 28. November 2019 ein.
Mit Bescheid vom 9. Dezember 2020, als Einschreibesendung zur Post gegeben am 15. Dezember 2020, widerrief das Bundesamt nach vorheriger Anhörung des Antragstellers die mit Bescheid vom 30. Mai 2017 zuerkannte Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1), erkannte den subsidiären Schutzstatus nicht zu (Nr. 2) und stellte fest, dass beim Antragsteller das Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Afghanistans vorliegt (Nr. 3). Zur Begründung wird ausgeführt, dass die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG entfiele, weil der Antragsteller wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden sei. Von einer Wiederholungsgefahr sei auszugehen. Der Antragsteller sei gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 4 AsylG von der Zuerkennung des subsidiären Schutzes ausgeschlossen. Aufgrund der im Anerkennungsverfahren gewonnenen Überzeugung liege beim Antragsteller allerdings aufgrund seiner Tätigkeit als Polizist, der Teilnahme an einem Gefecht mit Talibankämpfern und der daraus resultierenden Bedrohung des Antragstellers und seiner Familie das Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG vor.
Der Antragsteller hat durch seine Bevollmächtigten am 28. Dezember 2020 Klage erhoben, mit der er die Aufhebung des Bescheids vom 9. Dezember 2020 in dessen Nrn. 1 und 2 begehrt. Gleichzeitig beantragt er,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Klage und Eilantrag wurden mit Schriftsatz der Bevollmächtigten vom 7. Januar 2021 begründet.
Die Antragsgegnerin hat die Akten auf elektronischem Wege vorgelegt. Zur Sache hat sie sich nicht geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakte in diesem sowie im Hauptsacheverfahren M 31 K 20.32462 Bezug genommen.
II.
Der nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG statthafte und auch im Übrigen zulässige Antrag, sinngemäß gerichtet auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Widerruf der Flüchtlingsanerkennung in Nr. 1 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 9. Dezember 2020, bleibt in der Sache ohne Erfolg. Er ist unbegründet.
Die Widerrufsverfügung in Nr. 1 des streitbefangenen Bescheids des Bundesamts erweist sich bei der im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotenen summarischen Prüfung zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG) als rechtmäßig, sodass das öffentliche Interesse an der Vollziehbarkeit des Widerrufs der Flüchtlingsanerkennung das Interesse des Antragstellers an seiner Suspendierung überwiegt.
Gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Dies ist nicht nur dann der Fall, wenn dem Ausländer infolge der Änderung der maßgeblichen Verhältnisse im Herkunftsstaat keine Verfolgung mehr droht, sondern auch, wenn inzwischen von ihm nach Maßgabe von § 60 Abs. 8 AufenthG eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder für die Allgemeinheit ausgeht (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 1.11.2005 – 1 C 21.04 – juris Rn. 32).
Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 der Vorschrift ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG. Ein Ausländer erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG u.a., wenn er eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist (§ 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG). Ist ein Flüchtling rechtskräftig zu einer mindestens dreijährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden, ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles weiter zu prüfen, ob diese Verurteilung die Annahme rechtfertigt, dass er tatsächlich eine Gefahr für die Allgemeinheit im Sinne des § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG darstellt (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 17.12 – juris Rn. 15). Erforderlich ist insoweit, dass eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten ernsthaft droht. Zu den in die Prognoseentscheidung einzubeziehenden Umständen gehören insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung und das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts ebenso wie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zu dem maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt. Dabei ist allerdings auch die der gesetzlichen Regelung zugrundeliegende Wertung zu beachten, dass Straftaten, die so schwerwiegend sind, dass sie zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren geführt haben, typischerweise mit einem hohen Wiederholungsrisiko verknüpft sind (vgl. BVerwG, U.v. 16.11.2000 – 9 C 6.00 – juris Rn. 16). Auch lässt allein der Umstand, dass der Ausländer die Freiheitsstrafe verbüßt hat (oder verbüßt haben wird), nicht auf einen Wegfall des Wiederholungsrisikos schließen. Denn rechtskräftige Verurteilungen im Sinne des § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG führen regelmäßig zur Verbüßung der Freiheitsstrafe, da eine Aussetzung ihrer Vollstreckung zur Bewährung nach § 56 StGB wegen der Strafhöhe von vornherein nicht in Betracht kommt. Würde der bloße mit der Strafverbüßung verbundene Zeitablauf regelmäßig zum Wegfall des Ausschlussgrundes führen, liefe die Regelung des § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG praktisch weitgehend leer (vgl. BVerwG, aaO; OVG Nordrhein-Westfalen, U.v. 29.7.2008 – 15 A 620/07.A – juris Rn. 32). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden einer Straftat ist (vgl. BVerwG, U.v. 4.10.2012 – 1 C 13.11 – juris Rn. 18).
Der Antragsteller erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG aufgrund seiner seit 28. November 2019 rechtskräftigen Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren wegen des Verbrechens der Vergewaltigung (§ 177 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 und 2 Nr. 1 a.F., § 12 Abs. 1 StGB) in Tateinheit mit dem Vergehen der vorsätzlichen Körperverletzung (§ 223 Abs. 1, § 230 Abs. 1 StGB) sowie der nach summarischer Prüfung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zur Überzeugung des Gerichts auch im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG) gegebenen Gefahr für die Allgemeinheit. Das Gericht ist nach Aktenlage der Überzeugung, dass vom Antragsteller eine Gefahr für die Allgemeinheit ausgeht, weil auch aktuell eine konkrete Wiederholungsgefahr besteht.
Gegen den Antragsteller spricht bereits das vorgenannte, in § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG normativ vertypte hohe Wiederholungsrisiko bei Straftaten, die eine Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren nach sich gezogen haben. Da der Gesetzgeber typisierend davon ausgeht, dass ab einer Freiheitsstrafe von drei Jahren ein kausaler Zusammenhang zwischen einer Freiheitsstrafe in einer bestimmten Höhe und der Gefahr für die Allgemeinheit besteht, greift diese Betrachtungsweise zulasten des Antragstellers mit dem Erreichen der Strafmaßschwelle des § 60 Abs. 8 Satz 1 Hs. 2 AufenthG – unabhängig vom den weiteren hier für die Gefahrenprognose relevanten Faktoren (dazu sogleich nachfolgend) – ein. Bereits dies stellt ein nicht unerhebliches Indiz für die Annahme einer Wiederholungsgefahr dar.
Die vom Antragsteller begangenen Straftaten bringen nach Aktenlage und im Rahmen einer summarischen Prüfung zudem – auch unabhängig vom Vorstehenden – als solche das fortdauernde Vorhandensein erheblicher krimineller Energie zum Ausdruck. Die Verwaltungsgerichte sind bei der Prüfung zu einer eigenständigen Prognose über die Wiederholungsgefahr berufen und an die Feststellungen und Beurteilung der Strafgerichte rechtlich nicht gebunden. Sie können beispielsweise auch sonstige, den Strafgericht möglicherweise nicht bekannte oder von ihnen nicht beachtete Umstände des Einzelfalls heranziehen und treffen ihre aufenthaltsrechtliche Prognoseentscheidung aufgrund einer eigenen Würdigung und Wertung der Tatsachengrundlage und rechtlichen Umstände (vgl. BVerwG, U.v. 16.11.2000 – 9 C 6.00 – juris Rn. 17).
Der Antragsteller neigt nach der im Rahmen der hier gebotenen summarischen Prüfung gewonnenen Überzeugung des Gerichts dazu, seine eigenen Interessen, insbesondere im Zusammenhang mit der Befriedigung sexueller Bedürfnisse, auch mit nicht unerheblicher körperlicher Gewalt gegen Dritte durchzusetzen und dabei physische wie psychische Verletzungen jedenfalls billigend in Kauf zu nehmen. Die Ausführung der gegen die Geschädigte verübten Straftaten zeigen dies beispielhaft und signifikant auf. Diese Neigung besteht nach summarischer Prüfung bei ihm unverändert fort, auch wenn der Antragsteller weder vor noch nach der Tat erneut strafrechtlich in Erscheinung getreten ist. Der Antragsteller zwang die Geschädigte durch Anwendung erheblicher körperlicher Gewalt in Gestalt mehrfacher Körperverletzungshandlungen (wuchtige Ohrfeige, Fixieren des Kopfes zwischen den Beinen, mehrfache Schläge mit den Fäusten gegen den Kopf und mit der flachen Hand, Würgen) über einen längeren Tageszeitraum zum Oralverkehr. Die Geschädigte litt auch noch Jahre nach der am 14. September 2016 begangenen Tat unter den davon herrührenden Belastungen (häufiges nächtliches Aufwachen, Albträume). Auch wenn ihr eine vormalige einvernehmliche sexuelle Beziehung zwischen dem Antragsteller und der Geschädigten und ein ambivalentes Kontaktverhalten der Geschädigten zugrunde lag, erweist sich die Tat, deren Ausführung über mehrere Stunden hin und unter Anwendung nicht unerheblicher körperlicher Gewalt erfolgte, als ganz erheblicher Eingriff in die körperliche und insbesondere sexuelle Integrität der Geschädigten mit auch nicht unerheblichen späteren psychischen Folgen. Aus dem strafrechtlich relevanten Verhalten des Antragstellers lässt sich nach Aktenlage auf eine hinreichende und konkrete Wahrscheinlichkeit auch weiterer Straffälligkeit, insbesondere der Begehung vergleichbarer Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung unter Ausnutzung eines Näheverhältnisses, schließen. Dabei sind mit Blick auf den Umstand, dass Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und körperliche Integrität regelfällig mit erheblichen Auswirkungen auf Leben und Gesundheit der Betroffenen, einhergehen, an die Wahrscheinlichkeit des entsprechenden Schadenseintritts keine überhöhten Anforderungen zu stellen. Namentlich ist hierbei auch zu beachten, dass dem Schutz von Gütern von hohem Verfassungsrang – hier nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG – als objektive Dimension der Grundrechte im Rahmen des Aufenthaltsrechts als Teil des Rechts der Gefahrenabwehr besondere Bedeutung zukommt.
Ob die allgemeine Rückfallquote bei Sexualdelikten im Vergleich zu vielen anderen Deliktsbereichen, zum Beispiel bei Verstößen gegen das Betäubungsmittelrecht, statistisch vergleichsweise eher niedrig ist, wie der Antragsteller ausführen lässt, kann offenbleiben, da es darauf bei der vorliegend anzustellenden konkreten Betrachtungsweise der in die Prognoseentscheidung einzustellenden Umstände des Einzelfalls nicht entscheidend ankommt.
Auch die des Weiteren maßgeblich gerügte Verletzung des im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) und den Grundrechten (Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG) verankerten Grundsatzes, dass niemand gezwungen werden darf, sich selbst zu belasten (nemo tenetur se ipsum accusare), liegt nicht vor. Dieser beinhaltet das Recht des Beschuldigten auf Aussage- und Entschließungsfreiheit im Strafverfahren. Dazu gehört, dass im Rahmen des Strafverfahrens niemand gezwungen werden darf, sich durch seine eigene Aussage einer Straftat zu bezichtigen oder zu seiner Überführung aktiv beizutragen (vgl. z.B. BVerfG, B.v. 6.9.2016 – 2 BvR 890/16 – juris Rn. 34). Das Bestreiten der Tat durch den Antragsteller stellte im Strafprozess ein ohne Weiteres zulässiges Verteidigungshandeln dar. Der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit im Strafverfahren führt im Rahmen der hier anzustellenden aufenthaltsrechtlichen Prognoseentscheidung indes nicht dazu, dass das Bestreiten der Tat, von dessen Begehung sowohl das Strafgericht als auch – im Rahmen der summarischen Prüfung – das erkennende Gericht überzeugt sind, nicht zulasten des Antragstellers gewertet werden dürfte. Ein gleichsam „doppeltes Recht“, nach dem Begehen einer Straftat einerseits im Strafverfahren die Aussage zu verweigern und zugleich trotz fehlender Mitwirkung von einer negativen aufenthaltsrechtlichen Prognoseentscheidung und damit dem Eingreifen des Ausschlusstatbestands nach § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG verschont zu bleiben, besteht nicht. Ein solches „Recht“ widerspräche dem Normzweck, Gefahren für die Allgemeinheit zu verhüten, die von Ausländern herrühren, die wegen eines Verbrechens oder besonders schwerer Vergehen rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden sind.
Das Aufenthaltsrecht ist als Teil des Gefahrenabwehrrechtes darauf angelegt, präventiv zu wirken und hat die Gewährleitung der Sicherheit der Allgemeinheit vor Gefahren, die von erheblich straffälligen Ausländern herrühren, mit Wirkung für die Zukunft zum Ziel. Der im Strafverfahrensrecht geltenden strenge Maßstab bei der Formalisierung der Beweisgewinnung und -verwertung hat im Gefahrenabwehrrecht allenfalls eingeschränkte Gültigkeit. Anders als der Beschuldigte im Strafverfahren, der sich nicht selbst zu belasten braucht – und auch von dessen Unschuld bis zum Beweis des Gegenteils ausgegangen werden muss -, hat der Betroffene im Aufenthaltsrecht bei Zweifeln an seiner zukünftigen Rechtstreue – hier mit Blick auf die Frage einer auch künftig bestehenden Gefahr der Begehung vergleichbarer schwerer Straftaten durch den Antragsteller – in seinem eigenen Interesse an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken; insoweit trifft ihn eine Obliegenheit – keine (erzwingbare) Pflicht -, an der Ermittlung solcher Umstände mitzuwirken, die sich auf die Frage des Vorliegens einer Wiederholungsgefahr i.S.d. § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG auswirken können. Verweigert ein Beteiligter Angaben zum Sachverhalt, hat das Verwaltungsgericht dies frei zu würdigen (vgl. § 108 Abs. 1 VwGO). Dies zugrunde gelegt, fehlt es dem Antragsteller – soweit nach Aktenlage ersichtlich – an der Einsichtsfähigkeit in sein bisheriges erhebliches Fehlverhalten, da er die abgeurteilten Straftaten nach wie vor in Abrede stellt. Ein entsprechender Wille zur Einsicht und Läuterung ist bei ihm nach Aktenlage nicht erkennbar. Gerade dies lässt die Wahrscheinlichkeit, dass es künftig zu ähnlich gelagerten erheblichen Verstößen kommt, prognostisch als gesteigert erscheinen.
Der nach alledem im Rahmen einer summarischen Prüfung begründeten Annahme einer auch künftig bestehenden Gefahr der Begehung weiterer vergleichbar schwerer Straftaten durch den Antragsteller steht im Übrigen auch voraussichtlich weder der Umstand entgegen, dass der Antragsteller als Ersttäter auch erstmals eine Haftstrafe verbüßt, noch entfällt eine Wiederholungsgefahr im Hinblick auf die von ihm mit der Familie F., namentlich Frau R.F. (vgl. Schreiben vom 22.10.2020, S. 118 ff. der Behördenakte zum Widerrufsverfahrens), gepflogenen Kontakte und die damit im Zusammenhang stehenden Betreuungs- und Integrationsbemühungen.
Notwendige Voraussetzung für eine dem Antragsteller günstige Prognose wäre es nach der aufgrund summarischer Prüfung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gewonnenen gerichtlichen Überzeugung jedenfalls, dass er sich ernsthaft mit seinen Straftaten und dem dabei an den Tag gelegten Tatverhalten auseinandergesetzt und aus dabei erzielter (Schuld-) Einsicht heraus Läuterung und stabile neue Orientierung gewonnen hätte. Dies ist indes nach Aktenlage nicht der Fall.
Daher spricht im Rahmen der gebotenen summarischen Prüfung bei einer Gesamtschau aller für und gegen den Antragsteller sprechenden Umstände Überwiegendes dafür, dass eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten – also von Sexualstraftaten gegen Frauen, zu denen der Antragsteller ein Näheverhältnis entwickelt, sowie auch allgemein eine Durchsetzung persönlicher Interessen gegenüber Dritten mit nicht unerheblicher körperlicher Gewalt – mit hinreichender Wahrscheinlichkeit konkret droht.
Stellt der Antragsteller damit nach der im Rahmen der summarischen Prüfung des einstweiligen Rechtsschutzes gewonnenen gerichtlichen Überzeugung zu maßgeblichen Zeitpunkt des § 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG eine Gefahr für die Allgemeinheit im Sinne des § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG dar, ist auch die Fortdauer der gesetzlich angeordneten sofortigen Vollziehbarkeit (§ 75 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG) des im Klagewege angegriffenen Widerrufs der zuerkannten Flüchtlingseigenschaft nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylG aufgrund des überwiegenden Interesses der Allgemeinheit gerechtfertigt.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen; Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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