Arbeitsrecht

Einstweilige Verfügung (abgelehnt), Mitbestimmung bei Dienstplänen, Erfordernis kollektivrechtlicher Aspekte, Unwirksamkeit einer Zustimmungsverweigerung

Aktenzeichen  M 20 PE 22.395

Datum:
27.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 762
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayPVG Art. 70
BayPVG Art. 75 Abs. 4 S. 1 Nr. 1
BayPVG Art. 82 Abs. 1 Nr. 3
ArbGG § 85 Abs. 2 S. 2
ZPO § 935 ff.

 

Leitsatz

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Gründe

I.
Der antragstellerische Personalrat begehrt den Erlass einer einstweiligen Verfügung hinsichtlich einer Unterlassung des geplanten Einsatzes von zwei Beschäftigten i.S.d. Dienstpläne für die 4. bis 6. Kalenderwoche, hilfsweise die Einleitung eines Einigungsverfahrens.
Der Antragsteller hat am 24. Januar 2022 beim Verwaltungsgericht München beantragt,
1.Dem Beteiligten wird aufgegeben, es zu unterlassen, Herrn S. und Herrn N. gemäß Dienstplan für den Zeitraum 4. Kalenderwoche 2022 vom 19.01.2022 einzusetzen, längstens bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache.
2.Dem Beteiligten wird aufgegeben, es zu unterlassen, Herrn S. und Herrn N. gemäß Dienstplan für den Zeitraum 5. Kalenderwoche 2022 vom 13.01.2022 einzusetzen, längstens bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache.
3.Dem Beteiligten wird aufgegeben, es zu unterlassen, Herrn S. und Herrn N. gemäß Dienstplan für den Zeitraum 6. Kalenderwoche 2022 vom 13.01.2022 einzusetzen, längstens bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache.
4.Hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit den Anträgen 1-3: Dem Beteiligten wird aufgegeben, in Bezug auf den Einsatz von Herrn S. und Herrn N. betreffend Dienstpläne für den Zeitraum 4. Kalenderwoche vom 19.01.2022, für den Zeitraum 5. Kalenderwoche 2022 vom 13.01.2022, und für den Zeitraum 6. Kalenderwoche 2022 vom 13.01.2022 das Einigungsverfahren gemäß Art. 70 Abs. 4 bei BVG einzuleiten.
Zur Begründung trägt er vor, am … Dezember 2021 unter dem Hinweis darauf, dass der Beschäftigte S. bereits mehrfach geäußert habe, wegen der Familie und dem schulpflichtigen Kind vermehrt in der Frühschicht und mit freiem Wochenende eingesetzt zu werden, der Beschäftigte N. hingegen lieber in der Spätschicht und an Wochenenden, die Zustimmung zu den Dienstplänen der 3. und 4. Kalenderwoche 2022 verweigert zu haben. Dies sei nicht berücksichtigt worden. Für die Kalenderwochen 5 und 6 sei dies ebenfalls der Fall und insoweit wiederum die Zustimmung nach Anhörung am 7. Januar 2022 aus vorbenannten Gründen am 12. Januar 2022 abgelehnt worden. Ein Verfahren nach Art. 70 Abs. 4 oder Abs. 7 Bayerisches Personalvertretungsgesetz (BayPVG) habe der Beteiligte jedoch nicht eingeleitet, vielmehr ohne Anhörung und Zustimmung noch am 13. Januar und 19. Januar 2022 Änderungen an den Dienstplänen vorgenommen.
Der Beteiligte hat mit Schriftsatz vom 27. Januar 2022 Stellung genommen und ist den antragstellerischen Ausführungen in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht entgegengetreten. Unter anderem wurde ein Schreiben der Dienststellenleitung an den Antragsteller vom 20. Januar 2022 vorgelegt, in dem dazu ausgeführt wird, warum die Einsätze von Herrn N. und Herrn S. entsprechend geplant wurden und notwendig seien.
Der Beteiligte beantragt,
den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung abzulehnen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist abzulehnen.
Wegen der Dringlichkeit, die die Einberufung der ehrenamtlichen Richter nicht mehr zulässt, kann das Gericht über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung durch den Vorsitzenden allein entscheiden (Art. 82 Abs. 2 Satz 1 BayPVG i. V. m.
§ 85 Abs. 2 Satz 2 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG), § 944 Zivilprozessordnung (ZPO)).
Nach den gem. Art. 82 Abs. 2 Satz 1 BayPVG, § 85 Abs. 2 Satz 2 ArbGG entsprechend anwendbaren Vorschriften des 8. Buchs der ZPO kann eine einstweilige Verfügung erlassen werden, wenn zu besorgen ist, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Rechts eines Beteiligten vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (§ 935 ZPO), oder wenn die Regelung eines streitigen Rechtsverhältnisses zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 940 ZPO). Die Gefährdung des Rechts bzw. die Notwendigkeit einer Regelung, d. h. der Verfügungsgrund und der Verfügungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 920 Abs. 2 ZPO). Darüber hinaus darf die einstweilige Verfügung grundsätzlich nicht mehr zusprechen, als im Hauptsacheverfahren möglich ist und Entscheidungen in der Hauptsache nicht vorwegnehmen. Allerdings kann es die Effektivität des Rechtsschutzes ausnahmsweise erfordern, durch eine einstweilige Verfügung der Entscheidung in der Hauptsache vorzugreifen, sofern wirksamer Rechtsschutz im ordentlichen Verfahren nicht erreichbar ist und dies für den Antragsteller zu schlechthin unzumutbaren Folgen führen würde, insbesondere wenn die Versagung des Erlasses einer einstweiligen Verfügung zu einem endgültigen Rechtsverlust oder einem sonstigen irreparablen Zustand führt. Dabei sind strenge Anforderungen an die materiellen Voraussetzungen der einstweiligen Verfügung zu stellen und die Belange der Beteiligten sorgfältig abzuwägen (BayVGH, B.v. 6.7.2017 – 17 PC 17.1238 – beck-online).
1. Vorliegend scheitert der Erlass der in Nr. 1 bis 3 begehrten einstweiligen Verfügung – unabhängig von der Frage, ob personalvertretungsrechtlich überhaupt Unterlassungsansprüche in Bezug auf die Durchführung von der Mitbestimmung unterliegenden Maßnahmen geltend gemacht werden können – bereits daran, dass der Antragsteller nicht hinreichend glaubhaft machte, dass tatsächlich kollektivrechtliche Interessen konkret betroffen sind. Erkennbar fokussieren sich die Anträge und die Ausführungen auf die Individualinteressen der Beschäftigten S. und N. bei der konkreten Einsatzplanung.
a) Nach Art. 82 Abs. 1 Nr. 3 BayPVG entscheiden die Verwaltungsgerichte u.a. über die Zuständigkeit, Geschäftsführung und Rechtsstellung der Personalvertretungen. Das personalvertretungsrechtliche Verfahren bei Gericht ist jedoch nicht geeignet, Individualinteressen von Beschäftigten gegenüber Dienststellenleitungen durchsetzen. Der Personalrat ist – auch im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung – darauf beschränkt, seine Rechte als Vertretungsorgan aller Beschäftigten geltend zu machen; er ist auch insoweit nicht der Interessenvertreter einzelner Beschäftigter (Ballerstedt/Schleicher/Faber, Bayerisches Personalvertretungsgesetz, Stand 1.8.2021, § 70 BayPVG Rn. 436 m.w.N.). Die Beteiligungsrechte der Personalvertretung und die Beteiligungspflichten der Dienststellenleitung sind nicht in der Form als Ansprüche und Verbindlichkeiten ausgestaltet, dass die Personalvertretung die gerichtliche Verurteilung zur Unterlassung einer ohne die erforderliche Beteiligung beabsichtigten Maßnahme erreichen könnte (Ballerstedt a.a.O.).
b) Zwar ist in Rechtsprechung und Literatur geklärt, dass den Personalvertretungen bei der Dienstplanerstellung in gewissem Umfang ein Mitbestimmungsrecht aus Art. 75 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BayPVG zusteht, soweit es insbesondere um Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit und Pausen geht (vgl. Ballerstedt/Schleicher/Faber, Bayerisches Personalvertretungsgesetz, Stand 1.8.2021, § 75 BayPVG Rn. 388 m.w.N.). Der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum vergleichbaren Mitbestimmungstatbestand des § 87 Abs. 1 Nr. 2 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) nach ist auch der Schicht- und Dienstplan selbst vom Mitbestimmungsrecht umfasst und erstreckt sich die Mitbestimmung auch darauf, welche Arbeitnehmer vom Arbeitgeber einem einzelnen Dienstplan zugeordnet werden (BAG, B.v. 22.8.2017 – 1 ABR 4/16 – beck-online). Ein allgemeines und umfassendes Mitbestimmungsrecht des Personalrats bei Dienstplänen besteht hingegen nicht (Ballerstedt/Schleicher/Faber, Bayerisches Personalvertretungsgesetz, Stand 1.8.2021, Art. 75 BayPVG Rn. 388 m.w.N.). Vielmehr verbleibt es bei dem Erfordernis eines kollektiven Tatbestands; Individualmaßnahmen einzelnen Beschäftigten gegenüber sind nicht mitbestimmungspflichtig (vgl. OVG Lüneburg, B.v. 30.10.2020 – 17 LP 1/20 – juris Rn. 35; B.v. 28.3.2017 – 18 LP 9/15 – juris Rn. 49; OVG Hamburg, B.v. 29.5.2019 – 14 Bf 4/19.PVL – juris Rn. 39 mit umfangreichen Nachweisen). Ein kollektiver Tatbestand liegt vor, wenn sich eine Regelungsfrage stellt, die über eine ausschließlich einzelfallbezogene Rechtsausübung hinausgeht und kollektive Interessen der Arbeitnehmer berührt (vgl. BAG a.a.O. Rn. 20). Dies hat das Bundesarbeitsgericht im zitierten Verfahren auch für die Zuordnung von neu eingestellten Arbeitnehmern bejaht, da die Festlegung deren Arbeitszeit und Pausen die Stammbelegschaft unabhängig von Person und individuellen Wünschen berühre (BAG, a.a.O. Rn. 20). Das Hamburgische Oberverwaltungsgericht hat zur vergleichbaren Regelung in § 87 Abs. 1 Nr. 1 HmbPersVG entschieden, der Mitbestimmungstatbestand greife nicht ein, wenn Dienstpläne geändert würden, weil dort vorgesehene Dienste aufgrund übereinstimmender Wünsche von Beschäftigten „getauscht“ oder krankheitsbedingtem Ausfall begegnet werden müsse (OVG Hamburg, B.v. 29.5.2019 – 14 Bf 4/19.PVL – juris).
c) Vorliegend ist dem antragstellerischen Vorbringen nicht substantiiert zu entnehmen, dass unabhängig von der individuellen Situation der Beschäftigten S. und N. die Dienststellenleitung bei der Gestaltung der Dienstpläne individuelle Aspekte von Beschäftigten, insbesondere hinsichtlich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf etc., grundsätzlich nicht zu berücksichtigen bereit ist. Vielmehr ist im Schriftsatz des Bevollmächtigten der Dienststellenleitung im Eilverfahren nachvollziehbar ausgeführt, auf welchen (sachlichen) Erwägungen der geplante Einsatz der Beschäftigten S. und N. beruht. An einer antragstellerischen Auseinandersetzung mit dem diesbezüglichen substantiierten und umfangreichen Vorbringen der Dienststellenleitung gegenüber dem Personalrat bereits im Schreiben vom 20. Januar 2022 fehlt es hingegen. Kollektive Aspekte sind für das Gericht jedenfalls nicht ersichtlich.
Ein Verfügungsanspruch besteht daher nicht.
Dem steht der Grundsatz effektiven Rechtsschutzes gem. Art. 19 Abs. 4 GG nicht entgegen. Die Verpflichtung zur Gewährung dieses Rechtsschutzes ersetzt das Bestehen eines materiellen Anspruchs nicht, sondern setzt ihn voraus. Fehlt es an einem materiell-rechtlichen Unterlassungsanspruch, der an eine Verletzung von Mitbestimmungsbefugnissen anknüpft, lässt er sich aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG nicht begründen (OVG Lüneburg, B.v. 8.12.2014 – 17 MP 7/14 – juris).
d) Im Übrigen würde es an einem Verfügungsgrund fehlen, da nicht ersichtlich ist, warum eine kollektivrechtliche Klärung zwischen den Beteiligten im Hinblick auf eine etwaige grundsätzliche Berücksichtigung von Aspekten wie Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei der Dienstplangestaltung zeitlich nicht in einem Hauptsacheverfahren möglich wäre – hierauf verweist auch der Bevollmächtigte der Dienststellenleitung. Dass bis dahin die Dienstpläne der Kalenderwochen 4 bis 6 erledigt sind, würde nicht zu einer Erledigung einer insoweit etwaigen kollektivrechtlichen Fragestellung führen. Schwerwiegende Nachteile bei Durchführung der Dienstpläne im geplanten Maße vermag das Gericht im Übrigen nach den Ausführungen des Beteiligten nicht zu erkennen.
2. Soweit der Antragsteller in Nr. 4 seines Antrags hilfsweise die Verpflichtung zur Einleitung eines Einigungsverfahrens i.S.v. Art. 70 Abs. 4 BayPVG in Bezug auf die Zustimmungsverweigerung zu den Dienstplänen der Kalenderwochen 4 bis 6 begehrt, ist der Antrag ebenfalls ohne Erfolg.
Zwar kommt im Rahmen einer personalvertretungsrechtlichen einstweiligen Verfügung durchaus der Rechtsprechung nach in Betracht, dass eine Dienststellenleitung verpflichtet wird, das Beteiligungsverfahren einzuleiten und/oder ihm einstweilen Fortgang zu geben (vgl. BVerwG, B.v. 27.7.1990 – 6 PB 12/89 – juris Rn. 4; Ballerstedt/ Schleicher/Faber, Bayerisches Personalvertretungsgesetz, Stand 1.8.2021, Art. 75 BayPVG Rn. 440).
Vorliegend fehlt es jedoch nach der im vorläufigen Rechtsschutz nur gebotenen summarischen Prüfung an den Voraussetzungen für die Einleitung eines solchen Verfahrens.
So bedarf es eines Einigungsverfahrens dann nicht, wenn keine wirksame Zustimmungsverweigerung seitens der Personalvertretung vorliegt. Eine Zustimmungsverweigerung ist dann unbeachtlich, wenn sie sich inhaltlich dem Mitbestimmungstatbestand von vornherein und eindeutig nicht zuordnen lässt, oder – anders ausgedrückt – wenn eine solche Zuordnung nicht einmal möglich erscheint (Ballerstedt/ Schleicher/Faber, Bayerisches Personalvertretungsgesetz, Stand 1.4.2020, Art. 75 BayPVG Rn.72a m.w.N.).
Dies ist hier jedoch angesichts der individualinteressengesteuerten Verweigerung der Fall. Es ist nicht ersichtlich, dass zwischen Antragsteller und Beteiligtem grundsätzliche Fragen der Dienstplangestaltung dergestalt im Raum stehen, dass kollektivrechtliche Interessen betroffen und insoweit ein Einigungsstellenverfahren angezeigt wäre (s.o.).
Der Antrag ist daher abzulehnen.
Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht, da das Verfahren gerichtskostenfrei ist (Art. 82 Abs. 2 Satz 1 BayPVG i.V.m. § 2 Abs. 2 Gerichtskostengesetz).


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