Arbeitsrecht

Tätigkeit des Beamten außerhalb des öffentlichen Dienstes; Festsetzung seines Erfahrungsdienstalters

Aktenzeichen  1 K 1755/20 Ge

Datum:
29.3.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG Gera 1. Kammer
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:VGGERA:2022:0329.1K1755.20GE.00
Spruchkörper:
undefined

Leitsatz

Bei der Frage, ob die vor der Einstellung in ein Beschäftigungsverhältnis bei einem öffentlich-rechtlichen Dienstherrn gemäß § 24 Abs. 1 Satz 4 ThürBesG (juris: BesG TH) berücksichtigungsfähigen Zeiten zur Ernennung geführt haben, ist zu fragen, ob die Tätigkeit des Beamten außerhalb des öffentlichen Dienstes objektiv gesehen Grund für seine Einstellung in ein Beamtenverhältnis gewesen sein kann.(Rn.59)

Tenor

Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 6. Mai 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Oktober 2020 verpflichtet, das Erfahrungsdienstalter des Klägers auf den 1. November 2010 festzusetzen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger begehrt eine andere Festsetzung seines Erfahrungsdienstalters.
Der Kläger legte im Jahre 2004 sein Abitur ab. Er absolvierte vom 2. August 2004 bis 31. Mai 2005 Zivildienst. Sodann studierte der Kläger vom 1. Oktober 2005 bis 30. September 2006 an der Technischen Universität Dresden Elektrotechnik sowie vom 1. Oktober 2006 bis 31. August 2010 an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden Bauingenieurwesen und erwarb einen Abschluss als Diplom-Ingenieur (FH). Wegen des näheren Inhalts des Zeugnisses über den Hochschulabschluss vom 3. August 2010 wird auf Blatt 56 bis 58 der Beiakte 1 Teil A zu 1 K 1842/20 Ge Bezug genommen.
Vom 1. September 2010 bis 31. August 2016 arbeitete der Kläger bei der J… … GmbH als Mitarbeiter/Projektleiter bzw. als Bereichsleiter im Bereich Bauplanung/Bauüberwachung/Geotechnik. Dem Arbeitsvertrag zwischen der J… GmbH und dem Kläger war als Anlage 1 eine Arbeitsplatzbeschreibung – Blatt 35 der Gerichtsakte 1 K 1842/20 Ge – beigefügt. Der Kläger erhielt über seine Tätigkeit unter dem 31. August 2016 ein Arbeitszeugnis.
Vom 1. September 2016 bis 31. März 2019 war der Kläger beim Kommunalservice J als Sachbearbeiter Straßenplanung beschäftigt. Ausweislich der Arbeitsplatzbeschreibung – Blatt 66 der Beiakte 1 Teil B zu 1 K 1842/20 Ge – war der Kläger für folgende Arbeitsaufgaben zuständig: Planungsleistungen (Erfassung und Analyse von Bauzuständen, Erarbeitung von Aufgabenstellungen für Straßenplanungen, Vertragsgestaltung, -abstimmung und -kontrolle, Federführende Projektbegleitung; Planungskoordinierung mit Bürgern, Investoren, Ämtern, Trägern öffentlicher Belange und Versorgungsunternehmen, eigenständige Prüfung und Korrektur von Planungsunterlagen, Kostenkontrolle, abschließende Formulierung von notwendigen Beschlüssen und Vorstellung von Planungen in Bürgerversammlungen und politischen Gremien, eigenständige Planungsleistungen, Stellungnahmen im Genehmigungsverfahren), bauvorbereitende Tätigkeiten (Durchführung von Ausschreibungen, Submissionen, Angebotsprüfungen und Auftragsvergaben, Vermessungsarbeiten), baubegleitende Tätigkeiten (Ablauf- und Kontrollberatungen, Einweisungen, Bauleitungstätigkeit, Qualitätskontrolle, Bauabnahme, Aufmaßleistungen, Finanzkontrolle) sowie Öffentlichkeitsarbeit (Bürgerberatung, Bearbeitung von Beschwerden und Eingaben). Der Kläger erhielt von dem Kommunalservice J unter dem 20. Mai 2019 ein Zeugnis.
Bereits im August 2018 schrieb der Beklagte den Dienstposten einer Prüferin/eines Prüfers des gehobenen Dienstes in der Abteilung 3, Referat 3.1 „Bau und Verkehr“ (Kennziffer 11/2018 – Prüfer/in 3.1) aus. In der Stellenausschreibung – Blatt 111 f. der Gerichtsakte 1 K 1755/20 Ge – hieß es:
„Fachliche Voraussetzungen
– Abgeschlossenes Studium an einer Fachhochschule (Bachelor, Diplom (FH)) in der Fachrichtung Bauingenieurwesen mit der Vertiefungsrichtung Straßen-/Brückenbau, das den Zugang zum gehobenen Dienst eröffnet
– Mehrjährige (mindestens drei Jahre) Tätigkeit in der öffentlichen Verwaltung im Bereich Straßenbau mit nachgewiesenen Kenntnissen in der Planung, Durchführung (möglichst durch Baustellenpraxis) und Abrechnung von Straßen-/Brückenbaumaßnahmen
– Nachgewiesenes fundiertes Fachwissen in den Bereichen Bau- und Vergaberecht sowie der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure
– Kenntnisse im Haushalts- und Verwaltungsrecht
– Kenntnisse im Umgang mit Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen
– Sicherer Umgang mit Standardsoftware, Kenntnisse und Fähigkeiten im Umgang mit moderner Informations- und Kommunikationstechnik“
Auf die Ausschreibung gingen zwei Bewerbungen ein. Hierzu fanden am 21. und 23. November 2018 Vorstellungsgespräche statt. Der Kläger wurde für die Stelle ausgewählt und die Auswahlentscheidung in dem Auswahlvermerk zur Stellenauswahl vom 26. November 2018 – Blatt 113 bis 114 der Gerichtsakte 1 K 1755/20 Ge – näher begründet. Unter dem 17. Dezember 2018 führte der damalige Präsident des Thüringer Rechnungshofs in einem Schreiben an die Vorsitzende des Personalrats aus, von den beiden Bewerbern habe der Kläger die fachlichen und persönlichen Anforderungen aus dem Anforderungsprofil am besten erfüllt. Es sei daher vorgesehen, den Kläger mit Wirkung vom 1. April 2019 einzustellen.
Ab dem 1. April 2019 wurde der Kläger beim Thüringer Rechnungshof als tarifbeschäftigter Prüfer im Referat 3.1 „Straßenbau und Verkehr“ eingestellt. Zur Tätigkeitsdarstellung und –bewertung (Stand: 4. Januar 2019) wird auf Blatt 30 ff. der Beiakte 1 Teil B zu 1 K 1842/20 Ge Bezug genommen.
Mit Schreiben vom 14. November 2019 wandte sich der Thüringer Rechnungshof an das Thüringer Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft und bat, gemäß § 12 Abs. 1 ThürLaufbG das Einvernehmen zur Anerkennung der Laufbahnbefähigung des Klägers für den gehobenen technischen Dienst zu erklären. Das Ministerium erklärte sein Einvernehmen mit Schreiben vom 8. Januar 2020.
In einem Vermerk vom 13. Januar 2020 zur Berücksichtigung von Zeiten vor der Einstellung in ein Beschäftigungsverhältnis bei einem öffentlich-rechtlichen Dienstherrn gemäß § 24 Abs. 1 Satz 4 ThürBesG (Blatt 40 der Gerichtsakte zum Verfahren 1 K 1842/20 Ge) führte der zuständige Bearbeiter des Personalreferats des Thüringer Rechnungshofs aus, die bei der J…… GmbH erworbenen Kenntnisse und Erfahrungen seien wesentlicher Grund für die Einstellung des Klägers in den Landesdienst und letztlich für dessen Ernennung gewesen. Der Kläger prüfe beim Rechnungshof den Prüfungsbereich Straßenbau und Verkehr. Die zuvor erworbenen Kenntnisse seien wichtige Voraussetzungen für die Prüfertätigkeit. Im Ergebnis könnten zwei Jahre und sechs Monate gemäß § 24 Abs. 1 Satz 4 ThürBesG als Zeiten vor der Einstellung in ein Beschäftigungsverhältnis bei einem öffentlich-rechtlichen Dienstherrn berücksichtigt werden.
In einem weiteren Vermerk des Thüringer Rechnungshofs vom 15. Januar 2020 – Blatt 41 ff. der Gerichtsakte 1 K 1842/20 Ge – zur Prüfung der Voraussetzungen für die Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe, zur Einstellung und zur Verkürzung der Probezeit hieß es:
„Die von Herrn E… bei der J… GmbH ausgeübten Tätigkeiten als Projektingenieur und Bereichsleiter erfordern ein abgeschlossenes Fachhochschulstudium im ingenieur-technischen Bereich. Nur durch das Vorhandensein des im Studiums vermittelten Wissens der Planung, Statik und Ausführung von Bauwerken war Herr E… in der Lage, die fachlich sehr anspruchsvollen Leistungen für den Deponieneubau, die Deponieertüchtigung und Deponieschließung im Rahmen konstruktiver, technologischer, statisch-geotechnischer Untersuchungen, Planungen und Berechnungen durchzuführen. Daneben war er für das Projektmanagement, die Projektleitung und –entwicklung zuständig. Herr E… förderte als Bereichsleiter aktiv die Zusammenarbeit, leitete Mitarbeiter an und delegierte Aufgaben und Verantwortungen. […]
Im Ergebnis des Vergleichs der Tätigkeiten als Projektingenieur und Bereichsleiter bei der Fa. J…_ GmbH, als Sachbearbeiter Strategie und Planung beim Kommunalservice J und als Prüfer beim Thüringer Rechnungshof kann festgestellt werden, dass die ausgeübten Tätigkeiten nach Fachrichtung und Schwierigkeit der Tätigkeit eines Beamten der Laufbahn des gehobenen technischen Dienstes entsprechen. […] Er erfüllt damit die sonstigen Voraussetzungen gemäß § 10 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c) ThürLaufbG.“
Mit Bescheid vom 17. Januar 2020 erkannte der Thüringer Rechnungshof gemäß § 10 Abs. 2 Nr. 2 c) i.V.m. §§ 23 Abs. 1, 12 ThürLaufbG im Einvernehmen mit der für die Fachrichtung zuständigen obersten Landesbehörde mit Wirkung vom 1. März 2013 die Befähigung des Klägers für die Laufbahn des gehobenen technischen Dienstes zu. Die für die Laufbahn geforderte Bildungsvoraussetzung nach § 10 Abs. 2 Nr. 1 ThürLaufbG habe der Kläger nachgewiesen. Gleiches gelte für eine den Anforderungen des gehobenen Dienstes gleichwertige hauptberufliche Tätigkeit von 9 Jahren und 4 Monaten nach Erwerb des Diploms. Von der hauptberuflichen Tätigkeit (sechs Jahre Projektingenieur/Bereichsleiter bei der J……_ … GmbH, zwei Jahre und sieben Monate Sachbearbeiter Strategie und Planung beim Kommunalservice J und 9 Monate Angestelltenverhältnis beim Thüringer Rechnungshof) seien zwei Jahre und 6 Monate Voraussetzung für die Zulassung zur Laufbahn. Deshalb werde der Erwerb der Laufbahnbefähigung auf den 1. März 2013 festgesetzt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Bescheides wird auf Blatt 48 der Gerichtsakte 1 K 1842/20 Ge Bezug genommen.
Der Kläger wurde mit Wirkung vom 1. Februar 2020 unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe zum Technischen Oberinspektor ernannt.
Unter dem 7. Februar 2020 traf der Thüringer Rechnungshof die Entscheidung gemäß § 24 Abs. 1 Satz 4 ThürBesG dahingehend, dass die vom Kläger in der Zeit vom 1. September 2010 bis 28. Februar 2013 ausgeübten Tätigkeiten zur Ernennung geführt haben und diese Zeiten deshalb gemäß § 24 Abs. 1 Satz 4 ThürBesG bei der Festsetzung des Erfahrungsdienstalters zu berücksichtigen sind. Wegen des weiteren Inhalts der Entscheidung wird auf Blatt 17 der Beiakte 1 zu 1 K 1755/20 Ge Bezug genommen.
Nachdem der Beklagtenvertreter den Thüringer Rechnungshof mit Schreiben vom 24. März 2020 um Überprüfung gebeten hatte, ob die berücksichtigten Zeiten bei der J…_ … GmbH tatsächlich zur Ernennung geführt hätten, prüfte der Thüringer Rechnungshof erneut die Rechtslage. In einem Vermerk vom 24. April 2020 führte der zuständige Bearbeiter des Personalreferats des Thüringer Rechnungshofs unter I.2.1 aus (vgl. Blatt 47 der Gerichtsakte 1 K 1842/20 Ge):
„[…]   
Zur Ernennung geführt haben die Zeiten beim Kommunalservice J in Entgeltgruppe 10 TVöD (09/2016 bis 03/2019) und beim TRH in Entgeltgruppe 11 TV-L (04/2019 bis 01/2020). Diese Tätigkeiten entsprechen nach Fachrichtung und Schwierigkeit der Tätigkeit eines Beamten der Laufbahn des gehobenen technischen Dienstes. Insgesamt können damit hauptberufliche Tätigkeiten von drei Jahren und fünf Monaten nachgewiesen werden. Der Zeitraum vom 1. September 2016 bis 28. Februar 2019 wird für die Feststellung der Laufbahnbefähigung für den gehobenen technischen Dienst anerkannt. Ein darüberhinausgehender Nachweis weiterer Zeiten hauptberuflicher Tätigkeit ist nicht notwendig. Die Zeiten bei der Firma J… GmbH können daher nicht als Zeiten hauptberuflicher Tätigkeit gemäß § 23 ThürLaufbG berücksichtigt werden. Zumal sie in ihrer Wertigkeit (2.000 Euro brutto) nicht der Schwierigkeit der Laufbahn des gehobenen Dienstes entsprechen.
Damit können die Zeiten auch nicht bei der Festsetzung der Erfahrungsstufe gemäß § 24 Abs. 1 Satz 4 ThürBesG angerechnet werden.
[…]“   
Als „Ergebnis und weitere Vorgehensweise“ hieß es in dem Vermerk vom 24. April 2020, die im Vermerk vom 15. Januar 2020 zur Prüfung der Voraussetzungen für die Übernahme des Klägers in das Beamtenverhältnis auf Probe getroffene Entscheidung zur Berücksichtigung der Zeiten bei der J… GmbH als hauptberufliche Tätigkeit gemäß § 23 ThürLaufbG sei unrechtmäßig erfolgt und daher zu korrigieren. Das Thüringer Landesamt für Finanzen solle über den Sachverhalt unterrichtet werden. Zusätzlich sei das Schreiben zur Anerkennung der Laufbahnbefähigung und zur Festsetzung der Probezeit zu ändern.
Mit Schreiben vom 30. April 2020 informierte der Thüringer Rechnungshof den Beklagtenvertreter darüber, dass die Zeit bei der J…_ GmbH nicht zur Ernennung geführt habe und damit nicht gemäß § 24 Abs. 1 Satz 4 ThürBesG bei der Festsetzung des Erfahrungsdienstalters berücksichtigt werden könne. Die Entscheidung gemäß § 24 Abs. 1 Satz 4 ThürBesG wurde am 30. April 2020 entsprechend korrigiert.
Mit im vorliegenden Verfahren in Streit stehenden Bescheid vom 6. Mai 2020 setzte das Thüringer Landesamt für Finanzen das Erfahrungsdienstalter des Klägers mit Wirkung vom 1. Februar 2020 auf den 1. November 2015 fest. Ausweislich der dem Bescheid beigefügten Anlage wurde der Zivildienst mit 9 Monaten und 30 Tagen, die Tätigkeit des Klägers beim Kommunalservice J mit 2 Jahren und 7 Monaten sowie die Tätigkeit beim Thüringer Rechnungshof vom 1. April 2019 bis 31. Januar 2020 mit 10 Monaten berücksichtigt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Bescheides wird auf Blatt 25 f. der Beiakte 1 zum Verfahren 1 K 1755/20 Ge Bezug genommen.
Der Kläger legte gegen den Bescheid mit Schreiben vom 27. Mai 2020 Widerspruch mit der Begründung ein, es seien bei der Festsetzung des Erfahrungsdienstalters fünf Jahre der hauptberuflichen Tätigkeit bei der J… GmbH zu berücksichtigen.
In einem Vermerk vom 12. August 2020 (Blatt 110 ff. der Beiakte 1 Teil B zu 1 K 1842/20 Ge) prüfte der Thüringer Rechnungshof die hauptberuflichen Tätigkeiten des Klägers und deren Auswirkungen auf den Erwerb der Laufbahnbefähigung, die Festsetzung der Probezeit und des Erfahrungsdienstalters. Unter „I.4.2 Anrechnung Zeiten Herr E…_“ hieß es: „Die Anrechnung von Zeiten vor Einstellung bei einem öffentlich-rechtlichen Dienstherrn (hier bei der J… GmbH) ist im vorliegenden Fall nicht möglich, da bereits Zeiten nach § 24 Abs. 1 Satz 3 ThürBesG kraft Gesetz (und damit abschließend) zu berücksichtigen sind. Die Prüfung der Kann-Bestimmung des § 24 Abs. 1 Satz 4 ThürBesG und der ThürBesGvwV scheidet demnach aus.“ Unter „I.6 Weitere Vorgehensweise“ wurde ausgeführt, die im Vermerk vom 15. Januar 2020 zur Prüfung der Voraussetzungen für die Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe von Herrn … E… genannten Zeiten bei der J…… … GmbH seien unrechtmäßig als hauptberufliche Tätigkeit gemäß § 23 ThürLaufbG anerkannt worden. Der Bescheid vom 17. Januar 2020 sei daher zu korrigieren.
Mit Bescheid vom 13. August 2020 nahm der Thüringer Rechnungshof den Bescheid vom 17. Januar 2020 über die Feststellung der Laufbahnbefähigung gemäß § 48 ThürVwVfG zurück und setzte den Erwerb der Laufbahnbefähigung für den gehobenen technischen Dienst auf den 1. März 2019 fest. Wegen des weiteren Inhalts des Bescheides wird auf Blatt 7 ff. der Gerichtsakte zum Verfahren 1 K 1842/20 Ge Bezug genommen.
Der Kläger legte gegen den Bescheid vom 13. August 2020 Widerspruch ein.
Der Widerspruch gegen den Bescheid vom 6. Mai 2020 wurde mit Widerspruchsbescheid vom 12. Oktober 2020, wegen dessen weiteren Inhalts auf Blatt 52 bis 55 der Beiakte 1 zum Verfahren 1 K 1755/20 Ge verwiesen wird, zurückgewiesen.
Mit am 12. November 2020 erhobener Klage hat der Kläger die Neufestsetzung seines Erfahrungsdienstalters weiterverfolgt. Der Kläger hat mit Schreiben vom 8. Februar 2021 den Antrag auf Ruhen des Verfahrens gestellt. Der Beklagte hat sich dem Ruhen angeschlossen. Mit Beschluss vom 26. Februar 2021 ist das Ruhen des Verfahrens angeordnet worden. Mit Schreiben vom 20. August 2021 hat der Kläger im Hinblick auf die Regelung des § 204 Abs. 2 Satz 3 BGB beantragt, dem Verfahren Fortgang zu geben. Mit Beschluss vom 31. August 2021 hat das Gericht das Ruhen des Verfahrens für beendet erklärt. Mit gerichtlicher Verfügung vom 18. Februar 2022 ist Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt worden. Der Beklagte hat daraufhin mit Schreiben vom 22. Februar 2022 erneut das Ruhen des Verfahrens beantragt und auf die Einrede der Verjährung verzichtet. Der Kläger hat mit Schreiben vom 25. Februar 2022 sein Einverständnis mit dem Ruhen des Verfahrens erklärt.
Wegen des Vorbringens des Klägers wird auf die Klageschrift vom 12. November 2020 (Blatt 9 bis 15 der Gerichtsakte zum Verfahren 1 K 1755/20 Ge) Bezug genommen.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 6. Mai 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Oktober 2020 zu verpflichten, das Erfahrungsdienstalter des Klägers auf den 1. November 2010 festzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen des Vortrags des Beklagten wird auf den Schriftsatz vom 20. Januar 2021 (Blatt 48 bis 53 der Gerichtsakte zum Verfahren 1 K 1755/20 Ge) Bezug genommen.
Mit Beschluss vom 14. Januar 2022 ist der Rechtsstreit auf die Berichterstatterin als Einzelrichterin übertragen worden.
Nachdem der Thüringer Rechnungshof mit Widerspruchsbescheid vom 19. November 2020 den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 13. August 2020 zurückgewiesen hatte, hat der Kläger am 11. Dezember 2020 Klage gegen den Bescheid über die Änderung des Zeitpunkts des Laufbahnbefähigungserwerbs erhoben, die beim Verwaltungsgericht Gera unter dem Aktenzeichen 1 K 1842/20 Ge angelegt worden ist.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten der Verfahren 1 K 1755/20 Ge und 1 K 1842/20 Ge, der im Verfahren 1 K 1755/20 Ge beigezogenen Behördenakte des Beklagten und der im Verfahren 1 K 1842/20 Ge beigezogenen Personalakte des Klägers (2 Heftungen – Beiakte 1) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Entscheidung ergeht durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin, da ihr der Rechtsstreit mit Beschluss der Kammer vom 14. Januar 2022 gemäß § 6 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – zur Entscheidung übertragen worden ist.
I.
Ein Ruhen des Verfahrens wird nicht angeordnet.
Die Ablehnung des Ruhens kann zusammen mit der abschließenden Sachentscheidung erfolgen.
Nach § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 251 Satz 1 ZPO hat das Gericht das Ruhen nur dann anzuordnen, wenn beide Parteien dies beantragen und anzunehmen ist, dass wegen Schwebens von Vergleichsverhandlungen oder aus sonstigen wichtigen Gründen diese Anordnung zweckmäßig ist.
Aus der vom Gesetz verlangten Annahme der Zweckmäßigkeit ergibt sich, dass die Beteiligten des Verwaltungsgerichtsverfahrens, die hier beide das Ruhen des Verfahrens anstreben, nicht allein über das Ruhen disponieren. Vielmehr muss die Annahme des Verwaltungsgerichts hinzutreten, dass das Ruhen aus einem wichtigen Grund zweckmäßig ist, also das Gericht den Verfahrensstillstand für zweckmäßig erachtet. Das Gericht hat hierbei einen Beurteilungsspielraum. Auf dasselbe Ergebnis läuft die Auffassung hinaus, das Gericht entscheide nach pflichtgemäßem richterlichen Ermessen im Einzelfall (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18. Juni 2021 – OVG 4 N 38.18 –, juris).
Das Gericht sieht das Ruhen im vorliegenden Fall nicht als zweckmäßig an.
Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass bereits ein Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt war, als der Beklagtenvertreter mit Schreiben vom 22. Februar 2022 zum zweiten Mal das Ruhen des Verfahrens beantragt hat. Zu diesem Zeitpunkt hatte das Gericht die Streitsache auch schon entsprechend aufbereitet und richterliche Ressourcen investiert, die im Falle der erneuten Anordnung des Ruhens des Verfahrens ungenutzt blieben. Dies widerspricht dem Grundsatz einer möglichst ökonomischen Prozessführung (vgl. FG Baden-Württemberg, Urteil vom 15. Mai 2018 – 11 K 3401/16 -, juris).
Ferner ist für die Annahme einer fehlenden Zweckmäßigkeit entscheidend, dass der Wille der Beteiligten zum Ruhen des Verfahrens durch eine gewisse Unbeständigkeit gekennzeichnet ist: Während der Beklagte im Schriftsatz vom 18. Februar 2021 einem Ruhen zustimmte, sich aber bereits an dieser Stelle ein vorzeitiges Wiederaufrufen des Verfahrens spätestens nach Abschluss der 1. Instanz in dem Parallelverfahren 1 K 1842/20 Ge vorbehielt, reagierte er auf das Schreiben des Klägers vom 20. August 2021 zunächst überhaupt nicht und beantragte erst mit Schreiben vom 22. Februar 2022 das erneute Ruhen des Verfahrens und zwar dieses Mal unter Verzicht auf die Einrede der Verjährung.
Darüber hinaus ist die Entscheidung im Verfahren 1 K 1842/20 Ge nur dann vorgreiflich, wenn – wie das Gericht im Weiteren näher ausführen wird – die Tätigkeit des Klägers bei der J… … GmbH kein (mitursächlicher) Grund, sondern eine laufbahnrechtliche Voraussetzung für die Berufung des Klägers in das Beamtenverhältnis gewesen ist. Für diesen Fall würde aber nach Ziffer 24.1.12 ThürBesGVwV nur eine Zeit von 2 Jahren und 6 Monaten ermessenslenkend anerkannt werden können.
Im Übrigen kann festgestellt werden, dass das Verfahren entscheidungsreif ist (vgl. hierzu FG Köln, Urteil vom 23. Oktober 2013 – 4 K 1589/10 -, juris). Sich widersprechende Entscheidungen werden durch die Entscheidung des vorliegenden Verfahrens nicht herbeigeführt. Denn sowohl für die Entscheidung des vorliegenden Verfahrens als auch des Verfahrens 1 K 1842/20 Ge ist die Berichterstatterin zuständig.
II.
Die Klage ist zulässig und begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 6. Mai 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Oktober 2020 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der Kläger hat einen Anspruch auf die Festsetzung seines Erfahrungsdienstalters auf den 1. November 2010.
Die Festsetzung des Erfahrungsdienstalters beruht auf § 24 ThürBesG.
Gemäß § 24 Abs. 1 ThürBesG wird das Grundgehalt, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nach der dienstlichen Erfahrung (Erfahrungsstufen) bemessen (Satz 1). Das Aufsteigen in den Erfahrungsstufen beginnt im Anfangsgrundgehalt der jeweiligen Besoldungsgruppe am Ersten des Monats, in dem der Beamte erstmals in ein Dienstverhältnis mit Dienstbezügen bei einem öffentlich-rechtlichen Dienstherrn eingestellt wird; bei Beamten, die nicht im Eingangsamt ihrer Laufbahn eingestellt werden, ist von der Besoldungsgruppe des jeweiligen Eingangsamtes auszugehen (Satz 2). Zeiten in einem hauptberuflichen privatrechtlichen Arbeitsverhältnis bei einem öffentlich-rechtlichen Dienstherrn sowie Zeiten eines Wehrdienstes oder Zivildienstes sind zu berücksichtigen; dies gilt entsprechend für Zeiten einer hauptberuflichen Tätigkeit als Lehrkraft an einer Ersatzschule in freier Trägerschaft (Satz 3). Zeiten vor der Einstellung in ein Beschäftigungsverhältnis bei einem öffentlich-rechtlichen Dienstherrn können mit bis zu insgesamt fünf Jahren berücksichtigt werden, sofern die in dieser Zeit ausgeübte Tätigkeit zur Ernennung geführt hat (Satz 4). Die Summe der Zeiten nach den Sätzen 3 und 4 wird auf volle Monate abgerundet (Satz 5). Die Entscheidung über das Vorliegen der Voraussetzungen des Satzes 4 trifft die zuständige oberste Dienstbehörde oder die von ihr bestimmte Stelle (Satz 6).
Der Kläger hat Anspruch auf Festsetzung des Erfahrungsdienstalters auf den 1. November 2010.
1.
Zunächst hat der Beklagte zu Recht den Zeitraum vom 2. August 2004 bis 31. Mai 2005 (9 Monate und 30 Tage Zivildienst) gemäß § 24 Abs. 1 Satz 3 ThürBesG berücksichtigt.
2.
Auch die Tätigkeit des Klägers vom 1. September 2016 bis 31. März 2019 (2 Jahre und 7 Monate) beim Kommunalservice J ist gemäß § 24 Abs. 1 Satz 3 ThürBesG als Zeit in einem hauptberuflichen privatrechtlichen Arbeitsverhältnis bei einem öffentlich-rechtlichen Dienstherrn zu Recht angerechnet worden.
Gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 ThürBesG sind öffentlich-rechtliche Dienstherrn im Sinne dieses Gesetzes der Bund, die Länder, die Gemeinden (Gemeindeverbände) und andere Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts mit Ausnahme der öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaften und ihrer Verbände.
Bei dem Kommunalservice J handelt es sich um einen Eigenbetrieb der Stadt J und damit bei der Zeit dort um eine Tätigkeit bei einem öffentlich-rechtlichen Dienstherrn gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 ThürBesG. Ein Eigenbetrieb ist gemäß § 76 Abs. 1 ThürKO, § 1 Abs. 1 Satz 1 der Thüringer Eigenbetriebsverordnung (ThürEBV) ein Unternehmen der Gemeinde ohne eigene Rechtspersönlichkeit, das außerhalb des Haushaltsplans der Gemeinde nach kaufmännischen Grundsätzen als Sondervermögen verwaltet wird. Gemäß § 1 der Satzung für den Eigenbetrieb der Stadt J “Kommunalservice J” vom 26. September 2001, veröffentlicht im Amtsblatt Nr. 45/01 vom 22. November 2001, S. 399, wird der Eigenbetrieb „Kommunalservice J“ als organisatorisch, verwaltungsmäßig und finanzwirtschaftlich gesondertes wirtschaftliches Unternehmen ohne eigene Rechtspersönlichkeit (Eigenbetrieb) der Stadt J geführt. Gemäß § 7 Abs. 1 der Satzung ist der Oberbürgermeister oberste Dienstbehörde der Beschäftigten/Beamten des Kommunalservice J, Vorgesetzter und Dienstvorgesetzter der im Eigenbetrieb eingesetzten Bediensteten, soweit er seine Befugnisse nicht auf die Werkleitung übertragen hat.
3.
Darüber hinaus handelte es sich bei der Tätigkeit des Klägers vom 1. April 2019 bis 31. Januar 2020 (10 Monate) beim Thüringer Rechnungshof um eine verpflichtend gemäß § 24 Abs. 1 Satz 3 ThürBesG zu berücksichtigende Zeit in einem hauptberuflichen privatrechtlichen Arbeitsverhältnis bei einem öffentlich-rechtlichen Dienstherrn.
4.
Aus § 24 Abs. 1 Satz 4 ThürBesG folgt im vorliegenden Einzelfall außerdem ein bindender Anspruch auf Berücksichtigung weiterer Zeiten von fünf Jahren bei der Festsetzung des Erfahrungsdienstalters.
a)
Unter dem 7. Februar 2020 traf der Thüringer Rechnungshof die Entscheidung gemäß § 24 Abs. 1 Satz 4 ThürBesG dahingehend, dass die vom Kläger in der Zeit vom 1. September 2010 bis 28. Februar 2013 ausgeübten Tätigkeiten zur Ernennung geführt haben und diese Zeiten deshalb gemäß § 24 Abs. 1 Satz 4 ThürBesG bei der Festsetzung des Erfahrungsdienstalters zu berücksichtigen sind (vgl. Blatt 17 der Beiakte 1 zu 1 K 1755/20 Ge). Die Entscheidung wurde vom Thüringer Rechnungshof unter dem 30. April 2020 korrigiert.
Die Entscheidung durch die oberste Dienstbehörde gemäß § 24 Abs. 1 Satz 4 ThürBesG (vgl. § 24 Abs. 1 Satz 6 ThürBesG) hat lediglich interne Bindungswirkung (vgl. zur entsprechenden Vorschrift des § 32 Abs. 1 S. 2 LBesGBW VG Stuttgart, Urteil vom 1. August 2013 – 3 K 718/13 –, juris). Denn für die Festsetzung des Erfahrungsdienstalters gegenüber dem betroffenen Beamten ist die bezügezahlende Stelle – also das Thüringer Landesamt für Finanzen – gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 Thüringer Verordnung über die Zuständigkeit für die Festsetzung, Berechnung und Anordnung der Zahlung der Bezüge von Bediensteten und Versorgungsempfängern (Thüringer Zuständigkeitsverordnung Bezüge – ThürZustVBezüge -) zuständig. Die Frage, ob Zeiten gemäß § 24 Abs. 1 Satz 4 ThürBesG berücksichtigungsfähig sind, ist daher in die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Bescheides über die Festsetzung des Erfahrungsdienstalters einzubeziehen.
b)
Dem beklagten Land ist (auf der Rechtsfolgenseite) vom Wortlaut her („können“) Ermessen eingeräumt, ob es die Zeiten anerkennt, wenn (auf der Tatbestandsseite) festgestellt werden kann, dass die in dieser Zeit ausgeübte Tätigkeit zur Ernennung geführt hat.
Nach der Wortlautauslegung ist „sofern die in dieser Zeit ausgeübte Tätigkeit zur Ernennung geführt hat“ dahingehend zu verstehen, dass ein Kausalzusammenhang zwischen der Tätigkeit des Beamten außerhalb des öffentlichen Dienstes und seiner Ernennung bestehen muss. Diese Auslegung wird durch die Gesetzesbegründung zu § 24 Abs. 1 Satz 4 ThürBesG bestätigt. Darin heißt es (vgl. Gesetzentwurf der Landesregierung zum Thüringer Besoldungsneuregelungs- und -vereinfachungsgesetz, Landtag-Drucksache 4/3829, Seite 89): „Ebenfalls berücksichtigungsfähig sind bis zu fünf Jahre Erfahrungszeit außerhalb des öffentlichen Dienstes, sofern diese ursächlich für die Ernennung sind. […] Ursächlich für die Ernennung sind Tätigkeiten, die dem Beamten oder Richter einen für die Einstellung maßgeblichen Eignungs- oder Befähigungsvorsprung gegenüber den Mitbewerbern verschafft haben oder Grund für die Einstellung waren.“ Die Ursächlichkeit ist dabei nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilen. Es ist also zu fragen, ob die Tätigkeit des Beamten außerhalb des öffentlichen Dienstes objektiv gesehen Grund für seine Einstellung in ein Beamtenverhältnis gewesen sein kann. Denn nur ein objektiver Maßstab gewährleistet eine hinreichende Überprüfbarkeit des Vorliegens der Voraussetzungen von § 24 Abs. 1 Satz 4 ThürBesG.
aa)
Die in Streit stehende Tätigkeit des Klägers bei der J…_ GmbH hat bereits im Umfang von 2 Jahren und 6 Monaten deshalb zur Ernennung geführt, weil sie als hauptberufliche Tätigkeit gemäß § 23 ThürLaufbG i.V.m. § 10 Abs. 2 Nr. 2 c) ThürLaufbG Voraussetzung für den Zugang des Klägers zur Laufbahn des gehobenen technischen Dienstes war. Das Gericht hat mit Urteil vom 29. März 2022 – 1 K 1842/20 Ge – entschieden, dass diese Tätigkeit bei der Anerkennung der Laufbahnbefähigung mit 2 Jahren und 6 Monaten zu berücksichtigen ist. Dem entsprechend hat der Beklagte in Nummer 24.1.11 der durch das Thüringer Finanzministerium gemäß § 61 Abs. 1 ThürBesG erlassenen allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum ThürBesG – ThürBesGVwV – norminterpretierend geregelt, dass „Zur Ernennung geführt“ haben Tätigkeiten, die laufbahnrechtlich als Voraussetzung für die Berufung in das Beamtenverhältnis gefordert werden, beispielsweise hauptberufliche Tätigkeiten, die bei der Anerkennung von Befähigungen nach § 23 ThürLaufbG berücksichtigt wurden, und in Nummer 24.1.12 ThürBesGVwV, dass die Berücksichtigung von Zeiten nach Nummer 24.1.11 auf die gesetzlich gegebenen Mindestforderungen für die Laufbahnbefähigung zu begrenzen ist.
bb)
Die Tätigkeit des Klägers bei der J… GmbH war aber auch darüber hinaus ursächlich für die Ernennung. Sie hat dazu geführt, dass der Kläger die in der Stellenausschreibung für den Dienstposten Prüfer des gehobenen Dienstes, Referat 3.1beim Thüringer Rechnungshof, genannten fachlichen Voraussetzungen erfüllt.
Ausgehend von der Stellenausschreibung vom August 2018 über den Dienstposten einer Prüferin/eines Prüfers des gehobenen Dienstes in der Abteilung 3, Referat 3.1 „Bau und Verkehr“ (Kennziffer 11/2018 – Prüfer/in 3.1) – Blatt 111 f. der Gerichtsakte 1 K 1755/20 Ge – waren
„Fachliche Voraussetzungen
– Abgeschlossenes Studium an einer Fachhochschule (Bachelor, Diplom (FH)) in der Fachrichtung Bauingenieurwesen mit der Vertiefungsrichtung Straßen-/Brückenbau, das den Zugang zum gehobenen Dienst eröffnet
– Mehrjährige (mindestens drei Jahre) Tätigkeit in der öffentlichen Verwaltung im Bereich Straßenbau mit nachgewiesenen Kenntnissen in der Planung, Durchführung (möglichst durch Baustellenpraxis) und Abrechnung von Straßen-/Brückenbaumaßnahmen
– Nachgewiesenes fundiertes Fachwissen in den Bereichen Bau- und Vergaberecht sowie der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure
– Kenntnisse im Haushalts- und Verwaltungsrecht
– Kenntnisse im Umgang mit Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen
– Sicherer Umgang mit Standardsoftware, Kenntnisse und Fähigkeiten im Umgang mit moderner Informations- und Kommunikationstechnik“
Das Gericht ist zu der Überzeugung gelangt, dass die Tätigkeit des Klägers bei der J…_ … GmbH das nach der Stellenausschreibung als fachliche Voraussetzung nachzuweisende fundierte Wissen der HOAI und im Bereich des Vergaberechts nicht bereits im vollem Umfang durch seine Tätigkeit beim Kommunalservice J erlangt hat, sondern die Tätigkeit bei der J… GmbH demgegenüber einen maßgeblichen Eignungsvorsprung darstellte, der Grund für seine Einstellung war.
Ausweislich der Arbeitsplatzbeschreibung – Blatt 66 der Beiakte 1 Teil B zu 1 K 1842/20 Ge – war der Kläger beim Kommunalservice J als Sachbearbeiter Straßenplanung für folgende Arbeitsaufgaben zuständig: Planungsleistungen (Erfassung und Analyse von Bauzuständen, Erarbeitung von Aufgabenstellungen für Straßenplanungen, Vertragsgestaltung, -abstimmung und –kontrolle, Federführende Projektbegleitung; Planungskoordinierung mit Bürgern, Investoren, Ämtern, Trägern öffentlicher Belange und Versorgungsunternehmen, eigenständige Prüfung und Korrektur von Planungsunterlagen, Kostenkontrolle, abschließende Formulierung von notwendigen Beschlüssen und Vorstellung von Planungen in Bürgerversammlungen und politischen Gremien, eigenständige Planungsleistungen, Stellungnahmen im Genehmigungsverfahren), bauvorbereitende Tätigkeiten (Durchführung von Ausschreibungen, Submissionen, Angebotsprüfungen und Auftragsvergaben, Vermessungsarbeiten), baubegleitende Tätigkeiten (Ablauf- und Kontrollberatungen, Einweisungen, Bauleitungstätigkeit, Qualitätskontrolle, Bauabnahme, Aufmaßleistungen, Finanzkontrolle) sowie Öffentlichkeitsarbeit (Bürgerberatung, Bearbeitung von Beschwerden und Eingaben).
Bei seiner Befragung in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger dargestellt, dass er bei seiner Tätigkeit bei der J…_ GmbH gegenüber dem bei seiner Beschäftigung beim Kommunalservice J erworbenen Wissen ein darüber hinausgehendes Fachwissen der HOAI und des Vergaberechts erworben hat, das für seiner Tätigkeit als Prüfer beim Thüringer Rechnungshof auch relevant ist. Der Kläger hat insoweit ausgeführt, dass er beim Kommunalservice J nur mit den Leistungsphasen 1 – 6 HOAI zu tun gehabt habe, bei der J… … GmbH demgegenüber für die Betreuung der Leistungsphasen 1 – 9 HOAI zuständig gewesen sei. Nach den Angaben des Klägers erfolgt die Prüfung am Rechnungshof insbesondere ab Beginn der Leistungsphase 7 und ist in den Leistungsphasen 6 und 7 das Vergaberecht zu prüfen.
Die Aussage des Klägers zur Prüfung der Leistungsphasen 1 – 6 HOAI stimmt mit dem Zeugnis des Kommunalservice J vom 20. Mai 2019 überein.
Dass das Vergaberecht in den Leistungsphasen 6 und 7 tatsächlich zu prüfen ist, ergibt sich aus der HOAI. Zu den vom Kläger als Prüfer beim Thüringer Rechnungshof zu begutachtenden Verkehrsanlagen (§§ 45 ff. HOAI) regelt § 47 Abs. 1 Satz 2 HOAI, dass die Grundleistungen in neun Leistungsphasen unterteilt sind, wobei die Leistungsphase 6 die Vorbereitung der Vergabe und die Leistungsphase 7 die Mitwirkung bei der Vergabe betrifft. Für die vom Kläger bei der J…_ GmbH betreuten Bauwerke und Anlagen der Abfallentsorgung regeln §§ 41 Nr. 5, 43 Abs. 1 Satz 2 HOAI ebenfalls neun Leistungsphasen der Grundleistungen und in der Leistungsphase 6 die Vorbereitung der Vergabe sowie in der Leistungsphase 7 die Mitwirkung bei der Vergabe.
cc)
Das Gericht war bei der Feststellung der Ursächlichkeit der Tätigkeit für die Ernennung nicht durch Nummer 24.1.10 ThürBesGVwV eingeschränkt. Danach haben Tätigkeiten „zur Ernennung geführt“, wenn Fähigkeiten und Erfahrungen erworben wurden, die ein wesentlicher Grund – nicht notwendigerweise der allein ausschlaggebende Grund – für die Übernahme in das Beamtenverhältnis waren. Dabei muss sowohl ein zeitlicher als auch ein funktioneller Zusammenhang zwischen der früheren Tätigkeit und der neuen Verwendung im Beamtenverhältnis bestehen. Nach der Verwaltungsvorschrift ist der zeitliche Zusammenhang gegeben, wenn zwischen der Beendigung der Tätigkeit und dem Eintritt in das Beamtenverhältnis keine Unterbrechung von mehr als einem Jahr liegt. Zum funktionellen Zusammenhang heißt es in der Verwaltungsvorschrift weiter, dieser ist gegeben, wenn die Tätigkeit mindestens der Wertigkeit der Laufbahngruppe entspricht, in die der Beamte eingestellt wird und in einem inneren Zusammenhang mit den zuerst nach Ernennung übertragenen Aufgaben steht.
Soweit – wie Nummer 24.1.10 ThürBesGVwV – eine Verwaltungsvorschrift norminterpretierend ist, steht die in der Verwaltungsvorschrift enthaltene Rechtsauslegung unter dem Vorbehalt, dass sie die Billigung durch die Rechtsprechung findet. Die Wirkung norminterpretierender Verwaltungsvorschriften bleibt auf den internen Bereich der Verwaltung beschränkt mit der Folge, dass ihre Beachtung oder Nichtbeachtung auf die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit eines in ihrer Anwendung ergangenen Verwaltungsaktes keinen Einfluss hat. Er ist rechtmäßig nur, wenn er in Übereinstimmung mit dem objektiven Recht ergeht. Dieses und nicht die norminterpretierende Verwaltungsvorschrift ist im Streitfall der von den Gerichten anzulegende verbindliche Beurteilungsmaßstab (BVerwG, Urteil vom 10. Dezember 1969 – VIII C 104.69 –, juris).
Der in Nummer 24.1.10 ThürBesGVwV geforderte zeitliche Zusammenhang zwischen der Tätigkeit und der Ernennung stimmt nicht mit dem objektiven Recht überein und ist daher durch das Gericht nicht anzuwenden. Nach der vom Wortlaut und von der Gesetzesbegründung her vorzunehmenden Auslegung ist ein zeitlicher Zusammenhang zwischen der Tätigkeit und der Ernennung nicht erforderlich. Vielmehr können auch Tätigkeiten, die lange vor der Ernennung ausgeübt wurden, dem Beamten einen für die Einstellung maßgeblichen Eignungs- und Befähigungsvorsprung verschafft haben und Grund für die Einstellung sein.
Die norminterpretierende Einschränkung in Nummer 24.1.10 ThürBesGVwV dahingehend, ein funktioneller Zusammenhang zwischen der früheren Tätigkeit und der neuen Verwendung im Beamtenverhältnis sei gegeben, wenn die Tätigkeit mindestens der Wertigkeit der Laufbahngruppe entspricht, in die der Beamte eingestellt wird und in einem inneren Zusammenhang mit den zuerst nach Ernennung übertragenen Aufgaben steht, widerspricht ebenfalls der Rechtslage und ist durch das Gericht nicht anzuwenden. Zwar mag Nummer 24.1.10 ThürBesGVwV einen möglichen Anwendungsfall für § 24 Abs. 1 Satz 4 ThürBesG näher beschreiben. Die Einschränkung auf den definierten funktionellen Zusammenhang erschließt sich dem Gericht aber nicht. Es gibt vielmehr auch für die Ernennung ursächliche Tätigkeiten, die ihren Grund nicht in der Wertigkeit der vorherigen Tätigkeit und den zuerst mit der Ernennung übertragenen Aufgaben haben.
c)
Der Beklagte hat die Beschäftigungszeiten des Klägers bei der J… GmbH mit fünf Jahren zu berücksichtigen. Das Ermessen, das dem Beklagten ausweislich des Gesetzeswortlauts des § 24 Abs. 1 Satz 4 ThürBesG eingeräumt ist, ist im vorliegenden Fall auf Null reduziert. Nur die Berücksichtigung der Zeit von fünf Jahren würde sich als ermessensgerecht darstellen. Das Fehlen einer Entscheidungsalternative ist bei Abschluss des gerichtlichen Verfahrens offensichtlich (vgl. hierzu Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 18. Februar 2013 – 10 B 10.1028 –, juris). Denn soweit gemäß Nummer 24.1.14 ThürBesGVwV die Entscheidung „nach pflichtgemäßen Ermessen“ erfolgt, sind – anderes als bei einer Tätigkeit, die zur Erfüllung der laufbahnrechtlichen Voraussetzungen ausreicht (vgl. Ziffer 24.1.12 ThürBesGVwV) – ermessenslenkende Vorgaben weder enthalten, noch rechtmäßige Entscheidungsalternativen denkbar. Weil hier festgestellt werden konnte, dass die vor der Einstellung in ein Beschäftigungsverhältnis bei einem öffentlich-rechtlichen Dienstherrn ausgeübte Tätigkeit zur Ernennung geführt hat und diese Tätigkeit vom Kläger sechs Jahre ausgeübt wurde, ist die Berücksichtigung von fünf Jahren der Tätigkeit bei der Festsetzung des Erfahrungsdienstalters alternativlos.
5.
Insgesamt ergibt sich damit eine Anrechnung von Beschäftigungszeiten wie folgt:
9 Monate und 30 Tage Zivildienst
2 Jahre und 7 Monate Kommunalservice J
10 Monate Thüringer Rechnungshof
5 Jahre J… GmbH
Insgesamt: 9 Jahre 2 Monate 30 Tage, gerundet gemäß § 24 Abs. 1 Satz 5 ThürBesG auf 9 Jahre 3 Monate
Das Erfahrungsdienstalter ist damit ausgehend vom Einstellungsdatum 1. Februar 2020 auf den 1. November 2010 festzusetzen.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit und die Vollstreckungsabwendungsbefugnis beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Beschluss
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 6.900,00 Euro festgesetzt.
Gründe
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. der Teilstatusrechtsprechung. Danach ist der Wert für das Klagebegehren durch den zweifachen Jahresbetrag der Differenz zwischen der Besoldung auf der Grundlage des vom Beklagten zunächst festgesetzten Erfahrungsdienstalters und derjenigen aufgrund der von dem Kläger beanspruchten Neufestsetzung desselben bestimmt (vgl. Thüringer OVG, Beschluss vom 3. Dezember 2020 – 2 VO 699/20 -). Nach der im Schriftsatz des Beklagten vom 20. Januar 2021 enthaltenen Mitteilung bemaß sich das Grundgehalt im gemäß § 40 Abs. 1 GKG maßgeblichen Zeitpunkt der Klageerhebung nach der Besoldungsgruppe A 10 ThürBesG Stufe 4. Dies waren nach der Anlage 5 zum ThürBesG 3.155,86 Euro. Nach dem klägerischen Begehren soll das Erfahrungsdienstalter auf den 1. November 2010 festgesetzt werden, wonach der Kläger bei Klageerhebung bereits die Erfahrungsstufe 6 und damit ein Grundgehalt i.H.v. 3.443,36 Euro erhalten hätte. Die Differenz zwischen beiden Beträgen (287,50 Euro) ergibt – bezogen auf einen Zeitraum von zwei Jahren – einen Streitwert i.H.v. 6.900,00 Euro.


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