Verwaltungsrecht

Fristlose Entlassung eines Soldaten auf Zeit bei Verurteilung wegen vorsätzlicher Körperverletzung und Nötigung

Aktenzeichen  M 21b K 18.6134

Datum:
23.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 33906
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StPO § 257c Abs. 1
SG § 7, § 13, § 17 Abs. 2, § 23 Abs. 1, § 40 Abs. 6, § 55 Abs. 5
StGB § 12 Abs. 2, § 223 Abs. 1
VwGO § 124, § 124a Abs. 4, § 154 Abs. 1
WDO § 34 Abs. 2 S. 1, 84 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

1. Die von einem Soldaten begangene vorsätzliche Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung (hier: körperliche Misshandlung der Freundin aus Eifersucht) rechtfertigt die Disziplinarmaßnahme der Entlassung, da bei einem Verbleiben des Soldaten der Ablauf des militärischen Dienstes beeinträchtigt, eine negative Vorbildwirkung und eine Nachahmungsgefahr erzeugt und das Ansehen der Bundeswehr ernstlich beeinträchtigt würde. (Rn. 35 – 41) (redaktioneller Leitsatz)
2. An die tatsächlichen Feststellungen des Strafgerichts, die eine schuldhafte Körperverletzung und Nötigung begründen, ist das Disziplinargericht grundsätzlich gebunden, so dass es unerheblich bleibt, wenn die vorgeworfene Tat im verwaltungsgerichtlichen Verfahren bestritten wird. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine fristlose Entlassung aus dem Soldatenverhältnis kurz vor Ende der vierjährigen Dienstzeit auf Zeit (hier: 3 Jahre 9 Monate und 16 Tage) scheitert grundsätzlich nicht an dem Verbot unverhältnismäßiger Grundrechtseingriffe; allenfalls in atypischen Fallkonstellationen, wie sie hier nicht vorliegen, kann die Abwägung anders erfolgen. (Rn. 47) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Die Entlassungsverfügung vom 13. Februar 2018 in der Gestalt des Beschwerdebescheids vom 12. November 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Der Zulässigkeit der Klage steht nicht entgegen, dass die Dienstzeit des Klägers am 30. Juni 2019 abgelaufen ist. Eine Erledigung des Rechtsstreits ist hierdurch nicht eingetreten. Denn der Bestand des gegenseitigen Rechte- und Pflichtenverhältnisses steht gerade mit Blick auf die zwischen den Parteien streitige vorzeitige Beendigung des Dienstverhältnisses in Frage (vgl. auch OVG Berlin-Bbg, B.v. 26.8.2019 – 10 N 88.16 – juris Rn. 5; OVG SH, U.v. 19.10.2015 – 2 LB 25/14 – juris Rn. 27 f.; VG München, U.v. 3.3.2014 – M 21 K 12.1532 – juris Rn. 24 m.w.N. (insb. BVerwG, U.v. 2.7.1982 – 8 C 101/81 – BVerwGE 66, 75 ff.)).
Die Klage hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
Nach § 55 Abs. 5 SG kann ein Soldat auf Zeit während der ersten vier Dienstjahre fristlos entlassen werden, wenn er seine Dienstpflichten schuldhaft verletzt hat und sein Verbleiben in seinem Dienstverhältnis die militärische Ordnung oder das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährden würde. Diese Vorschrift soll die personelle und materielle Einsatzbereitschaft der Bundeswehr gewährleisten. Die fristlose Entlassung stellt ein Mittel dar, um eine Beeinträchtigung der uneingeschränkten Einsatzbereitschaft zu vermeiden. Bereits aus dem Wortlaut des § 55 Abs. 5 SG ergibt sich, dass diese Gefahr gerade als Auswirkung einer Dienstpflichtverletzung des Soldaten drohen muss. Dies ist von den Verwaltungsgerichten aufgrund einer nachträglichen Prognose zu beurteilen (vgl. BVerwG, B. v. 28.1.2013 – 2 B 114/11 – juris Rn. 8; B.v. 16.8.2010 – 2 B 33/10 – juris Rn. 6).
Unter militärischer Ordnung ist der Inbegriff der Elemente zu verstehen, die die Verteidigungsbereitschaft der Bundeswehr nach den gegebenen rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen erhalten. Dabei kann es nicht genügen, wenn Randbereiche des Militärischen berührt werden. Im Gegensatz zu der zweiten Alternative, die das Ansehen der Bundeswehr schützen soll, handelt es sich hier um den betriebsbezogenen Schutz, der erforderlich ist, um dem Zweck der Bundeswehr geordnet gerecht werden zu können (vgl. BVerwG, U.v. 20.6.1983 – 6 C 2/81 – NJW 1984, 938).
Eine Beeinträchtigung des Ansehens der Bundeswehr, also ihres „guten Rufs“ bei Außenstehenden, liegt dann vor, wenn der betreffende Soldat als „Repräsentant“ der Bundeswehr oder eines bestimmten Truppenteils anzusehen ist und sein Verhalten negative Rückschlüsse auf die Streitkräfte als Angehörige eines – an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG), insbesondere an die Grundrechte (Art. 1 Abs. 3 GG) gebundenen – Organs des sozialen und demokratischen Rechtsstaats Bundesrepublik Deutschland zulässt (vgl. BVerwG, U.v. 5.9.2013 – 2 WD 24.12 – juris Rn. 27; U.v. 13.2.2008 – 2 WD 5.07 – juris Rn. 74 m.w.N.). Der „gute Ruf“ der Bundeswehr bezieht sich namentlich auch auf die Qualität der Ausbildung, die sittlich-moralische Integrität und die allgemeine Dienstauffassung ihrer Soldatinnen und Soldaten sowie die – an Recht und Gesetz gebundene – militärische Disziplin der Truppe (vgl. BVerwG, U.v. 13.2.2008 – 2 WD 5/07 – juris Rn. 74 m.w.N.).
Mit dem Erfordernis, dass die Gefährdung der militärischen Ordnung ernstlich sein muss, entscheidet das Gesetz selbst die Frage der Angemessenheit der fristlosen Entlassung im Verhältnis zu dem erstrebten Zweck und konkretisiert so den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Zwar können Dienstpflichtverletzungen auch dann eine ernstliche Gefährdung der militärischen Ordnung herbeiführen, wenn es sich um ein leichteres Fehlverhalten handelt oder mildernde Umstände hinzutreten. Jedoch ist im Rahmen der Gefährdungsprüfung zu berücksichtigen, ob die Gefahr für die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr durch eine Disziplinarmaßnahme abgewendet werden kann (BVerwG, B. v. 28.1.2013 – 2 B 114/11 – juris Rn. 9).
Auf dieser Grundlage haben sich in der Rechtsprechung Fallgruppen herausgebildet, bei denen eine ernstliche Gefährdung der militärischen Ordnung i.S.d. § 55 Abs. 5 SG regelmäßig anzunehmen ist: Dies gilt vor allem für Dienstpflichtverletzungen im militärischen Kernbereich, die unmittelbar die Einsatzbereitschaft beeinträchtigen. Bei Dienstpflichtverletzungen außerhalb dieses Bereichs kann regelmäßig auf eine ernstliche Gefährdung geschlossen werden, wenn es sich entweder um Straftaten von erheblichem Gewicht handelt, wenn die begründete Befürchtung besteht, der Soldat werde weitere Dienstpflichtverletzungen begehen (Wiederholungsgefahr) oder es sich bei dem Fehlverhalten um eine Disziplinlosigkeit handelt, die in der Truppe als allgemeine Erscheinung auftritt oder um sich zu greifen droht (Nachahmungsgefahr). Jedenfalls die beiden letztgenannten Fallgruppen erfordern eine einzelfallbezogene Würdigung der konkreten Dienstpflichtverletzung, um die Auswirkungen für die Einsatzbereitschaft oder das Ansehen der Bundeswehr beurteilen zu können (BVerwG, B. v. 28.1.2013 – 2 B 114/11 – juris Rn. 10; B. v. 16.8.2010 – 2 B 33/10 – juris Rn. 8).
Unter Dienstpflichtverletzungen im militärischen Kernbereich können schon begrifflich nur (schwere) innerdienstliche Dienstpflichtverletzungen fallen, oder außerdienstliches Verhalten, das unmittelbar hierauf gerichtet ist (vgl. BVerwG, B.v. 28.1.2013 – 2 B 114/11 – juris Rn. 12). Es soll also gerade nicht jeder mit einem leichteren Fehlverhalten zwangsläufig einhergehende Verlust des „uneingeschränkten“ Vertrauens der Vorgesetzten zur Entlassung aus dem Dienstverhältnis führen können. Vielmehr müssen gerade bei leichterem Fehlverhalten entweder eine Wiederholungsgefahr oder eine Nachahmungsgefahr hinzukommen.
In Anwendung der vorstehenden Vorgaben und Grundsätze der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist die streitige Entlassungsverfügung nicht zu beanstanden.
Im Zeitpunkt des Erlasses der Entlassungsverfügung hatte der Kläger noch keine vier Dienstjahre zurückgelegt. Nach § 40 Abs. 6 SG wird in die Dienstzeit der Wehrdienst eingerechnet, der in der Bundeswehr bis zur Berufung in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit geleistet worden ist. Der Kläger leistete vom 1. Juli 2012 bis zum 31. August 2013 (14 Monate) Wehrdienst. Er wurde zum 1. Juli 2015 als Anwärter für die Laufbahn der Offiziere des Truppendienstes in die Bundeswehr eingestellt. Die fristlose Entlassung wurde mit Wirkung zum 16. Februar 2018 ausgesprochen. Der Zeitraum zwischen Einstellung und Entlassung beträgt mithin – entgegen den schriftlichen Ausführungen der Beteiligten, die von einem Zeitraum von 3 Jahren 11 Monaten und 16 Tagen ausgingen – 3 Jahre 9 Monate und 16 Tage, worüber sich die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung einig waren. Dass die Entlassung erst kurz vor Ablauf von vier Dienstjahren erfolgte, ist für die Erfüllung des Tatbestands unerheblich (vgl. OVG NW, U.v. 29.8.2012 – 1 A 2084/07 – juris Rn. 64).
Auch eine schuldhafte Dienstpflichtverletzung des Klägers ist unter Zugrundelegung der tatsächlichen Feststellungen der rechtskräftigen Strafurteile gegeben. An diese tatsächlichen Feststellungen ist das Gericht gebunden, sodass es unerheblich ist, dass der Kläger die ihm vorgeworfene Tat im verwaltungsgerichtlichen Verfahren bestritten hat. In den Fällen des § 55 Abs. 5 SG besteht auf Grundlage einer Rechtsanalogie zu den §§ 34 Abs. 1, 84 Abs. 1 Satz 1 Wehrdisziplinarordnung (WDO) eine grundsätzliche Bindung an die tatsächlichen Feststellungen rechtskräftiger Strafurteile (vgl. NdsOVG, B.v. 2.3.2007 – 5 ME 252/06 – juris Rn. 22). Lediglich im Einzelfall besteht entsprechend § 34 Abs. 2 Satz 1, 84 Abs. 1 Satz 2 WDO die Möglichkeit der Lösung und nochmaligen Prüfung dieser Feststellungen durch die Verwaltungsgerichte (vgl. NdsOVG, B.v. 2.3.2007 – 5 ME 252/06 – juris Rn. 24). Der Kläger hat jedoch mit seiner Klage keine Gründe dargelegt, die Anlass dazu geben könnten, die tatsächlichen Feststellungen in den rechtskräftigen Strafurteilen zu bezweifeln und deshalb ihre nochmalige Prüfung zu beschließen. Wie die Wehrdienstgerichte sind die Verwaltungsgerichte keine Überprüfungsinstanz für rechtskräftige Strafurteile (vgl. im Einzelnen NdsOVG, B.v. 2.3.2007 – 5 ME 252/06 – juris Rn. 24). Der Kläger hat sich im Wesentlichen auf das bloße Bestreiten der ihm zur Last gelegten Tat beschränkt. Dabei ist er – auch wenn dies allein aus Sicht des Gerichts nicht ausreichend gewesen wäre (vgl. auch hierzu NdsOVG, B.v. 2.3.2007 – 5 ME 252/06 – juris Rn. 25) – bereits nicht der sachlichen Richtigkeit der strafgerichtlichen Feststellungen substantiiert entgegengetreten. Das Gericht vermag auch im Übrigen keine Anhaltspunkte für eine Unrichtigkeit der tatsächlichen Feststellungen in den rechtskräftigen Strafurteilen zu erkennen. Das Amtsgericht … i.d. …, dessen festgestellter Sachverhalt auch dem Urteil des Landgerichts … i.d. … zu Grunde liegt, hat im Urteil ausführlich und nachvollziehbar dargelegt, wie es zu seinen tatsächlichen Feststellungen gelangt ist.
Damit steht fest, dass der Kläger sich einer vorsätzlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung schuldig gemacht und mit seinem Verhalten eine Dienstpflichtverletzung begangen hat. Bereits die vorsätzliche Körperverletzung allein stellt unzweifelhaft einen Verstoß gegen die Pflicht zum außerdienstlichen Wohlverhalten gem. § 17 Abs. 2 Satz 3 SG dar.
Nach dieser Vorschrift hat sich der Soldat außer Dienst außerhalb der dienstlichen Unterkünfte und Anlagen so zu verhalten, dass er das Ansehen der Bundeswehr oder die Achtung und das Vertrauen, die seine dienstliche Stellung erfordert, nicht ernsthaft beeinträchtigt. Bei dem Verstoß gegen § 17 Abs. 2 Satz 3 SG kommt es nicht darauf an, ob eine Beeinträchtigung des Ansehens der Bundeswehr oder der Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit im konkreten Fall tatsächlich eingetreten ist. Es reicht vielmehr aus, dass das Verhalten geeignet war, eine solche Wirkung auszulösen. Denn die Vorschrift stellt allein auf das Verhalten des betreffenden Soldaten ab, ohne dass es für das Vorliegen einer Dienstpflichtverletzung auf den konkreten Eintritt einer solchen Beeinträchtigung ankommt. Die Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit eines Soldaten kann durch sein Verhalten schon dann Schaden nehmen, wenn dieses Zweifel an seiner Redlichkeit und Zuverlässigkeit weckt oder seine Eignung für die jeweilige Verwendung in Frage stellt (BVerwG, U.v. 21.6.2018 – 2 WD 4/18 – juris Rn. 52).
Das ist hier der Fall. Eine körperliche Misshandlung ist sowohl mit dem Menschenbild des Grundgesetzes und dem Verfassungsprinzip der Wahrung der Menschenrechte als auch mit der gesetzlichen Verpflichtung eines Vorgesetzten zu vorbildhaftem Verhalten gemäß § 10 Abs. 1 SG unvereinbar (vgl. BVerwG, U.v. 21.6.2018 – 2 WD 4/18 – juris Rn. 22). Amtsinhaber, die – wie Soldaten – rechtmäßig das staatliche Gewaltmonopol wahrnehmen, müssen jederzeit Gewähr dafür bieten, dies verantwortungsvoll zu tun und (straf-)gesetzliche Grenzen der Gewaltanwendung zu respektieren.
Ob vorliegend neben der unzweifelhaft zu bejahenden Verletzung des § 17 Abs. 2 Satz 3 SG auch eine Verletzung der Pflicht zum treuen Dienen gem. § 7 SG in Gestalt eines Verstoßes gegen die Loyalität zur Rechtsordnung vorliegt – was angesichts des Umstands, dass § 17 Abs. 2 Satz 3 SG eine abschließende Regelung für Verfehlungen strafrechtlichen Gehalts außerhalb des Dienstes und außerhalb dienstlicher Unterkünfte und Anlagen darstellt, zu verneinen sein dürfte (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 20.3.2014 – 2 WD 5/13 – juris Rn. 53) – kann dahinstehen. Ebenso kann angesichts der jedenfalls zu bejahenden Verletzung der Dienstpflicht aus § 17 Abs. 2 Satz 3 SG auch dahinstehen, ob eine Verletzung der Wahrheitspflicht nach § 13 Abs. 1 SG vorliegt, was allerdings aus Sicht des Gerichts zu verneinen sein dürfte, da der Kläger letztlich nur von seinem Recht Gebrauch macht, sich nicht selbst belasten zu müssen, und eine mit dem Verhalten des Klägers einhergehende Verletzung der Wahrheitsplicht nach § 13 Abs. 1 SG voraussetzen würde, dass allein die rechtskräftige Verurteilung dazu führen würde, dass das Bestreiten der Tat bzw. die Behauptung der Unrichtigkeit des Urteils als Lüge anzusehen wäre.
Der Kläger hat seine Dienstpflicht aus § 17 Abs. 2 Satz 3 SG auch schuldhaft verletzt und damit ein Dienstvergehen nach § 23 Abs. 1 SG begangen. Für eine etwaige – alkoholbedingte – Schuldunfähigkeit oder auch nur eine verminderte Schuldfähigkeit ist weder etwas vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Das Verbleiben des Klägers in seinem Dienstverhältnis würde die militärische Ordnung und das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährden.
Zwar handelt es sich bei der Tat des Klägers aus Sicht des Gerichts um eine nicht dem militärischen Kernbereich zuzurechnende außerdienstliche Verfehlung, da sich die vorsätzliche Körperverletzung und Nötigung im privaten Bereich ohne zusätzlichen Bezug zur Dienstausübung abspielten. Jedoch ist vorliegend gleichwohl eine ernstliche Gefährdung der militärischen Ordnung zu bejahen, da es sich bei dem Fehlverhalten des Klägers um eine Straftat von erheblichem Gewicht handelt. Dabei verkennt das Gericht nicht, dass vorliegend „lediglich“ eine einfache Körperverletzung – allerdings in Tateinheit mit Nötigung – in Rede steht, bei welcher es sich strafrechtlich um ein Vergehen (§ 12 Abs. 2 StGB) handelt und für welche das Strafgesetzbuch als Strafrahmen die Verhängung von Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren vorsieht (§ 223 Abs. 1 StGB). Angesichts der konkreten Umstände der Tat und insbesondere der der Geschädigten zugefügten nicht unerheblichen Verletzungen ist vorliegend allerdings gleichwohl von einer erheblichen, eine Entlassung nach § 55 Abs. 5 SG rechtfertigenden Straftat auszugehen.
Der Kläger hat die Geschädigte vorliegend nachts in ihrer Wohnung aufgesucht, ihre Aufforderung zum Verlassen der Wohnung ignoriert, sich schließlich auf die im Bett liegende Geschädigte gesetzt, sie gewürgt, ihr mit ihren Händen gegen ihre Ohren geschlagen und ihr mit seinem Kopf gegen die Nase gestoßen. Anschließend hat er sie, um an ihr Handy zu gelangen, an den Füßen aus dem Bett gezogen und sie schließlich, als sie ihm das Handy wieder abnehmen wollte, vom vierten Stock bis ins Erdgeschoss hinabgezogen. Er hat damit vorsätzlich und über einen längeren Zeitraum hinweg die körperliche Unversehrtheit der Geschädigten verletzt und diese zudem mit Gewalt dazu gezwungen, ihm ihr Handy zu überlassen, sodass er neben der Körperverletzung auch eine Nötigung begangen hat. Auch das Motiv, Konflikte – in der Partnerschaft – unter Einsatz von Gewalt zu lösen, ist als in hohem Maße sozialschädlich zu bewerten (vgl. auch BVerwG, U.v. 21.6.2018 – 2 WD 4/18 – juris Rn. 26). Dabei handelte der Kläger unter Berücksichtigung der Feststellungen in den rechtskräftigen Strafurteilen aus Eifersucht. Dafür, dass sich der Kläger in einer schwierigen Lebenslage befunden haben könnte, ist nichts ersichtlich. Ferner hat der Kläger der Geschädigten, insbesondere mit der Nasenbeinfraktur, nicht unerhebliche Verletzungen zugefügt.
Die Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten ist keine bloße Nebenpflicht, sondern hat funktionalen Bezug zur Erfüllung des grundgesetzmäßigen Auftrages der Streitkräfte und zur Gewährleistung des militärischen Dienstbetriebs. Wer durch seine Unfähigkeit oder Unwilligkeit, die Grenzen der rechtmäßigen Anwendung von Gewalt im außerdienstlichen Bereich zu achten, Achtung und Vertrauen, die seine dienstliche Stellung erfordern, ernsthaft beeinträchtigt, gefährdet damit auch die Voraussetzungen seiner Verwendungsfähigkeit und beeinträchtigt den Ablauf des militärischen Dienstes (BVerwG, U.v. 21.6.2018 – 2 WD 4/18 – juris Rn. 22). Wegen der von der Dienstpflichtverletzung des Klägers ausgehenden negativen Vorbildwirkung würde es der Bundeswehr erschwert, ihren Verteidigungsauftrag zu erfüllen. Das außerdienstliche Verhalten des Klägers ist geeignet, zu einem Ansehens- und Vertrauensverlust bei seinen Untergebenen zu führen. Der Kläger hat sich dadurch als Vorgesetzter, insbesondere von jungen Menschen, disqualifiziert. Das klägerische Verhalten stellt die Einsatzbereitschaft der Truppe deswegen infrage, weil ein erheblicher Achtungs- und Vertrauensverlust eines Soldaten in Vorgesetztenfunktion geeignet ist, die erforderliche Bereitschaft bei den Untergebenen zu Gehorsam und Pflichterfüllung zu schwächen, und weil auch das Vertrauen der Vorgesetzten in einen solchen Soldaten erschüttert ist (vgl. VG München, U.v. 18.2.2015 – M 21 K 13.290 – juris Rn. 18). Dabei kommt es nicht darauf an, ob ein strafbares Verhalten eines Soldaten in Vorgesetztenfunktion im außerdienstlichen Bereich die Einsatzbereitschaft der Truppe konkret beeinträchtigt. Vielmehr ist darauf abzustellen, dass die militärische Ordnung gefährdet ist, wenn die Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit von Soldaten mit Vorgesetztenfunktion durch ein außerdienstliches Verhalten gefährdet wird, das sie als Vorgesetzte, insbesondere von jungen Menschen, disqualifiziert. Alleiniger Zweck der fristlosen Entlassung gemäß § 55 Abs. 5 SG ist es, eine derartige drohende Gefahr für die Bundeswehr abzuwenden. Sie soll künftigen Schaden verhindern und dient allein dem Schutz der Bundeswehr (BayVGH, B.v 30.8.2012 – 6 ZB 12.272 – juris Rn. 11).
Das Verhalten des Klägers ist auch einer gewissen Öffentlichkeit, insbesondere der Geschädigten und ihren Nachbarn, bei welchen sie Hilfe gesucht hat, sowie den herbeigerufenen Polizeibeamten zur Kenntnis gelangt. Ferner ist bei strafgerichtlichen Verurteilungen, denen eine öffentliche Verhandlung vorausgeht, davon auszugehen, dass diesen zu Grunde liegende Vorfälle grundsätzlich dazu geeignet sind, bekannt zu werden (vgl. auch BayVGH, B.v. 15.7.2015 – 6 ZB 15.758 – juris Rn. 10; VG München, U.v. 18.2.2015 – M 21 K 13.290 – juris Rn. 18).
Darüber hinaus ist auch eine Nachahmungsgefahr zu bejahen. Zwar mag diese nicht gerade darin bestehen, dass sich andere Soldaten bei einem Verbleiben des Klägers im Dienst eher zur Anwendung häuslicher Gewalt – in der Partnerschaft – hinreißen ließen (vgl. VG Trier, U.v. 19.5.2015 – 1 K 567/15.TR – juris Rn. 40, das eine Nachahmungsgefahr bei häuslicher Gewalt verneint). Jedoch kann das Verhalten des Klägers bei Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalles – insbesondere auch des Hintergrunds der Tat, die gerade nicht aus dem Affekt heraus oder im Rahmen einer schwierigen Lebenslage des Klägers begangen wurde – ohne Entlassung einen Anlass für Nachahmungshandlungen in der Form bieten, dass andere Soldaten Konflikte im privaten – wie auch im innerdienstlichen – Bereich unter Anwendung von Gewalt lösen, weil sie die Risiken in dienstrechtlicher Hinsicht aufgrund der Signalwirkung des vorliegenden Falles gering einschätzen würden.
Überdies wäre bei einem Verbleiben des Klägers im Dienst auch das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährdet. Dies ergibt sich bereits daraus, dass es sich vorliegend um eine Straftat von erheblichem Gewicht handelt. Eine ernste Ansehensgefährdung wird zudem regelmäßig dann indiziert sein, wenn die zu beurteilende Verfehlung eines oder mehrerer Soldaten geeignet ist, bestehende Vorurteile gegen die Bundeswehr zu bestätigen, etwa dergestalt, dass dort sorglos mit öffentlichem Eigentum umgegangen werde, es sich um ein Sammelbecken von Anhängern nationalsozialistischen Gedankenguts handle, Alkohol- und Betäubungsmittelabusus, sexuelle Übergriffe und archaische Aufnahmerituale verbreitet seien oder ein unseliger Korpsgeist herrsche (VG München, B.v. 17.8.2017 – M 21 S 17.2245 – juris). Die Beklagte weist zutreffend darauf hin, dass auch ein Soldat, der Frauen bzw. deutlich schwächere Personen schlägt und die (straf-)gesetzlichen Grenzen der Gewaltanwendung nicht respektiert, abträgliche Vorurteile gegenüber Soldaten in der Bevölkerung bestätigt. Das Ansehen der Bundeswehr wird unter anderem wesentlich von dem Vertrauen darauf getragen, dass sie sich den Werten des Grundgesetzes verpflichtet weiß (vgl. auch OVG SH, U.v. 19.10.2015 – 2 LB 25/14 – juris Rn. 36). Bei dem Verhalten des Klägers handelt es sich auch nicht um eine Bagatelle, sodass eine Reaktion der Öffentlichkeit zu besorgen ist, die eine ernstliche Gefahr für das Ansehen der Bundeswehr bedeutet. Dass das Verhalten des Klägers einer gewissen Öffentlichkeit zur Kenntnis gelangt ist, wurde bereits ausgeführt.
Weder der Gefährdung der militärischen Ordnung noch der Ansehensgefährdung kann vorliegend durch eine Disziplinarmaßnahme als ein milderes Mittel wirksam begegnet werden. Es ist – wie bereits ausgeführt – nichts dafür vorgetragen oder ersichtlich, dass der Kläger aus dem Affekt heraus gehandelt haben könnte (vgl. nur BVerwG, U.v. 20.6.1983 – 6 C 2/81 – juris Rn. 23 m.w.N.), es sich um eine einmalige Verfehlung in einer schwierigen Lebenslage (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 20.6.1983 – 6 C 2/81 – juris Rn. 24 m.w.N; OVG NW, U.v. 5.12.2012 – 1 A 846/12 – juris Rn. 44 f. m.w.N.) gehandelt haben sollte oder die schuldhaft begangene Dienstpflichtverletzung als nur geringfügig zu bewerten wäre (vgl. hierzu OVG MV, B.v. 23.10.1997 – 2 L 32/97 – juris Rn. 25 ff. m.w.N.). Vielmehr handelte der Kläger aus Eifersucht, sodass gerade nicht davon ausgegangen werden kann, dass es sich um eine einmalige Verfehlung infolge besondere Umstände handelte, die eine mildere Betrachtung rechtfertigen könnte und bei welcher man einer ernstlichen Gefährdung der militärischen Ordnung und des Ansehens der Bundeswehr auch durch eine Disziplinarmaßnahme unterhalb der Entfernung aus dem Dienstverhältnis wirksam begegnen könnte.
Die von der Beklagten getroffene Maßnahme ist auch nicht ermessensfehlerhaft.
Alleiniger Zweck der fristlosen Entlassung gemäß § 55 Abs. 5 SG ist es, eine – sich im Grunde bereits aus der Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorschrift ergebende – drohende Gefahr für die Bundeswehr abzuwenden. Demgegenüber handelt es sich nicht um eine Disziplinarmaßnahme. Die Frage der Angemessenheit des Eingriffs im Verhältnis zu dem erstrebten Zweck ist hier in Gestalt einer Vorabbewertung durch den Gesetzgeber jedenfalls im Wesentlichen bereits durch die Vorschrift selbst – und zwar auf der Tatbestandsebene – konkretisiert worden. Für zusätzliche Erwägungen zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist somit nach der Gesetzeskonzeption im Rahmen des § 55 Abs. 5 SG (grundsätzlich) kein Raum (vgl. OVG NW, B.v. 20.1.2005 – 1 B 2009/04 – juris Rn. 34 m.w.N.).
Dies zu Grunde gelegt, ist das Ermessen der zuständigen Behörde, beim Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 55 Abs. 5 SG vom Ausspruch der fristlosen Entlassung absehen zu können, trotz des Wortlauts „kann“ im Sinne einer sogenannten „intendierten Entscheidung“ auf besondere (Ausnahme-)Fälle zu beschränken (vgl. OVG NW, B.v. 20.1.2005 – 1 B 2009/04 – juris Rn. 36 m.w.N.; BayVGH, U.v. 25.7.2001 – 3 B 96.1876 – juris Rn. 58 ff. m.w.N.).
Nach den Umständen des Falles war die fristlose Entlassung des Klägers als „intendierte Entscheidung“ wie geschehen auszusprechen. Für eine atypische Sachverhaltskonstellation ist in seinem Fall nichts ersichtlich. Insbesondere ergeben sich atypische Umstände bzw. eine Unverhältnismäßigkeit der Entlassungsverfügung nicht bereits daraus, dass die Entlassung erst relativ kurz vor Ablauf der ersten vier Dienstjahre erfolgt ist.
Mit der Begrenzung der Entlassungsmöglichkeit auf die ersten vier Jahre hat das Gesetz selbst die maßgebliche Grenzziehung vorgenommen, womit naturgemäß gewisse Härten verbunden sein können. Die Ausschöpfung dieser Frist durch die Bundeswehr bedarf hiervon ausgehend regelmäßig keiner besonderen Erwägungen; dies gilt besonders dann, wenn die Pflichtverletzung erst kurz oder unmittelbar vor Ablauf der Dienstzeit erfolgt bzw. entdeckt worden ist (vgl. OVG NW, U.v. 29.8.2012 – 1 A 2084/07 – juris Rn. 148).
Auch nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kommt eine fristlose Entlassung aus dem Soldatenverhältnis auch unmittelbar vor dem Ende der Dienstzeit noch in Betracht, ohne an dem Verbot unverhältnismäßiger Grundrechtseingriffe zu scheitern; dies kann allenfalls in atypischen Fallkonstellationen anders sein. Denn bei Dienstpflichtverletzungen, von denen eine negative Vorbildwirkung ausgeht, entfällt diese nicht durch das Ausscheiden des Soldaten aus dem Dienst, sondern kann nur durch eine disziplinarische oder anderweitige Reaktion des Dienstherrn beseitigt werden (BVerwG, U.v. 28.7.2011 – 2 C 28/10 – juris Rn. 12).
Im Falle des Klägers sind keine atypischen Umstände ersichtlich, die die Entlassung nach 3 Jahren 9 Monaten und 16 Tagen als unverhältnismäßig erscheinen lassen könnten und Anlass zu weitergehenden Ausführungen gegeben hätten.
Die Klage war nach alledem mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. der Zivilprozessordnung.

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