Medizinrecht

Krankheitsbedingtes zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot für Afghanistan

Aktenzeichen  M 24 K 16.31896

Datum:
19.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 2610
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
EMRK Art. 3
AsylG § 25

 

Leitsatz

1 Die Behandlung psychischer Erkrankungen in Afghanistan ist derzeit nicht gewährleistet, zumal wenn der Asylsuchende über keine hinreichenden finanziellen Mittel verfügt. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine psychische Erkrankung in Form einer schweren depressiven Episode mit Behandlungsbedarf führt zur Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 AufenthG, wenn sich die Erkrankung bei einer Abschiebung wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlimmert. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Soweit die Klage zurückgenommen wurde, wird das Verfahren eingestellt.
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 31. Mai 2016 wird in den Nrn. 4, 5 und 6 aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Afghanistan vorliegen.
II. Von den Kosten des Verfahrens tragen der Kläger 5/6 und die Beklagte 1/6.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Soweit die Klage mit Ausnahme der Feststellung des Vorliegens eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Afghanistans zurückgenommen wurde, war das Verfahren einzustellen, § 92 Abs. 3 VwGO.
Die Klage, soweit sie aufrechterhalten wurde, ist zulässig und begründet. Beim Kläger liegt ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Afghanistan vor.
1. Das Gericht konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten über die Sache verhandeln und entscheiden, da die Beklagte ordnungsgemäß geladen und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war (§ 102 Abs. 2 VwGO). Die Regierung von Oberbayern ist gemäß § 63 Nr. 4 VwGO als Vertreter des öffentlichen Interesses (VöI) Verfahrensbeteiligter aufgrund der generellen Beteiligungserklärungen vom 11. Mai 2015 und vom 18. Mai 2015 (vgl. zur Zulässigkeit sog. Generalbeteiligungserklärungen BVerwG, U.v. 27.6.1995 – 9 C 7 /95 – BVerwGE 99, 38 – juris Rn. 11). Hierin wurde die Beteiligung auf die Übersendung der jeweiligen Endbzw. Letztentscheidung beschränkt, so dass damit unter anderem auch auf Ladung zur mündlichen Verhandlung verzichtet wurde.
Das Verwaltungsgericht München ist örtlich zuständig nach § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO. Aufgrund des Kammerbeschlusses zur Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter ist der Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung berufen (§ 76 Abs. 1 AsylG). Gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AsylG ist für das Urteil die Sach- und Rechtslage in dem Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung maßgebend.
2. Die Klage ist zulässig, insbesondere fristgerecht erhoben innerhalb der Wochenfrist ab dem unwiderlegten Zugangszeitpunkt (25.7.2016; § 74 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 i.V.m. § 36 Abs. 3 AsylG, § 4 Abs. 2 S. 2 VwZG).
3. Die Klage ist begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Feststellung, dass bei ihm die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Afghanistan vorliegen. Insoweit war der Bescheid des BAMF vom 31. Mai 2016 in Nrn. 4, 5 und 6 aufzuheben.
Ein nationales Abschiebeverbot nach den Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK liegt nicht vor (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Bei den national begründeten Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK und dem nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG handelt es sich um einen einheitlichen und nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand (BVerwG, U.v. 8.9.2011 – 10 c 14.10 – BverwGE 140, 319 Rn. 16f.), so dass letztlich für die Begründetheit der Klage unerheblich ist, auf welchem von beiden sich das Abschiebungsverbot durchgreifend gründet.
3.1. Für das Vorliegen eines Abschiebeverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG ist nichts vorgetragen und auch nichts ersichtlich (vgl. zur Reichweite der Schutznorm des § 60 Abs. 5 AufenthG BayVGH, B.v.30.9.2015 – 13a ZB 15.30063 und die darin zit. obergerichtliche Rspr.).
3.2. Auf der Grundlage der gesetzlichen Anforderungen droht dem Kläger nach Überzeugung des Gerichts wegen seiner psychischen Erkrankung (u.a. Depression) bei Rückkehr in die Heimat eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr, d.h. eine Leib- und Lebensgefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1, 2 AufenthG. Der Kläger hat einen Anspruch gegenüber der Beklagten auf Feststellung des Vorliegens eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Afghanistan.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind individuelle Gefahren, also solche Gefahren, die nur dem Ausländer drohen. Die Regelung in § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfasst nur solche Gefahren, die in den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat begründet sind, während Gefahren, die sich aus der Abschiebung als solche ergeben, nur von der Ausländerbehörde als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis berücksichtigt werden können (st. Rsp., vgl. BVerwG, B.v. 24.5.2006 – 1 B 118/05; BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18/05 – juris; BVerwG, B.v. 17.8.2011 – 10 B 13/11 – BeckRS; BayVGH, U.v. 23.11.2012 – 13a B 12.30061 – BeckRS).
3.2.1. Für das Vorliegen individueller Gefahren in diesem Sinne aus gesundheitlichen Gründen ist auf die Maßgabe des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG abzustellen, wonach eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vorliegt bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden.
3.2.2. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG können auch in der Form erfüllt sein, wenn sich die Krankheit eines ausreisepflichtigen Ausländers in seinem Heimatstaat verschlimmert, weil die Behandlungsmöglichkeiten dort faktisch unzureichend sind. Die befürchtete Verschlimmerung der gesundheitlichen Beeinträchtigungen als Folge fehlender Behandlungsmöglichkeiten im Zielland der Abschiebung muss zu einer erheblichen Gesundheitsgefahr führen, also eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität erwarten lassen; das wäre der Fall, wenn sich der Gesundheitszustand wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde (BVerwG, B.v. 24.5.2006 – 1 B 118/05 – juris Rn. 4). Bei einer Krankheit denkbar ist auch das Hinzutreten von Infektionen, die aufgrund zielstaatsbezogener Umstände dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (BVerwG, U.v. 14.10.2006 – 1 C 18/05). In die Beurteilung miteinzubeziehen und bei der Gefahrenprognose zu berücksichtigen sind sämtliche zielstaatsbezogenen Umstände, die zu einer Verschlimmerung der Erkrankung führen können.
Zu berücksichtigen ist, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der in der Bundesrepublik nicht gleichwertig sein muss; sie muss ausreichend sein. Sie ist auch dann in der Regel als ausreichend anzusehen, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist (§ 60 Abs. 7 Satz 3, 4 AufenthG).
Ein zielstaatsbezogenes individuelles Abschiebungshindernis kann sich bei einer Erkrankung demnach ergeben, wenn die medizinische Versorgung im Zielstaat in qualitativer Hinsicht nicht als ausreichend für die Behandlung der Erkrankung anzusehen ist. Eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht auch dann, wenn die notwendige Behandlung oder Medikation zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich ist. Sind die Voraussetzungen einer ausreichenden medizinischen Versorgung im Zielstaat in qualitativer Hinsicht sowie auch unter der Vorgabe der individuellen finanziellen oder sonstigen Erreichbarkeit nur für einen Teil des Zielstaats gewährleistet, muss für die Annahme eines Abschiebungshindernisses eine atypische Fallgestaltung vorliegen.
3.2.3. Für die Annahme einer „konkreten Gefahr“ genügt nicht die bloße theoretische Möglichkeit, Opfer von Eingriffen in Leib, Leben oder Freiheit zu werden. Vielmehr ist der Begriff der „Gefahr“ im Sinn von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG im Ansatz kein anderer als der im asylrechtlichen Prognosemaßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ angelegte, wobei allerdings das Element der „Konkretheit“ der Gefahr für „diesen“ Ausländer das zusätzliche Erfordernis einer Einzelfall bezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation statuiert (vgl. BayVGH, U.v. 23.11.2012 – 13a B 12.30061 unter Bezugnahme auf BVerwG, U.v. 17.10.1995 – 9 C 9/95 zu § 53 Abs. 6 AuslG 1990 – jeweils juris).
3.2.4. Dem Kläger droht nach Überzeugung des Gerichts wegen seiner psychischen Erkrankung bei Rückkehr in den Zielstaat Afghanistan eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr, da sich sein Gesundheitszustand im Fall der Abschiebung wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde. Das Gericht stützt seine Überzeugungsbildung auf die vorgelegten fachkundigen medizinischen Stellungnahmen, insbesondere auch auf die zuletzt vorgelegte der …-Klinik. Das sich hieraus fachmedizinisch bestätigte Krankheitsbild wird durch die Berichte aus den den Kläger betreuenden Einrichtungen und der, in der der Kläger Sozialdienste ableistete, sowie der derzeit iniziierten Betreuerbestellung abgerundet.
Der zuletzt vorgelegte Bericht vom 22. Dezember 2017 der …-Klinik, der eine letzte fachmedizinische Aussage zu zeitlich vorausgehenden ebensolchen fachärztlichen Aussagen darstellt, bietet neben diesen hierfür eine hinreichende Einschätzungsgrundlage. Die Anforderungen an die Substantiierung sind durch die fachlichen Ausführungen in der vorgelegten Unterlage erfüllt, deren Aussteller als einschlägige Fachärztin die erforderliche medizinische bzw. fachliche Sachkunde und die Berechtigung zur Erstellung von Diagnosen aufweisen (vgl. zur fehlenden richterlichen Sachkunde für medizinische Fachfragen BVerwG, B.v. 24.5.2006 – 1 B 118.05 – juris Rn. 3; zur Fachkunde: bei PTBS vgl. BVerwG, U.v. 11.9.2007 – 10 C8.07 – juris; fortgeführt in BVerwG, B.v. 26.7.2012 – 10 B 21/12 – juris Rn. 7; vgl. auch bzgl. begutachtendem (Psycho) Therapeut OVG Münster, B.v. 20.9.2006 – 13A 1740/05.A; BayVGH, B.v. 28.7.2015 – 13a ZB 15.30073 – juris Rn. 8 unter Verweis auf OVG NRW, B.v.19.12.2008 – 8A 3053/08.A; vgl. zu PTBS und Depression, psychologischen Psychotherapeuten BayVGH, B.v. 30.3.2016 – 13a ZB 15.30248 – juris Rn. 2, 4, 5, 6; BayVGH, B.v. 26.8.2014 – 13a ZB 14.30219).
Die psychische Erkrankung des Klägers stellt sich als kontinuierlich bestehendes Krankheitsbild dar und ist (zuletzt) diagnostisch als schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome, PTBS, psychische und Verhaltensstörungen durch multiplen Substanzgebrauch und Konsum anderer psychotroper Substanzen: Schädlicher Gebrauch eingewertet worden, die auch kontinuierlich nach Entlassung aus dem stationären Aufenthalt medikamentiert wird, um die psychische Erkrankung zu stabilisieren und medikamentös zu therapieren. Auf die festgestellte Unerlässlichkeit einer medizinischen Behandlung des Klägers mit Bedarf in medikamentöser Hinsicht zur Sicherung der Gesundheit und des Lebens des Klägers wird verwiesen.
Für einen Abschluss der andauernden Behandlung oder fehlenden Aktualität des Befunds und damit auch der Ausführungen im ärztlichen Gutachten ist nichts vorgetragen, noch ersichtlich (§ 86 Abs. 1 VwGO). Gegen die Verwertung der von der Klagepartei vorgelegten ärztlichen und fachlichen Stellungnahmen, gegen die Diagnose und die Fachkunde der für die Erstellung Verantwortlichen bestehen keine Bedenken. Die Stellungnahmen sind inhaltlich nachvollziehbar dargestellt und widerspruchsfrei, wie auch zueinander widerspruchsfrei.
Die Diagnosestellung und das Ergebnis der ärztlichen Stellungnahme beruhen auf einer psychiatrischen Untersuchung während des stationären Klinikaufenthalts. Sie geben Aufschluss über die Schwere der Krankheit(en), deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf. Im Bericht ist die gestellte Diagnose umfangreich und differenziert begründet. Therapie und Verlauf sind dargestellt. Im derzeitigen Zustand und Behandlungsstand bleibt der Kläger behandlungsbedürftig und benötigt (jedenfalls) weiterhin Medikation.
Bei einer Rückkehr des Klägers nach Afghanistan würde ihm wegen der psychischen Erkrankung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr drohen. Durch diese fachärztlichen Ausführungen sieht es das Gericht als belegt an, dass sich der Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan in einer aussichtslosen Lage befände. Dabei geht die Beurteilung von der Situation aus, die den Kläger in Afghanistan erwarten würde. Nur solche zielstaatsbezogenen Umstände sind bei der Gefahrenprognose zu berücksichtigen. Eine Verschlimmerung tritt vorliegend nicht nur wegen des Wegfalls der andauernden adäquaten Medikamentierung ein, sondern auch deshalb, weil bei hinzutretenden externen Belastungsfaktoren, wie sie unschwer in der Rückführung in den Herkunftsstaat zu sehen sind, krisenhafte Einbrüchen auftreten. Ungeachtet des Umstands, dass nach fachkundiger Ausführung der Kläger einer Stabilisierung bedarf, fehlt es in Afghanistan daneben auch an einer ausreichenden Behandlungsfähigkeit der Erkrankung des Klägers.
Denn in Afghanistan ist nach derzeitiger Erkenntnislage die Fortführung einer Behandlung psychischer Erkrankungen wegen fehlender Gewährleistung ausreichender Behandlungsverfügbarkeit nicht gegeben und darüber hinaus wäre eine solche wegen fehlender finanzieller Mittel des Klägers in Afghanistan nicht erreichbar (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016, S. 23f.). Die Ausführungen des Bayerisches Verwaltungsgerichtshofs in seinem Urteil vom 3. Juli 2012 – 13a B 11.30064 (juris Rn. 35 ff.) zur Situation in Afghanistan treffen unverändert nach wie vor zu. Nach der gegenwärtigen Auskunftslage gibt es in Kabul zwei psychiatrische Einrichtungen mit insgesamt 148 Betten und in Jalalabad und Herat jeweils 15 Betten für psychiatrische Fälle; in Mazar-e-Sharif eine private Einrichtung, die psychiatrische Fälle stationär aufnimmt. Folgebehandlungen seinen oft schwierig zu leisten, insbesondere wenn ein Patient kein unterstützendes Familienumfeld habe. Traditionell mangele es in Afghanistan an einem Konzept für psychisch Kranke. Gleichzeitig leiden viele Afghanen und Afghaninnen unter psychischen Symptomen der Depression, Angststörungen oder posttraumatischen Belastungsstörungen. Eine „Behandlung“ erfolge nicht selten in spirituellen Schreinen unter teilweise unmenschlichen Bedingungen oder es werde psychisch Kranken in einer „Therapie“ mit Brot, Wasser und Pfeffer der „böse Geist ausgetrieben“. Jedoch gibt es aktuell Bemühungen, die Akzeptanz und Kapazitäten für psychiatrische Behandlungsmöglichkeiten zu stärken und Aufklärung zu betreiben. Psychotherapeutische Behandlungsmöglichkeiten gibt es nicht (vgl. zur Gesamtsituation auch ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Provinz Nangarhar: Behandlungsmöglichkeiten für Personen mit psychischen Erkrankungen, 23.9.2013, verfügbar auf ecoi.net).
3.2.5. Nach § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG sind allerdings Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt sind, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen (Notwendigkeit einer politischen Leitentscheidung). Die vorgenannte Erkrankung des Klägers stellt sich nicht als allgemeine Gefahr i.S.v. § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG dar, so dass die Sperrwirkung dieser Vorschrift nicht greift (vgl. BayVGH, U.v. 23.11.2012 – 13a B 12.30061 – BeckRS Rn. 19ff m.w.N zur Rspr., insbesondere zu den Voraussetzungen der grundsätzlichen Annahme einer allgemeinen Gefahr bei einer Erkrankung bzw. einem Krankheitsbild).
Der Individualität der Krankheitsentstehung und -ausbildung der psychischen Erkrankung entspricht es, dass solchermaßen erkrankte Personen keine Bevölkerungsgruppe im Sinn des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG darstellen. Die Situation, dass jedem Betroffenen eine erhebliche Gefahr für Leib oder Leben in gleicher Weise droht, ist nicht gegeben. Nach den in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entwickelten Grundsätzen ist die Gefahr, dass sich eine Erkrankung des Ausländers aufgrund der Verhältnisse im Abschiebezielstaat verschlimmert, in der Regel als individuelle Gefahr einzustufen, die am Maßstab von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in direkter Anwendung zu prüfen ist. Maßgeblich hierfür sei die Erwägung, dass der Begriff der Gefahr im Sinn dieser Vorschrift hinsichtlich des Entstehungsgrunds der Gefahr nicht einschränkend auszulegen sei und eine Gefahr für die Rechtsgüter Leib und Leben auch dann vorliegen könne, wenn sie durch die bereits vorhandene Krankheit konstitutionell mit bedingt sei. Erforderlich, aber auch ausreichend für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sei danach, dass sich die vorhandene Erkrankung des Ausländers aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, d.h. dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht (vgl. BayVGH U.v. 23.11.2012 – 13a B 12.30061 m.w.N. – juris). So verhält es sich vorliegend, wie vorstehend ausgeführt.
4. Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich des zurückgenommenen Teils der Klage auf § 155 Abs. 2 VwGO, im Übrigen auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 83 b AsylG gerichtskostenfrei. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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