Europarecht

Kaufvertrag, Fahrzeug, Kaufpreis, Berufung, Haftung, untersagung, Vertragsschluss, Software, Schaden, Zulassungsverfahren, Rechtsanwaltskosten, Darlegungslast, Kenntnis, Schutzgesetz, erstinstanzliche Entscheidung, Vermeidung von Wiederholungen, Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung

Aktenzeichen  21 U 5181/19

Datum:
14.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 53025
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

51 O 1424/18 2019-07-26 Endurteil LGINGOLSTADT LG Ingolstadt

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 26.07.2019, Az. 51 O 1424/18, abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 15.496,87 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 26.09.2018 Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs Audi A4 Limousine, Ambiente 2.0 TDI mit der Fahrgestellnummer …940 zu zahlen, sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von € 1.100,51 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 26.09.2018.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Jede Partei kann die Vollstreckung durch die andere Partei durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
V. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

Gründe

I.
Der Kläger macht gegen die Beklagte Ansprüche im Zusammenhang mit dem Erwerb eines vom sog. Dieselabgasskandal betroffenen Fahrzeugs geltend.
Mit Kaufvertrag vom 09.06.2009 (Anlage K 1), Liefertermin August 2009, erwarb der Kläger bei der Firma B. GmbH den streitgegenständlichen neuen Audi A4, Limousine Ambiente 2.0 TDI zu einem Kaufpreis von 30.526,80 €.
Zum Zeitpunkt des Kaufs befand sich in dem Fahrzeug, das von der Beklagten hergestellt ist, ein von der V.-AG serienmäßig produzierter Dieselmotor des Typs EA 189 (EU5) nebst einer Motorsteuerungssoftware, die erkennt, ob das Fahrzeug auf dem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus unterzogen wird. Es wird in diesem Fall in den Abgasrückführungsmodus 1, einen Stickoxidoptimierten Modus, geschaltet. In diesem Modus findet eine Abgasrückführung mit niedrigem Stickoxidausstoß statt. Im normalen Fahrbetrieb außerhalb des Prüfstandes schaltet der Motor dagegen in den Abgasrückführungsmodus 0, bei dem die Abgasrückführungsrate geringer und der Stickoxidausstoß höher ist. Grundlage der Erteilung der Typgenehmigung sind die Abgasmessungen auf dem Prüfstand.
Die Verwendung der Software wurde dem Kraftfahrt-Bundesamt weder von der V.-AG noch von der Beklagten im Rahmen der Tests zur Erreichung der Typgenehmigung offengelegt. Erst am 22.09.2015 veröffentlichte die V.-AG eine Adhoc-Mitteilung, mit der Auffälligkeiten bei Fahrzeugen mit dem Motor vom Typ EA 189 eingeräumt wurden.
Nach Bekanntwerden der Softwareproblematik verpflichtete das Kraftfahrtbundesamt die Beklagte zur Entfernung der unzulässigen Abschalteinrichtung und dazu, geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung der Vorschriftsmäßigkeit zu ergreifen. Daraufhin wurde ein Software-Update entwickelt, welches am 07.07.2017 auf das Fahrzeug des Klägers aufgespielt worden ist.
Die mit einem vorgerichtlichen Anwaltsschreiben vom 19.06.2018 erhobene Forderung auf Rückabwicklung des Kaufvertrags wies die Beklagte mit Schreiben vom 25.06.2018 zurück. Die Klage wurde der Beklagten am 25.09.2018 zugestellt.
Der Kläger vertritt die Ansicht, er sei von der Beklagten durch das Inverkehrbringen von Dieselmotoren unter Verschweigen der gesetzeswidrigen Softwareprogrammierung vorsätzlich sittenwidrig geschädigt worden. Die Beklagte habe sich die Typgenehmigung erschlichen. Der Kläger bestreitet, dass die Beklagte den Motor nicht entwickelt hat, jedenfalls aber sei sie als Herstellerin des Fahrzeugs Antragstellerin der Typgenehmigung. Organe der Beklagten hätten Kenntnis von den Manipulationen gehabt und diese gebilligt. Auch unter dem Gesichtspunkt Organisationsverschulden sei eine Haftung der Beklagten anzunehmen, ebenso greife die Zurechnung nach § 31 BGB bzw. § 831 BGB. Der Kläger sei durch die Beklagte in mehrfacher Hinsicht getäuscht worden und habe durch den Abschluss des Vertrags einen Schaden erlitten. Zwar sei eine Nutzungsentschädigung abzuziehen, gegenzurechnen sei jedoch der Zinsgewinn der Beklagten.
Die Beklagte weist darauf hin, dass ein Kaufvertrag zwischen ihr und dem Kläger nicht besteht. Weiter hält sie Schadensersatzansprüche des Klägers nicht für gegeben. Sie bestreitet, dass das Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung enthalte sowie dass dem Kläger überhaupt ein Schaden entstanden sei. Eine sittenwidrige Schädigung durch die Beklagte liege nicht vor, auch fehle es an der Kausalität zwischen angeblicher Täuschung und Schaden. Jedenfalls sei ein etwaiger Schaden durch das Aufspielen des Updates entfallen. Eine – unterstellt von der Beklagten verursachte – Fehlvorstellung des Klägers über die Schadstoffemission sei für seine Kaufentscheidung nicht maßgeblich gewesen. Eine Haftung der Beklagten scheide auch deshalb aus, weil sie den Motor nicht entwickelt habe. Der Kläger trage schon nicht substantiiert vor, dass die Beklagte von der Verwendung der als unzulässig gerügten Software Kenntnis gehabt habe. Die Beklagte treffe insoweit keine sekundäre Darlegungslast.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die tatsächlichen Feststellungen im landgerichtlichen Urteil Bezug genommen, § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.
Das Landgericht hat der Klage mit Urteil vom 26.07.2019 im Wesentlichen, allerdings unter Abzug einer Nutzungsentschädigung und ohne Gegenrechnung eines Zinsgewinns, stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, der klägerische Anspruch ergebe sich aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV, 249 ff BGB. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV seien Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB. Die Beklagte habe durch die Verwendung einer unrichtigen Übereinstimmungsbescheinigung gegen das Schutzgesetz verstoßen. Vorangegangen sei eine unwahre Angabe des Herstellers bei der Beantragung der Typengenehmigung beim KBA, indem er die gesetzeswidrige Softwareprogrammierung verschwiegen habe. Dieses Verhalten sei kausal für den Schaden des Klägers gewesen, der ein Fahrzeug erwerben wollte, das den nationalen und gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften entsprach. Die jeweils verantwortlichen Mitarbeiter der Beklagten hätten vorsätzlich gehandelt.
Die Täuschungshandlung sei nur vorsätzlich denkbar, weil der Beklagten als etablierter Fahrzeugherstellerin Kenntnis von den Voraussetzungen der Typengenehmigung unterstellt werden könne. Der Beklagten sei nach § 31 BGB die Haftung für ihre Repräsentanten auch zuzurechnen. Im Übrigen sei die Beklagte auch der ihr obliegenden sekundären Darlegungslast nicht ausreichend nachgekommen. Welcher konkrete Repräsentant der Beklagten vorsätzlich gehandelt habe, müsse vor diesem Hintergrund nicht festgestellt werden. Durch die Bindung an den nicht erwartungsgerechten Vertrag sei dem Kläger ein Schaden entstanden, der den Anspruch auf Rückabwicklung auslöse. Der Kläger müsse sich aber den Abzug von Gebrauchsvorteilen in Form einer Nutzungsentschädigung, bezogen auf eine Gesamtlaufleistung von 250.000 km, gefallen lassen. Ein Zinsgewinn sei nicht anzurechnen. Verzugszinsen seien ab dem Schreiben vom 19.06.2018 zuzusprechen. Außergerichtliche Rechtsanwaltskosten seien nur in Höhe einer 1,3 Geschäftsgebühr zuzusprechen.
Gegen das Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung. Der Kläger hatte zunächst Anschlussberufung eingelegt, diese aber mit Schriftsatz vom 22.09.2020 zurückgenommen.
Die Beklagte rügt, das Landgericht habe der Klage rechtsfehlerhaft stattgegeben und zu Unrecht einen Schadensersatzanspruch bejaht. Sie ist der Auffassung, § 27 EG-FGV sei kein Schutzgesetz. Auch eine Haftung nach § 826 BGB bestehe nicht. Die Beklagte sei nur Herstellerin des Fahrzeugs und habe den im Fahrzeug verbauten Motor des Typs EA 189 nicht entwickelt. Eine sekundäre Darlegungslast obliege der Beklagten nicht. Ein Schaden sei bei dem Kläger nicht eingetreten.
Im Schriftsatz vom 19.10.2020, Bl. 188 ff. d.A., vertieft die Beklagte ihren Vortrag und legt dar, weshalb ihrer Meinung nach die inzwischen ergangene Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Haftung der V.-AG auf vorliegende Fallgestaltung nicht übertragen werden könne. Die Beklagte habe als Herstellerin des Fahrzeugs in den Jahren 2005/2006 durch ihr Produkt-Strategie-Komitee, dem jeweils auch einzelne Mitglieder des Vorstands angehörten, beschlossen, dass der von V. entwickelte Motor in bestimmten Fahrzeugen der Beklagten serienmäßig eingebaut wird. Der erste Einsatz sei im Jahr 2007 erfolgt. Die Beklagte habe den Motor samt Software als externes Produkt von der V.-AG zur Verwendung in ihren Fahrzeugen erworben. Die Hardware der Motorsteuerungsgeräte habe die Beklagte von den Zulieferern B. und C. erhalten. Ohne Einflussmöglichkeit von Mitarbeitern der Beklagten sei die auf das jeweilige Fahrzeug abgestimmte Software ab 2008 auf den automatisierten Fertigungslinien der Beklagten vom Konzernserver der V.-AG heruntergeladen worden. Die Software sei dabei zur Vermeidung von Einflussnahme außerhalb der Entwicklungsverantwortung verriegelt gewesen.
Im Auftrag der Beklagten habe die Konzernmutter das EG-Typgenehmigungsverfahren organisiert. Von Mitarbeitern der V.-AG seien die entsprechenden Fahrzeuge der Beklagten dem Technischen Dienst vorgestellt worden, die Beklagte habe lediglich die Rechnungen und die Protokolle mit den Testergebnissen bekommen.
Die Beklagte habe keinen Anlass gesehen, die von der V.-AG entwickelten Motoren im Rahmen oder in Vorbereitung des Typgenehmigungsverfahrens eigenständig zu überprüfen. Eine entsprechende Verpflichtung habe nicht bestanden. Dem Kraftfahrt-Bundesamt sei es mit den damals zur Verfügung stehenden Tests nicht möglich gewesen, die Umschaltlogik zu erkennen. Im Rahmen der Qualitätskontrolle der laufenden Produktion sei das grundsätzliche Funktionieren des Emissionskontrollsystems überprüft und überwacht worden, dass die Serienfahrzeuge mit den EG-Typgenehmigungsunterlagen übereinstimmen. Im Rahmen dieses „Conformity of Production (CoP)“ Tests habe die „Umschaltlogik“ nicht erkannt werden können.
Die Beklagte habe von der Programmierung keine Kenntnis gehabt, weil sie nicht an der Entwicklung des Motors beteiligt gewesen sei. Die Haftung der Beklagten könne weder auf angebliche Sorgfaltspflichtverletzungen, vermeintliches Organisationsverschulden oder eine konzernweite Wissenszusammenrechnung gestützt werden. Insoweit verweist die Beklagte auf ein von ihr in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten von Prof. Dr. G. vom 21.09.2020 (Anlage BB 53).
Weiter betont sie in diesem Schriftsatz, der Kläger habe den Kausalzusammenhang nicht nachgewiesen.
Im Einzelnen wird auf die Berufungsbegründung vom 07.11.2019 (Bl. 143 ff d.A.) sowie den Schriftsatz vom 19.10.2020 (Bl. 188 ff d.A.) Bezug genommen.
Die Beklagte beantragt im Berufungsverfahren,
In Abänderung des erstinstanzlichen Urteils des Landgerichts Ingolstadt vom 26.07.2019, Az. 51 O 1424/18 wird die Klage insgesamt abgewiesen.
Hilfsweise beantragt sie
die Aufhebung und Zurückverweisung.
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung. Rechtsfehlerfrei sei ein für den Kläger nachteiliger Vertragsschluss angenommen worden, weil das streitgegenständliche Fahrzeug nicht jederzeit uneingeschränkt brauchbar gewesen sei. Ebenso korrekt habe das Landgericht eine Repräsentantenhaftung angenommen. Die Beklagte habe die Zulassungsbehörden planvoll und systematisch getäuscht. Im Einzelnen wird auf den Schriftsatz vom 09.12.2019, Bl. 169 ff. d.A. verwiesen.
Der Senat hat über den Rechtsstreit am 16.11.2020 mündlich verhandelt. Auf das Sitzungsprotokoll, Bl. 237 ff. d.A., wird verwiesen. Die zulässige Berufung der Beklagten hat nur insoweit Erfolg, als auf Grund der zwischenzeitlichen Nutzung des Fahrzeugs eine höhere Nutzungsentschädigung, also ein geringerer Zahlungsanspruch des Klägers, sowie lediglich Rechtshängigkeitszinsen auszusprechen waren. Hinsichtlich des Tenors war die Fahrgestellnummer zu korrigieren, da das landgerichtliche Urteil das in der ursprünglichen Klage enthaltene „O“ übernommen hat, während im Verfahren unstreitig wurde, dass es sich tatsächlich um eine „0“ handelt und der Kläger mit Schriftsatz vom 23.01.2019 (Bl. 64 d.A.) erklärt hat, dass der Klageantrag entsprechend zu berichtigen ist.
Im Ergebnis hat das Landgericht zu Recht angenommen, dass die Beklagte dem Kläger haftet, allerdings beruht der Anspruch auf § 826 BGB und nicht auf § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV, 249 ff BGB.
Der Senat berücksichtigt bei seiner Entscheidung den ergänzenden Sachvortrag der Beklagten im Schriftsatz vom 19.10.2020, dem die Klagepartei nicht entgegen getreten ist. Allerdings hat sich die Klagepartei bereits erstinstanzlich dazu geäußert, dass und warum ihrer Ansicht nach die Beklagte (mit-)verantwortlich ist für den Einsatz der manipulativen Software in dem von ihr hergestellten Fahrzeug, insbesondere hat sie bestritten, dass die Beklagte den Motor nicht entwickelt hat. Der Senat hält aus nachfolgenden Erwägungen eine Beweisaufnahme nicht (mehr) für erforderlich, vielmehr ist auch auf der Basis des ergänzenden Vortrags der Beklagten im Schriftsatz vom 19.10.2020 zu den Arbeitsabläufen und der arbeitsteiligen Aufgabenverteilung zwischen der Beklagten und der V.-AG eine Haftung der Beklagten zu bejahen. Im Einzelnen:
1. Die Haftung der Beklagten beruht nicht auf § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV, 249 ff BGB, weil § 27 EG-FGV kein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB ist. Der Bundesgerichtshof hat dies in seinem Urteil vom 30.07.2020, Az. VI ZR 5/20, umfassend dargelegt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf diese Ausführungen verwiesen.
2. Die Haftung der Beklagten ergibt sich jedoch aus §§ 826, 31 BGB. Dabei kann in weiten Teilen auf die grundsätzliche Entscheidung des Bundesgerichtshofs in Bezug auf die Konzernmutter, die V.-AG, Bezug genommen werden, Urteil vom 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19. Die dort getroffenen Aussagen zur Frage der Täuschung, der Sittenwidrigkeit, des Vorliegens eines Schadens, der Kausalität, der Verpflichtung zu einer sekundären Darlegungslast und Teilen der subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen können auch auf die vorliegende Fallgestaltung übertragen werden. Gründe, die Sach- und Rechtslage vorliegend anders zu beurteilen, sind nicht ersichtlich.
Zentraler und höchstrichterlich noch nicht geklärter Streitpunkt des Verfahrens ist die Frage, ob für den unstreitigen Einsatz der „Umschaltlogik“ im Fahrzeug des Klägers auch die Beklagte deliktisch haftet oder nur die in diesem Verfahren nicht beteiligte V.-AG. Der Senat sieht eine Haftung der hiesigen Beklagten nach §§ 826, 31 BGB gegenüber dem Kläger nicht allein aufgrund einer Zurechnung fremden Fehlverhaltens, sondern im Kern aufgrund eigenen deliktischen Handelns. Dies beruht auf dem von der Beklagten zu verantwortenden Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Fahrzeugs mit einer manipulativen, auf Täuschung ausgerichteten unzulässigen Abschalteinrichtung.
a) Das Inverkehrbringen von Fahrzeugen mit einem Motor, der über eine nicht offen gelegte Abschalteinrichtung bzw. Umschaltlogik verfügt, stellt eine konkludente Täuschung der Klagepartei durch die Beklagte dar, weil die Käufer der bemakelten Fahrzeuge, gleichgültig, ob sie das Fahrzeug neu oder gebraucht erwarben, arglos davon ausgingen, dass die gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden. Die Käufer durften darauf vertrauen, dass das erworbene Fahrzeug entsprechend seinem objektiven Verwendungszweck im Straßenverkehr eingesetzt werden kann, über eine uneingeschränkte Betriebserlaubnis verfügt und die erforderlichen Zulassungs- und Genehmigungsverfahren rechtmäßig durchlaufen worden sind. Tatsächlich enthielt der Motor des streitgegenständlichen Fahrzeugs jedoch zum Zeitpunkt des Kaufs eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO (EG) 715/2007, weil der Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand gegenüber dem normalen Fahrbetrieb gezielt durch den Einsatz einer entsprechenden Motorsteuerungssoftware reduziert worden ist. Die Technik war nicht nur zweifelsfrei unzulässig, sie diente vielmehr der gezielten Täuschung über die Einhaltung der zulässigen Abgaswerte. Dies hatte zur Folge, dass die Gefahr einer Betriebsuntersagung durch die für die Zulassung zum Straßenverkehr zuständige Behörde bestand und ein weiterer Betrieb des Fahrzeugs im öffentlichen Straßenverkehr möglicherweise nicht (mehr) möglich war, vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19.
b) Durch diese Täuschung entstand dem Kläger als Käufer eines vom sog. Dieselabgasskandal betroffenen Fahrzeugs ein Schaden, der in dem Abschluss des Kaufvertrags als ungewollte Verbindlichkeit zu sehen ist. Dieser Schaden ist auch nicht durch das später durchgeführte Software-Update entfallen, vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19, Rn. 44 ff.
c) Der Schaden in Form des Kaufvertragsabschlusses wurde durch das Handeln der Beklagten verursacht. Die Beklagte hat mit der Berufungsbegründung vom 07.11.2019 ein Fehlen der Kausalität nicht gerügt. Soweit sie die Kausalität mit Schriftsatz vom 19.10.2020, S. 47 f, angreift, greift dies nicht durch, eine Parteieinvernahme ist nicht veranlasst. Die haftungsbegründende Kausalität zwischen schädigender Handlung der Beklagten und dem Eintritt des Schadens bei dem Kläger ist zu bejahen. Bereits die allgemeine Lebenserfahrung rechtfertigt die Annahme, dass ein Käufer, der ein Fahrzeug zur eigenen Nutzung erwirbt, bei der bestehenden Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung von dem Erwerb des Fahrzeugs abgesehen hätte, vgl. BGH aaO Rn 51. Die Beklagte hat dem nichts konkret entgegen gesetzt.
d) Das Verhalten der Beklagten war sittenwidrig, auch wenn sie den Motor EA 189 nicht mitentwickelt haben sollte.
Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft, vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann, ständige Rechtsprechung des BGH, Urteil vom 28.06.2016, Az. VI ZR 536/15, vom 07.05.2019, Az. VI ZR 512/17, zuletzt 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19.
Nicht nur das Verhalten der V.-AG, sondern auch der hiesigen Beklagten ist objektiv als sittenwidrig zu qualifizieren, weil auch die beklagte A.-AG auf der Grundlage einer strategischen Entscheidung im eigenen Kosten- und Gewinninteresse Fahrzeuge in den Verkehr gebracht hat, deren Motorsteuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgaswerte auf dem Prüfstand nur mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung eingehalten wurden. Damit ging eine erhöhte Belastung der Umwelt mit Stickoxiden einher und es bestand die Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung der betroffenen Fahrzeuge. Ein solches Verhalten ist im Verhältnis zu einer Person, die eines der bemakelten Fahrzeuge in Unkenntnis der illegalen Abschalteinrichtung erwirbt, besonders verwerflich und mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht zu vereinbaren, BGH, a.a.O. Rdnr. 16. Auch die hier beklagte Audi AG hat nach Überzeugung des Senats das an sich erlaubte Ziel der Gewinnerhöhung ausschließlich dadurch erreicht, dass sie auf der Grundlage einer strategischen Unternehmensentscheidung die zuständige EG-Typgenehmigungsbehörde und die für sie handelnden Technischen Dienste arglistig getäuscht hat. Die Einwände der Beklagten, dass das Emissions-Zulassungsverfahren durch die V.-AG erfolgt ist und die Beklagte nur die Rechnungen und Testergebnisse erhalten hat, greifen nicht durch.
Die Beklagte als Herstellerin des hier streitgegenständlichen Fahrzeugs hat gegenüber dem Kraftfahrtbundesamt als zuständiger EG-Typgenehmigungsbehörde in dem erforderlichen EG-Typgenehmigungsverfahren eine eigene falsche Erklärung dahingehend abgegeben, dass der Fahrzeugtyp genehmigungsfähig ist und mithin nicht über die tatsächlich bestehende unzulässige Abschalteinrichtung verfügt. Sie handelte dabei arglistig.
aa) Die Beklagte war als Herstellerin des Fahrzeugs umfassend für die Beantragung der Typgenehmigung verantwortlich.
Die Übereinstimmung eines Fahrzeugs mit einem genehmigten Typ, die durch die von einem Vertreter der Beklagten unterzeichnete Übereinstimmungserklärung bestätigt wird, ist Voraussetzung für dessen Zulassung im Gebiet der Europäischen Union.
Für die Typgenehmigung für Personenkraftwagen ist die RL 2007/46/EG maßgeblich, die mit der EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung (EG-FGV), soweit erforderlich, in nationales Recht umgesetzt wurde. Zuständige nationale Genehmigungsbehörde für das Typgenehmigungsverfahren ist nach § 2 Abs. 1 EG-FGV das Kraftfahrtbundesamt.
Verantwortlich für die Beantragung der EG-Typengenehmigung für das Gesamtfahrzeug in Bezug auf einen Fahrzeugtyp ist der Hersteller, hier die Beklagte, § 3 Abs. 5 S. 1 EG-FGV. Der Beklagten als Herstellerin obliegen dabei alle Belange des EG-Typgenehmigungsverfahrens und für die Übereinstimmung der Produktion, vgl. Art. 5 der RL 2007/46/EG, Art. 4 VO (EG) 715/2007. Die RL 2007/46/EG enthält eine Vielzahl von Einzelvorschriften für die verschiedenen technischen Systeme und Bauteile der Fahrzeuge. Die an die Abgasemissionen der Fahrzeuge zu stellenden Anforderungen regeln die VO (EG) 715/2007 und die dazu erlassene Durchführungsverordnung (EG) Nr. 692/2008. Die VO (EG) 715/2007 verpflichtet den Hersteller in Art. 5 Abs. 1 das Fahrzeug so auszurüsten, dass die das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflussenden Bauteile so konstruiert, gefertigt und montiert sind, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen dieser Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht. Ferner bestimmt Art. 5 Abs. 2 der VO (EG) 715/2007, dass die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, grundsätzlich unzulässig ist.
Für die Erteilung einer EG-Typgenehmigung prüft der Technische Dienst gemäß den Anhängen der Durchführungsverordnung (EG) Nr. 692/2008 im Auftrag der Genehmigungsbehörde das Fahrzeug nach den Vorgaben der Vorschriften und erstellt über die ermittelten Ergebnisse einen Bericht. Hier ist die V. AG gegenüber dem Technischen Dienst, der Firma AT., im Auftrag der Beklagten aufgetreten.
Insgesamt lassen diese europäischen Vorgaben keinen Zweifel an der umfassenden Verantwortlichkeit des Herstellers im Typengenehmigungsverfahren, derer die Beklagte sich als weltweit tätiger großer Motoren- und Automobilhersteller zur Überzeugung des Senats bewusst war: Art. 3 Nr. 27 RL 2007/46/EG definiert den Hersteller als die „Person oder Stelle, die gegenüber der Genehmigungsbehörde für alle Belange des Typengenehmigungsverfahrensoder … verantwortlich ist. Die Person oder Stelle muss nicht notwendigerweise an allen Stufen der Herstellung des Fahrzeugs, des Systems, des Bauteils oder der selbständigen technischen Einheit, das bzw. die Gegenstand des Genehmigungsverfahrens ist, unmittelbar beteiligt sein.“ Dies wird unter der Überschrift „Pflichten des Herstellers“ in Art. 5 Abs. 1 RL 2007/46/EG wiederholt. Nach Art. 4 „Pflichten des Herstellers“ der VO (EG) 715/2007 bzw. Art. 3 Abs. 1 und Abs. 6 VO (EG) 692/2008 „weist (der Hersteller) nach“, dass alle von ihm verantworteten Neufahrzeuge über eine Typengenehmigung verfügen, die Grenzwerte eingehalten werden und die Fahrzeuge den ausführlichen Prüfanforderungen entsprechen, bzw. er „gewährleistet, dass die bei der Emissionsprüfung ermittelten Werte unter den in dieser Verordnung angegebenen Prüfbedingungen den geltenden Grenzwert nicht überschreiten.“
Der Beklagten ist mithin vorzuwerfen, dass sie als Herstellerin des Fahrzeugs mit der Abgabe der Beschreibungsunterlagen und ihrem Antrag auf Erteilung einer EG-Typgenehmigung eine eigene Erklärung gegenüber der Genehmigungsbehörde abgegeben hat, was die Verpflichtung einschloss, den Motor eigenständig auf Funktionsmäßigkeit und Gesetzesmäßigkeit zu überprüfen, weil mit dem Antrag auf Erteilung einer EG-Typgenehmigung zumindest konkludent erklärt wird, dass das Fahrzeug die gesetzlichen Vorschriften einhält und insbesondere über keine unzulässige Abschalteinrichtung verfügt. Sie kann sich auch nicht darauf zurückziehen, dass die V.-AG im Typgenehmigungsverfahren gehandelt hat, weil die V.-AG dies, wie die Beklagte selbst vorträgt, im Auftrag der A.-AG als Fahrzeugherstellerin getan hat. Die Beklagte kann sich mithin nicht darauf berufen, dass allein die V.-AG Pflichten verletzt habe, was ihr verborgen geblieben und ihr nicht zurechenbar sei.
bb) Im Übrigen hält der Senat aber auch die vollständige Übertragung des gesamten EG-Typgenehmigungsverfahrens auf die Konzernmutter nicht für zulässig und sieht darin ein Organisationsverschulden. Juristische Personen sind verpflichtet, den Gesamtbereich ihrer Tätigkeit so zu organisieren, dass für alle wichtigen Aufgabengebiete, hier das zentrale Genehmigungsverfahren, ein verfassungsmäßiger Vertreter zuständig sein muss, der die wesentlichen Entscheidungen selbst trifft, vgl. BGH, Urteil vom 08.07.1980, Az. VI ZR 158/78. Die Beklagte kann sich ihrer haftungsrechtlichen Verantwortung nicht dadurch entziehen, dass sie einen so elementaren Teilbereich wie das EG-Typgenehmigungsverfahren der Konzernmutter überlässt.
Tut sie dies dennoch, muss sie sich das Wissen der V.-AG von der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung (von dem vorliegend auszugehen ist) entsprechend § 166 Abs. 1 BGB zurechnen lassen. Denn die Beklagte schildert selbst, dass die V.-AG in ihrem Auftrag tätig geworden ist, mithin eine rechtsgeschäftliche Handlung des Vertreters vorliegt. Wer sich im rechtsgeschäftlichen Verkehr bei der Abgabe von Willenserklärungen, hier dem Antrag auf Erteilung einer EG-Typgenehmigung, eines Vertreters bedient, muss es im schutzwürdigen Interesse des Adressaten hinnehmen, dass ihm die Kenntnis des Vertreters als eigene zugerechnet wird. Oder anders ausgedrückt, wer sich zur Erledigung eigener Angelegenheiten Dritter bedient, muss sich deren Wissen zurechnen lassen, vgl. BeckOK, BGB Hau/ Poseck, 55. Edition, Stand 01.08.2020, Rn. 1 zu § 166 BGB.
cc) Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, dass im Zulassungsverfahren die Emissionsgrenzwerte nur auf dem Rollenprüfstand geprüft werden und es ihr damals nicht möglich gewesen sei, Prüfungen im realen Fahrbetrieb vorzunehmen bzw. es damals kein Prüfverfahren gab, mit dem das Vorhandensein unzulässiger Abschalteinrichtungen ermittelt hätte werden können. Im Gegenteil erleichterte dies die Täuschung des Karaftfahrtbundesamt, während die Beklagte – unabhängig von den zur Verfügung stehenden Überprüfungsmöglichkeiten – jedenfalls bei der V.-AG nachfragen hätte können, wie die Motorsteuerungssoftware programmiert ist, damit die vorgeschriebenen Grenzwerte eingehalten werden können. Die Beklagte hätte sich auch ohne Weiteres von der Konzernmutter die entsprechenden Unterlagen geben lassen können. Insoweit wird nicht vorgetragen, dass man dies versucht hätte, aber von Seiten der Konzernmutter dies abgelehnt worden sei oder dass man solche Unterlagen bekommen hätte, die aber geschönt gewesen seien. Selbst das von der Beklagten vorgelegte Rechtsgutachten von Prof. Dr. G. geht auf S. 23 davon aus, dass „die Möglichkeit der Aufdeckung der Abschalteinrichtung durch die A. -eigene Entwicklungsabteilung – vermittels einer grundlegenden Prüfung der Software bzw. einer Neuentwicklung von Testverfahren – nicht vollständig ausgeschlossen werden kann…“ dd) Hinzu kommt, dass zum Zeitpunkt der Entwicklung und des Einbaus des streitgegenständlichen Motors das Spannungsverhältnis zwischen kostengünstiger Produktion und Begrenzung der Stickoxidemissionen allgemein bekannt war. Die Beklagte ist selbst Herstellerin von Dieselmotoren (nebst Steuerungstechnik), die serienmäßig in Fahrzeugen des Konzerns zum Einsatz kommen. Dass sich unter diesen Umständen kein Verantwortlicher bei der Beklagten dafür interessiert haben will, ob und wie die Konzernmutter bei dem Motor EA 189 diesen Konflikt gelöst haben könnte, erscheint nicht plausibel. Zudem hat zum damaligen Zeitpunkt der europäische Gesetzgeber das grundsätzliche Verbot unzulässiger Abschalteinrichtungen normiert, wodurch der oben beschrieben Zielkonflikt zusätzliche Bedeutung gewann.
ee) Schließlich räumt die Beklagte auch ein, dass die grundsätzliche Entscheidung in Bezug auf die Verwendung des Motors EA 189 in den Jahren 2005/2006 von dem Produkt-Strategie-Komitee getroffen worden ist, dem auch mindestens ein Vorstandsmitglied angehört hat. Dass das vorgenannte Komitee der Beklagten keine Kenntnis von den Details des Motors gehabt hat, dessen serienmäßiger Einsatz ab 2007 beschlossen worden ist, hält der Senat nicht für plausibel. Es ist nicht nachvollziehbar, dass der Einsatz des Motors in einer Vielzahl von Fahrzeugen angeordnet wird, der unstreitig beteiligte Vorstand sich aber bei dieser Entscheidung, die die Beklagte selbst wegen ihrer Bedeutung als „Meilenstein“ bezeichnet, nicht darüber informiert, welche Eigenschaften der Motor hat und wie es gelingt, das bekannte Problem der Einhaltung der Stickoxidwerte zu lösen. Die Beklagte trägt hier nicht einmal vor, welches Vorstandsmitglied diesem Komitee angehört hat, ob dieses in Bezug auf seinen Kenntnisstand befragt worden ist und was gegebenenfalls die Antwort war. Der ihr obliegenden sekundären Darlegungslast ist die Beklagte hier nicht in ausreichendem Maß nachgekommen.
Auch die Käufer von Fahrzeugen der hiesigen Beklagten vertrauten darauf, dass die gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden und wurden darin arglistig getäuscht. Die Sittenwidrigkeit des Handelns ergibt sich aus dem nach Ausmaß und Vorgehen besonders verwerflichen Charakter der Täuschung von Kunden sowie der Täuschung des Kraftfahrtbundesamtes unter Inkaufnahme nicht nur der Schädigung der Käufer, sondern auch der Umwelt allein im Profitinteresse.
e) Die subjektiven Voraussetzungen der Haftung nach § 826 BGB sind ebenfalls erfüllt. In subjektiver Hinsicht setzt § 826 BGB einen Schädigungsvorsatz sowie Kenntnis der Kausalität des eigenen Verhaltens für den Eintritt des Schadens und der das Sittenwidrigkeitsurteil begründenden tatsächlichen Umstände voraus. Der Schädigungsvorsatz enthält ein Wissensund Wollenselement. Der Handelnde muss die Schädigung des Anspruchsstellers gekannt bzw. vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen haben und mindestens mit bedingtem Vorsatz gehandelt haben, BGH, Urteil vom 28.06.2016, Az. VI ZR 536/15.
Die Haftung einer juristischen Person nach § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB setzt zudem voraus, dass ihr „verfassungsmäßig berufener Vertreter“ den objektiven und subjektiven Tatbestand verwirklicht hat. Die erforderlichen Wissens- und Wollenselemente müssen dabei kumuliert bei einem solchen Vertreter vorliegen, der auch den objektiven Tatbestand verwirklicht hat, eine mosaikartige Zusammensetzung der kognitiven Elemente bei verschiedenen Personen ist hingegen nicht zulässig, vgl. BGH, Urteil vom 18.07.2019, Az. VI ZR 536/15. Darauf weist zutreffend auch das von der Beklagten vorgelegte Rechtsgutachten von Prof. G. hin, S. 15.
Der Senat geht nicht davon aus, dass eine Wissenszurechnung im Konzern die Haftung der Beklagten begründet. Der Umstand, dass die beteiligten Gesellschaften in einem Konzern verbunden sind, genügt nämlich für sich genommen nicht, um eine Wissenszurechnung zu begründen, vgl. BGH, Urteil vom 13.12.1089, Az. IV a ZR 177/88, Rn. 14, OLG Stuttgart, Urteil vom 04.09.2019, Az. 13 U 136/18).
Die Haftung der Beklagten beruht vielmehr – wie schon ausgeführt – auf ihrem eigenen deliktischen Handeln, dem von ihr zu verantwortenden Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Fahrzeugs.
Im Hinblick auf den neuen Vortrag im Schriftsatz vom 19.10.2020 ist die Beklagte der ihr obliegenden sekundären Darlegungslast in größerem Umfang als bisher nachgekommen, weil sie zur Organisationsstruktur, der Arbeitsorganisation, den damaligen internen Zuständigkeiten, den Berichtspflichten und den von ihr veranlassten Ermittlungen näher vorgetragen hat. Die Beklagte argumentiert allerdings damit, dass schon keine belastbaren Anhaltspunkte für eine Kenntnis der Vorstandsmitglieder im aktienrechtlichen Sinn oder von potentiellen Repräsentanten bestünden, weshalb ein vertieftes Vorgehen nicht angezeigt sei und keine Verpflichtung zu weiteren Aufklärungsmaßnahmen von Seiten des Aufsichtsrats bestehe. Dies teilt der Senat aus nachfolgenden Gründen nicht. Auch die subjektiven Voraussetzungen für eine Haftung nach § 826 BGB sind erfüllt.
aa) Zur Produktion erklärt die Beklagte nunmehr, dass bereits in den Jahren 2005/2006 vom Produkt-Strategie-Komitee, dem auch mindestens ein nicht namentlich benannter Vorstand angehört hat, die grundsätzliche Entscheidung getroffen worden ist, dass in bestimmten Fahrzeugen der Beklagten der von der Konzernmutter entwickelte Motor vom Typ EA 189 eingebaut wird, was letztlich ab 2007 zu einem serienmäßigen Einsatz geführt hat. Die Beklagte behauptet dazu weiter, dass weder Organe noch Repräsentanten, nicht einmal Werksmitarbeiter der Beklagten Kenntnis von den Details des Motors, insbesondere der Software gehabt hätten, weil diese verriegelt und verschlossen gewesen sei und so vom Konzernserver in der Fertigung aufgespielt worden sei. Dies hält der Senat – wie oben bereits ausgeführt – nicht für plausibel. Es ist nicht nachvollziehbar, dass das oben genannte Komitee, dem auch mindestens ein Vorstandsmitglied der Beklagten angehört hat, den Einsatz eines Motors in eigenen Fahrzeugen befürwortet, sich aber keine Gedanken darüber macht, wie der Motor funktioniert, welche Eigenschaften er hat, und wie es gelingt, die entsprechenden Stickoxidgrenzwerte einzuhalten. Bei dem Motor handelt es sich um das Kernstück des Fahrzeugs und bei der Verwendung um eine grundlegende, eine Vielzahl von Fahrzeugen betreffende Strategieentscheidung, die mit erheblichen persönlichen Haftungsrisiken für die entscheidenden Personen verbunden ist. Da die Beklagte auch selbst Dieselmotoren entwickelt und die Frage, wie die gesetzlichen Grenzwerte technisch und wirtschaftlich kostengünstig eingehalten werden können, unter Kfz-Herstellern zu der damaligen Zeit ein Hauptthema war, kann nicht nachvollzogen werden, dass die Beklagte kein Interesse daran hatte, zu wissen, wie es der Mutterkonzern geschafft hat, die strengen Grenzwerte einzuhalten. Es scheint ausgeschlossen, dass die Beklagte den von der Konzernmutter entwickelten Motor ohne eigene Prüfung und Kenntnis der wesentlichen Merkmale „blind“ in ihre eigenen Fahrzeuge eingebaut hat. Es liegt vielmehr auf der Hand, dass im Unternehmen der Beklagten mindestens ein handelnder Repräsentant an der Entscheidung über die Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung beteiligt war. Dies folgt schon aus der Tragweite der Entscheidung, aber auch aus den genannten Umständen.
Deshalb kann auch vorliegend – entgegen den Ausführungen im Rechtsgutachten G., Seite 17 ff. – in Bezug auf die Frage der personalen Anknüpfung – wie es der BGH in dem Urteil vom 25.05.2020 getan hat – auf die bewusste Beteiligung eines Organmitglieds an der grundlegenden strategischen Entscheidung abgestellt werden.
bb) Die Beklagte kann sich nicht darauf zurückziehen, dass sie den Motor samt Software nur als externes Produkt von der V.-AG zugekauft hat und dieser vertrauen durfte. Der Bundesgerichtshof hat in der von der Beklagten zitierten Entscheidung vom 03.06.1975, Az. VI ZR 192/73, ausgeführt, dass einem Unternehmer, der für die von ihm hergestellten Geräte vorgefertigte Einbauteile verwendet, grundsätzlich die Sorgfaltspflichten eines Herstellers obliegen. Davon kann es zwar Ausnahmen geben, wovon hier allerdings schon wegen der Bedeutung des Motors für das Fahrzeug keine Rede sein kann. Die Beklagte durfte sich vorliegend nicht allein auf die fachliche Betriebserfahrung ihrer Konzernmutter und deren durchgeführte Prüfungen verlassen. Sie hätte vielmehr die konkreten Eigenschaften bei der V.-AG erfragen müssen und sich selbst von der mangelfreien Beschaffenheit des Motors im Hinblick auf ihre eigene Verantwortlichkeit im EG-Typgenehmigungsverfahren überzeugen müssen. Der Auffassung von Prof. Dr. G. auf Seite 22 ff. des Gutachtens folgt der Senat aus den obigen Gründen nicht.
Was das Zulassungsverfahren betrifft, zu dem die Beklagte vorträgt, dass hier nur Mitarbeiter der V.-AG gehandelt hätten, wird auf die obigen Ausführungen verwiesen. Die Beklagte hat gegenüber der EG-Typgenehmigungsbehörde eine eigene Erklärung abgegeben und zumindest konkludent erklärt, dass die dem Technischen Dienst von der V.-AG vorgestellten Fahrzeuge keine unzulässigen Abschalteinrichtungen enthalten und den Gesetzen entsprechen. Da dies tatsächlich nicht zutraf, ist das Verhalten der Beklagten als vorsätzlich zu bewerten, weil die Folgen des Handelns bewusst in Kauf genommen worden sind. Selbst wenn man dies nicht so sehen wollte, hält der Senat aufgrund der Tatsache, dass die Beklagte die Durchführung des EG-Typengnehmigungsverfahrens vollständig und ohne weitere Kontrolle der Konzernmutter überlassen hat, eine Zurechnung des bei der V.-AG zweifelsfrei vorhandenen Täuschungs- und Schädigungsvorsatzes entsprechend § 31 BGB für gerechtfertigt.
f) Auf der Basis der getroffenen Feststellungen ist damit von einem Schädigungsvorsatz der handelnden Personen auszugehen, die von den sittenwidrigen, strategischen Unternehmensentscheidungen Kenntnis hatten. Nicht nur der objektive Tatbestand, sondern auch sämtliche für den Vorsatz nach § 826 BGB erforderlichen Wissens- und Wollenselemente sind damit bei den entsprechenden Entscheidungsträgern verwirklicht. Vorstandsmitglieder oder Repräsentanten, die in eigener oder zurechenbarer Kenntnis der Funktionsweise der Software ihren serienmäßigen Einsatz in Motoren anordnen oder nicht unterbinden, billigen ihn auch und sind sich der Schädigung der späteren Fahrzeugerwerber bewusst.
3. Die Beklagte hat gemäß §§ 826, 31, 249 ff. BGB dem Kläger sämtliche aus der sittenwidrigen Schädigung resultierende Schäden zu ersetzen.
Der Kläger kann damit den von ihm aufgewendeten Kaufpreis Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des erlangten Fahrzeugs an die Beklagte zurückverlangen. Er muss sich aber dasjenige anrechnen lassen, was ihm durch das schädigende Ereignis zugeflossen ist. Dass die Grundsätze der Vorteilsausgleichung auch bei einem Anspruch aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB anzuwenden sind, hat der Bundesgerichtshof in der Entscheidung vom 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19, ausdrücklich bestätigt, Rn. 66 ff. Er hat auch ausgeführt, dass dem keine europarechtlichen Normen entgegenstehen. Der Senat nimmt auf die Ausführungen des Bundesgerichtshofs Bezug, aaO, Rn. 73 ff. Geklärt ist mit dieser Entscheidung weiter, dass die grundsätzlich vom Landgericht vorgenommene lineare Berechnungsweise nach der Formel Bruttokaufpreis x gefahrene Kilometer / Restlaufleistung keinen rechtlichen Bedenken unterliegt und die Höhe der gezogenen Vorteile nach § 287 ZPO geschätzt werden kann. Die zu erwartende Gesamtlaufleistung schätzt der Senat im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens gemäß § 287 ZPO wie das Landgericht auf 250.000 km.
Vorliegend hat der Kläger ein Neufahrzeug erworben; zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hatte es unstreitig einen Kilometerstand von 123.088 km. Unter Zugrundelegung des Kaufpreises von 30.526,80 € ergibt sich damit eine Nutzungsentschädigung für die gefahrenen Kilometer in Höhe von 15.029,93 €. Es verbleibt somit ein Rückzahlungsanspruch in Höhe von 15.496,87 €.
4. Dem Kläger stehen Zinsen ab Rechtshängigkeit zu, §§ 291, 288 Abs. 1 BGB. Der Kläger hat keine näheren Ausführungen zum Verzug gemacht und auch das Schreiben vom 19.06.2018, auf das die Beklagte in ihrem Schreiben verweist, nicht vorgelegt. Es ist daher nicht ersichtlich, ob der Kläger die Leistung in Verzug auslösender Weise verlangt hat und, wenn ja, wann Verzug eingetreten ist. Zinsen waren daher ab Rechtshängigkeit, mithin ab 26.09.2018 zuzusprechen.
5. Die Entscheidung des Landgerichts zu den zugesprochenen Rechtsanwaltskosten begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Der Kläger kann die Zahlung der anfallenden außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten als Teil des Schadens nach § 826, 249 ff. BGB verlangen. Der Anspruch besteht in der vom Landgericht zugesprochenen Höhe. Die Beklagte hat dem Kläger die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in der ausgeurteilten Höhe zu erstatten, weil sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlich und zweckmäßig waren. Angesichts der sich stellenden Rechtsfragen ist es nicht zu beanstanden, wenn sich der Kläger anwaltlich vorab hat beraten lassen und zunächst mit anwaltlicher Hilfe versucht hat, vorgerichtlich eine gütliche Einigung zu erzielen. Da sich die Beklagte im Lauf der Zeit auch auf außergerichtliche Lösungen eingelassen hat, musste ein betroffener Käufer nicht von vornherein davon ausgehen, dass ein anwaltliches Aufforderungsschreiben zwecklos ist.
III.
Die Kostenquote entspricht dem jeweiligen Obsiegen bzw. Unterliegen der Parteien, §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, Nr. 711 ZPO.
Die Revision ist gemäß § 542 Abs. 2 S. 1 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen. Einige wesentliche Punkte sind zwar durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 25.05.2020 geklärt, offen und in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte kontrovers beurteilt wird jedoch die Frage, ob die Beklagte A.-AG als Herstellerin der von ihr in den Verkehr gebrachten Fahrzeuge haftet.
Verkündet am 14.12.2020

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