Verwaltungsrecht

Offensichtlich unbegründeter Asylantrag einer alleinstehenden nigerianischen Frau mit Kindern.

Aktenzeichen  M 32 S 18.30208

Datum:
29.5.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 21964
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
AsylG § 3, § 4, § 30, § 36
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1, § 60a Abs. 1 S. 1
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass in Nigeria für alleinstehende Frauen mit Kind(ern) die Möglichkeit gegeben ist, ökonomisch eigenständig alleine zu leben und auch mit oder ohne Hilfe Dritter zu überleben. Auch insoweit kann allein in besonders gelagerten Einzelfällen ein Abschiebungsverbot bestehen.  (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen einen Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt), mit dem sein Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt, Abschiebungsverbote verneint und seine Abschiebung nach Nigeria angedroht wurden.
Der Antragsteller wurde am 26. Juni … in … geboren und ist nach Angaben seiner Mutter, die auch seine alleinige gesetzliche Vertreterin ist, nigerianischer Staatsangehöriger. Am 10. August 2017 stellte seine Mutter für ihn in der Bundesrepublik Deutschland einen Asylantrag, ohne individuelle Asylgründe ihres Sohns geltend zu machen.
Bei der Anhörung gemäß § 25 Asylgesetz beim Bundesamt am 4. November 2016 zu ihrem eigenen Asylantrag vom 17. Juni 2015 hatte die Mutter des Antragstellers angegeben, dass sie Abitur und anschließend 3 Jahre Lehramt studiert habe; sie habe in Nigeria auch ein Jahr als Lehrerin für Englisch gearbeitet. Bis zu ihrer Ausreise aus Nigeria habe sie zusammen mit ihrer damals 10 Jahre alten Tochter, 3 Schwestern, einem Bruder sowie der Großfamilie in … … gewohnt. Im Februar 2011 sei sie ausgereist, weil sie mangels Arbeit auf die finanzielle Unterstützung ihrer Mutter angewiesen war und im Ausland arbeiten wollte, um in der Lage zu sein, ihre Familie finanziell zu unterstützen. Sie habe mehrere Jahre in Italien als Straßenhändlerin gearbeitet, bis sie erneut schwanger wurde. Sie habe dort Miete und Essen nicht mehr bezahlen können und sei im Februar 2015 nach Deutschland gereist. Bei einer ärztlichen Untersuchung in Deutschland sei festgestellt worden, dass sie an HIV erkrankt sei. Sie sei deshalb in ärztlicher Behandlung. Von der bei ihrer Einreise vorhandenen Tuberkulose sei sie nach ärztlicher Auskunft inzwischen geheilt. Mit Bescheid vom 15. November 2017 hat das Bundesamt diesen Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, Asylanerkennung und subsidiären Schutz als offensichtlich unbegründet abgelehnt, festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz nicht vorliegen und eine Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung erlassen. Zur Begründung ist u.a. ausgeführt worden, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes und die Anerkennung als Asylberechtigte offensichtlich nicht vorlägen. Auch die derzeitigen humanitären Bedingungen in Nigeria führten nicht zu der Annahme, dass bei der Abschiebung der Mutter des Antragstellers eine Verletzung des Art. 3 ERMK vorliege. Die Mutter des Antragstellers sei eine junge Frau, die Lehramt studiert und Englisch unterrichtet habe. Bis zu ihrer Ausreise aus ihrem Heimatland habe sie im Elternhaus gemeinsam mit ihrer Mutter, ihren Geschwistern und ihrer Tochter gewohnt. Zum Lebensunterhalt ihrer in Deutschland geborenen Kinder könnte auch der Kindsvater, ein Nigerianer, beitragen. Vor diesem Hintergrund sei davon auszugehen, dass sie bei einer Rückkehr nach Nigeria dort wieder ihren Lebensunterhalt und den ihrer Familie bestreiten können werde. Ebenso wenig drohe der Mutter des Antragstellers eine individuelle Gefahr für Leib und Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Aufenthaltsgesetz führte. Gründe sich die von einem Ausländer geltend gemacht Furcht ausschließlich auf Gefahren, die die ganze Bevölkerung oder eine Bevölkerungsgruppe, der er angehöre, allgemein beträfen, so sei die Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz im Verfahren beim Bundesamt gesperrt und blieben Schutzanordnungen der obersten Landesbehörde vorbehalten. Auch drohe ihr keine wesentliche oder lebensbedrohende Verschlechterung ihres Gesundheitszustands. Nigeria verfüge über die medizinischen Möglichkeiten, sodass sie sich auch in ihrer Heimat hinreichend behandeln lassen könne. Über die von der Mutter des Antragstellers hiergegen erhobene Asylklage (Az. M 12 K 17.49807) wurde noch nicht entschieden.
Mit Bescheid vom 4. Januar 2018, zugestellt gegen Postzustellungsurkunde am 8. Januar 2018, lehnte das Bundesamt den Antrag des Antragstellers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, Asylanerkennung und subsidiären Schutz als offensichtlich unbegründet ab und stellte fest, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz vorliegen. Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen, andernfalls werde ihm die Abschiebung nach Nigeria oder in einen anderen Staat, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht. Der Asylantrag des Antragstellers sei – ebenso wie der Asylantrag seiner Mutter – offensichtlich unbegründet, da offensichtlich sei, dass der Aufenthalt des Antragstellers und seiner Mutter im Bundesgebiet nur aus wirtschaftlichen Gründen oder um einer allgemeinen Notsituation zu entgehen, erfolge. Es längen auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz vor.
Mit Schriftsatz vom 12. Januar 2018, bei Gericht eingegangen am 13. Januar 2018, erhob der Antragsteller, gesetzlich vertreten durch seine Mutter, durch seinen Prozessbevollmächtigten Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München und beantragte weiterhin,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 4. Januar 2018 wiederherzustellen.
Zur Begründung wurde – ohne weitere Ausführungen – angemerkt, es liege eine Verletzung des Art. 3 EMRK vor.
Die Antragsgegnerin übermittelte die Asylverfahrensakte des Antragstellers, äußerte sich aber nicht zur Sache.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die elektronisch übermittelte Behördenakte verweisen.
II.
Der Antrag war gem. § 88 VwGO dahingehend auszulegen, dass lediglich hinsichtlich der Ausreiseaufforderung und der Abschiebungsandrohung im Bescheid vom 4. Januar 2018 nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) die Anordnung der – gemäß § 75 Abs. 1 AsylG ausgeschlossenen – aufschiebenden Wirkung der Klage begehrt wird.
Dieser Antrag ist zulässig. Insbesondere wurde der Antrag innerhalb der Wochenfrist des § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG gestellt und es wurde gleichzeitig Klage gegen den Bescheid vom 4. Januar 2018 innerhalb der – gemäß § 74 Abs. 1 Hs. 2 AsylG auch für diese maßgeblichen – Wochenfrist erhoben, so dass dieser noch nicht bestandskräftig ist.
Der Antrag ist jedoch unbegründet.
Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage im Fall des vorliegend aus § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1 AsylG (hier Fall des § 36 Abs. 1 AsylG – Ausreisefrist von einer Woche im Fall der offensichtlichen Unbegründetheit des Asylantrags) folgenden gesetzlichen Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Bei der Entscheidung über den Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO hat das Gericht eine eigenständige Abwägung der widerstreitenden Interessen vorzunehmen. Gemäß Art. 16a Abs. 4 Grundgesetz (GG) i. V. m. § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung im Fall eines als offensichtlich unbegründet abgelehnten Asylantrags allerdings nur angeordnet werden, wenn zum maßgeblichen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen, wobei Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, unberücksichtigt bleiben, es sei denn, sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig (§ 36 Abs. 4 Satz 2 AsylG). Ernstliche Zweifel liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris Rn. 99). Gegenstand des Eilverfahrens ist dabei die aufenthaltsbeendende Maßnahme, beschränkt auf die Frage ihrer sofortigen Vollziehbarkeit.
Die sofortige Beendigung des Aufenthalts des Antragstellers im Bundesgebiet stützt sich vorliegend auf die qualifizierte Ablehnung seines Asylantrags als offensichtlich unbegründet und ist deren Folge. Anknüpfungspunkt der gerichtlichen Prüfung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist daher die Frage, ob der Asylantrag zu Recht als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde und ob diese Ablehnung weiterhin Bestand haben kann, ohne dass deshalb der Ablehnungsbescheid selbst zum Verfahrensgegenstand wird (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris Rn. 93). Die gerichtliche Überprüfung der vom Bundesamt getroffenen Offensichtlichkeitsentscheidung hat mit Blick auf den nach Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) gebotenen effektiven Rechtsschutz aufgrund der als asylerheblich vorgetragenen oder zu erkennenden Tatsachen und in Anwendung des materiellen Asylrechts erschöpfend, nicht nur summarisch, wenngleich mit Verbindlichkeit allein für das Eilverfahren zu erfolgen (vgl. BVerfG, B.v. 19.6.1990 – 2 BvR 369/90 – juris Rn. 20). Die Anforderungen entsprechen insofern denjenigen der Ablehnung einer asylrechtlichen Klage als offensichtlich unbegründet (vgl. BVerfG, B.v. 19.6.1990 – 2 BvR 369/90 – juris Rn. 21). Das Gericht hat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auch die Einschätzung des Bundesamtes nach § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorliegen, zum Gegenstand der Prüfung zu machen (vgl. Pietzsch, in: BeckOK Ausländerrecht, § 36 AsylG Rn. 42, Stand: 1.8.2018; VG Ansbach, B.v. 26.3.2013 – AN 11 S 13.30170 – juris Rn. 4). Dies ist zwar der gesetzlichen Regelung in § 36 AsylG nicht unmittelbar zu entnehmen, dafür sprechen jedoch § 34 Abs. 1 AsylG und Art. 103 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 GG (vgl. BVerfG, B.v. 17.7.1996 – 2 BvR 1291/96 – juris Rn. 3; BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris Rn. 172 zur vergleichbaren Rechtslage nach § 51 Ausländergesetz 1990).
Gemessen an diesen Grundsätzen sind die auf der Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet beruhende Ausreiseaufforderung mit einwöchiger Ausreisefrist und die Abschiebungsandrohung nach §§ 34, 36 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG im Rahmen des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes nicht zu beanstanden.
a) An der Rechtmäßigkeit der Ablehnung des Antrags des Antragstellers auf Asylanerkennung, Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und subsidiären Schutz als offensichtlich unbegründet bestehen in dem nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts keine ernstlichen Zweifel.
Ein Asylantrag im Sinne von § 13 Abs. 2 Satz 1 AsylG ist offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes offensichtlich nicht vorliegen (§ 30 Abs. 1 AsylG). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts setzt eine Abweisung der Asylklage als offensichtlich unbegründet voraus, dass im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (§ 77 Abs. 1 AsylG) an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Gerichts vernünftigerweise keine Zweifel bestehen können und bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung (nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre) die Abweisung der Klage sich dem Verwaltungsgericht geradezu aufdrängt (vgl. BVerfG, B.v. 20.9.2001 – 2 BvR 1392/00 – juris Rn. 17). Aus den Gründen muss sich klar ergeben, weshalb dieser Ausspruch in Betracht kommt, insbesondere, warum der Asylantrag nicht nur als schlicht unbegründet, sondern als offensichtlich unbegründet abgewiesen worden ist (vgl. grundlegend BVerfG, B.v. 3.9.1996 – 2 BvR 2353/95 – juris Rn. 13; BVerfG, B.v. 27.9.2007 – 2 BvR 1613/07 – juris Rn. 17 m.w.N.). Dieser Maßstab muss entsprechend auch für die behördliche Offensichtlichkeitsentscheidung nach § 30 AsylG gelten. Es kommt also darauf an, ob die Offensichtlichkeitsentscheidung in Bezug auf die geltend gemachten Asylgründe mit der erforderlichen Richtigkeitsgewähr bestätigt werden kann. Gemäß § 30 Abs. 2 AsylG ist ein Asylantrag insbesondere offensichtlich unbegründet, wenn nach den Umständen des Einzelfalls offensichtlich ist, dass sich der Ausländer nur aus wirtschaftlichen Gründen oder um einer allgemeinen Notsituation zu entgehen, im Bundesgebiet aufhält.
Nach den Umständen des Einzelfalls ist offensichtlich, dass sich der Antragsteller mit seiner Mutter nur aus wirtschaftlichen Gründen und um einer allgemeinen Notsituation in Nigeria zu entgehen, im Bundesgebiet aufhält (§ 30 Abs. 2 AsylG). Die Mutter des Antragstellers hat in ihrem Asylverfahren beim Bundesamt lediglich wirtschaftliche Gründe und eine allgemeine Notsituation als Anlass für ihre Flucht vorgetragen. Der Asylantrag des Antragstellers wurde nicht (eigenständig) begründet. Auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ist bislang keine weitergehende Begründung für das Schutzbegehren des Antragstellers erfolgt. Das Gericht schließt sich insoweit der Begründung des angefochtenen Bescheids vom 4. Januar 2018 an und nimmt auf diese Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG).
b) Auch an der Rechtmäßigkeit der Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorliegen, bestehen zum jetzigen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG) keine ernstlichen Zweifel. Das Gericht folgt insoweit den Feststellungen und der Begründung des streitgegenständlichen Bescheids (§ 77 Abs. 2 AsylG) und führt in Anlehnung an die Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg im Urteil vom 17.1.2018 (A 11 S 241/17 – juris Rn. 248 ff) ergänzend aus:
aa) Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten – EMRK – ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Im Falle einer Abschiebung wird eine Verantwortlichkeit der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 3 EMRK dann begründet, wenn erhebliche Gründe für die Annahme bestehen, dass der Betroffene im Fall der Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein. Eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung kann sich aus einer allgemeinen Situation der Gewalt im Zielstaat ergeben, einem besonderen Merkmal des Ausländers oder einer Verbindung von beiden (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2018 – 13a B 18.30632 – juris Rn. 26; BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 25).
aaa) Unter dem Begriff der unmenschlichen Behandlung ist die vorsätzliche und beständige Verursachung körperlicher Verletzungen oder physischen oder psychischen Leids zu verstehen, während bei einer erniedrigenden Behandlung nicht die Zufügung von Schmerzen, sondern die Demütigung im Vordergrund steht.
Auch schlechte humanitäre Verhältnisse können in ganz außergewöhnlichen Einzelfällen eine unmenschliche Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen. Dieses ist immer dann anzunehmen, wenn diese Verhältnisse ganz oder überwiegend auf staatlichem Handeln, auf Handlungen von Parteien eines innerstaatlichen Konflikts oder auf Handlungen sonstiger nichtstaatlicher Akteure, die dem Staat zurechenbar sind, beruhen, weil er der Zivilbevölkerung keinen ausreichenden Schutz bieten kann oder will (EGMR, Urteile vom 21.01.2011 – 30696/09 – (M.S.S./Belgien und Griechenland), NVwZ 2011, 413 und vom 28.06.2011 – 8319/07 und 11449/07 – (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681). Aber auch dann, wenn diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, weil es an einem verantwortlichen Akteur fehlt und „nichtstaatliche“ Gefahren für Leib und Leben im Zielgebiet aufgrund prekärer Lebensbedingungen vorliegen, können schlechte humanitäre Bedingungen im Zielgebiet dennoch in ganz außergewöhnlichen Einzelfällen im Rahmen von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK als unmenschliche Behandlung zu qualifizieren sein (BVerwG, U.v. 13.06.2013 – 10 C 13.12 – Rn. 24 f.; VGH B​W, U.v. 24.07.2013 – A 11 S 697/13 – juris Rn. 79 ff.).
Außergewöhnliche individuelle Umstände bzw. Merkmale können auch solche sein, die eine Person mit anderen Personen teilt, die Träger des gleichen Merkmals sind bzw. sich in einer im Wesentlichen vergleichbaren Lage befinden. Dies folgt aus den wiederholten ausdrücklichen Hinweisen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auf die allgemeinen Verhältnisse im Zielstaat der Abschiebung, auf deren Hintergrund die besondere Lage des Betroffenen zu beurteilen ist. Auch in einem solchen Fall kann ausnahmsweise ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK zu bejahen sein, wenn die Abschiebung zu einer ernsthaften, schnellen und irreversiblen Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Betroffenen führen würde, die ein schweres Leiden oder eine erhebliche Verringerung der Lebenserwartung zur Folge hätte.
Schlechte humanitäre Verhältnisse können somit nur in ganz „besonderen Ausnahmefällen“ Art. 3 EMRK verletzen, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2018 – 13a B 18.30632 – juris Rn. 26).
Dabei können Ausländer aber grundsätzlich kein Recht aus der Konvention auf Verbleib in einem Konventionsstaat geltend machen, um dort weiter medizinische, soziale oder andere Hilfe und Unterstützung zu erhalten. Der Umstand, dass im Fall einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, reicht nach dieser Rechtsprechung allein nicht aus, einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen. Denn Art. 3 EMRK verpflichtet die Staaten nicht, Unterschiede im Fortschritt in der Medizin sowie Unterschiede in sozialen und wirtschaftlichen Standards durch freie und unbegrenzte Versorgung von Ausländern ohne Bleiberecht zu beseitigen (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 23). (Nur) in ganz außergewöhnlichen Fällen können auch schlechte humanitäre Verhältnisse Art. 3 EMRK verletzen, wenn die humanitären Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 25), wie z.B. im Fall einer tödlichen Erkrankung im fortgeschrittenen Stadium, wenn im Zielstaat keine Unterstützung besteht (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 23 ff.).
bbb) Für das Vorliegen eines Abschiebungsverbots aus § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK aufgrund der allgemeinen Lebensverhältnisse im Zielstaat ist – wie im Rahmen von §§ 3 ff. und § 4 Asylgesetz – der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen; Auch im Rahmen des Art. 3 EMRK ist nach der Rechtsprechung des EGMR eine tatsächliche Gefahr („real risk“) erforderlich aber auch ausreichend, d.h. es muss eine ausreichende reale, nicht nur auf bloßen Spekulationen gegründete Gefahr bestehen. Die tatsächliche Gefahr einer Art. 3 EMRK zuwiderlaufenden Behandlung muss danach aufgrund aller Umstände des Falles hinreichend sicher und darf nicht hypothetisch sein.
Es ist allerdings keine Extremgefahr wie im Rahmen der verfassungskonformen Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erforderlich (vgl. BVerwG, B.v. 23.8.2018 – 1 B 42.18 – juris Rn. 13). Die einem Ausländer im Zielstaat drohenden Gefahren müssen vielmehr ein gewisses „Mindestmaß an Schwere“ erreichen; diese Voraussetzung kann erfüllt sein, wenn der Ausländer nach Würdigung aller Umstände des Einzelfalls im Zielstaat der Abschiebung seinen existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern, kein Obdach finden oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhalten kann (vgl. BVerwG, B.v. 23.8.2018 – 1 B 42.18 – juris Rn. 11). Die Unmöglichkeit der Sicherung des Lebensunterhalts kann auf der Verhinderung eines Zugangs zum Arbeitsmarkt oder auf dem Fehlen staatlicher Unterstützungsleistungen beruhen. Die Rechtsprechung sowohl des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte als auch des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – BVerwGE 146, 12 = NVwZ 2013, 1167) macht letztlich deutlich, dass bei „nichtstaatlichen“ Gefahren für Leib und Leben ein sehr hohes Gefahrenniveau erforderlich ist; nur dann liegt ein „ganz außergewöhnlicher Fall“ vor, in dem die humanitären Gründe gegen die Ausweisung „zwingend“ sind (BayVGH, U.v. 21.11.2018 – 13a B 18.30632 – juris Rn. 27 m.w.N.).
ccc) Des Weiteren ist für die Beurteilung, ob außerordentliche Umstände vorliegen, die – wie hier – nicht in die unmittelbare Verantwortung des Abschiebungszielstaates fallen und die dem abschiebenden Staat nach Art. 3 EMRK eine Abschiebung des Ausländers verbieten, grundsätzlich auf den gesamten Abschiebungszielstaat abzustellen und zunächst zu prüfen, ob solche Umstände an dem Ort vorliegen, an dem die Abschiebung endet (BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 26). Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK kann nur beanspruchen, wem prinzipiell im gesamten Zielstaat der Abschiebung die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung landesweit droht; es darf also für den Betroffenen keine interne/innerstaatliche Fluchtalternative bestehen.
Für die Annahme einer solchen internen Fluchtalternative im Rahmen des Art. 3 EMRK müssen jedoch gewisse (dem internen Schutz nach § 3e AsylG durchaus ähnliche) – vgl. zu den Überschneidungen des Art. 3 EMRK mit dem internen Schutz nach § 3e AsylG (aber auch zu den Unterschieden) ausführlich Marx, ZAR 2017, 304) – Voraussetzungen erfüllt sein: Die abzuschiebende Person muss in der Lage sein, sicher in das betroffene Gebiet zu reisen, Zutritt zu diesem zu erhalten und sich dort niederzulassen. Ein anderer Ort im Zielstaat kann dem Betroffenen nicht zugemutet werden, wenn dort keine hinreichenden sozialen Bedingungen herrschen, die ein menschenwürdiges Dasein einschließlich des Zugangs zu einer Grundversorgung sowie der erforderlichen sanitären Einrichtungen für die individuell betroffene Person ermöglichen.
ddd) Ausgangspunkt für die Gefahrenprognose ist eine möglichst realitätsnahe, wenngleich notwendig hypothetische Rückkehrsituation. Erforderlich ist eine Gesamtschau und auf den konkreten Einzelfall bezogene Prüfung unter Berücksichtigung objektiver Gesichtspunkte (darunter insbesondere die wirtschaftlichen und humanitären Verhältnisse einschließlich der Gesundheitsversorgung sowie die Sicherheitslage am Ankunftsort sowie an dem Ort, an den der Betroffene letztlich dauerhaft zurückkehren soll) und persönlicher und familiärer Umstände. Relevant kann dabei sein, ob die Person in der fraglichen Region eine familiäre Anbindung hat.
(1) Bei der Prüfung, ob der Abschiebung eines erfolglosen Asylbewerbers Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG entgegenstehen, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bei der Prognose, welche Gefahren dem Asylbewerber im Falle einer Abschiebung in den Heimatstaat drohen, regelmäßig von einer gemeinsamen Rückkehr des Asylbewerbers mit den Familienangehörigen auszugehen, falls er auch in der Bundesrepublik Deutschland mit Ihnen als Familie zusammen lebt. Eine gemeinsame Rückkehr mit Familienangehörigen, die aufgrund rechtskräftiger Feststellung als politisch Verfolgte Abschiebungsschutz genießen, kann hingegen im Regelfall nicht angenommen werden (zum Ganzen vgl. BVerwG, U.v. 8.9.1992 – 9 C 8.91 – juris Rn. 14; U.v. 16.8.93 – 9 C 7.93 – juris Rn. 10; U.v. 21.9.1999 – 9 C 12.99 – juris Rn. 11). Es ist deshalb von einer gemeinschaftlichen Rückkehr minderjähriger Asylsuchender mit ihrer Mutter bzw. ihren Eltern auszugehen, zumal minderjährige Kinder in aller Regel nicht getrennt von ihrem vertretungsberechtigten Elternteil bzw. ihren Eltern abgeschoben werden (vgl. auch Pietsch, in BeckOK AuslR, 22. Ed., Stand 01.08.2018, Asylgesetz; § 43, Rn. 10). Unter dieser Annahme bestehen keine ernstlichen Zweifel daran, dass die Voraussetzungen für eine ganz ausnahmsweise auf die allgemein schwierigen Lebensbedingungen im Herkunftsland gestützte Verletzung des Art. 3 EMRK durch eine Abschiebung des Antragstellers – auch unter Berücksichtigung seiner individuellen Voraussetzungen und konkreten Lebenssituation bei Rückkehr bzw. erstmaliger Reise nach Nigeria – nicht vorliegen.
(a) Zwar sind die allgemeinen Lebensbedingungen in Nigeria schwierig. Das Gericht verkennt nicht, dass nach der derzeitigen Erkenntnislage die allgemeine wirtschaftliche und soziale Lage für die Mehrheit der Bevölkerung in Nigeria problematisch ist. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung, nach den vorliegenden Erkenntnissen ca. 70% der Bevölkerung, lebt am Existenzminimum (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria, 10.12.2018, S. 8, 21), der größte Teil der Bevölkerung hat nur unter erschwerten Bedingungen Zugang zu Wasser und Strom, es existiert kein staatlich organisiertes Hilfsnetz für Bedürftige und Leistungen der allgemeinen Kranken- und Rentenversicherung kommen nur Beschäftigen im formellen Sektor und damit schätzungsweise nur 10% der Bevölkerung zugute. Die medizinische Versorgung ist zudem gerade auf dem Land mangelhaft und liegt auch in den Großstädten in der Regel unter europäischem Standard (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria, 10.12.2018, S. 22). Darüber hinaus werden die Rechte des Kindes in Nigeria nur unzureichend gewährleistet; zwei Drittel der Kinder werden nicht richtig oder unterernährt. Die staatlichen Schulen sind im Allgemeinen in einem schlechten Zustand und Gewalt und sexuelle Übergriffe gegenüber Schülerinnen und Schülern sind an den meisten Schulen Alltag. Schließlich besuchen nur gut 60% der Kinder die Primarschule und nur 40% die Sekundarstufe. Kinderarbeit und -prostitution, Vernachlässigung und Aussetzung von Kindern sind verbreitet (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria, 21.1.2018, S. 15 sowie vom 10.12.2018, S. 14). Ferner ist die Situation für alleinstehende Frauen in Nigeria – und damit auch für deren Kinder – nach den vorliegenden Erkenntnismitteln besonders schwierig. So ist davon auszugehen, dass sie trotz der in der Verfassung verankerten Gleichberechtigung von Mann und Frau in vielen Rechts- und Lebensbereichen benachteiligt und diskriminiert werden. Vor allem im Norden Nigerias sind Kinderehen weit verbreitet, die oft zu Schwangerschaften in jungem Alter mit gesundheitlichen Schädigungen sowie zu vorzeitigem Abbruch der Schulbildung führen. Darüber hinaus können viele Frauen im Norden keiner beruflichen Betätigung nachgehen, weil sie die familiäre Wohnung ohne Begleitung eines männlichen Angehörigen nicht verlassen dürfen. Da es in Nigeria keine staatliche finanzielle oder soziale Unterstützung gibt, sind alleinstehende Frauen meist von finanziellen Zuwendungen durch die (Groß)-Familie, Nachbarn oder Freunde abhängig. Jedoch ist es auch für den Personenkreis der alleinstehenden Frauen nicht unmöglich bzw. ausgeschlossen, sich eine wirtschaftliche Grundexistenz zu schaffen, so etwa im Südwesten des Landes und in den Städten, in denen alleinstehende Frauen eher akzeptiert werden (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria, 21.1.2018, S. 16 f. sowie vom 10.12.2018, S. 15; Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation, Situation alleinstehender Frauen vom 14.7.2010; Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation, Frauen, Kinder, sexuelle Orientierung, Gesundheitsversorgung vom 21.6.2011; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Nigeria: Update vom 12.4.2010).
Es besteht somit für Rückkehrer in Nigeria die Möglichkeit, ökonomisch eigenständig zu leben und auch ohne Hilfe Dritter zu überleben. Vor diesem Hintergrund kann nicht grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass die Abschiebung von alleinstehenden Frauen mit Kindern nach Nigeria stets gegen die EMRK verstieße. Es bestehen zwar in Nigeria – in ihrem Ausmaß insbesondere auch abhängig von der Region – für alleinerziehende Mütter besondere Schwierigkeiten. Jedoch ist grundsätzlich davon auszugehen, dass auch in Nigeria für alleinstehende Frauen mit Kind(ern) die Möglichkeit gegeben ist, ökonomisch eigenständig alleine zu leben und auch mit oder ohne Hilfe Dritter zu überleben. Auch insoweit kann allein in besonders gelagerten Einzelfällen ein Abschiebungsverbot bestehen (vgl. VG Aachen, U.v. 24.5.2012 – 2 K 2051/10.A – juris Rn. 32).
(b) Vorliegend bestehen keine ernstlichen Zweifel daran, dass beim Antragsteller kein außergewöhnlicher Fall vorliegt, bei dem die humanitären Gründe gegen die Abschiebung zwingend sind. Die Voraussetzungen für eine solche ganz ausnahmsweise auf die allgemein schwierigen Lebensbedingungen im Herkunftsland gestützte Verletzung des Art. 3 EMRK durch eine Abschiebung des Antragstellers – auch unter Berücksichtigung seiner individuellen Voraussetzungen und konkreten Lebenssituation bei Rückkehr bzw. erstmaliger Reise nach Nigeria – liegen nicht vor. Denn es ist gegenwärtig nicht ersichtlich, dass der Antragsteller bzw. seine Mutter und der Antragsteller in Nigeria völlig auf sich allein gestellt wären und seine Mutter dort nicht in der Lage wäre, zumindest ihrer beider Existenz zu sichern.
Zum einen ist davon auszugehen, dass der Antragsteller mit seiner Mutter im Fall der Rückkehr nach Nigeria an deren früheren Wohnort in … auf die Unterstützung der (Groß-)Familie mit 3 Schwestern und einem Bruder seiner Mutter zurückgreifen kann. Zum anderen sind keine durchgreifenden Gründe vorgetragen oder erkennbar, die dagegen sprechen würden, dass die Mutter des Antragstellers im Fall einer Rückkehr in der Lage sein werde, etwa durch eine Arbeitsaufnahme ein kleines Einkommen zu erzielen, um damit den Lebensunterhalt ihrer Familie zu finanzieren. Die Mutter des Antragstellers ist jung, trotz ihrer Erkrankung nach Aktenlage erwerbsfähig und hat eine überdurchschnittliche Schulbildung und jedenfalls praktische Erfahrung als Lehrerin sowie im Handel. Daraus ist zu schließen, dass ihr auch in Nigeria die Wiederaufnahme einer praktischen beruflichen Tätigkeit möglich sein wird, mit der sie das Existenzminimum für sich und ihren in Deutschland geborenen Sohn erwirtschaften kann, ohne insoweit zwingend der Unterstützung durch den Vater des Antragstellers zu bedürfen.
Es ist damit nicht beachtlich wahrscheinlich, dass die Mutter des Antragstellers nicht in der Lage sein wird, eine Existenzgrundlage für sich und ihren Sohn zu schaffen, d.h. den existentiellen Lebensunterhalt zu sichern, ein Obdach bei ihrer (Groß)-familie zu finden und Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung zu erhalten. Im Übrigen ist auch nicht erkennbar, dass der Vater des Antragstellers nicht zum Unterhalt des Antragstellers beitragen werde. Zudem wird darauf hingewiesen, dass kein Grund dafür ersichtlich ist, dass die Mutter des Antragstellers grundsätzlich daran gehindert sei, ihren Sohn beispielsweise im Fall der Wiederaufnahme der beruflichen Tätigkeit als Marktfrau zur Ausübung einer beruflichen Tätigkeit mitzunehmen, was in Nigeria durchaus üblich. Ein Unterstützungsbedarf durch ihre Familie könnte insoweit allenfalls in geringem Umfang entstehen.
(2) Auch in Hinblick auf eine theoretisch denkbare Trennung des Antragstellers, eines Kleinkinds von knapp 2 Jahren, von seiner Mutter bei einer isolierten Abschiebung würde sich gegen die Beklagte kein – zielstaatsbezogenes – Abschiebungsverbot ergeben. Bei einer – für den Fall der Trennung unterstellten – rechtlich beachtlichen Existenzgefährdung des Antragstellers im Zielstaat der Abschiebung handelt es sich lediglich um eine mittelbare, im Zielstaat auftretende trennungsbedingte Gefahr, die als Folge der Trennung des Antragstellers von seiner derzeit (noch) aufenthaltsberechtigten mit ihm zusammenlebenden Mutter eintreten würde, während sich im Fall von deren gleichzeitiger Rückkehr nach Nigeria diese Frage wegen der dann bestehenden Wohn- und Erwerbsmöglichkeiten der Mutter des Antragstellers und der zu erwartenden Unterstützung durch den Familienverband nicht stellen würde. Die Frage, ob eine mit der Durchführung der Abschiebung möglicherweise einhergehende Trennung des Antragstellers von seiner Mutter zulässig ist, ist damit ausschließlich von der Ausländerbehörde im Rahmen der ihr obliegenden Prüfung etwaiger (inlandsbezogener) Vollstreckungshindernisse zu entscheiden, die hierbei auch die weiteren Folgen der Trennung zu berücksichtigen hat. Ein gegen die Antragsgegnerin gerichteter Anspruch auf Feststellung eines zielstaatsbezogenen nationalen Abschiebungsverbots wegen – unterstellter – trennungsbedingter Existenzgefährdung des Antragstellers besteht in dieser Situation indes nicht. Hierdurch wird auch nicht die gefestigte Zuständigkeits- und Kompetenzaufteilung zwischen BAMF und Ausländerbehörden hinsichtlich zielstaatsbezogener Fragestellungen unterlaufen. Vielmehr wird das behördliche und gerichtliche Asylverfahren um schwierig zu beantwortende Fragen trennungsbedingter Folgen im Zielstaat entlastet, wenn – wie hier – noch nicht absehbar ist, ob und wenn ja wann die Ausländerbehörde eine Trennung der Familienangehörigen beim Vollzug einer Abschiebung in Betracht zieht und zugleich eine nicht unerhebliche Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass sich in absehbarer Zeit auch im Asylverfahren des derzeit (noch) aufenthaltsberechtigten Familienangehörigen eine Ausreiseverpflichtung ergeben wird (vgl. BVerwG, U.v. 21.9.1999 – 9 C 12/99 – juris Rn. 13ff; VGH BW, U.v. 13.12.2012 – A 2 S 1995/12 – juris Rn 16).
Nach alledem ist nicht ersichtlich, dass im Fall der Rückkehr nach Nigeria das von Art. 3 EMRK geschützte Existenzminimum für den Antragsteller nicht gesichert werden könnte. Insgesamt liegen daher die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK nicht vor.
bb) Anhaltspunkte für ein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind aus den im streitgegenständlichen Bescheid zutreffend ausgeführten Gründen, auf die Bezug genommen wird (§ 77 Abs. 2 AsylG), nicht ersichtlich. Ergänzend ist folgendes auszuführen:
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Dies kann aus individuellen Gründen – etwa wegen drohender An- oder Übergriffe Dritter oder auf Grund von Krankheit – der Fall sein, kommt aber ausnahmsweise auch infolge einer allgemein unsicheren oder wirtschaftlich schlechten Lage im Zielstaat in Betracht. Unerheblich ist dabei, von wem die Gefahr ausgeht und auf welchen Umständen sie beruht.
aaa) Vom Tatbestand des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG werden existentielle Gefahren wie Tötung, Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung umfasst sowie insbesondere auch solche auf Grund von Krankheit. Dabei reicht es entsprechend dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit nicht aus, wenn eine Verfolgung oder sonstige Rechtsgutverletzung im Bereich des Möglichen liegt. Vielmehr muss sie bei zusammenfassender Bewertung des Sachverhalts und verständiger Würdigung aller objektiven Umstände dahingehend vorliegen, dass bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen eine ernsthafte Furcht vor der Rechtsgutverletzung gerechtfertigt ist, die für eine Rechtsgutverletzung sprechenden Umstände also größeres Gewicht haben als die dagegen sprechenden Tatsachen, wobei auch die Zumutbarkeit eines mit der Rückkehr verbundenen Risikos und der Rang des gefährdeten Rechtsguts von Bedeutung sind.
Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt dabei gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Die Verhältnisse im Zielstaat müssen also eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität, etwa eine wesentliche oder gar lebensbedrohliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes erwarten lassen. Eine vorhandene Erkrankung eines Ausländers muss sich aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmern, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, das heißt, dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht, weil etwa die Behandlungsmöglichkeiten im Heimatland unzureichend sind oder die zwar grundsätzlich verfügbare medizinische Versorgung dem Betroffenen aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zur Verfügung steht (vgl. statt vieler: BVerwG, Beschluss vom 12.07.2015 – 1 B 84.16 – Rn. 4 m.w.N.).
bbb) Neben den genannten individuellen Gefahren für Leib und Leben können unter bestimmten Voraussetzungen ausnahmsweise auch die generell herrschenden Lebensbedingungen im Zielstaat ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründen.
Zwar sind allgemeine Gefahren – also auch die die Bevölkerung insgesamt treffenden (schlechten) Lebensbedingungen in einem Land – gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG bei Anordnungen zur vorübergehenden Aussetzung von Abschiebungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen und begründen demnach grundsätzlich auch dann kein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, wenn sie den Einzelnen konkret und individualisierbar zu treffen drohen. Eine Ausnahme liegt aber bei einer extremen Gefahrenlage vor, welche sich wiederum auch aus den den Ausländer erwartenden Lebensbedingungen ergeben kann. So können die im Zielstaat herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage einen Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausnahmsweise begründen, wenn bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit eine extreme Gefahrenlage vorläge. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Ob dies der Fall ist, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden.
Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit strengeren Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Dieser hohe Wahrscheinlichkeitsgrad ist ohne Unterschied in der Sache in der Formulierung mit umschrieben, dass die Abschiebung dann ausgesetzt werden müsse, wenn der Ausländer ansonsten gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. BVerwG, U.v. 31.01.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 38).
Hiervon ausgehend gewährt § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG unter dem Gesichtspunkt der extremen Gefahrenlage keinen weitergehenden Schutz, als es § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK tut. Liegen also – wie hier – die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen schlechter humanitärer Bedingungen nicht vor, so scheidet auch eine im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG relevante, extreme Gefahrenlage aus.
Die auf die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet beruhende Ausreiseaufforderung mit der einwöchigen Ausreisefrist und die gleichzeitig erfolgte Abschiebungsandrohung nach §§ 34, 36 Abs. 1 Asylgesetz i.V.m. § 59 AufenthG sind demnach nicht zu beanstanden.
Der Antrag war daher abzulehnen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit auf § 83b AsylG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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