Aktenzeichen Au 1 E 20.2659
Leitsatz
1. Es ist fraglich, ob § 25 Abs. 5 AufenthG als Auffangvorschrift für ein sich aus Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK ergebendes Ausreisehindernis herangezogen werden kann, wenn die Erteilungsvoraussetzungen der für die genannten Aufenthaltszwecke bestehenden Normen nicht erfüllt sind (Verweis auf VGH München BeckRS 2020, 6745 Rn. 18). (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein möglicherweise bestehender verfassungsrechtlicher Anspruch auf einen Daueraufenthalt zur Ausübung der Personensorge für eigene Kinder führt noch nicht zu einer rechtlichen Unmöglichkeit der Ausreise. Soweit die Nachholung des Visumverfahrens im Ausland erforderlich ist, ist dessen Durchführung nicht von vorneherein unzumutbar, auch wenn es mit einer vorübergehenden Trennung der Familie verbunden ist (Anschluss an BVerfG BeckRS 2018, 3992). (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 1.250,00 EUR festgesetzt.
IV. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung wird abgelehnt.
Gründe
I.
Der am … geborene Antragsteller ist nigerianischer Staatsangehöriger. Er begehrt die weitere Duldung seines Aufenthalts.
Er reiste im Jahr 2013 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 17. September 2013 einen förmlichen Asylantrag. Diesen lehnte das … mit Bescheid vom 10. April 2018 in vollem Umfang ab. Der Bescheid ist seit dem 1. Mai 2018 bestandskräftig. In der Folgezeit wurde der Antragsteller geduldet und war erwerbstätig. Am 17. Dezember 2020 wurde ihm eine Grenzübertrittsbescheinigung ausgehändigt, in der eine Frist zur Ausreise bis zum 28. Dezember 2020 gesetzt wurde.
Der Antragsteller hat zusammen mit einer im … lebenden nigerianischen Staatsangehörigen drei gemeinsame Kinder, die im Oktober 2015, Dezember 2016 und September 2020 geboren wurden. Sowohl der Kindsmutter als auch den beiden älteren Kindern wurde vom … die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Sie sind im Besitz von Aufenthaltserlaubnissen. Im Asylverfahren des jüngsten Kindes ist noch keine Entscheidung ergangen. Daneben ist der Antragsteller auch Vater eines im März 2017 in … geborenen weiteren Kindes, das die eritreische Staatsangehörigkeit besitzt. Auch diesem Kind wurde die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Für sämtliche Kinder hat der Antragsteller die Vaterschaft anerkannt und die Sorgeerklärung abgegeben.
Der Antragsteller ist im Besitz eines am 7. Juni 2017 von der nigerianischen Botschaft in Berlin ausgestellten Nationalpasses, der bis zum 6. Juni 2022 gültig ist. Er legte diesen am 15. Februar 2018 der Stadt * im Rahmen der Beantragung eines Aufenthaltstitels vor.
Mit Strafbefehl vom 7. September 2018 verurteilte ihn das Amtsgericht … wegen Bedrohung in Tatmehrheit mit Körperverletzung zu einer Geldstrafe in Höhe von 50 Tagessätzen zu je 15 EUR. Er hatte die Mutter seiner Kinder mit dem Tod bedroht, sie ins Gesicht geschlagen und gegen einen Stuhl geschubst.
Mit Formblattantrag vom 27. April 2018 beantragte der Antragsteller die Erteilung eines Aufenthaltstitels. Diesen lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 17. September 2019 ab. Da nach der erfolglosen Durchführung eines Asylverfahrens eine Titelerteilungssperre bestehe, komme die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 36 AufenthG nicht in Betracht. Auch nach § 25 Abs. 5 AufenthG könne eine Aufenthaltserlaubnis nicht erteilt werden. Es sei ein Ausweisungsinteresse gegeben. Zudem sei dem Antragsteller die Ausreise rechtlich und tatsächlich möglich. Er wolle lediglich die Nachholung des Visumverfahrens umgehen.
Nachdem der Antragsteller nachgewiesen hatte, sich beim deutschen Generalkonsulat in Lagos für einen Termin zur Beantragung eines Visums zur Familienzusammenführung registriert zu haben, stellte der Antragsgegner mit Schreiben vom 18. November 2019 eine Vorabzustimmung bei Vorlage der aktuellen Gehaltsabrechnungen sowie einer Bescheinigung über das Vorhandensein einfacher Sprachkenntnisse (A1 Zertifikat) in Aussicht. Am 5. Mai 2020 wurde zwischen dem Landratsamt * und dem damaligen Bevollmächtigten des Antragstellers vereinbart, dass der Antragsteller bis zum 15. September 2020 den genauen Termin zur Beantragung des Visums sowie das Ausreisedatum mitteile. Zudem könne er bei Vorlage des Sprachzertifikats A1 eine Vorabzustimmung beantragen. Im Gegenzug werde die Duldung übergangsweise bis zur Ausreise und Nachholung des Visumverfahrens aufrechterhalten.
Am 3. September 2020 ließ der Antragsteller mitteilen, er habe am 25. September 2020 einen Termin beim Generalkonsulat in Lagos. Allerdings sei die Organisation der Ausreise bis zu diesem Termin nicht möglich. Dies bekräftigte eine Helferin des Antragstellers in einer an die Ausländerbehörde gerichteten E-Mail vom 9. September 2020. Aufgrund der pandemiebedingt erschwerten Reisebedingungen sei die Einhaltung der vorgegebenen Termine unmöglich und es werde gebeten, einer Stornierung des Termins zuzustimmen. Dem Antragsteller sei der Termin vom deutschen Generalkonsulat erst am 28. August 2020 zugeteilt worden. Die Zeit sei nicht ausreichend, um ein finanzierbares Flugticket zu buchen und eine für die Quarantäne geeignete Unterkunft in Lagos sowie die notwendigen Tests auf das Coronavirus zu organisieren. Am 15. September 2020 sprach zudem die Lebensgefährtin des Antragstellers bei der Ausländerbehörde vor und verwies erneut auf die Schwierigkeiten, eine Unterkunft in Lagos zu finden und die notwendige siebentägige Selbstisolation durchzuführen. Eine Ausreise erfolgte nicht. Dies begründete der Antragsteller in einem Schreiben vom 22. September 2020 damit, dass er am 16. September 2020 nach Nigeria habe fliegen wollen. Seine dreijährige Tochter sei jedoch am 15. September 2020 in das Krankenhaus eingeliefert und erst am 17. September 2020 wieder entlassen worden. Nach dem Krankenhausaufenthalt der Tochter habe er nicht nach Nigeria fliegen können, da er aufgrund der pandemiebedingten Quarantänemaßnahmen den Termin nicht hätte wahrnehmen können. Er habe den Termin beim deutschen Generalkonsulat storniert und sich sogleich für die Zuteilung eines neuen Termins registriert.
Aufgrund eines entsprechenden Antrags vom 29. Oktober 2020 erteilte der Antragsgegner dem Antragsteller letztmalig eine bis zum 28. November 2020 gültige Duldung.
Eine weitergehende Erteilung für den Zeitraum ab dem 29. November 2020 lehnte er mit Bescheid vom 18. November 2020 ab und räumte dem Antragsteller eine Frist zur freiwilligen Ausreise bis zum 28. Dezember 2020 ein. Gegen den Bescheid wurde Klage erhoben, über die noch nicht entschieden ist (Au 1 K 20.2756). Der Antragsteller sei aufgrund des negativen Abschlusses seines Asylverfahrens zur Ausreise verpflichtet und ihm könne ohne die Nachholung des Visumverfahrens kein Aufenthaltstitel erteilt werden. Seine Abschiebung bzw. die freiwillige Ausreise sei sowohl rechtlich als auch tatsächlich möglich. Der Schutz von Ehe und Familie gewähre keinen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels ohne die Einhaltung der Visumvorschriften. Auch eine Verfahrensduldung komme nicht in Betracht. Der vom Antragsteller am 4. November 2020 gestellte Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG habe keine Aussicht auf Erfolg und ziehe im Hinblick auf § 81 Abs. 3 und 4 AufenthG auch kein verfahrensbezogenes Bleiberecht nach sich. Ein entsprechender Antrag sei bereits mit Bescheid vom 17. September 2019 bestandskräftig abgelehnt worden und es hätten sich keine wesentlichen Änderungen des Sachverhalts ergeben. Es könne auch keine weitere Duldung erteilt werden, um dem Antragsteller eine nur kurzfristige Trennung von seinen Kindern zur Nachholung des Visumverfahrens zu ermöglichen. Es habe sich um ein Entgegenkommen der Ausländerbehörde gehandelt. Dem Antragsteller wäre die Ausreise zur Wahrnehmung des Termins beim deutschen Generalkonsulat in Lagos möglich und zumutbar gewesen. Die Entscheidung, den Termin nicht wahrzunehmen, liege allein in seinem Verantwortungsbereich. Eine weitere Verfahrensduldung komme nicht in Betracht. Es sei fraglich, ob der Antragsteller einer erneuten Vereinbarung zur freiwilligen Ausreise Folge leisten würde, sodass eine Ermessensduldung nicht mehr erteilt werde. Die Nachholung des Visumverfahrens sei ihm trotz der Trennung von seinen Kindern zumutbar. Die nun unter Umständen etwas länger andauernde Trennung liege in seinem Verantwortungsbereich. Die Erteilung einer Beschäftigungsduldung scheitere bereits an der rechtskräftigen Verurteilung des Antragstellers zu einer Geldstrafe in Höhe von 50 Tagessätzen, sodass auch die Erteilung einer Duldung nach § 60d AufenthG nicht in Betracht komme.
Mit weiterem Bescheid vom 4. Dezember 2020 lehnte das Landratsamt * den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vom 4. November 2020 ab. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG scheitere bereits daran, dass die Ausreise nicht aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich sei. Zudem sei angesichts der strafgerichtlichen Verurteilung ein Ausweisungsinteresse gegeben und die Nachholung des Visumverfahrens zumutbar. Gegen den Bescheid ließ der Antragsteller am 10. Dezember 2020 Klage erheben (Au 1 K 20.2658), über die noch nicht entschieden wurde.
Mit Schriftsatz vom 10. Dezember 2020 ließ der Antragsteller den vorliegenden Eilantrag stellen. Er wohne zwar nicht in einem Haushalt mit seinen Kindern, sehe sie jedoch jeden Tag und kümmere sich liebevoll um sie. Er sichere seinen Lebensunterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit. Aufgrund des Bestehens einer familiären Lebensgemeinschaft sei ihm die Ausreise aus rechtlichen Gründen unmöglich. Seine Kinder seien auf ihn angewiesen, was die Begleitung der Tochter in das Krankenhaus im September 2020 belege und aufgrund des geringen Alters der Kinder ohnehin naheliege. Die einzige in Betracht kommende Vorschrift für die Erteilung eines Visums zum Nachzug zum ausländischen Kind sei eine Ermessensvorschrift und könne nur zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erteilt werden. Dies stelle unerreichbar hohe Anforderungen, so dass mit einer Ablehnung des Visumantrags zu rechnen sei. Die von der Rechtsprechung geforderte familienfreundliche Gestaltung des Visumverfahrens setze voraus, dass grundsätzlich die Möglichkeit des Familiennachzugs bestehe. Angesichts der zu § 36 Abs. 2 AufenthG ergangenen allgemeinen Verwaltungsvorschriften und der dadurch bedingten restriktiven Anwendung der Vorschrift werde die Erteilung des Visums aller Voraussicht nach abgelehnt. Ausweislich der Informationen des Auswärtigen Amtes seien im Jahr 2019 insgesamt 151 Visa zur Familienzusammenführung nicht erteilt worden. Es könne davon ausgegangen werden, dass ein Großteil der abgelehnten Visa sich auf die Vorschrift des § 36 AufenthG bezöge. Es sei dem Antragsteller nicht zuzumuten, seine Kinder auf unabsehbar lange Zeit in Deutschland zurückzulassen. Ihm bliebe nach der Ausreise in sein Heimatland lediglich eine Klage am Verwaltungsgericht Berlin, wo mit einer Verfahrensdauer von zwei Jahren zu rechnen sei. Zudem drohe der Verlust des Arbeitsplatzes bei einem langdauernden Auslandsaufenthalt. Der Antragsteller wolle nicht das Visumverfahren umgehen, befürchte aber, nicht mehr zu seinen Kindern zurückkehren zu können. Für eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG könne kein Visumverfahren durchgeführt werden, da diese Vorschrift eine vollziehbare Ausreisepflicht voraussetze. Es lägen sämtliche Erteilungsvoraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG vor.
Der Antragsteller lässt beantragen,
Der Antragsgegner wird verpflichtet, den Antragsteller vorläufig und bis zur Rechtskraft der Entscheidung über seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG nicht abzuschieben und ihm eine Duldungsbescheinigung gemäß § 60a AufenthG auszustellen.
Für dieses Verfahren beantragt er die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung.
Der Antragsgegner beantragt,
Der Antrag nach § 123 VwGO wird abgewiesen.
Es seien keine neuen Tatsachen vorgebracht worden, die auf eine Änderung der familiären Verhältnisse hindeuteten oder die eine rechtliche Unmöglichkeit der Ausreise begründen könnten. Die Vorschrift des § 25 Abs. 5 AufenthG sei keine allgemeine Auffangnorm für die Fälle, in denen die gesetzlich geregelten Voraussetzungen für den Familiennachzug nicht erfüllt seien. Die Ausreise des Antragstellers sei weder aus rechtlichen noch aus tatsächlichen Gründen unmöglich. In der Vergangenheit hätten bereits mehrfach Gespräche mit dem Antragsteller stattgefunden, um die verschiedenen Beschleunigungsmöglichkeiten bei der Durchführung des Visumverfahrens aufzuzeigen. Dabei sei ausdrücklich auch auf die Möglichkeit der Vorabzustimmung hingewiesen worden. Das deutsche Generalkonsulat habe die Vorgaben des Art. 6 GG zu berücksichtigen. Es sei davon auszugehen, dass ein Visum zum Familiennachzug im Rahmen der üblichen Bearbeitungszeit erteilen werde. Ein Visumverfahren sei immer mit einer vorübergehenden Trennung der Familie verbunden. Dies sei vom Gesetzgeber so vorgesehen. Die Befürchtung, nicht oder nicht zeitnah zurückkehren zu können, mache das Visumverfahren deshalb nicht entbehrlich. Die vorgelegten statistischen Erhebungen hätten keine Aussagekraft für den konkret vorliegenden Fall. Der Antragsteller habe es selbst in der Hand, durch eine freiwillige Ausreise die mit einer Abschiebung verbundene Einreisesperre zu vermeiden. Sein bisheriges Verhalten deute allerdings darauf hin, dass eine freiwillige Ausreise nicht in Betracht gezogen werde.
Ergänzend wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der vom Antragsgegner vorgelegten Behördenakte Bezug genommen.
II.
1. Gegenstand des Antrags ist eine einstweilige Anordnung zur Sicherung des vom Antragsteller behaupteten Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ohne vorherige Einholung eines Visums.
2. Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Voraussetzung ist, dass der Antragsteller das von ihm behauptete strittige Recht (den Anordnungsanspruch) und die drohende Gefahr seiner Beeinträchtigung (den Anordnungsgrund) glaubhaft macht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Maßgebend sind dabei die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
3. Es kann dahingestellt bleiben, ob derzeit ein Anordnungsgrund vorliegt. Jedenfalls kann sich der Antragsteller nicht auf einen Anordnungsanspruch berufen. Die dargelegten Gründe genügen nicht für die Annahme, dass die Ausreise bzw. Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich wäre, wie es § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG und § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG für die Erteilung der beantragten humanitären Aufenthaltserlaubnis bzw. Aussetzung der Abschiebung voraussetzen. Tatsächliche Gründe, die einer Ausreise entgegenstehen, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Eine rechtliche Unmöglichkeit der Ausreise oder Abschiebung wäre nur dann anzunehmen, wenn die effektive Verfolgung und Geltendmachung eines Anspruchs des Antragstellers auf ein Aufenthaltsrecht nur bei dessen Verbleiben im Bundesgebiet gewährleistet wäre (BayVGH, B.v. 21.2.2013 – 10 CS 12.2679 – juris Rn. 17). Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht, dass er ein Bleiberecht im Bundesgebiet ohne vorherige Durchführung eines Visumverfahrens beanspruchen kann und es deshalb aus Rechtsschutzgründen ausnahmsweise geboten wäre, dem Antragsgegner den Vollzug der mit Bescheid des * vom 10. April 2018 erlassenen Abschiebungsandrohung nach Nigeria vorläufig zu untersagen.
a) Dem Antragsteller steht kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu, da die Voraussetzungen dieser Vorschrift unter Zugrundelegung der hier nur möglichen Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht erfüllt sind. Gemäß § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Es ist bereits fraglich, ob § 25 Abs. 5 AufenthG als Auffangvorschrift für ein sich aus Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK ergebendes Ausreisehindernis herangezogen werden kann, wenn die Erteilungsvoraussetzungen der für die genannten Aufenthaltszwecke bestehenden Normen nicht erfüllt sind (offengelassen BayVGH, B.v. 16.3.2020 – 10 CE 20.326 – juris Rn. 18 m.w.N.). Denn jedenfalls ist die Ausreise des Antragstellers nicht aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich.
b) Der Schutz des Art. 6 GG steht einer erzwungenen Ausreise des Antragstellers nicht entgegen. Art. 6 GG gewährt keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt (BVerfG, B.v. 5.6.2013 – 2 BvR 586/13 – juris). Allerdings verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des den weiteren Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, d.h. entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Dieser verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zum Schutz der Familie entspricht ein Anspruch des Trägers des Grundrechts aus Art. 6 GG darauf, dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über das Aufenthaltsbegehren seine familiären Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen unter Betrachtung des Einzelfalles und Gewichtung der familiären Bindungen einerseits und der sonstigen Umstände des Einzelfalles andererseits berücksichtigen (vgl. BayVGH, B.v. 2.3.2016 – 10 CS 16.408 – juris Rn. 5 m.w.N.).
c) Im vorliegenden Fall ist zunächst zu beachten, dass der Gesetzgeber für den dau erhaften Aufenthalt im Bundesgebiet zur Ausübung der Personensorge die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug nach Abschnitt 6 des Aufenthaltsgesetzes vorsieht. Die Feststellung allein, der Antragsteller habe (möglicherweise) einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf einen Daueraufenthalt zur Ausübung der Personensorge für seine Kinder, führt dabei noch nicht zu einer rechtlichen Unmöglichkeit der Ausreise. Soweit die Nachholung des Visumverfahrens im Ausland erforderlich ist, ist dessen Durchführung nicht von vorneherein unzumutbar, auch wenn es mit einer vorübergehenden Trennung der Familie verbunden ist (BVerfG, B.v. 15.3.2018 – 2 BvQ 24/18).
d) Das Gericht geht zudem davon aus, dass ein eventuell bestehendes Daueraufent haltsrecht des Antragstellers aufgrund des verfassungsrechtlichen Schutzes seiner familiären Bindungen im Bundesgebiet auch bei der Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der außergewöhnlichen Härte und der Ausübung des Ermessens im Rahmen der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG durchgreifen muss, soweit eine schützenswerte familiäre Gemeinschaft vorliegt und diese nur im Bundesgebiet gelebt werden kann. Die Erteilung einer solchen Aufenthaltserlaubnis setzt allerdings gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG die Durchführung eines Visumverfahrens und damit die Ausreise des Antragstellers voraus. An die wertentscheidende Grundsatznorm des Art. 6 GG ist auch das deutsche Generalkonsulat in Lagos bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der außergewöhnlichen Härte und bei Ausübung des Ermessens im Rahmen des § 36 Abs. 2 AufenthG gebunden. Eine grundsätzliche Möglichkeit des Familiennachzugs besteht damit. Das Gericht sieht keinerlei Veranlassung zu der Annahme, das Generalkonsulat als deutsche Behörde beachte im Rahmen der Durchführung des Visumverfahrens nicht die verfassungsrechtlichen Vorgaben. Dies kann auch nicht der Tatsache entnommen werden, dass ein Teil der Visumanträge zum Familiennachzug abgelehnt wird.
e) Im Fall des Antragstellers sind keine Umstände erkennbar, die eine (vorübergehende) Ausreise zur Durchführung des Visumverfahrens aus familiären Gründen unzumutbar erscheinen lassen. Es liegt primär in seinem Verantwortungsbereich, die Ausreisemodalitäten möglichst familienverträglich zu gestalten. In diesem Zusammenhang hatte er eine Vereinbarung mit der Ausländerbehörde geschlossen, wonach er bis kurz vor dem Termin zur Beantragung des Visums auf der Basis einer Duldung in Deutschland verbleiben und damit die Zeit der Abwesenheit auf das notwendige Minimum beschränken konnte. Allerdings hat der Antragsteller die mit dieser Vereinbarung eröffnete Möglichkeit nicht genutzt. Entgegen der Vereinbarung hat er den Termin beim Generalkonsulat, welcher laut seinen Angaben am 25. September 2020 stattgefunden hätte, nicht wahrgenommen. Bereits am 3. September 2020 ließ er bei der Ausländerbehörde anrufen und mitteilen, dass die Ausreise und die Organisation zur Wahrnehmung des Termins nicht möglich seien. Dies bekräftigte eine Helferin in einer E-Mail am 9. September 2020. Die Ausländerbehörde wies jeweils darauf hin, dass er den Termin einhalten müsse. Bei einer persönlichen Vorsprache seiner Lebensgefährtin am 15. September 2020 verwies diese erneut auf die Schwierigkeiten einer Ausreise, die sich aus der problematischen Suche nach einer Unterkunft für die siebentägige Selbstisolation wegen der COVID-19- Pandemie ergäben. Vor diesem Hintergrund ist fraglich, ob sich der Antragsteller tatsächlich ernsthaft um die Wahrnehmung des Termins beim deutschen Generalkonsulat in Lagos bemüht hat.
Mit Schreiben vom 22. September 2020 teilte der Antragsteller der Ausländerbehörde schließlich mit, sich im Zeitraum vom 15. September bis 17 September 2020 bei seiner dreijährigen Tochter im Krankenhaus befunden zu haben. Seine Ausreise nach Nigeria habe er für den 16. September 2020 geplant gehabt. Da sein drittes Kind am 4. September 2020 auf die Welt gekommen sei und die Mutter sich um dieses kümmern müsse, habe nur er seine Tochter im Krankenhaus betreuen können. Der Krankenhausaufenthalt wurde durch Vorlage eines entsprechenden Attests nachgewiesen und damit glaubhaft gemacht. Allerdings fehlt jeder Nachweis dafür, dass der Antragsteller die Ausreise zur Wahrnehmung des Termins beim deutschen Generalkonsulat in Lagos tatsächlich organisiert hat. Es wurde nicht durch Vorlage von Dokumenten belegt, dass am 16. September 2020 ein entsprechender Flug sowie eine Unterkunft in Lagos gebucht waren und der für die Einreise nach Nigeria notwendige Corona-Test vorlag. Dies wäre zur Glaubhaftmachung insbesondere auch deshalb notwendig, da am 3., 9. und 15. September 2020 gegenüber der Ausländerbehörde jeweils angegeben wurde, eine Organisation der Ausreise sei aufgrund der durch die Covid-19-Pandemie bedingten Erschwernisse im internationalen Reiseverkehr nicht möglich. Ernsthafte Ausreisebemühungen, welche aufgrund des Krankenhausaufenthalts der Tochter kurzfristig eingestellt werden mussten und allein wegen dieses unvorhersehbaren Ereignisses scheiterten, wurden in keiner Weise glaubhaft gemacht. Ebenso wenig bemühte sich der Antragsteller um den Nachweis von Sprachkenntnissen, an welche der Antragsgegner die Zusage einer Vorabzustimmung im Visumverfahren knüpfte. Soweit sich der Antragsteller nunmehr für die Zuteilung eines neuen Termins beim deutschen Generalkonsulat in Lagos registriert hat, kann er angesichts dieses Verhaltens und der nicht eingehaltenen Vereinbarung nicht erwarten, erneut im Bundesgebiet geduldet zu werden. Er hat selbst zu verantworten, dass die familienfreundliche Gestaltung des Visumverfahrens gescheitert ist. Die nunmehr möglicherweise länger dauernde Trennung von der Familie ist ihm deshalb zumutbar. Der Antragsteller befindet sich hier in keiner anderen Situation als andere Familienangehörige, die ordnungsgemäß das Visumverfahren vom Ausland aus durchführen und während dieser Zeit von ihrer Familie getrennt sind. Eine rechtliche Unmöglichkeit der Ausreise liegt nach alledem nicht vor.
4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Als unterliegender Teil hat der Antragsteller die Kosten des gerichtlichen Verfahrens zu tragen.
5. Die Streitwertfestsetzung folgt den Vorgaben des § 53 Abs. 2 Nr. 1 und § 52 Abs. 2 GKG. Die Kammer hat sich am Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit orientiert (Ziffern 8.3 und 1.5).
6. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe war abzulehnen.
Nach § 166 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erhält ein Beteiligter, der nach seinen wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung hat, wie oben ausgeführt, keine hinreichenden Erfolgsaussichten.