Strafrecht

Einreise eines Asylbewerbers mit erschlichenem Schengen-Visum der Kategorie C

Aktenzeichen  201 StRR 30/20

Datum:
24.4.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 12798
Gerichtsart:
BayObLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 2 Abs. 1
StPO § 244 Abs. 2, § 261, § 345 Abs. 1, § 349 Abs. 2, Abs. 3, § 473 Abs. 1 S. 1
AufenthG § 95 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2
AsylG § 8 Abs. 3 Nr. 3, § 15, § 18a Abs. 1 S. 2, § 26a, § 47 Abs. 1 Nr. 1

 

Leitsatz

Ergibt sich im Rahmen eines Asylverfahrens der Verdacht einer Straftat nach § 95 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 AufenthG, weil der Asylbewerber bei seiner Einreise anlässlich der Grenzkontrolle ein zuvor durch wahrheitswidrige Angabe des auf einen bloßen Kurzaufenthalt hindeutenden Hauptzwecks der Reise als Besuchs- oder Geschäftsreise erwirktes Schengen-Visum der Kategorie C vorgezeigt hat, so ist die Ausländerbehörde zur Übermittlung des Passes, den ihr der Asylbewerber nach § 15 Abs. 2 Nr. 4 AsylG überlassen oder den sie bei einer körperlichen Durchsuchung des Asylbewerbers nach § 15 Abs. 4 AsylG erlangt hat, an die Strafverfolgungsbehörden befugt. Dieser darf in einem gegen den Asylbewerber anhängigen Strafverfahren als Beweismittel verwertet werden. Insbesondere ergibt sich ein Beweisverwertungsverbot nicht aus dem verfassungsrechtlich verankerten nemo-tenetur-Grundsatz. (Rn. 3 – 10)

Tenor

I. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts vom 18.11.2019 wird als unbegründet verworfen.
II. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I.
Das Amtsgericht hat am 02.10.2019 gegen den Angeklagten einen Strafbefehl wegen Gebrauchens eines erschlichenen Aufenthaltstitels gemäß § 95 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 AufenthG mit einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 10 Euro erlassen. Nach Einspruch des Angeklagten verurteilte das Amtsgericht den Angeklagten mit Urteil vom 18.11.2019 wegen Gebrauchens eines erschlichenen Aufenthaltstitels zu einer Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu je 7 Euro. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts reiste der Angeklagte, ein russischer Staatsangehöriger, am 05.03.2019 unter Verwendung seines Reisepasses über den Flughafen München in die Bundesrepublik Deutschland ein, äußerte am 06.03.2019 ein Asylgesuch und stellte am 12.03.2019 einen Asylantrag. In dem Reisepass des Angeklagten befand sich ein Schengen-Visum der Kategorie C für einen Kurzaufenthalt im Schengen-Raum, welches er kurz zuvor unter der wahrheitswidrigen Angabe des Hauptzwecks der Reise mit „Besuch/Geschäft“ in dem deutschen Generalkonsulat in St. Petersburg beantragt und erhalten hatte. Das erteilte Schengen-Visum verwendete der Angeklagte, um seiner Einreise und dem sich anschließenden Aufenthalt den Anschein der Legalität zu geben. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 19.11.2019 Rechtsmittel eingelegt und nach Zustellung des Urteils am 14.01.2020 mit Schriftsatz vom 11.02.2020, eingegangen am selben Tage, das Rechtsmittel als Sprungrevision weitergeführt und mit der Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt. Insbesondere wird ein Beweisverwertungsverbot geltend gemacht. Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Stellungnahme vom 11.03.2020 beantragt, die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts vom 18.11.2019 als unbegründet zu verwerfen. Hierzu hat sich die Verteidigung mit Gegenerklärung vom 30.03.2020 geäußert.
II.
Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revision hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Zur Begründung wird auf die zutreffende Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift vom 11.03.2020 Bezug genommen. Das Vorbringen in der Gegenerklärung der Verteidigung vom 30.03.2020 rechtfertigt keine abweichende Beurteilung. Ergänzend bemerkt der Senat:
1. Soweit der Angeklagte mit der Verfahrensrüge der Verletzung von § 261 StPO geltend macht, das Gericht habe gegen ein Beweisverwertungsverbot verstoßen, ist die Verfahrensrüge aus den von der Generalstaatsanwaltschaft ihrer Antragsschrift aufgezeigten Gründen unzulässig. Dass sein Verteidiger mit der Gegenerklärung nach § 349 Abs. 3 StPO und damit nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist mit ergänzendem Vortrag den Formerfordernissen genügen will, ändert an der Unzulässigkeit der Rüge nichts. Denn die gesamte Revisionsbegründung ist innerhalb der Frist des § 345 Abs. 1 StPO anzubringen; ein Nachschieben von Vortrag zur Begründung bereits erhobener Verfahrensbeanstandungen ist nicht möglich (KK/Gericke StPO 8. Aufl. § 344 Rn. 66). Die Rüge wäre im Übrigen auch unbegründet. Entgegen der Auffassung der Revision war das Amtsgericht in der Sache nicht daran gehindert, den von dem Angeklagten an die Ausländerbehörde überlassenen Pass in Augenschein zu nehmen und die Ergebnisse der Inaugenscheinnahme im Rahmen seiner Beweiswürdigung ebenso zu verwerten wie die diesbezüglichen Angaben des als Zeugen vernommenen Mitarbeiters der Ausländerbehörde. Das von der Revision geltend gemachte Beweisverwertungsverbot besteht nicht. Ein solches Beweisverwertungsverbot, das zu einer Einschränkung der gerichtlichen Aufklärungs- und Kognitionspflicht (§§ 244 Abs. 2, 261 StPO) führen würde, findet im geltenden Recht keine Grundlage. Weder besteht im Asyl- bzw. Ausländerrecht eine Geheimhaltungspflicht, welche es der Ausländerbehörde verbieten würde, bestimmte Angaben eines Verfahrensbeteiligten oder dort generierte Beweismittel den Strafverfolgungsorganen zu offenbaren noch besteht eine unmittelbar anwendbare Gesetzesregelung, wonach den Strafverfolgungsorganen in einem gegen den Asylbewerber gerichteten Strafverfahren die Verwertung solchermaßen erlangter Beweismittel versagt wäre. Auch ist ein Beweisverwertungsverbot nicht aus dem nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 Satz 1 GG verankerten nemo-tenetur-Grundsatz d.h. dem Prinzip der Selbstbelastungsfreiheit herzuleiten, wonach niemand gezwungen werden darf, sich selbst einer Straftat zu bezichtigen sowie aktiv zur Sachaufklärung und damit gegebenenfalls zu seiner Überführung beizutragen (grundlegend BVerfG, Beschluss vom 13.01.1981 – 1 BvR 116/77 bei juris = BVerfGE 56, 37 = NJW 1981,1431 = wistra 1982, 25 = MDR 1981, 818; vgl. auch BVerfGE 133, 168; BGHSt 45, 363; BGH NStZ 2009, 705).
a) Mit der Stellung des Asylantrags erwächst dem Asylbewerber die Verpflichtung, durch positives Tun oder Erdulden bestimmter Maßnahmen persönlich an der Sachaufklärung mitzuwirken (§ 15 AsylG); insbesondere ist er verpflichtet, bei den zuständigen Behörden die zur Bearbeitung seines Asylbegehrens i.S.v. § 13 Abs. 1 AsylG erforderlichen Angaben zu machen (§ 15 Abs. 2 Nr. 1 AsylG) und der Ausländerbehörde seinen Pass oder Passersatz vorzulegen, auszuhändigen und zu überlassen (§ 15 Abs. 2 Nr. 4 AsylG). Für die in § 15 Abs. 4 AsylG begründete behördliche Befugnis, den Asylbewerber sowie die von ihm mitgeführten Sachen (nicht aber etwa seine Wohnung) zu durchsuchen, reicht die bloße Nichtabgabe des Passes oder Passersatzes aber nicht aus, vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass er die Dokumente mit sich führt, aber nicht herausgibt, sondern am Körper oder in den von ihm mitgeführten Sachen versteckt (Bergmann/Dienelt/Bergmann Ausländerrecht 13. Aufl. AsylG § 15 Rn.13). Die bloße Nichtherausgabe des Passes hat somit nicht stets und zwangsläufig zur Folge, dass durchsucht wird. Die Aufzählung im Katalog der Mitwirkungs- und Duldungspflichten ist exemplarischer Art und die Missachtung der Pflichten weder straf- noch bußgeldbewehrt. Insbesondere macht sich ein Asylbewerber nicht nach § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG strafbar, wenn er im Asylverfahren unrichtige Angaben macht (vgl. hierzu jüngst BayObLG, Urt. v. 19.2.2020 – 207 StRR 2415/19 bei juris). Auch § 98 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG kommt nach seinem Wortlaut nicht zur Anwendung, soweit die Vorlage des Passes oder Passersatzes nach § 15 Abs. 2 Nr. 4 AsylG verweigert wird (MüKo-StGB/Schmidt-Sommerfeld 3. Aufl. AsylG § 15 Rn. 1). Angaben eines Asylbewerbers, die dieser gemäß § 15 Abs. 2 Nr. 1 und 2 AsylG im Asylverfahren freiwillig macht, dürfen von der Ausländerbehörde nach § 8 Abs. 3 Nr. 3 AsylG zu Zwecken der Strafverfolgung an die Strafverfolgungsbehörden übermittelt werden. Die Ausländerbehörde ist deshalb auch zur Übermittlung eines Passes oder Passersatzes, den ihr der Asylbewerber nach § 15 Abs. 2 Nr. 4 AsylG überlassen hat oder den sie im Rahmen einer körperlichen Durchsuchung des Asylbewerbers nach § 15 Abs. 4 AsylG erlangt hat, an die Strafverfolgungsbehörden befugt (vgl. nur BeckOK/Kluth/Heusch AuslR 24. Ed. AsylG § 8 Rn. 15, 16). Eine von der Revision geltend gemachte Geheimhaltungspflicht des BAMF besteht somit schon von Gesetzes wegen nicht.
b) Ebenso wie die von der Ausländerbehörde an die Strafverfolgungsbehörden mitgeteilten Angaben des Asylbewerbers darf auch ein von dieser übermittelter Pass oder Passersatz in einem gegen den Asylbewerber anhängigen Strafverfahren als Beweismittel verwertet werden (vgl. Erbs/Kohlhaas/Hadamitzky/Senge AsylG [228. EL – Stand: Januar 2020] § 15 Rn. 9).
aa) Hinsichtlich der Angaben, die ein Asylbewerber im Rahmen seiner Anhörung über die Modalitäten seiner Einreise macht, hat der Bundesgerichtshof bereits im Jahr 1989 entschieden, dass diese in einem gegen ihn gerichteten Strafverfahren wegen unerlaubter Einreise nach dem damals geltenden § 47 Abs. 1 Nr. 1 AuslG auch ohne seine Zustimmung verwertet werden dürfen. Nicht heranziehen ließen sich insbesondere die vom Bundesverfassungsgericht in der sog. Gemeinschuldner-Entscheidung (BVerfGE 56, 37) entwickelten Grundsätze, weil die Mitwirkungspflicht des Asylbewerbers anders als die Auskunftspflicht des Gemeinschuldners (früher § 101 KO) nicht mit Sanktionen bewehrt sei und weder das Erscheinen des Asylbewerbers zur Anhörung noch seine Mitwirkung durch entsprechende Angaben erzwungen werden könnten. Auch gehe es im Asylverfahren nicht um Drittinteressen, sondern nur um die Interessen des Asylbewerbers selbst, der mit dem allein in seiner Person entstehenden Konflikt konfrontiert sei, entweder die Erfolgsaussichten seines Asylantrags zu erhöhen oder sich vor möglicher Selbstbelastung zu bewahren (BGH, Beschluss vom 15.12.1989 – 2 StR 167/89 bei juris = BGHSt 36, 328 = NJW 1990, 1426 = NStZ 1990, 186 = StV 1990, 243 = wistra 1990, 151 = MDR 1990, 352; vgl. auch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15.11.1991 – VI 14/89 bei juris = StV 1992, 503 = NStZ 1992, 349; OLG Hamm, Urt. v. 5.10.1988 – 4 Ss 737/88 bei juris = NStZ 1989, 187; zur Rechtslage beim Erschleichen einer befristeten ausländerrechtlichen Duldung vgl. OLG Celle, Beschluss vom 20.6.2018 – 2 Ss 56/18 bei juris = StraFo 2018, 440 = OLGSt AufenthG § 95 Nr. 11). Nachdem der nemo-tenetur-Grundsatz nur dann eingreift, wenn ein rechtlich durchsetzbarer staatlicher Zwang zur Selbstbelastung besteht und der Gesetzgeber bis heute an der Freiwilligkeit asylrechtlicher Informationserteilung festgehalten hat, haben diese Erwägungen auch in Anbetracht seither erfolgter Gesetzesänderungen nach wie vor Gültigkeit.
bb) Soweit die Revision aus der zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für die hier inmitten stehende Verpflichtung des Angeklagten, nach § 15 Abs. 2 Nr. 4 AsylG Einsicht in seinen Pass zu ermöglichen bzw. diesen auf Verlangen auszuhändigen und der Ausländerbehörde zu überlassen, ein Beweisverwertungsverbot herleiten will, weil der Angeklagte sowohl bei der Einreisekontrolle am Flughafen München als auch anlässlich seiner Anhörung bei der Ausländerbehörde zur Vorlage seines Passes bzw. zu dessen Abgabe gezwungen gewesen sei und von Freiwilligkeit mit Blick auf die behördliche Durchsuchungsbefugnis nach § 15 Abs. 4 AsylG keine Rede sein könne, verfängt dies nicht.
(1) Die Vorlage des Passes anlässlich der Grenzkontrolle am Flughafen München ist das tatbestandsmäßige Verhalten nach § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG als „Gebrauchen“ an sich. Dies stellt somit keine Selbstbelastung durch Offenbarungen über die Tat dar, sondern ist selbst die Tat und kann im Strafprozess untersucht werden (MüKo-StPO/Schuhr vor § 133 Rn. 109). Insoweit bestand auch keine Zwangslage, wie der Beschwerdeführer meint, denn es war nicht zwingend nötig, den Pass mit dem erschlichenen Visum zur Täuschung bei der Grenzkontrolle vorzuzeigen. Er hätte vielmehr bei den Beamten der Bundespolizei direkt um Asyl nachsuchen können mit der möglichen Folge eines Flughafenverfahrens nach § 18a Abs. 1 Satz 2 AsylG. Er hätte auch bei einer Passvorlage darauf hinweisen können, dass er Asyl beantragen wolle. Dann hätte keine Täuschung vorgelegen. Das Asylrecht gewährt kein Recht, die Einreise mittels einer Straftat zu begehen. Der nemo tenetur – Grundsatz findet seine Grenze dort, wo es nicht mehr um ein bereits begangenes Fehlverhalten, sondern um die Schaffung neuen Unrechts geht (vgl. BGHSt 47, 8, 15; BGH NJW 2002, 1134).
(2) Was die Vorlage bzw. Abgabe des Passes anlässlich der Anhörung vor der Ausländerbehörde angeht, so kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass vorliegend der Pass des Angeklagten durch Übergabe des Angeklagten selbst und damit frei von staatlichem Zwang in den Besitz der Ausländerbehörde gelangt ist. Im Übrigen erschöpft sich die in § 15 Abs. 4 AsylG vorgesehene behördliche Durchsuchungsbefugnis des Asylbewerbers und der von ihm mitgeführten Sachen, die wie dargelegt nicht stets und zwangsläufig nach Nichtherausgabe des Passes zur Anwendung kommt, in der Verpflichtung des Asylbewerbers, diese Maßnahme zu dulden, erfordert aber nicht sein aktives Tun, sondern entfaltet allenfalls mittelbar eine Zwangswirkung auf ihn. Dies vermag nach der Rechtsprechung des BVerfG ein Beweisverwertungsverbot jedoch nicht zu begründen. Im Schrifttum erhobene Forderungen auf eine Erweiterung des nemo-tenetur-Grundsatzes auf die Schaffung von Beweismaterial mit der Folge, dass der gesetzlich zur Vorlage oder Herausgabe eines Gegenstands Verpflichtete jedenfalls dann, wenn er damit zugleich eine bereits begangene Straftat dokumentiert, in einem Strafverfahren vor dieser Art der Selbstbelastung zumindest durch ein Verwertungsverbot geschützt sein müsse (vgl. etwa SK-StPO/Rogall 5. Aufl. vor § 133 Rn. 148-150 m.w.N.), hat das Bundesverfassungsgericht nicht aufgegriffen. Vielmehr hält es in ständiger Rechtsprechung daran fest, dass das Verbot des Selbstbelastungszwangs aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG zum Kern hat, dass niemand gezwungen werden darf, durch eigene Angaben die Voraussetzungen für eine strafgerichtliche Verurteilung oder die Verhängung einer entsprechenden Sanktion zu liefern (BVerfGE 56, 37, 49; BVerfG NStZ 1993, 482). Der Angeklagte ist bei Vorlage des Passes aber nicht verpflichtet, irgendwelche Angaben zu machen, schon gar nicht dazu, mit welchen Angaben das Visum erlangt wurde. Gesetzliche Aufzeichnungs-, Vorlage- oder Herausgabepflichten berühren im Gegensatz zu Angaben des Betroffenen den Kernbereich der grundgesetzlich geschützten Selbstbelastungsfreiheit auch dann nicht, wenn die zu erstellenden Unterlagen auch zur Ahndung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten verwendet werden dürfen. Der notwendige Schutz des Betroffenen sei durch Auskunftsverweigerungsrechte hinreichend gewährleistet, woraus aber nicht folge, „dass auch andere Erkenntnismöglichkeiten, die den Bereich der Aussagefreiheit nicht berühren, von dem Betroffenen unter Hinweis auf diese Freiheit eingeschränkt und behindert werden dürfen“ (BVerfGE 55, 144, 150f.). Vielmehr können solche anderweitigen Mitwirkungspflichten zum Schutz von Gemeinwohlbelangen verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein (BVerfG wistra 2010, 341 unter Hinweis auf BVerfG NJW 1982, 568 betr. die Auflage eines Fahrtenbuches gemäß § 31a StVZO; BVerfGE 55, 144 betr. § 31a Abs. 2, 3 BSchVG). Die Pflicht des Asylbewerbers zur Vorlage bzw. Abgabe seines Passes bzw. Passersatzes nach § 15 Abs. 2 Nr. 4 AsylG, die durch die Pflicht zur Duldung einer körperlichen Durchsuchung nach § 15 Abs. 4 AsylG ergänzt wird, dient vorwiegend der Sicherung der Zurückschiebung und der Abschiebung in sichere Drittstaaten nach § 26a AsylG, da diese die Rücknahme von Ausländern regelmäßig vom Nachweis der Einreise aus ihrem Hoheitsgebiet abhängig machen (Erbs/Kohlhaas/Hadamitzky/Senge a.a.O. § 15 Rn. 13). Damit besteht kein Zweifel, dass diese Pflicht für die staatliche Aufgabenerfüllung im Bereich des Asylverfahrens von hervorgehobener Bedeutung ist, während Art und Grad des inmitten stehenden Zwanges in Form einer nach § 15 Abs. 4 AsylG lediglich bestehenden Duldungspflicht einer körperlichen Durchsuchung eher als geringer Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Asylbewerbers anzusehen sind, der vorliegend im Übrigen noch nicht einmal stattgefunden hat. Die Rechte von Beschuldigten oder Auskunftsverweigerungsberechtigten können nicht in gleicher Weise für solche Personen Geltung beanspruchen, die aus besonderen Rechtsgründen gesetzlich verpflichtet sind, einer Behörde die für deren Aufgabenerfüllung notwendigen Informationen zu liefern (Bärlein/Pananis/Rehmsmeier NJW 2002, 1825, 1828). Für das von der Revision geltend gemachte Beweisverwertungsverbot ist nach alledem kein Raum.
2. Es ist allein Aufgabe des Tatrichters, den Sachverhalt festzustellen und die Ergebnisse der Beweisaufnahme zu würdigen. Er hat insoweit ohne Bindung an gesetzliche Beweisregeln und nur seinem Gewissen verantwortlich zu überprüfen, ob er an sich mögliche Zweifel überwinden und sich von einem bestimmten Tathergang überzeugen kann oder nicht (vgl. BGH NJW 1979, 2318). Allein in seinen Verantwortungsbereich fällt, mögliche, wenn auch nicht zwingende Folgerungen aus bestimmten Tatsachen zu ziehen und zu bestimmen, unter welchen Voraussetzungen er zu einer bestimmten Überzeugung kommt. Die Beweiswürdigung ist der Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht nur dann zugänglich, wenn sie in sich widersprüchlich, lückenhaft oder unklar ist, oder wenn sie gegen Denkgesetze oder allgemein gültige, zwingende Regeln der Lebenserfahrung verstößt. Das ist vorliegend nicht der Fall. Nachdem der Angeklagte hier ein Schengen-Visum der Kategorie C für einen Kurzaufenthalt erhalten hat und nach Art. 21 Abs. 1 des Visakodex in der Fassung vom 13.07.2009 bei der Prüfung eines Antrags auf ein einheitliches Visum insbesondere zu beurteilen ist, ob beim Antragsteller das Risiko der rechtswidrigen Einwanderung besteht, ist der Schluss des Tatgerichts, der Angeklagte habe als Reisezweck touristische Zwecke und nicht die Stellung eines Asylantrags, der naturgemäß nicht zu einem Kurzaufenthalt geführt hätte, angegeben, möglich und naheliegend.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.


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