Aktenzeichen 4 T 3891/16
Leitsatz
1 Für Zurückweisungshaftanträge werden insbesondere Darlegungen zu den Zurückweisungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Zurückweisung und zu der notwendigen Haftdauer verlangt (vgl. § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 – 5 FamFG). Die Darlegungen dürfen knapp gehalten sein, müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte des Falles ansprechen. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2 Ob die Zurückweisung des Betroffenen in dessen Heimatland zulässig ist, unterliegt nicht dem Prüfungsmaßstab im Beschwerdeverfahren über die Zurückweisungshaft vor dem Landgericht, sondern ist von dem zuständigen Verwaltungsgericht zu entscheiden. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
1 XIV 148/16 2016-11-08 Bes AGROSENHEIM AG Rosenheim
Tenor
1. Auf die Beschwerde des Betroffenen wird der Beschluss des Amtsgerichts Rosenheim vom 08.11.2016 dahingehend abgeändert, dass die Haft bis 06.05.2017 angeordnet wird. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
2. Der Antrag auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird zurückgewiesen.
3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Betroffene.
4. Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,00 € festgesetzt.
Gründe
I.
Der Betroffene, ein pakistanischer Staatsangehöriger, reiste bereits im Jahre 2012 nach Deutschland ein und beantragte Asyl. Mit Bescheid vom 19.06.2013 lehnte das Bundesamt für … (…) den Antrag des Betroffenen auf Asylanerkennung ab, stellte das Nichtvorliegen von Abschiebungsverboten fest und forderte den Betroffenen auf, die … binnen 30 Tagen zu verlassen und drohte die Abschiebung nach Pakistan an (Bl. 53/61). Die hiergegen gerichtete Klage des Betroffenen wies das VG Hannover mit Urteil vom 04.03.2016 zurück (Az.: 11 A 10420/14, Bl. 11/20).
Der Betroffene erhielt verschiedene Duldungen, letztmalig bis 20.10.2016 (vgl. Ausländerakte). Mit vom Betroffenen unterzeichneten Schreiben der Ausländerbehörde vom 08.07.2015 und 11.11.2015 (sh. Ausländerakte) wurde der Betroffene auf seine Mitwirkungspflicht bei der Beschaffung von Dokumenten hingewiesen. Ausweislich eines Schreibens der pakistanischen Botschaft vom 30.11.2015 (vgl. Ausländerakte) sprach der Betroffene zwar dort vor, konnte aber keine pakistanischen Dokumente zum Nachweis seiner pakistanischen Nationalität vorweisen.
Bereits am 21.10.2015 gegen 11.30 Uhr war der Betroffene mit dem Zug RB … von I. kommend bei M. nach Deutschland eingereist und am Bahnhof M. kontrolliert worden (vgl. Strafanzeige in der Ausländerakte).
Am 07.11.2016 gegen 2.45 Uhr reiste der Betroffene als Beifahrer in einem PKW auf der Bundesautobahn A 93 nach Deutschland ein. Bei einer Grenzkontrollstelle der beteiligten Behörde an der Tank-und Rastanlage Inntal-Ost, die sich kurz nach der Landesgrenze befindet, legte er nur eine abgelaufene Duldung des Landkreises D. vor (Bl. 62/63). Dem Betroffenen wurde die Einreise verweigert (vgl. Einreiseverweigerung Bl. 8). Auf die polizeiliche Beschuldigtenvernehmung vom 07.11.2016 (Bl. 22/27) wird verwiesen.
Mit Schreiben vom 07.11.2016 (Bl. 1/7) beantragte die beteiligte Ausländerbehörde beim Amtsgericht Rosenheim Haft zur Sicherung der Zurückweisung, „längstens für sechs Monate bis zum 10.05.2017“. Zur Begründung führte sie aus, dass sie die Zurückweisung des Betroffenen nach Pakistan nach Art. 14 VO (EG) Nr. 399/2016 i.V.m. § 15 AufenthG und dem Rücknahmeabkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und Pakistan durchführt.
Nach persönlicher Anhörung vom 08.11.2016 (vgl. Protokoll Bl. 28/29) ordnete das Amtsgericht Rosenheim mit Beschluss vom gleichen Tage gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung der Zurückweisung bis längstens 10.05.2017 an (Bl. 30/35).
Gegen den Beschluss des Amtsgerichts Rosenheim vom 08.11.2016 legte der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen mit Schriftsatz vom 13.11.2016 (Bl. 39), beim Amtsgericht Rosenheim per Fax eingegangen am selben Tage, Beschwerde ein und beantragte die Gewährung von Verfahrenskostenhilfe. Das Amtsgericht Rosenheim half mit Beschluss vom 14.11.2016 der Beschwerde nicht ab. Der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen begründete die Beschwerde mit Schriftsätzen vom 24.11.2016 und 06.12.2016.
Die Ausländerakte des Landkreises D. wurde beigezogen.
II.
1. Gegen die Anordnung der Haft zur Sicherung der Zurückweisung des Betroffenen durch Beschluss des Amtsgerichts Rosenheim vom 08.11.2016 ist gemäß § 106 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 58 Abs. 1 FamFG das Rechtsmittel der Beschwerde gegeben. Diese wurde fristgerecht innerhalb der einmonatigen Beschwerdefrist (§ 63 Abs. 1 FamFG) eingelegt und ist zulässig.
2. Auf die Beschwerde des Betroffenen war die Haftdauer um vier Tage zu verkürzen, im Übrigen ist die Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Rosenheim vom 08.11.2016 unbegründet.
Die Anordnung von Zurückweisungshaft beruht auf § 15 Abs. 5 Satz 1 AufenthG. Danach soll der Ausländer zur Sicherung der Zurückweisung auf richterliche Anordnung in Haft (Zurückweisungshaft) genommen werden, wenn eine Zurückweisungsentscheidung ergangen ist und diese nicht unmittelbar vollzogen werden kann.
a) Der Betroffene ist am 07.11.2016 nicht in die … eingereist, so dass sich die Haft zur Zurückweisung des Betroffenen nach § 15 Abs. 5 AufenthG bestimmt.
Gemäß § 13 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist ein Ausländer an einer zugelassenen Grenzübergangsstelle erst eingereist, wenn er die Grenze überschritten und die Grenzübergangsstelle passiert hat. An der deutsch-österreichischen Grenze finden derzeit aufgrund einer Entscheidung des Bundesministeriums des Inneren auf Basis des Art. 29 Schengener Grenzkodex (SGK) Grenzkontrollen statt. Auf der Bundesautobahn A93 befindet sich diese an der Tank- und Rastanlage Inntal-Ost. Die Verbringung des Betroffenen zur Beschuldigtenvernehmung zur Polizeidienststelle und anschließend zur gerichtlichen Anhörung stellt gemäß § 13 Abs. 2 Satz 2 AufenthG keine Einreise im Sinne von § 13 Abs. 2 Satz 1 AufenthG dar.
Der Betroffene befand sich bei der Kontrolle zwar bereits auf dem Boden der … Da er die Grenzkontrollstelle noch nicht passiert hatte, war er aber im Sinne von § 13 AufenthG noch nicht eingereist.
b) Der Anordnung der Zurückweisungshaft lag ein zulässiger und ausreichend begründeter Haftantrag der beteiligten Ausländerbehörde vom 07.11.2016 zugrunde. Für Zurückweisungshaftanträge werden insbesondere Darlegungen zu den Zurückweisungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Zurückweisung und zu der notwendigen Haftdauer verlangt (vgl. § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 – 5 FamFG). Inhalt und Umfang der erforderlichen Darlegung bestimmen sich nach dem Zweck des Begründungserfordernisses. Es soll gewährleisten, dass das Gericht die Grundlagen erkennt, auf welche die Behörde ihren Antrag stützt, und dass das rechtliche Gehör des Betroffenen durch die Übermittlung des Haftantrags nach § 23 Abs. 2 FamFG gewahrt wird (BGH vom 22. Juli 2010, V ZB 28/10, NVwZ 2010, 1511). Die Darlegungen dürfen knapp gehalten sein, müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte des Falles ansprechen (BGH vom 15.09.2011, FGPrax 2011, 317).
(1) Die nach § 15 Abs. 5 Satz 1 AufenthG erforderliche Zurückweisungsentscheidung liegt vor. Die nationale Zurückweisungsentscheidung wird durch die Einreiseverweigerung nach Art. 14 i.V.m. Anhang V Teil A SGK verdrängt (vgl. Bergmann/Dienelt/Winkelmann, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 15 AufenthG Rn. 9). Die begründete Entscheidung mit genauer Angabe der Gründe für die Einreiseverweigerung wird gemäß Art. 14 Abs. 2 SGK mit dem Standardformular nach Anhang V Teil B SGK erteilt und dem Drittstaatenangehörigen ausgehändigt (Bergmann a.a.O.).
Durch die beteiligte Ausländerbehörde wurde am 07.11.2016 die Einreiseverweigerung angeordnet. Diese Einreiseverweigerung wurde dem Betroffenen mittels Dolmetscher übersetzt. Sie entspricht dem o.g. Standardformular. Die Einreiseverweigerung erfolgte zu Recht, da der Betroffene nicht über den für eine Einreise erforderlichen Titel (§ 4 AufenthG) verfügte.
(2) Aus dem Haftantrag der beteiligten Behörde vom 07.11.2016 geht hervor, dass der Betroffene gemäß § 15 AufenthG, Art. 14 VO (EG) Nr. 562/2006 i.V.m. dem Rückübernahmeabkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Islamischen Republik Pakistan nach Pakistan zurückgewiesen werden soll. Ob die Zurückweisung des Betroffenen nach Pakistan zulässig ist, unterliegt nicht dem Prüfungsmaßstab im Beschwerdeverfahren, sondern ist von dem zuständigen Verwaltungsgericht zu entscheiden (vgl. Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl. 2011, § 15 Rn. 88). Einen offensichtlichen Ermessensfehlgebrauch der beteiligten Behörde kann die Kammer nicht erkennen, da nach Art. 3 Ziffer 3 der Rückführungsrichtlinie (Richtlinie 2008/115/EG) eine Rückkehr in erster Alternative in das Herkunftsland stattfindet.
(3) Der Antrag enthält eine Begründung, dass die beteiligte Behörde voraussichtlich sechs Monate für die beabsichtigte Zurückweisung benötigt. Da der Betroffene nicht im Besitz eines Reisepasses ist, muss ein Passersatzpapier beschafft werden. Allein diese Passbeschaffung dauert etwa fünf Monate. Anschließend muss entweder ein Charterflug nach Pakistan gebucht, der Flug bestätigt und der Betroffene dann schließlich transportiert werden. Alternativ hierzu erfolgt die Überstellung mit einem Flug der Frontex (europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache).
c) Der Haftantrag enthält das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft Traunstein für die geplante Zurückweisung (Ziffer IV. i).
d) Die Zurückweisungshaft ist verhältnismäßig, da andernfalls die Gefahr bestünde, dass der Betroffene sich der Zurückweisung nach Pakistan nicht stellen und untertauchen wird.
Der Betroffene hat bei der polizeilichen Vernehmung am 07.11.2016 auf die Frage, was er tue, wenn er Deutschland in Richtung Heimat verlassen müsse geantwortet, dass er in Deutschland bleiben wolle. Er sei nicht freiwillig ausgereist, da er nicht nach Pakistan wolle. Die Frage, ob er sich der Außerlandesbringung durch die Bundespolizei stelle, hat er verneint. Auch die Frage, ob er bereit sei, bei der Beschaffung eins neuen Passes mitzuwirken, hat er verneint. Bei der Anhörung vor dem Amtsgericht Rosenheim gab er an, dass er sich für einen Flug nach Pakistan nicht zur Verfügung halten würde.
Für die fehlende Bereitschaft des Betroffenen, sich einer Überstellung nach Pakistan zu stellen, spricht auch seine Weigerung, den Aufforderungen der bisher zuständigen Ausländerbehörde des Landkreises St. zum Nachweis seiner Identität nachzukommen. Zwar hat er am 30.11.2015 bei der pakistanischen Botschaft vorgesprochen, dort jedoch keine Dokumente zum Nachweis seiner pakistanischen Nationalität vorgelegt. Obwohl bis zu seiner Festnahme noch fast ein Jahr Zeit war und nach seinen Angaben gegenüber dem … seine Verwandten in Pakistan leben, hat er offensichtlich keine Anstrengungen unternommen, sich aus der Heimat Dokumente zum Nachweis seiner pakistanischen Nationalität schicken zu lassen.
Einen Anhaltspunkt für einen fehlenden Willen des Betroffenen, nach Pakistan zurückzukehren, sieht die Kammer auch darin, dass der Betroffene im Jahre 2012 mit der Hilfe eines Schleusers nach Deutschland reiste. Die Höhe des Schleuserlohns gab der Betroffene bei der polizeilichen Vernehmung vom 07.11.2016 nicht an. Anlässlich der Anhörung am 19.07.2012 durch das … (vgl. Ausländerakte) gab er den Schleuserlohn mit 1,4 Mio. pakistanischer Rupien (ca. 12.000,00 € nach heutigem Wechselkurs) an. Dieser Schleuserlohn wäre vergeblich aufgewendet, wenn der Betroffene nach Pakistan zurückkehren würde.
Ein milderes Mittel als die Inhaftierung des Betroffenen zur Sicherung der Zurückweisung ist daher nicht gegeben.
e) Das Verfahren wird von der beteiligten Behörde mit der nötigen Beschleunigung betrieben. Am 14.11.2016 wurden durch das Bundespolizeipräsidium die Unterlagen zur Passbeschaffung und das Rückübernahmeersuchen der pakistanischen Botschaft in Berlin übergeben. Auf die weitere Dauer des Verfahrens der Passbeschaffung haben die deutschen Behörden keinen Einfluss.
f) Die Haft wird in der zentralen Abschiebehafteinrichtung in M. vollzogen (§ 62a Abs. 1 AufenthG).
3. Der Antrag auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe war zurückzuweisen, da die Beschwerde keine Aussicht auf Erfolg hatte (§ 76 Abs. 1 FamFG, § 114 Satz 1 ZPO). Die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe setzt neben der Bedürftigkeit des Betroffenen voraus, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (vgl. BGH vom 20.05.2016, V ZB 140/15). Erfolgreich war die Beschwerde nur in geringfügigem Umfang betreffend die Länge der Haft von vier Tagen wegen eines offensichtlichen Rechenfehlers.
Die Verfahrenskostenhilfe war auch nicht wegen der Schwierigkeit der Rechtslage zu gewähren. Da das Verfahrenskostenhilfeverfahren nicht dem Zweck dient, über zweifelhafte Rechtsfragen abschließend vorweg zu entscheiden, darf ein Gericht die Erfolgsaussicht nicht verneinen, wenn eine solche Rechtsfrage zu klären ist, auch wenn das Gericht in der Sache zu Ungunsten des Antragstellers entscheiden möchte. Entsprechendes muss dann gelten, wenn sich in tatsächlicher Hinsicht schwierige und komplexe Fragen stellen. (vgl. BGH a.a.O.). Solche schwierigen Rechtsfragen sind hier nicht zu klären. Aus Sicht der Kammer ist die Verhängung von Zurückweisungshaft insbesondere aufgrund der strikten Weigerung des Betroffenen nach Pakistan zurückzukehren nicht zu beanstanden.
4. Von einer persönlichen Anhörung im Beschwerdeverfahren hat die Kammer nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG abgesehen, da hiervon keine neuen Erkenntnisse zu erwarten waren. Der Betroffene hat bereits bei der Polizei und dem Amtsgericht Rosenheim eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass er nicht nach Pakistan zurückgewiesen werden will.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG.
6. Die Festsetzung des Geschäftswerts der Beschwerde beruht auf §§ 61 Abs. 1 Satz 1, 36 Abs. 3 GNotKG.