Aktenzeichen L 16 AS 561/16
SGG SGG § 131 Abs. 1 Satz 3, § 144 Abs. 1 S.1
SGB II SGB II § 32 Abs. 1
Leitsatz
1. Die Zulässigkeit der Berufung ist bei objektiver Klagehäufung für jeden Streitgegenstand gesondert zu prüfen. Hinsichtlich der Streitgegenstände, die eine Geldleistung betreffen, wird die Berufung, wenn der Beschwerdewert von 750. Euro nicht erreicht wird, nicht dadurch zulässig, dass gleichzeitig ein Streitgegenstand vorliegt, der nicht unter die Ausschlussregelung des § 144 Abs. 1 SGG fällt.
2. Das für eine Fortsetzungsfeststellungsklage erforderliche Feststellungsinteresse ist nicht gegeben, wenn der Kläger sich ausschließlich gegen einen Hinweis zur Rechtslage wendet, der keine Regelung mit Außenwirkung darstellt.
Verfahrensgang
S 19 AS 896/15 2016-07-21 Urt SGMUENCHEN SG München
Tenor
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 21. Juli 2016 wird hinsichtlich der verspäteten Gewährung von Leistungen für den Monat September 2014 als unzulässig verworfen; hinsichtlich des Bescheides vom 22. Dezember 2014 wird die Berufung zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Die Berufung wurde form- und fristgerecht erhoben (§ 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG).
Gegenstand des Berufungsverfahrens sind die Leistungsgewährung im Zeitraum vom 01.09.2015 bis 08.09.2014 sowie die Rechtmäßigkeit der Androhung von Sanktionen in der Meldeaufforderung vom 22.12.2014. Die Überprüfung einer Eingliederungsvereinbarung ist dagegen nicht Gegenstand des vorliegenden Berufungsverfahrens. Das SG hat zu Recht festgestellt, dass die Eingliederungsvereinbarung vom 16./17.03.2015 nicht im Wege der Klageerweiterung gemäß § 99 Abs. 1 SGG Gegenstand des sozialgerichtlichen Verfahrens geworden ist. Der Beklagte hat der Klageerweiterung nicht zugestimmt. Die Klageerweiterung war auch nicht sachdienlich. Die Eingliederungsvereinbarung ist somit auch nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens.
1.) Soweit sich der Kläger gegen die verspätete Gewährung der Leistungen nach dem SGB II für den Monat September 2014 wendet, ist die Berufung entgegen der Rechtsbehelfsbelehrung:als unzulässig zu verwerfen, da der Wert der streitgegenständlichen Leistungen den Beschwerdewert von 750,- Euro nicht erreicht.
Die Zulässigkeit des Rechtsmittels ist bei Vorliegen mehrerer Streitgegenstände – wie hier – hinsichtlich jedes Streitgegenstandes grundsätzlich eigenständig zu beurteilen (vgl. Bundessozialgericht -BSG-, Beschluss vom 18.04.2016, B 14 AS 150/15 BH). Nach § 144 Abs. 1 S.1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geldleistung betrifft, insgesamt 750,- Euro nicht übersteigt. Bei Vorliegen mehrerer Streitgegenstände ist die Berufung nicht automatisch hinsichtlich aller Streitgegenstände als zulässig anzusehen, wenn einer von mehreren Streitgegenständen – wie hier die Meldeaufforderung vom 22.12.2014 – nicht unter die Ausschlussregelung des § 144 Abs. 1 SGG fällt. Bezüglich der streitgegenständlichen verspäteten Gewährung der Leistungen für September 2014 geht es dem Kläger um die ihm zustehenden Leistungen für den Zeitraum vom 01.09.2014 bis 08.09.2014. Für den Monat September 2014 wurden Leistungen in Höhe von insgesamt 716,66 Euro bewilligt, so dass der auf den streitgegenständlichen Zeitraum entfallende Betrag in Höhe von 191,11 Euro den Beschwerdewert von 750,- Euro nicht erreicht.
Im Übrigen hat das SG zu Recht festgestellt, dass der Klageantrag unzulässig war, weil ein Rechtsschutzbedürfnis nicht ersichtlich ist. Entgegen seinen Ausführungen wurden dem Kläger für den Zeitraum vom 01.09.2014 bis 08.09.2014 gerade nicht Leistungen versagt. Vielmehr wurden die Leistungen für den gesamten Monat September 2014 mit Bescheid vom 03.09.2014 bewilligt und dem Kläger laut dem von ihm selbst vorgelegten Kontoauszug am 08.09.2014 überwiesen.
2.) Die Berufung ist bezüglich der Meldeaufforderung vom 22.12.2014 zulässig, sie ist jedoch unbegründet, da die vom Kläger erhobene Fortsetzungsfeststellungsklage unzulässig ist.
Zwar ist es grundsätzlich möglich und statthaft, nach der Erledigung eines Verwaltungsaktes den Rechtsstreit mittels einer Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 131 Abs. 1 Satz 3 SGG fortzuführen. Nach dieser Vorschrift kann mit der Klage die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines zurückgenommenen oder auf andere Weise erledigten Verwaltungsaktes begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist auch zulässig, wenn sich der Verwaltungsakt bereits vor Klageerhebung erledigt hat (vgl. Keller, in Meyer-Ladewig/ Keller/ Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 131 Rn.7d). Der Kläger wendet sich gegen eine Meldeaufforderung, bei der es sich um einen Verwaltungsakt nach § 31 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) handelt. Dieser hat sich durch Ablauf des Meldetermins und dessen Wahrnehmung durch den Kläger erledigt.
Es fehlt vorliegend aber an der Zulässigkeitsvoraussetzung des berechtigten Interesses an der begehrten Feststellung. Der Kläger wendet sich dagegen, dass im Rahmen der Meldeaufforderung zum Beratungstermin am 20.01.2015 um 9.30 Uhr eine Minderung seines Alg II für drei Monate um 10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs angedroht wurde, falls er der Einladung ohne wichtigen Grund nicht Folge leisten würde. Er begehrt die Feststellung, dass die Androhung von Sanktionen rechtswidrig sei.
Es ist zwar nicht auszuschließen, dass der Beklagte gegenüber dem Kläger, der weiterhin im Leistungsbezug steht, weitere Meldeaufforderungen erlässt, die den Hinweis enthalten, dass das Alg II für drei Monate um 10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs gemindert werde, wenn der Kläger dieser Einladung ohne wichtigen Grund nicht Folge leisten würde. Es fehlt dem Kläger jedoch an einem Feststellungsinteresse bezüglich der von ihm beanstandeten Hinweise. Es handelt sich hierbei nicht um hoheitliche Regelungen der Behörde mit Außenwirkung im Einzelfall, sondern nur um Erläuterungen zur Rechtslage. Eine Regelung mit Außenwirkung im Einzelfall liegt nur vor, wenn die Behörde dem Adressaten gegenüber Rechte oder Pflichten begründen oder verbindliche Rechtsfolgen setzen will; an einem solchen Willen fehlt es, wenn die Behörde lediglich Hinweise zur Rechtslage gibt (vgl. BSG, Urteil vom 15.06.2016, B 4 AS 45/15 R). Der Beklagte hat den Kläger in der angegriffenen Meldeaufforderung auf die im SGB II gesetzlich geregelte Sanktionierung von Pflichtverletzungen hingewiesen. Gem. § 32 Abs. 1 SGB II mindert sich das Alg II oder Sozialgeld jeweils um 10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs des Leistungsberechtigten, wenn dieser trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis einer Aufforderung des zuständigen Trägers, sich bei ihm zu melden, nicht nachkommt. Dies gilt nicht, wenn Leistungsberechtigte einen wichtigen Grund für ihr Verhalten darlegen und nachweisen. Rechte und Pflichten werden durch derartige Hinweise und Belehrungen weder begründet noch abgeändert (vgl. BSG, a.a.O.).
Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die Ausführungen in der angegriffenen Meldeaufforderung nicht zu beanstanden sind. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Sanktionsregelungen des SGB II werden vom Senat nicht geteilt (vgl. Beschluss des Senats vom 08.07.2015, L 16 AS 381/15 B ER). Auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) gebietet die Verfassung nicht die Gewährung bedarfsunabhängiger, voraussetzungsloser Sozialleistungen (vgl. BVerfG, Urteil vom 07.07.2010, 1 BvR 2556/09). Das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum gewährleistet keinen von Mitwirkungsobliegenheiten und Eigenaktivitäten unabhängigen Anspruch auf Sicherung eines Leistungsniveaus.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr.1 und 2 SGG liegen nicht vor.