Aktenzeichen 11 ZB 17.31423
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 3, Abs. 4 S. 4
VwGO § 138 Nr. 3
Leitsatz
1. Die Verfahrensgarantie des rechtlichen Gehörs gibt jedem Verfahrensbeteiligten Gelegenheit, sich zu dem gesamten, nach der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts entscheidungserheblichen Stoff des gerichtlichen Verfahrens in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu äußern. (Rn. 4 – 5) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Berufungszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung setzt eine substantielle Erörterung des in Anspruch genommenen Zulassungsgrundes voraus. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
W 6 K 16.31768 2017-08-23 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
Soweit die Kläger ihren Zulassungsantrag auf „ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils“ und „besondere rechtliche Schwierigkeiten“ stützen, ist er nicht statthaft, weil es sich hierbei nicht um Gründe handelt, die nach der abschließenden Sonderregelung des § 78 Abs. 3 AsylG zur Zulassung der Berufung führen können.
Der geltend gemachte Zulassungsgrund einer Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) ist nicht gegeben. Die Kläger meinen, ihr Sachvortrag, dass Einberufungsbescheide den Betroffenen massenhaft über ihren dem staatlichen Bereich zuzuordnenden Arbeitgeber zugestellt worden seien, sei überraschend einseitig gewürdigt worden. Das Gericht habe die Möglichkeit, dass diese Art der Zustellung politisch motiviert und gezielt erfolgt sei, vollkommen ignoriert. Die zum Wehrdienst Einberufenen wüssten nicht, bei welchem Truppenteil und in welcher Funktion sie eingesetzt würden. Die Bürgerkriegslage könne sich jederzeit zuspitzen. Der Kläger zu 1. hätte, wenn er der Einberufung gefolgt wäre, die Ukraine nicht mehr verlassen können. Aus verschiedenen Quellen sei bekannt, dass Einberufungen oft auch mündlich erfolgten. Aufgrund der überraschenden Beweiswürdigung hätten die Kläger in der mündlichen Verhandlung keine Gegenmaßnahmen ergreifen können. Der Kläger zu 1. sei insbesondere nicht gefragt worden, ob er auf dem Postweg für eine Einberufung erreichbar gewesen wäre oder ob die Post überhaupt noch funktionsfähig gewesen sei.
Indem die Kläger die rechtliche Würdigung des Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht angreifen, erheben sie dem sachlichen Recht zuzurechnende (vgl. BVerwG, B.v. 1.2.2010 – 10 B 21/09 – juris Rn. 13 m.w.N.) Einwände, zeigen aber keine Verletzung der Verfahrensgarantie des rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO auf. Nach obergerichtlicher Rechtsprechung besteht diese darin, jedem Verfahrensbeteiligten die Gelegenheit zu geben, sich zu dem gesamten, nach der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts entscheidungserheblichen Stoff des gerichtlichen Verfahrens in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu äußern (BVerwG, B.v. 7.6.2017 – 5 C 5/17 D u.a. – juris Rn. 8 m.w.N.; Berlit in GK-AsylG, Stand Oktober 2017, § 78 Rn. 272, 274). Sie verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, jedoch nicht, ihnen in der Sache zu folgen (Berlit, a.a.O. § 78 Rn. 261). Auch ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Gerichte das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben, auch wenn sie sich nicht mit jedem Vorbringen in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich auseinandergesetzt haben (stRspr des BVerwG, vgl. B.v. 10.10.2011 – 10 B 24/11 – juris Rn. 11 m.w.N.). Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs kann nur dann festgestellt werden, wenn es sich aus den besonderen Umständen des Falles deutlich ergibt, dass das Gericht tatsächliches Vorbringen der Beteiligten nicht in Erwägung gezogen hat (BVerwG, ebenda).
Solche besonderen Umstände sind hier nicht ersichtlich. Vielmehr hat sich das Verwaltungsgericht auf Seite 7 der Urteilsgründe eingehend mit dem diesbezüglichen Sachvortrag des Klägers zu 1. auseinandergesetzt und ist zu dem Schluss gekommen, dass ihm am Arbeitsplatz allenfalls eine Aufforderung zur Wehrerfassung oder Musterung mündlich mitgeteilt worden ist. Weiter hat es unter Bezug auf Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, des Europäischen Gerichtshofs und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs sowie unter Bezug auf von den Klägern angeführte Erkenntnisse die zwangsweise Heranziehung zum Wehrdienst und damit zusammenhängende Sanktionen in der Ukraine rechtlich nicht als politische Verfolgung gewertet. Angesichts der in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel, insbesondere der Lageeinschätzung des Auswärtigen Amts, war mit dieser Würdigung auch zu rechnen. Die Kläger hätten also auch ihr weiteres prozessuales Verhalten darauf einstellen können. Von einer unzulässigen Überraschungsentscheidung kann nicht gesprochen werden, wenn das Gericht Tatsachen, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten, in einer Weise würdigt oder aus ihnen Schlussfolgerungen zieht, die nicht den subjektiven Erwartungen eines Prozessbeteiligten entsprechen oder von ihm für unrichtig gehalten werden (BVerwG, B.v. 25.5.2017 – 5 B 75/15 D – juris Rn. 11). Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet das Gericht auch grundsätzlich nicht, die Beteiligten auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffes hinzuweisen und offenzulegen, wie es seine Entscheidung im Einzelnen zu begründen beabsichtigt (BVerwG, a.a.O.). Die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs ist von vornherein nicht geeignet, eine – vermeintlich – fehlerhafte Feststellung und Bewertung des Sachverhalts einschließlich seiner rechtlichen Würdigung zu beanstanden (Berlit, a.a.O. § 78 Rn. 262). Im Übrigen ist aufgrund der ukrainischen Einberufungspraxis und einer massenhaften Wehrdienstverweigerung (vgl. die vom Verwaltungsgericht angeführten Erkenntnismittel, Urteilsgründe S. 6 f.) nicht nachvollziehbar, wenn aus der angeblichen Zustellung von Einberufungsbescheiden an ca. 50 Betroffene an einem staatlichen Arbeitsplatz auf eine politisch motivierte Verfolgung geschlossen wird.
Schließlich ist die Berufung auch nicht wegen der grundsätzlichen Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG) der Fragen zuzulassen, ob die Einziehung eines Betroffenen in den Wehrdienst überhaupt zulässig sei, wenn er erwartungsgemäß verpflichtet sei, an kriegerischen bzw. militärischen Handlungen zweier Volksgruppen teilzunehmen, denen seine Eltern angehörten, und ob der Betroffene wegen seiner Abstammung und wegen seiner Gewissensüberzeugung den Dienst verweigern könne. Die Formulierung der Fragen lässt bereits völlig offen, welche rechtlichen Schlussfolgerungen sich aus der Zulässigkeit oder Unzulässigkeit einer Wehrpflicht in dem von den Klägern geschilderten Fall oder der (fehlenden) Möglichkeit einer Wehrdienstverweigerung ergeben sollen, und verfehlt damit die Darlegungsanforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, die eine substantielle Erörterung des in Anspruch genommenen Zulassungsgrundes voraussetzen (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 59). Insbesondere wäre aufzuzeigen, weshalb die Fragen im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und klärungsfähig, insbesondere entscheidungserheblich, sind; ferner, worin ihre allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besteht (vgl. Happ in Eyermann, a.a.O. § 124a Rn. 72; Meyer-Ladewig/Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Oktober 2016, § 124a Rn. 102 ff.; Berlit in GK-AsylG, § 78 Rn. 88 m.w.N.). Hierzu findet sich im Zulassungsantrag kein Anhalt, nicht einmal dafür, dass eine Einberufung des Klägers zu 1. beachtlich wahrscheinlich ist (vgl. dazu BayVGH, U.v. 24.8.2017 – 11 B 17.30392 – juris Rn. 16 m.w.N.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Mit dieser gemäß § 80 AsylG unanfechtbaren Entscheidung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).