Verwaltungsrecht

Fiktionsbescheinigung zur Vermeidung einer unbilligen Härte

Aktenzeichen  10 CS 19.1212

Datum:
17.7.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 17439
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 42 Abs. 1, § 80 Abs. 5 S. 1, § 88, § 123 Abs. 1, § 146 Abs. 4
AufenthG § 32 Abs. 3, § 51 Abs. 1 Nr. 1, § 58 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, § 60a Abs. 2 S. 1, § 81 Abs. 4 S. 3

 

Leitsatz

1. Eine unrichtige Fiktionsbescheinigung entfaltet keine statusbegründende Rechtswirkung. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2. Allein aus der Erteilung einer Fiktionsbescheinigung kann nicht geschlossen werden, dass eine Fortgeltungswirkung zur Vermeidung einer unbilliger Härte nach § 81 Abs. 4 S. 3 AufenthG angeordnet wurde. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 10 S 18.5630 2019-06-04 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit der Beschwerde verfolgt der Antragsteller seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die in Nr. 4. des angefochtenen Bescheids der Antragsgegnerin vom 16. Oktober 2018 verfügte Abschiebungsandrohung weiter. Mit diesem Bescheid wurde der Antragsteller aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen (Nr. 1.), sein Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis vom 11. Juli 2017 abgelehnt (Nr. 2.), das Einreise- und Aufenthaltsverbot unter der Bedingung der Straffreiheit auf vier Jahre befristet (Nr. 3.) und für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise die Abschiebung nach Mazedonien angedroht (Nr. 4.).
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die dargelegten Gründe, auf die der Verwaltungsgerichtshof seine Prüfung nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigen weder die Aufhebung noch eine Abänderung des angefochtenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts. Dieses hat den Antrag des Antragstellers nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO im Ergebnis zu Recht abgelehnt.
Soweit sich das Eilrechtsschutzbegehren des Antragstellers nach dem in erster Instanz so formulierten Antrag (nur) auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung im Bescheid vom 16. Oktober 2018 richtet, ist der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zwar statthaft und auch im Übrigen zulässig, aber unbegründet (1.). Soweit sich der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO der Sache nach auch gegen die in Nr. 2. des Bescheids erfolgte Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis wendet, ist er schon nicht statthaft (2.).
1. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage (nur) gegen die nach Art. 21a VwZVG als Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung kraft Gesetzes vollziehbare Abschiebungsandrohung (anfechtbarer, belastender Verwaltungsakt) ist statthaft. Würde diesem Antrag stattgegeben, wirkte diese Entscheidung auf den Zeitpunkt des Erlasses der Abschiebungsandrohung zurück mit der Folge, dass diese (vorläufig) nicht vollziehbar wäre (vgl. Bauer/Dollinger in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, AufenthG § 59 Rn. 60); insofern besteht auch ein Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers.
Der Antrag ist jedoch unbegründet. Denn die im Rahmen einer Entscheidung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache (Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 1. Alt. VwGO) ergibt ein überwiegendes Vollzugsinteresse, weil dieser Rechtsbehelf voraussichtlich keinen Erfolg haben wird. Bei der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung kommt es entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht darauf an, ob die im angefochtenen Bescheid vom 16. Oktober 2018 ebenfalls verfügte Ausweisung rechtswidrig ist und er entgegen der in Nr. 2 des Bescheids erfolgten Antragsablehnung einen Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis hat. Zwar teilt eine mit der Grundverfügung verbundene Abschiebungsandrohung als Vollstreckungsmaßnahme grundsätzlich das rechtliche Schicksal des Grundverwaltungsaktes selbst (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Stand Januar 2019, A 1 AufenthG § 59 Rn. 115 m.w.N.). Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn die Ausreisepflicht unabhängig davon bereits kraft Gesetzes besteht (vgl. Hailbronner, a.a.O., Rn. 115; BayVGH, B.v. 10.4.2012 – 10 CS 12.62 – juris Rn. 15). So liegt der Fall aber hier.
Im Fall des Antragstellers besteht eine gesetzliche Ausreisepflicht gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG, weil – wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat – sein verspäteter Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis keine Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 4 AufenthG bewirkt. Die dem Kläger auf dessen Antrag auf Erteilung bzw. Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis vom 11. Juli 2017 durch die Antragsgegnerin mehrfach erteilten Fiktionsbescheinigungen gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG haben lediglich rein deklaratorische Wirkung und vermögen demgemäß den damit bestätigten Rechtsstatus nicht zu begründen (vgl. Kluth in BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, Stand 1.11.2018, AufenthG § 81 Rn. 44; Samel in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, AufenthG § 81 Rn. 41 jew. m.w.N.). Die zuletzt bis 22. April 2017 verlängerte Aufenthaltserlaubnis des Antragstellers nach § 32 Abs. 3 AufenthG ist mit Ablauf ihrer Geltungsdauer gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG erloschen. Die erst am 11. Juli 2017 und damit verspätet beantragte Verlängerung bzw. Neuerteilung konnte daher ungeachtet der Gründe der Verspätung nicht die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG auslösen. Die von der Antragsgegnerin gleichwohl ausgestellten Fiktionsbescheinigungen gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG waren daher unrichtig und entfalten keine statusbegründende Rechtswirkung (vgl. BayVGH, B.v. 14.2.2017 – 10 ZB 15.2059 – juris Rn. 14). Zwar kann die Ausländerbehörde nach § 81 Abs. 4 Satz 3 AufenthG bei einem verspätet gestellten Antrag auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels zur Vermeidung einer unbilligen Härte die Fortgeltungswirkung anordnen. Eine solche Anordnung hat die Antragsgegnerin aber nicht getroffen; insbesondere kann auch in der ausweislich der Behördenakten erstmals am 11. Juli 2017 (und in der Folge mehrfach) ausgestellten Bescheinigung „Erlaubnisfiktion gem. § 81 Abs. 4 AufenthG“ eine Anordnung der Ausländerbehörde nach § 81 Abs. 4 Satz 3 AufenthG nicht gesehen werden. § 81 Abs. 4 Satz 3 AufenthG eröffnet den Ausländerbehörden in konkreten Einzelfällen die Möglichkeit, nach pflichtgemäßem Ermessen eine unbillige Härte abzuwenden, in denen nach der bisherigen Rechtslage (vgl. BVerwG, U.v. 22.6.2011 – 1 C 5.10 – NVwZ 2011,1340) mangels rechtzeitiger Antragstellung keine Fortgeltungsfiktion eingetreten wäre (Kluth in BeckOK Ausländerrecht, a.a.O., § 81 Rn. 42.1). Allein aus der – hier erfolgten – Erteilung einer Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 4 AufenthG kann noch nicht darauf geschlossen werden, dass die diese Bescheinigung erteilende Ausländerbehörde die Fortgeltungswirkung tatsächlich nach § 81 Abs. 4 Satz 3 AufenthG angeordnet, also unter Ausübung des ihr eingeräumten Ermessens einen entsprechenden Verwaltungsakt im Sinne des Art. 35 Abs. 1 BayVwVfG erlassen hat. Daher ist in einem solchen Fall unter Berücksichtigung aller Umstände des konkreten Einzelfalls durch Auslegung zu ermitteln, ob die Ausländerbehörde tatsächlich eine Anordnung nach dieser Bestimmung getroffen hat; hierbei ist der erklärte Wille der die Bescheinigung erteilenden Ausländerbehörde maßgebend, wie ihn der Empfänger bei objektiver Würdigung verstehen konnte (§§ 133, 157 BGB entsprechend; vgl. OVG Lüneburg, B.v. 28.9.2017 – 13 ME 244/17 – juris Ls. 1 und Rn. 6 f. m.w.N.). Im vorliegenden Fall hat die Sachbearbeiterin der Antragsgegnerin ausweislich der Behördenakte die Fiktionsbescheinigung erkennbar routinemäßig ausgestellt. Feststellungen zur (erheblichen) Verspätung des Verlängerungsantrages, zu den Voraussetzungen und zum Vorliegen einer unbilligen Härte oder gar Ermessenserwägungen sind in der Ausländerakte nicht dokumentiert, obwohl über andere Umstände des verspäteten Verlängerungsantrags (Angabe, ob der Antragsteller bereits strafrechtlich in Erscheinung getreten ist) ein ausdrücklicher Vermerk angefertigt worden ist (Bl. 124 der Behördenakte). Auch sonstige Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsgegnerin im Fall des Antragstellers die gesetzlich nicht eintretende Fortgeltungswirkung anordnen wollte, fehlen. Darauf hat die Antragsgegnerin im Übrigen in ihrer Beschwerdeerwiderung vom 5. Juli 2019 zutreffend hingewiesen.
Demgemäß kommt es entscheidungserheblich nicht mehr darauf an, ob beim Antragsteller die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Anordnung nach § 81 Abs. 4 Satz 3 AufenthG vorlagen, also eine unbillige Härte im Sinne dieser Bestimmung bestand, und die Ausländerbehörde die Fortgeltungswirkung hätte anordnen können.
2. Soweit sich der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO unter Berücksichtigung des gesamten Vortrags des Antragstellers auch gegen die in Nr. 2 des Bescheids erfolgte Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis wendet, ist er schon nicht statthaft. Denn nur dann, wenn sich ein Ausländer gegen die Versagung eines Aufenthaltstitels wendet und sein Antrag auf Erteilung oder Verlängerung eine gesetzliche Erlaubnis-, Duldungs- oder Fortgeltungsfiktion nach § 81 Abs. 3 oder 4 AufenthG ausgelöst hatte, richtet sich der vorläufige Rechtsschutz nach Ablehnung des Antrags nach § 80 Abs. 5 Satz 1 AufenthG (vgl. z.B. Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 8; Kluth in BeckOK Ausländerrecht, a.a.O., § 81 Rn. 48; Samel in Bergmann/Dienelt, a.a.O., § 81 Rn. 43 jew. m. Rsprnachweisen; zur Abgrenzung des vorläufigen Rechtsschutzes vgl. z.B. auch BayVGH, B.v. 28.10.2014 – 10 C 14.2002 – juris Rn. 13, B.v. 21.6.2013 – 10 CS 13.1002 – juris Rn. 13 ff. m.w.N.).
Eine Umdeutung des durch die Prozessbevollmächtigte ausdrücklich gestellten Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO in einen Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO kommt ungeachtet grundsätzlicher Bedenken (vgl. z.B. Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 88 Rn. 9) schon deshalb nicht in Betracht, weil der Antragsteller einen möglichen Antrag auf Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG bisher weder bei der Antragsgegnerin gestellt noch gar einen entsprechenden Anordnungsanspruch mit der für die Glaubhaftmachung erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht hat (BayVGH, B.v. 21.6.2013 – 10 CS 13.1002 – juris Rn. 15).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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