Aktenzeichen M 4 K 16.35469
Leitsatz
1. Für eine gemischt konfessionelle sunnitisch/schiitische Familie besteht im Irak eine innerstaatliche Fluchtalternative. (Rn. 16 – 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. In Bagdad gibt es derzeit keinen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung am 16. Mai 2017 entscheiden werden, obwohl die Beklagte nicht erschienen ist. In der ordnungsgemäßen Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung -VwGO-).
I.
Die Klage ist zulässig, bleibt aber in der Sache ohne Erfolg. Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamtes ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 und 5 VwGO).
Den Klägern steht nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 Asylgesetz -AsylG-) oder des subsidiären Schutzstatus (§ 4 AsylG) zu.
1. Die Kläger haben zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG, §§ 3 ff. AsylG.
Rechtsgrundlage für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist § 3 Abs. 1 AsylG. Danach ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, wenn er sich aus begründeter Furcht wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Herkunftslandes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Nach § 3c AsylG kann die Verfolgung ausgehen vom Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
Nach diesen Grundsätzen droht den Klägern bei einer Rückkehr ins Heimatland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit keine Verfolgung in diesem Sinne.
Die Kläger, insbesondere der Kläger zu 1, haben in der mündlichen Verhandlung teilweise einen unglaubwürdigen Eindruck gemacht, sodass das Gericht die vorgetragene Verfolgungsgeschichte nicht glaubt. So glaubt das Gericht nicht, dass einerseits die Religionszugehörigkeit in der Ehe und zwischen den Händlern keine Rolle gespielt hat und die Kläger andererseits wegen zwei Drohbriefen, die sich auf die Glaubenszugehörigkeit des Klägers zu 1. bezogen haben sollen, ausgereist sind.
Auch haben sich die Kläger bei den Bedrohungen widersprochen. Die Klägerin hat vor dem Bundesamt vorgetragen, dass sie von der Miliz Ahla Alhaq bedroht worden seien und zwei entsprechende Drohbriefe vorgelegt. Der Kläger hat hingegen vorgetragen, dass sie von der Al Mahdi Miliz bedroht worden seien. Zwar sind beides schiitische Milizen, aber vollkommen verschiedene. Auch ist es nicht nachvollziehbar, dass, wenn der zweite Drohbrief vom 3. Oktober 2015 stammt und die Kläger am 9. Oktober 2015 ausgereist sind, sie deswegen in der Zwischenzeit von ihrem Stamm „verstoßen“ worden sein sollen.
Zumindest hatten die Kläger eine innerstaatliche Fluchtalternative. Sie hätten innerhalb Bagdads umziehen oder sich in einen anderen Landesteil begeben können. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sie für ihre Ausreise 25.000,00 US Dollar ausgegeben haben.
Zumindest in den kurdischen Autonomiegebieten besteht eine innerstaatliche Fluchtalternative.
Soweit sich die Kläger darauf stützen, als Sunniten/Schiiten schlecht behandelt worden zu sein, kann auch dies keine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begründen, denn es liegt aktuell keine Gruppenverfolgung von Sunniten/Schiiten im Irak vor. Die rechtlichen Voraussetzungen für die Annahme einer Gruppenverfolgung sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung weitgehend geklärt (vgl. zuletzt BVerwG v. 21.4.2009, Az.: 10 C 11.08, AuAs 2009, 173-175, zu Sunniten im Irak; ferner BVerwG v. 1.2.2007, Az.: 1 C 24.06, NVwZ 2007, 590 = InfAuslR 2007, 211 = AuAS 2007, 68, zu Tschetschenen; BVerwG v. 5.1.2007, Az.: 1 B 59.06, juris; BVerwG v. 18.7.2006, Az.: 1 C 15.05, BVerwGE 126, 243 = NVwZ 2006, 1420 = DVBl 2006, 1512 = ZAR 2006, 410 = InfAuslR 2007, 33 = BayVBl 2007, 151, zu Christen im Irak; jeweils mit weiteren Nachweisen). Nach Auffassung des Gerichts liegt die für eine Gruppenverfolgung von Sunniten erforderliche Gefahrendichte in der Herkunftsregion der Kläger nicht vor. Zwar wurde die arabisch-sunnitische Minderheit, die über Jahrhunderte die Führungsschicht des Iraks bildete, nach der Entmachtung Saddam Husseins 2003 insbesondere in den Jahren 2006 bis 2014 aus öffentlichen Positionen gedrängt. Allerdings erkennt die Verfassung des Iraks das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit weitgehend an und es findet keine systematische Diskriminierung oder Verfolgung von religiösen oder ethnischen Minderheiten durch Behörden statt. (Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom 18. Februar 2016, S. 9, 13; vgl. auch die ständige Rechtsprechung der Kammer und des BayVGH).
2. Den Klägern steht auch kein Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 1 AsylG (Todesstrafe), § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG (Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung) oder § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG i.V.m. Art. 15 c der RL 2004/83/EG (Qualifikationsrichtlinie) in Bezug auf den Irak zu.
a) Hinsichtlich des von den Klägern vorgetragenen persönlichen Verfolgungsschicksals wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.
b) Auch herrscht in Bagdad kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt. Dass nicht gleichsam jede Zivilperson im Irak allein aufgrund ihrer Anwesenheit einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt ist, folgt bereits daraus, dass bei einer Gesamtbevölkerung mit etwa 32 bis 34 Millionen Einwohnern (vgl.http: …www.asien-auf-einen-blick.de/irak/,http: …www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/ Laenderinfos/01-Laender/Irak.html) die Zahl der zivilen Todesopfer im Jahr 2015 mit insgesamt 17.502 (2014: 20.169 vgl. https: …www. iraqbodycount.org/database/ vom 29.09.2016) angegeben ist. Auch wenn die Opferzahlen 2016 bzw. 2017 angestiegen sind bzw. ansteigen sollten, reicht die abstrakte Gefahr, angesichts von Kampfeshandlungen in einigen Bereichen im Irak Opfer kriegerischer Auseinandersetzungen zu werden, für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes nicht aus. Eine Rückkehr nach Bagdad erscheint unter diesen Gesichtspunkten möglich.
Aus aktuellem Anlass ist noch darauf hinzuweisen, dass die Situation im Irak derzeit unübersichtlich und in einigen Gebieten durch die Kampfhandlungen der ISIS offenbar gefährlich ist. Doch reicht diese bisherige Entwicklung für die Annahme eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (vgl. BVerwG vom 27.04.2010, Az. 10 C 4/09) nicht aus. Festzustellen ist, dass …, der Heimatort der Kläger, von den Kämpfen selbst nicht betroffen war/ist. Die stattgefundenen Kampfhandlungen drangen bislang nicht bis in die Stadt … vor. Dies ergibt sich aus der täglichen Berichterstattung der Medien.
3. Der Bescheid des Bundesamtes gibt auch hinsichtlich seiner Ziff. 4, wonach die Kläger unter Androhung der Abschiebung zur Ausreise aufgefordert werden, keinerlei Anlass zu Bedenken. Zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, auf den gemäß § 77 Abs. 1 AsylG abzustellen ist, sind Gründe, die dem Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen gegenüber den Klägern entgegenstünden, nicht ersichtlich, denn sie sind, wie oben ausgeführt, weder als Flüchtlinge anzuerkennen, noch steht ihnen subsidiärer Schutz oder Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG zu; sie besitzen auch keine asylunabhängige Aufenthaltsgenehmigung (§ 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 Abs. 1 und 2 AufenthG).
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83b Abs. 1 AsylG nicht erhoben. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung stützt sich auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.