Verwaltungsrecht

Ausweisung eines im Bundesgebiet geborenen und aufgewachsenen serbischen Staatsangehörigen

Aktenzeichen  M 12 K 15.5408

Datum:
7.4.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 11 Abs. 1 S. 1, Abs. 3, § 53 Abs. 1, § 54 Abs. 1 Nr. 1, § 55 Abs. 1 Nr. 2
GG GG Art. 6
EMRK EMRK Art. 8

 

Leitsatz

Die Prognose, ob mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die weitere Anwesenheit des Ausländers die Gefahr weiterer Beeinträchtigungen der Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, insbesondere in Form weiterer Straftaten, ausgeht, orientiert sich am der Eintrittswahrscheinlichkeit und dem möglichen Schadenausmaß. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Entscheidungsgründe:
Verfahrensgegenstand ist der Bescheid der Beklagten vom 26. November 2015, mit dem der Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen wurde (Nr. 1), der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels abgelehnt wurde (Nr. 2), das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 6 Jahre unter der Bedingung, dass Straf- und Drogenfreiheit nachgewiesen wird, festgesetzt wurde; bei Nichterfüllen der Bedingung auf 8 Jahre (Nr. 3) und die Abschiebung nach Serbien angedroht wurde (Nr. 4).
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid vom 26. November 2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs.1 VwGO. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, § 113 Abs. 5 VwGO.
Die Beklagte hat den Kläger zu Recht aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen und die zur Durchsetzung der sich daraus ergebenden Ausreisepflicht erforderlichen Annex-Entscheidungen getroffen. Auch die Befristung der Wirkungen der Ausweisung auf sechs bzw. acht Jahre ab Ausreise/Abschiebung und die Ablehnung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis sind nicht zu beanstanden.
Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung, der zur Durchsetzung der sich aus dieser ergebenden Ausreisepflicht getroffenen Annexentscheidungen, der Befristung der Wirkungen der Ausweisung und des Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (ständige Rechtsprechung; vgl. etwa BVerwG, U.v. 30.7.2013 – 1 C 9/12 – juris; U.v. 10.7.2012 – 1 C 19.11 – juris). Der Entscheidung sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S.162), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 11. März 2016 (BGBl I S.394), die insbesondere die Neufassung des Ausweisungsrechts durch Art. 1 des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung (BGBl. I S. 1386) mit Wirkung zum 1. Januar 2016 bzw. 17. März 2016 enthalten, zugrunde zu legen. Danach ist die Entscheidung über eine Ausweisung stets eine – gerichtlich uneingeschränkt überprüfbare – Rechtsentscheidung (BR-Drs. 642/14, S.56). Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit einer Ausweisungsentscheidung ist nunmehr einheitlich für alle denkbaren Ausweisungsanlässe, dass die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise (vgl. § 54 AufenthG n. F.) mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet (vgl. § 55 AufenthG n. F.) ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.
Die durch die Beklagte mit Bescheid vom 26. November 2015 unter 1. verfügte Ausweisung des Klägers, die die Beklagte noch auf die zu diesem Zeitpunkt geltende Fassung der §§ 53 ff. AufenthG a. F. gestützt hat, beurteilt sich daher nach den §§ 53 bis 55 AufenthG in der am Tag der mündlichen Verhandlung gültigen Fassung.
Nach § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.
Nach dieser seit 1. Januar 2016 geltenden Rechtslage handelt es sich bei der Ausweisungsentscheidung in keinem Fall mehr um eine Ermessensentscheidung, sondern um eine gerichtlich voll überprüfbare Abwägungsentscheidung unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (BR-Drs. 642/14, S.56). Dabei ist zunächst von den in §§ 54 und 55 AufenthG typisierten, aber nicht abschließend angeführten besonders schwerwiegenden Ausweisungs- und Bleibeinteressen auszugehen. Hat ein nach diesen Vorschriften vertyptes Interesse nach der gesetzgeberischen Wertung stärkeres Gewicht als die gegenläufigen Belange, müssen besondere Umstände vorliegen, die eine abweichende Abwägung rechtfertigen können (VG Oldenburg, U.v. 11.1.2016 – 11 A 892/15 – juris).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze erweist sich die Ausweisung des Klägers als rechtmäßig.
Im Fall des Klägers besteht ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 1a AufenthG. Danach wiegt das Ausweisungsinteresse im Sinne des § 53 Abs. 1 AufenthG besonders schwer, wenn der Ausländer wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist (Nr.1) oder wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist (Nr.1a).
Der Kläger ist mit Urteil des Amtsgerichts München vom … September 2015 wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Einheitsjugendstrafe von 2 Jahren und 10 Monaten verurteilt worden, wobei ein Urteil des Amtsgerichts München vom … Juli 2014 wegen gemeinschaftlichen Diebstahls in Tatmehrheit mit zwei Fällen des versuchten gemeinschaftlichen Diebstahls einbezogen wurde (Bl. 437 BA). Damit liegt ein besonders schweres Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr.1 und Nr.1a AufenthG vor.
Beim Kläger besteht weder ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse gem. § 55 Abs. 1 AufenthG noch ein schwerwiegendes Bleibeinteresse gem. § 55 Abs. 2 AufenthG. Die für den Kläger in Betracht kommende Vorschrift des § 55 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG kommt nicht zur Anwendung, weil der Kläger zwar im Bundesgebiet geboren ist, aber keine Aufenthaltserlaubnis besitzt. Die letzte Aufenthaltserlaubnis des Klägers galt bis 15. Dezember 2013 (Bl. 180 BA). Den Verlängerungsantrag hat der Kläger erst am 16. Dezember 2013 gestellt. Seitdem ist der Kläger zwar im Besitz einer Aufenthaltsfiktionsbescheinigung, die allerdings wegen der verspäteten Antragstellung keine rechtlichen Wirkungen entfaltet, da ein (wenn auch geringfügig) verspäteter Verlängerungsantrag keine Fiktionswirkung nach § 81 AufenthG auslöst (BVerwG, U.v. 22.6.2011 – 1 C 5/10; NVwZ 2011,1340 – juris).
In der nach § 53 Abs. 1 AufenthG anzustellenden Gesamtabwägung unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erweist sich die Ausweisung des Klägers als rechtmäßig.
Nach § 53 Abs. 2 AufenthG sind bei der Abwägung nach den Umständen des Einzelfalles, wie sie § 53 Abs.1 AufenthG erfordert, insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Ausländers, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat sowie die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner zu berücksichtigen. Diese Kriterien, die sich nach der Gesetzesbegründung an den vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte herangezogenen Kriterien orientieren, sind nicht abschließend und können sich sowohl zugunsten als auch zulasten des Ausländers auswirken (BR-Drs. 642/14, S.56). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zieht bei der Prüfung der Frage, ob eine Ausweisungsmaßnahme in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist, folgende maßgebliche Kriterien heran: Art und Schwere der vom Ausländer begangenen Straftat; die Dauer seines Aufenthalts in dem Land, aus dem er ausgewiesen werden soll; die seit der Tat verstrichene Zeit und das Verhalten des Ausländers in dieser Zeit; die familiäre Situation des Betroffenen, die Stabilität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland und zum Zielland (EGMR, E.v. 22.1.2013 – 66837/11 – juris).
Die von § 53 Abs. 1 AufenthG als Tatbestandsvoraussetzung geforderte Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung der Bundesrepublik Deutschland durch den weiteren Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet ist gegeben. Die hier erforderliche Prognose, ob mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet ein Schaden an einem der Schutzgüter eintreten wird (vgl. BR-Drs. 624/14, S.55), mithin ob vom Kläger die Gefahr weiterer Beeinträchtigungen der Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, insbesondere in Form weiterer Straftaten, ausgeht, ergibt im Fall des Klägers nach Überzeugung der Kammer eine erhebliche Wiederholungsgefahr.
Dabei gilt, dass diese Prognose, wie jede sicherheitsrechtliche Gefahrenprognose, nach den allgemeinen Grundsätzen des Gefahrenabwehrrechts eine Korrelation aus Eintrittswahrscheinlichkeit und möglichem Schadenausmaß ist. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (BVerwG, U.v. 10.7.2012 – 1 C 19/11 – juris). Beim Kläger besteht nach Auffassung der Kammer eine Wiederholungsgefahr hinsichtlich der Begehung weiterer Straftaten gerichtet gegen die körperliche Unversehrtheit oder das Eigentum (Körperverletzung, Diebstahl, räuberische Erpressung, Raub). Diese ergibt sich aus der Straftat, deren Aburteilung den Anlass für die Ausweisung des Klägers gegeben hat in Verbindung mit dem Verhalten des Klägers vor dieser Straftat und danach.
Der Kläger wurde vom Amtsgericht München am … September 2015 (Bl. 437 BA) wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Einheitsjugendstrafe von 2 Jahren 10 Monaten verurteilt. Einbezogen wurde das Urteils des Amtsgerichts München vom … Juli 2014 (Bl. 244 ff. BA) wegen gemeinschaftlichen Diebstahls in Tatmehrheit mit zwei Fällen des versuchten gemeinschaftlichen Diebstahls. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts München im Urteil vom … September 2015 waren die Äußerungen des Sozialdienstes der JVA …, in der der Kläger die Strafhaft verbüßt, sehr negativ. Derzeit seien zwei Strafverfahren wegen räuberischer Erpressung gegenüber Mitgefangenen anhängig, in der Haft mache der Kläger keine Fortschritte (Seite 7). In der mündlichen Verhandlung erklärte der Kläger, er sei vom Amtsgericht … wegen räuberischer Erpressung und Nötigung zu vier Jahren Jugendstrafe verurteilt worden, wobei das Urteil des Amtsgerichts München vom … September 2015 miteinbezogen wurde. Hintergrund der Verurteilung waren die Vorfälle in der JVA, wobei der Kläger von Mitgefangenen Schutzgelder erpresste. Zwar war zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung gegen das Urteil noch Berufung anhängig, allerdings zeigt die Verurteilung, dass der Kläger auch nach der Verurteilung, die Anlass zur Ausweisung gab, jede sich bietende Gelegenheit für kriminelles Handeln nutzt. Das Gericht wertete im Urteil des Amtsgerichts München vom … September 2015 zulasten des Klägers die erheblichen Vorverurteilungen und die enorme Rückfallgeschwindigkeit. So wurde der Kläger seit dem Jahr 2010 (im Alter von 15 Jahren) bis zur Verurteilung vom … September 2015, die Anlass zur Ausweisung gab (im Alter von 20 Jahren), insgesamt neunmal wegen verschiedener Delikte verurteilt (Diebstahl, gefährliche Körperverletzung, Nötigung, gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung, Erschleichen von Leistungen, Raub in Mittäterschaft, versuchte räuberische Erpressung, Besitz einer verbotenen Waffe). Alle gegen ihn ausgesprochenen Maßnahmen (richterliche Weisungen, Jugendarrest, Jugendstrafe zur Bewährung) hat sich der Kläger nicht zur Warnung dienen lassen; er ist immer wieder straffällig geworden. Das Amtsgericht München ging in seinem Urteil vom … September 2015 davon aus, dass beim Kläger unzweifelhaft schädliche Neigungen vorliegen (Seite 19 des Urteils). Es berücksichtigte, dass der Kläger bereits vielfach und auch einschlägig strafrechtlich in Erscheinung getreten ist und dass insbesondere das Verhalten betreffend den Diebstahl der Lederjacken Ansätze „berufsmäßiger Kriminalität“ in sich birgt. Außerdem stellte das Gericht die hohe Rückfallgeschwindigkeit fest (Seite 19 des Urteils vom …9.2015). Zugunsten des Klägers wertete das Jugendschöffengericht, dass der Kläger die Taten im Wesentlichen einräumte und die Taten erhebliche Zeit zurücklagen. Im Ergebnis verurteilte das Jugendschöffengericht den Kläger – auch unter Berücksichtigung der zu seinen Gunsten sprechenden Umstände – zu einer Einheitsjugendstrafe von 2 Jahren und 10 Monaten, mithin zum fast 1½-fachem der für ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG erforderlichen Strafe. Auch während der Haft hat der Kläger gezeigt, dass er nicht gewillt ist, sich an die Rechtsordnung zu halten. Unabhängig von der (noch nicht rechtskräftigen) Verurteilung wegen räuberischer Erpressung ist der Kläger auch disziplinarisch mehrfach in der JVA in Erscheinung getreten, insbesondere wegen ungebührlichen, beleidigenden und bedrohlichen Verhaltens sowie Nichtbefolgen von Anordnungen (Stellungnahme der JVA … vom 16.2.2016, Bl. 78 der Gerichtsakte). Die Anlasstat der Ausweisung – zusammen mit dem Verhalten des Klägers vor und nach dieser Tat – indiziert grundsätzlich die Gefahr erneuter schwerer Straftaten durch den Kläger.
Dabei sind an die Eintrittswahrscheinlichkeit angesichts der Gefährlichkeit des Klägers geringe Anforderungen zu stellen. Die Gefahren, die von gefährlicher Körperverletzung, Raub und Diebstahl ausgehen, sind schwerwiegend und berühren ein Grundinteresse der Gesellschaft. Die betroffenen Schutzgüter der Gesundheit und des Eigentums der Bürger nehmen in der Hierarchie der in den Grundrechten enthaltenen Wertordnung einen hohen Rang ein (BVerwG, U.v. 14.4.2013 – 1 C 13/12 – juris). Der Kläger hat sich durch die zahlreichen – auch einschlägigen – Verurteilungen sehr uneinsichtig und unbelehrbar gezeigt. Er hat sich aus nichtigen Anlässen nicht gescheut, mit brutaler Gewalt gegen Personen vorzugehen und deren Verletzung in Kauf zu nehmen. Dies hat der Kläger insbesondere bei der Tat gezeigt, die Anlass zur Ausweisung war. Er hat den Geschädigten bewusstlos geschlagen, getreten und ihn mit einer Alustange traktiert. Auch in der JVA … hat er vor Gewalt nicht zurückgeschreckt, wie sich aus den insoweit übereinstimmenden Zeugenaussagen der Mitgefangenen (Bl. 530 ff. BA) und letztlich aus der noch nicht rechtskräftigen Verurteilung des Amtsgerichts … wegen Bedrohung und räuberischer Erpressung ergibt.
Gegen die Annahme der Wiederholungsgefahr spricht nicht die Stellungnahme der JVA … vom 16. Februar 2016. Zwar ist darin ausgeführt, dass sich der Kläger im Juli 2015 deutlich verändert und sein Verhalten gegenüber den Bediensteten erheblich verbessert hat. Das Verhalten gegenüber seinen Ausbildern und den Mitgefangenen ist seitdem beanstandungsfrei. Allerdings zeigt sich der Kläger weiterhin häufig uneinsichtig, was die Sauberkeit seines Haftraums anbelangt. Dazu kommt, dass er bisher kaum bereit war, sich im Rahmen von Behandlungsangeboten mit seinen Ressourcen und Defiziten auseinander zu setzen (Bl. 80 GA). Er zeigt sich häufig uneinsichtig und schiebt jede Schuld von sich (Bl. 79 GA). Auch nach der positiven Veränderung im Juli 2015 ist der Kläger noch zwei Mal disziplinarrechtlich in Erscheinung getreten und zwar am 24. November 2015 (beleidigendes und bedrohliches Verhalten gegenüber einem Bediensteten) und am 18. Dezember 2015 (wiederholt mangelnde Haftraumsauberkeit). Es zeigt sich, dass der Kläger trotz der verhängte Freizeitarreste, Bewährungsstrafen, Jugendstrafen und Disziplinarmaßnahmen nach wie vor nicht gewillt oder in der Lage ist, die Rechtsordnung zu respektieren und sein Verhalten danach auszurichten.
Ausgehend von der beim Kläger nach Überzeugung der Kammer bestehenden Wiederholungsgefahr erneuter Straftaten wiegt das Ausweisungsinteresse, das sich insbesondere aus der Art und Schwere der vom Kläger zuletzt begangenen und rechtskräftig abgeurteilten Straftat ergibt, auch unter Berücksichtigung des Art. 6 GG und Art. 8 EMRK und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes schwerer als seine Bleibeinteressen.
Der Kläger hat kein besonders schwerwiegendes oder schwerwiegendes Bleibeinteresse aus § 55 AufenthG (siehe oben). Ein Bleibeinteresse des Klägers ergibt sich daraus, dass er im Bundesgebiet geboren und aufgewachsen ist. Zu seinem Heimatland, Serbien, hat er – abgesehen von Urlauben – nur geringe Bindungen. Dazu kommt, dass der Kläger seine sozialen Bindungen, insbesondere zu seinen Großeltern, seinen Brüdern, seiner Schwester, seinem Vater, seiner Stiefmutter und seiner Verlobten ganz überwiegend in der Bundesrepublik Deutschland hat und dass die Ausweisung des Klägers auch für diese Angehörigen sehr beeinträchtigend ist, § 53 Abs. 2 AufenthG. Demgegenüber ist von einer gelungenen sozialen und wirtschaftlichen Integration des Klägers bislang nicht auszugehen. Er hat zwar einen Hauptschulabschluss erzielt, die danach absolvierte Jungarbeiterklasse konnte er aber nicht positiv beenden. Auch das Berufsvorbereitungsjahr hat er wegen mangelnder Mitwirkung beenden müssen. Eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann bei der Firma … wurde ihm nach einem Monat gekündigt. Danach ging der Kläger keiner Tätigkeit mehr nach (Urteil des Amtsgerichts München vom … September 2015, Seite 7). Insofern ist nicht davon auszugehen, dass der Kläger eine tragfähige wirtschaftliche Perspektive hat. Wie sich insbesondere aus dem in das Urteil des Amtsgerichts – Jugendschöffengericht – München vom … September 2015 einbezogenen Urteil des Amtsgerichts München vom … Juli 2014 ergibt, wurde beim Diebstahl der Lederjacken eine neue Qualifikationsebene erreicht, die bereits Ansätze in Richtung „berufsmäßige Kriminalität“ aufweist (Seite 19 des Urteils des AG München vom …8.2015, Bl. 455 BA). Auch das Verhalten des Klägers in der JVA … lässt erkennen, dass er bemüht ist, sich durch kriminelles Verhalten eine Einnahmequelle zu verschaffen. Soweit der Kläger im Verwaltungsverfahren geltend macht, er schätze seine Kenntnisse der serbischen Sprache als sehr schlecht ein, weil er sie nie gelernt habe (Bl. 487 BA), so ist dem noch jungen Kläger zuzumuten, diese zu erlernen. Soweit der Kläger vorträgt, er wolle sich für den Quali anmelden und nach der Haftentlassung seine Verlobte heiraten (Bl. 487 BA), so handelt es sich dabei um mögliche aber ungewisse künftige Entwicklungen, die derzeit nicht berücksichtigt werden können. Dass der herzkranke Großvater des Klägers auf dessen Unterstützung angewiesen wäre (Bl. 487 BA), ist schon deshalb nicht nachvollziehbar, weil sich der Kläger in der JVA befindet und von dort aus den Großvater ebenfalls nicht betreuen kann.
Nach all dem überwiegt hinsichtlich des Klägers insbesondere wegen der Art und Schwere der Straftaten, derentwegen der Kläger ausgewiesen worden ist, aber auch wegen der Vielzahl der strafrechtlichen Verurteilungen und des Verhaltens des Klägers nach der Verurteilung vom … September 2015 und der dadurch aufgezeigten Unbelehrbarkeit des Klägers sowie der Wiederholungsgefahr für weitere schwerwiegende Straftaten das besonders schwerwiegende Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs.1 Nr.1 und Nr. 1a AufenthG auch unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und unter Berücksichtigung von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK seine Bleibeinteressen gem. § 53 Abs. 2 AufenthG.
Ist somit die Ausweisung rechtlich nicht zu beanstanden, so sind auch die ausländerrechtlichen Annex-Entscheidungen unter Nr. 4. des angefochtenen Bescheides, die Abschiebungsanordnung unmittelbar aus der Haft heraus bzw. die Abschiebungsandrohung und die dem Kläger zur Ausreise gesetzte Frist, nicht zu beanstanden. Sie finden ihre Rechtsgrundlage in den §§ 58 und 59 AufenthG. Die dem Kläger vorsorglich gewährte Frist zur freiwilligen Ausreise von vier Wochen nach seiner Haftentlassung ist angemessen und ausreichend zur Regelung der persönlichen Angelegenheiten, § 59 Abs.1 Satz 1 AufenthG.
Rechtmäßig ist auch die unter Nr. 3 des angefochtenen Bescheides verfügte Befristung der Ausweisung. Ein Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, darf weder erneut in das Bundesgebiet einreisen, noch sich darin aufhalten, noch darf ihm, selbst im Fall eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden (Einreise- und Aufenthaltsverbot), § 11 Abs. 1 AufenthG. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist von Amts wegen zu befristen, § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Die Frist beginnt mit der Ausreise, § 11 Abs. 2 Satz 2 AufenthG. Im Fall der Ausweisung ist die Frist gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung festzusetzen. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insb. einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit, § 11 Abs. 2 Satz 5 AufenthG. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung, § 11 Abs. 2 Satz 6 AufenthG. Über die Länge der Frist wird nach Ermessen entschieden, § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG. Sie darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht, § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG. Diese Frist soll zehn Jahre nicht überschreiten, § 11 Abs. 3 Satz 3 AufenthG. Bei der Bestimmung der Länge der Frist sind das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Es bedarf der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag (BayVGH, U.v. 25.8.2014 – 10 B 13.715 – juris). Die sich an der Erreichung des Ausweisungszwecks orientierende Sperrfrist muss sich dabei an höherrangigem Recht, d. h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen und den Vorgaben aus Art. 8 EMRK, messen und ggf. relativieren lassen (BayVGH, U.v. 25.8.2014, a. a. O.). Die Ermessensentscheidung nach § 11 Abs. 3 AufenthG ist gerichtlich nur eingeschränkt daraufhin überprüfbar, ob die Behörde das ihr zustehende Ermessen in seiner Reichweite erkannt, ihre Erwägungen am Zweck der Ermessensermächtigung ausgerichtet und die gesetzlichen Grenzen ihres Ermessens nicht überschritten hat, § 114 Satz 1 VwGO.
Die von der Beklagten im angefochtenen Bescheid angestellten Erwägungen, die das Gewicht des Ausweisungsgrundes und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck einerseits und die verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen in Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG sowie die Vorgaben aus Art. 8 EMRK andererseits gegeneinander abgewogen haben, stellen in der Sache eine nicht zu beanstandende Ermessensabwägung dar. Die Beklagte hat in ausreichender Weise die persönlichen Bindungen des Klägers im Bundesgebiet (Eltern, Großeltern, Geschwister) berücksichtigt und das Gewicht der gefährdeten Rechtsgüter (insb. körperliche Unversehrtheit, Gesundheit) und der Wiederholungsgefahr abgewogen. Die Beklagte konnte auch berücksichtigen, dass angesichts des hohen Gefahrenpotentials beim Kläger die Frist im oberen Bereich der 10-Jahres-Frist anzusiedeln ist (acht Jahre). Sachgerecht ist auch, für den Fall, dass der Kläger Straf- und Drogenfreiheit nachweist, die Frist auf sechs Jahre zu verkürzen, § 11 Abs. 2 Sätze 5 und 6 AufenthG. Insbesondere vor dem Hintergrund der enormen Rückfallgeschwindigkeit und der Steigerung des kriminellen Verhaltens des Klägers kann nicht erwartet werden, dass die mit der Ausweisung verfolgten Zwecke, insbesondere einer Wiederholungsgefahr zu begegnen, vor Ablauf von acht Jahren erfüllt werden. Davon könnte nur ausgegangen werden, wenn der Kläger nach sechs Jahren nachweist, dass er in dieser Zeit straf- und drogenfrei geblieben ist. Die Festsetzung der Bedingung der Drogenfreiheit ist auch deshalb sachgerecht, weil der Kläger seit seinem 17. Lebensjahr regelmäßig Marihuana konsumiert hat (Bl. 275 BA).
Rechtmäßig ist auch die Ablehnung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis (Nr. 2 des Bescheides). Da der Kläger ausgewiesen ist, darf ihm kein Aufenthaltstitel erteilt werden, § 11 Abs. 1 AufenthG. Im Übrigen liegen die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nicht vor, weil ein Ausweisungsinteresse besteht, § 5 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 54 Abs. 1 Nr. 1 und 1a AufenthG.
Nach alldem war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 10.000 festgesetzt (§ 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz -GKG-).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,– übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.

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