Aktenzeichen AN 14 S 17.51206
Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2, Art. 22 Abs. 1
EMRK Art. 3
Leitsatz
Das finnische Asylverfahren bzw. die Aufnahmebedingungen weisen keine systemischen Mängel auf, die einer Rückführung von Asylbewerbern nach Finnland entgegenstehen. (Rn. 17 – 19) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine Abschiebungsanordnung nach Finnland im Rahmen des „Dublin-Verfahrens“.
Der Antragsteller ist irakischer Staatsangehöriger. Er ist am 24. August 2017 zum wiederholten Male nach Deutschland eingereist. Am 5. September 2017 stellte er dort erstmals einen förmlichen Asylantrag.
Nach Abgleich der Fingerabdrücke lagen dem Bundesamt Anhaltspunkte für die Zuständigkeit eines anderen Staates vor (Eurodac-Treffer der Kategorie 1 für Finnland). Daraufhin richtete das Bundesamt am 14. September 2017 ein Übernahmeersuchen nach der Dublin III-VO an Finnland. Die finnischen Behörden haben sich mit Schreiben vom selben Tage zur Übernahme bereit erklärt.
Mit Bescheid des Bundesamts vom 14. September 2017, dem Antragsteller zugestellt am 19. September 2017, wurde sein Asylantrag als unzulässig abgelehnt (Nummer 1 des Bescheides) und seine Abschiebung nach Finnland angeordnet (Nummer 3 des Bescheides). Unter Nummer 4 des Bescheides wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) auf 6 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Der Antragsteller hat mit Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 26. September 2017 Klage erheben und Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO stellen lassen. Begründet werden sie damit, dass dem Antragssteller bei einer Rücküberstellung nach Finnland eine Abschiebung in den Irak drohe, wo ihm Gefahr für Leib und Leben drohten. Im Asylverfahren in Finnland sei er nicht ausreichend gehört worden.
Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes beantragt der Antragsteller,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung verweist die Antragsgegnerin auf ihre Ausführungen in dem streitgegenständlichen Bescheid.
Zu den weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die in elektronischer Form vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hat keinen Erfolg.
Der nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO statthafte Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 6. November 2017 ist zulässig, aber unbegründet.
Die vom Antragsteller erhobene Klage gegen diesen Bescheid entfaltet von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 75 Abs. 1 AsylG). Das Gericht der Hauptsache kann aber nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Grundlage dieser Entscheidung ist eine eigene Interessenabwägung zwischen dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers und dem Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin. Wesentliches Element dieser Interessenabwägung ist die Beurteilung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache, die dem Charakter des Eilverfahrens entsprechend nur aufgrund einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage erfolgen kann.
Nach diesen Grundsätzen überwiegt vorliegend das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung der Klage, weil diese aller Voraussicht nach erfolglos bleiben wird. Die in Nummer 3 des Bescheides der Antragsgegnerin vom 14. September 2017 getroffene Abschiebungsanordnung erweist sich nach summarischer Prüfung im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1, Halbs. 2 AsylG) als rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung des Ausländers in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
Zuständiger Staat ist nach Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedsstaates der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedsstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Abl. L 180 v. 19. Juni 2013, S.31 – „Dublin IIIVO“) der Mitgliedstaat, der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-VO als zuständiger Staat bestimmt wird. Lässt sich anhand dieser Kriterien wie hier der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist nach Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig. Das ist vorliegend Finnland, wo der Antragsteller ausweislich Seite 61 der Behördenakten bereits vor dem Asylantrag in Deutschland einen Asylantrag erfolglos gestellt hat.
Die finnischen Behörden haben auf das Aufnahmegesuch Deutschlands auch innerhalb der 2-Monatsfrist des Art. 22 Abs. 1 Dublin III-VO reagiert und sich zur Übernahme bereit erklärt. Finnland ist gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. d Dublin III-VO verpflichtet, den Antragsteller aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für seine Ankunft zu treffen.
Die Zuständigkeit Finnlands ist nicht gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO wegen Ablaufs der Überstellungsfrist auf die Antragsgegnerin übergegangen. Der vor Ablauf der Überstellungsfrist gestellte, zulässige Eilantrag gegen die Abschiebungsanordnung hat den Lauf der Überstellungsfrist unterbrochen, weil dann bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine Überstellung kraft Gesetzes ausgeschlossen ist. Die Überstellungsfrist beginnt ab dem Zeitpunkt der Bekanntgabe des ablehnenden Eilbeschlusses vollständig neu zu laufen (BVerwG, B.v. 27.4.2016 – 1 C 22.15 und U.v. 26.5.2016 – 1 C15.15 –, beide juris; OVG NRW – B.v. 7.7.2016 -13 A 2302/15.A -, juris).
Die Abschiebung des Antragstellers nach Finnland ist grundsätzlich auch rechtlich möglich. Es liegen auch keine außergewöhnlichen Umstände vor, die die Zuständigkeit Finnlands in Durchbrechung des Systems der Bestimmungen der Dublin-Verordnungen entfallen ließen. Besondere Umstände, die zum Übergang der Zuständigkeit auf die Antragsgegnerin nach Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin III-VO führen würden, sind seitens des Antragstellers weder konkret vorgetragen noch ersichtlich. Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93 -, juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C 4 11/10 und C 493/10 -, juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GR-Charta) entspricht. Diese Vermutung kann widerlegt werden, weshalb den nationalen Gerichten die Prüfung obliegt, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer ernsthaften und durch Tatsachen bestätigten Gefahr für die Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh bwz. Art. 3 EMRK ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 a.a.O., Art. 3 Abs. 2 UAbs. 1 Dublin III-VO). An die Feststellung systemischer Mängel sind hohe Anforderungen zu stellen. Einzelne Grundrechtsverletzungen oder Verstöße gegen Art. 3 EMRK der zuständigen Mitgliedstaaten genügen nicht. Von systemischen Mängeln ist vielmehr erst dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 -, juris; B.v. 6.6.2014, 10 B 25/14, juris).
Ausgehend davon bestehen nach dem der Kammer vorliegenden Erkenntnismaterial im gegenwärtigen Zeitpunkt keine Anhaltspunkte dafür, dass dem Antragsteller im Falle seiner Rücküberstellung nach Finnland auf Grund dort vorhandener systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber eine menschenunwürdige oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtecharta (GRCh) bzw. Art. 3 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte (EMRK) drohen würde. Die Verneinung systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Finnland entspricht auch der Rechtsprechung der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit sowie der ständigen Rechtsprechung der Kammer (vgl. VG Augsburg, B.v. 12.2.2018 – Au 6 S 18.50217 – juris; VG Augsburg, U.v. 10.10.2017 – Au 6 K 17.50186; VG Ansbach, U.v. 10.3.2017 – AN 14 K 17.50004 – juris; VG München, B.v. 3.1.2017 – M 8 S 16.51182 – juris).
Individuelle, außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO notwendig machen, liegen nicht vor. Auch inlandsbezogene oder zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse sind nicht gegeben und werden auch seitens des Antragstellers nicht vorgetragen.
Bedenken gegen die unter Nummern 2 und 4 des streitgegenständlichen Bescheides getroffenen Entscheidungen bestehen ebenfalls nicht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b AsylG nicht erhoben.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).