Aktenzeichen W 6 K 17.31967
AufenthG § 60 Abs. 1, Abs. 5, Abs. 7 S. 1
VwGO § 113 Abs. 5
Leitsatz
1. Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer verfolgungsrelevanten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – BVerwGE 146, 67; B.v. 11.7.2017 – 1 B 116.17 -). (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. In der Ukraine kommt es zu keiner Verfolgung von Binnenflüchtlingen aus dem Donbass. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
3. Für Flüchtlinge aus dem Donbass bestehen innerstaatliche Fluchtmöglichkeiten in der Ukraine.(Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Die zulässige Klage ist unbegründet, da der Bescheid des Bundesamts vom 25. April 2017 nicht rechtswidrig ist und die Kläger nicht in ihren Rechten verletzt sind (§ 113 Abs. 5 VwGO). Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG (1.). Ebenso wenig besteht ein Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG (2.) bzw. auf die Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen (3.).
1. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne von § 3 AsylG und § 60 Abs. 1 AufenthG. Insoweit wird zunächst auf die zutreffenden Ausführungen des Bundesamts im angegriffenen Bescheid Bezug genommen, denen das Gericht folgt (§ 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend ist folgendes auszuführen:
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich (1.) aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (2.) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, (a) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder (b) in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Nach § 3c AsylG kann eine solche Verfolgung ausgehen von (1.) dem Staat, (2.) Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder (3.) nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Aus § 3a AsylG ergibt sich, welche Handlungen als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten. Zwischen derartigen Handlungen und den in § 3b AsylG näher definierten Verfolgungsgründen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG).
Nach § 3a Abs. 1 AsylG gelten als Verfolgung Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG; vgl. hierzu auch Art. 9 Abs. 1 Buchst. a RL 2011/95/EU – Qualifikationsrichtlinie), oder Handlungen, die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1.) beschriebenen Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG; siehe hierzu auch Art. 9 Abs. 1 Buchst. b Qualifikationsrichtlinie).
Die Furcht vor Verfolgung ist nur dann begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – BVerwGE 146, 67 = juris Rn. 19; B.v. 11.7.2017 – 1 B 116.17 – juris Rn. 8). Die Gefahr kann nicht bereits dann verneint werden, wenn gegenwärtig oder unmittelbar bevorstehend keine politisch motivierten Verfolgungsmaßnahmen zu erwarten sind, sondern erst dann, wenn bei einer auf absehbare Zeit ausgerichteten Zukunftsprognose nicht ernstlich mit asylrechtlich erheblichen Maßnahmen gerechnet werden muss (BVerwG, U.v. 18.10.1983 – 9 C 158.80 – BVerwGE 68, 106 = juris Rn. 14). Wurde der Betroffene bereits verfolgt oder hat er einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten bzw. war er von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht, so ist dies nach Art. 4 Abs. 4 der RL 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (RL 2011/95/EU – Qualifikationsrichtlinie, ABl Nr. L 337 S. 9) ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden.
1. Die Kläger haben keine Verfolgungshandlungen vorgetragen, die zur Anerkennung als Flüchtlinge führen können.
Insbesondere die allgemeine Lage von Menschen aus dem Donbass bzw. von Binnenflüchtlingen in den von der ukrainischen Regierung kontrollierten Landesteilen in der Zentral- und Westukraine kann den Flüchtlingsstatus der Kläger nicht begründen. Nach Überzeugung des Gerichts kommt es zu keiner Verfolgung dieser Menschen, die die Schwelle des § 3a Abs. 1 AsylG erreicht.
Nach der Auskunftslage waren im November 2017 ca. 1,5 Millionen Binnenflüchtlinge registriert (Auswärtiges Amt, Lagebericht: Stand Januar 2018, II.3, S. 12), sodass Binnenflüchtlinge aus dem Konfliktgebieten im Osten im Rest der Ukraine überall anzutreffen sind. Aus den Erkenntnismitteln ergibt sich auch, dass die Einstellung der ukrainischen Bevölkerung gegenüber den Binnenflüchtlingen grundsätzlich positiv ist und von Verständnis getragen wird; diese Einstellung habe sich auch in den letzten zwei Jahren kaum geändert (Bundesamt für Fremdenwesen, Fact Finding Mission Report, BFA-Report – Chapter 5.7, S. 66 – 67). Insbesondere ist die russische Sprache kein Grund für Diskriminierungen oder Schikane (BFA-Report – Chapter 5.7, S. 68; BayVGH, B. v. 30.5.2017 -11 ZB 17.30523 – juris; B. v. 24. 10. 2017 – 11 ZB 17.31103 – juris). Nach der Auskunftslage sind zwar Probleme von Binnenflüchtlingen bei der Anmietung von Wohnraum bekannt, diese würden aber nicht aufgrund ihrer Herkunft bestehen, sondern vielmehr daher stammen, dass die Vermieter Sorge hätten, die Binnenflüchtlinge könnten nicht für die Miete aufkommen (BFA-Report – Chapter 5.7, S. 68). Auch für eine staatliche Diskriminierung von Binnenflüchtlingen bzw. russischsprachigen Menschen fehlt jeder Anhaltspunkt in den Erkenntnismitteln. Vielmehr werden Binnenflüchtlinge staatlicherseits unterstützt. So steht in der Ukraine zur Sicherung von Rechten und Freiheiten der Binnenflüchtlinge eine gesetzliche Rechtsgrundlage zur Verfügung, die die Registrierung, Versorgung und Unterbringung gewährleistet. Binnenflüchtlinge können auf die soziale Unterstützung seitens des Staates zurückgreifen (vgl. Lagebericht 2018 – II.3, S. 12).
2. Die Kläger können sich auch nicht mit Erfolg auf den subsidiären Schutz berufen. Die Ausführungen der Kläger vermögen eine subsidiäre Schutzberechtigung nicht zu begründen; stichhaltige Gründe im Sinne von § 4 AsylG wurden nicht vorgebracht und es wurde nicht dargelegt, welche ernsthaften und erheblichen Gefahren den Klägern bei einer Rückkehr in die Ukraine drohen könnten. Insoweit wird zunächst auf die zutreffenden Ausführungen des Bundesamts im angegriffenen Bescheid Bezug genommen, denen das Gericht folgt (§ 77 Abs. 2 AsylG) sowie auf die bisherigen Ausführungen zum Flüchtlingsschutz (s. unter 1.). Darüber hinaus gilt es folgendes auszuführen:
2.1 Der Umstand, dass in der Ukraine ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt stattfindet, kann keinen subsidiären Schutzstatus nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG für die Kläger begründen. Die Kläger stammen zwar aus dem Donbass und waren nach glaubhaften Aussagen von den Kampfhandlungen unmittelbar betroffen. Deshalb wird nicht in Zweifel gezogen, dass eine Heimkehr der Kläger in ihre Heimatregion auch aktuell wegen erheblichen Gefahren nicht möglich ist. Allerdings haben die Kläger die Möglichkeit internen Schutz nach § 3e Abs. 1 AsylG in den von der ukrainischen Regierung kontrollierten Gebieten, die nicht von den Kampfhandlungen betroffen sind, wahrzunehmen (Lagebericht 2018, II.4, S. 12).
2.2 Die Kläger würden in der Zentral- und Westukraine auch aufgenommen und es kann von ihm vernünftigerweise auch verlangt werden, dass sie sich dort niederlassen, § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG.
Wie unter 1. ausgeführt droht den Klägern in der Zentral- bzw. Westukraine keine Verfolgung insbesondere keine Diskriminierung wegen ihrer Herkunft.
Das Gericht ist auch davon überzeugt, dass der Lebensunterhalt der Kläger bei einer Rückkehr in die West- oder Zentralukraine gesichert ist. Dabei ist zunächst darauf hinzuweisen, dass nach der Auskunftslage für Rückkehrer die Existenzbedingungen in der Ukraine knapp ausreichend sind und die Versorgung mit Lebensmitteln gewährleistet ist (Lagebericht 2018, IV.1.1, S. 18). Auch eine medizinische Versorgung ist kostenlos und flächendeckend gegeben (vgl. Lagebericht, IV.1.4, S. 18). Weiter ist anzumerken, dass in der Ukraine zur Sicherung von Rechten und Freiheiten der Binnenflüchtlinge eine gesetzliche Rechtsgrundlage zur Verfügung steht, die die Registrierung, Versorgung und Unterbringung gewährleistet. Binnenflüchtlinge können auf die soziale Unterstützung seitens des Staates zurückgreifen (vgl. Lagebericht 2018, II.3, S. 12). Zusätzlich werden Binnenflüchtlinge nach der Erkenntnislage auch von zahlreichen Nichtregierungsorganisationen sowie dem UNHCR und der Unterorganisation OCHA unterstützt (Auskunft der Auswärtigen Amts vom 21.1.2015 an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge; vgl. auch BayVGH, B.v. 5.4.2017 – 11 ZB 17.30327 – juris; B.v. 22.8.2016 – 11 ZB 16.30136 – juris). Nach dem „Länderinformationsblatt Ukraine“ (Internationale Organisation für Migration, August 2013) stehen in der Ukraine neben dem IDP-Gesetz auch noch andere Sozialleistungen (Soziale Unterstützung, Kindergeld, Unterstützung für Senioren und alleinstehende Frauen, Alters-, Behinderten- und Hinterbliebenenrenten, Arbeitslosenunterstützung sowie Obdachlosenunterstützung) zur Verfügung. Die Kläger haben bei ihren Anhörungen sowohl beim Bundesamt als auch im gerichtlichen Verfahren auch angegeben, dass sie in der Ukraine Rentenleistungen bezogen hätten, die zur Bestreitung des Lebensunterhalts und zur Finanzierung der Reisen nach Deutschland ausgereicht hätten. Das Gericht geht davon aus, dass die Kläger diese Leistungen auch bei einer Rückkehr in die Ukraine wieder erhalten würden. Der Beistand hat in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass die Zahlung der Rente von einem Wohnsitz in den von der ukrainischen Regierung kontrollierten Landesteilen abhängt. Über einen solchen Wohnsitz würden die Kläger bei einer Rückkehr in die Ukraine verfügen, weshalb nicht ersichtlich ist, warum sie die Rentenleistungen nicht erhalten sollten. Die Kläger selbst haben angegeben, sie müssten ihren Rentenanspruch nach einer Rückkehr in die Ukraine gerichtlich durchsetzen. Sollte dies tatsächlich erforderlich sein, ist dies den Klägern auch zumutbar. Außerdem ist zu erwarten, dass die Kläger – zumindest zur Überbrückung der Zeit, die sie eventuelle für die Durchsetzung ihrer Rentenansprüche benötigen – finanzielle Unterstützung ihrer in Deutschland lebenden Tochter erhalten werden. Wie bereits erwähnt, kann es bei Binnenflüchtlingen zwar zu Schwierigkeiten bei der Anmietung von Wohnraum kommen. Diese hängen aber nur mit der wirtschaftlichen Lage zusammen. Wenn die Kläger – wie vom Gericht angenommen – Rentenleistungen beziehen werden, werden sie auch in der Lage sein, eine Wohnung zu finanzieren. Außerdem haben die Kläger angegeben, dass sie schon vor ihrer Ausreise finanzielle Unterstützung vom ukrainischen Staat erhalten hätten, um ihre Wohnkosten finanzieren zu können. Allein aus der Tatsache, dass es den Kläger vor ihre Ausreise nicht gelungen ist, eine Wohnung zu finden, kann nicht geschlossen werden, dass dies auch bei einer erneuten Rückkehr in die Ukraine nicht gelingen wird. Die Versuche eine Wohnung anzumieten fanden im Jahr 2015 und damit vor über drei Jahren statt. Weiter haben die Kläger auch die Möglichkeit bei der Suche der Wohnung auf die Unterstützung ihrer Tochter zurückgreifen. Aufgrund ihrer Hilfe haben die Kläger schon im Jahr 2015 eine zumindest vorübergehende Unterkunft in der Nähe von Kiew gefunden. Zumindest für eine Übergangszeit können die Kläger auch für Binnenflüchtlingen zur Verfügung stehende Notunterkünften in Anspruch nehmen (BFA-Report – Chapter 5.2, S. 58). Da davon auszugehen ist, dass die Kläger in der Ukraine Rentenleistungen und eventuell auch andere staatliche Leistungen in Anspruch nehmen können, ist damit zu rechnen, dass sie Auskommen haben werden, das über den bloßen Existenzminimum liegt.
3. Im Übrigen sind auch keine nationalen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ersichtlich. Dabei ist zunächst auf die bisherigen Ausführungen und die zutreffende Begründung im Bescheid des Bundesamtes, denen das Gericht folgt (§ 77 Abs. 2 AsylG), zu verweisen.
3.1 Insbesondere gilt es in diesem Zusammenhang, nochmals darauf hinzuweisen, dass die Kläger nach Überzeugung des Gerichts ausreichende Mittel zu Verfügung haben werden, um den Lebensunterhalt zu bestreiten.
3.2 Auch die vorgebrachten Erkrankungen der Kläger reichen nicht, um eine Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu begründen.
Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Für die Frage nach dem Vorliegen einer solchen Gefahr ist unerheblich, von wem diese ausgeht oder wodurch sie hervorgerufen wird, die Regelung stellt vielmehr lediglich auf das Bestehen einer konkreten Gefahr ab, unabhängig davon, ob sie vom Staat ausgeht oder ihm zuzurechnen ist (vgl. BVerwG, U.v. 17.10.1995 – 9 C 9/95 – BVerwGE 99, 324). Die Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit muss mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bestehen. Dies ist dann der Fall, wenn die für den Eintritt der Gefahr sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deswegen gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen (BVerwG, U.v. 18.7.2001 – 1 B 71/01 – Buchholz 402.240, § 53 AuslG Nr. 46). Bei der Prognose, ob dem Ausländer bei einer Rückkehr in den Zielstaat dort eine erhebliche konkrete Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wegen der Verschlimmerung einer individuellen Erkrankung droht, sind alle zielstaatsbezogenen Umstände zu berücksichtigen, die zu einer Verschlimmerung der Erkrankung führen (BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18/05 – BVerwGE 127, 33). Danach ist der Begriff der Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich des Entstehungsgrundes nicht einschränkend auszulegen und eine Gefahr für die Rechtsgüter Leib und Leben kann auch dann vorliegen, wenn sie durch die bereits vorhandene Krankheit konstitutionell mitbedingt ist. Erforderlich, aber auch ausreichend für das Vorliegen der Voraussetzungen dieser Vorschrift ist danach, dass sich die vorhandene Erkrankung des Ausländers aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib und Leben führt, d.h. eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht. Dies kann etwa der Fall sein, wenn sich die Krankheit im Heimatstaat aufgrund unzureichender Behandlungsmöglichkeiten verschlimmert oder wenn der betroffene Ausländer die medizinische Versorgung aus sonstigen Umständen tatsächlich nicht erlangen kann (BVerwG, B.v. 17.8.2011 – 10 B 13/11 u. a. – juris; BayVGH, U.v. 3.7.2012 – 13a B 11.30064 – juris Rn. 34).
Eine Gefahr ist „erheblich“, wenn eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität zu erwarten ist. Das wäre der Fall, wenn sich der Gesundheitszustand des Ausländers wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde. Eine wesentliche Verschlechterung ist nicht schon bei einer befürchteten ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustandes anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden. Außerdem muss die Gefahr konkret sein, was voraussetzt, dass die Verschlechterung des Gesundheitszustands alsbald nach der Rückkehr des Betroffenen in sein Herkunftsland eintreten wird, weil er auf die dort unzureichenden Möglichkeiten zur Behandlung seiner Leiden angewiesen wäre und anderswo wirksame Hilfe nicht in Anspruch nehmen könnte (vgl. BVerwG, U.v. 29.7.1999 – 9 C 2/99 – juris Rn. 8). Der Abschiebungsschutz aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG dient hingegen nicht dazu, eine bestehende Erkrankung optimal zu behandeln oder ihre Heilungschancen zu verbessern.
3.2.1 Aus den vorgelegten Attesten ergibt sich nicht, dass die dargestellten Anforderungen beim Kläger zu 1) erfüllt sind. Im Einzelnen:
So geht aus dem Attest der Facharztes für Allgemeinmedizin und Innere Medizin Dr. S. vom 25. Juli 2018 hervor, dass der Kläger zu 1) einen Hirninfarkt erlitten hat, dieser aber mit guten Erfolg lysiert wurde und keine Residuen vorhanden sind. Dass der Kläger zu 1) wegen des zurückliegenden Hirninfarkts aktuell gesundheitliche Probleme hat, geht aus dem vorgelegten Attest nicht hervor. Aus dem Attest geht auch nicht hervor, dass es aktuelle Anzeichen dafür gibt, dass erneut zum einem Hirninfarkt beim Kläger zu 1) kommen bzw. der vergangenen Hirninfarkt für den Kläger zu 1) zu gesundheitlichen Problemen in der Zukunft führen wird. Hinsichtlich dieser zurückliegenden Erkrankung ist deshalb nach Überzeugung des Gerichts nicht damit zu rechnen, dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Klägers in die Ukraine droht.
Außerdem geht aus dem Attest von Dr. S. und dem Attest des Urologen Dr. Z. vom 30. Juli 2018 hervor, dass der Kläger zu 1) ein Prostata-Carcinom hatte und dieses im März 2018 operativ behandelt wurde. Aktuell bestehe aufgrund dieser Erkrankung einer Inkontinenzsymptomatik. Den Attesten kann also nicht entnommen werden, dass das Prostata-Carcinom nach Entfernung der Prostata (radikale Prostatektomie) aktuell zu gesundheitlichen Problemen jenseits der Inkontinenz führt. Vielmehr sind die Atteste so zu verstehen, dass nach Entfernung der Prostata kein Tumor mehr vorhanden ist und damit vom Tumor unmittelbar keine Gefahren für die Gesundheit des Klägers zu 1) mehr ausgehen. Die Folgeproblematik, also die Inkontinenz, stellt keine Erkrankung dar, die bei einer Rückkehr in die Ukraine zu Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen kann. Außerdem besteht diese Beeinträchtigung unabhängig vom Aufenthaltsort des Klägers zu 1). Die Problematik wird auch in Deutschland nicht medikamentös behandelt.
Zu den im Attest vom 25. Juli 2018 beschrieben und in der mündlichen Verhandlung geschilderten neurologischen „Aussetzern“ des Klägers zu 1) liegen keine medizinischen Unterlagen vor. Der Kläger zu 1) kann also nicht darlegen, dass es sich dabei bzw. bei der Ursache der „Aussetzer“ um eine Erkrankung handelt, die ein Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründen kann.
Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes die medizinische Versorgung in der Ukraine kostenlos und flächendeckend ist und Krankenhäuser und andere medizinische Einrichtungen landesweit existieren. Auch fast alle gebräuchlichen Medikamente werden in der Ukraine hergestellt (vgl. Lagebericht 2018 – IV.1.3, S. 18). Es ist also damit zu rechnen, dass der Kläger zu 1) in der Ukraine – falls notwendig – eine adäquate medizinische Behandlung erfahren würde. Dass die Behandlung dabei qualitativ den Standard wie in Deutschland erreicht, ist gerade nicht erforderlich. Das Gericht geht aufgrund der Auskunftslage auch davon aus, dass in der Ukraine Aspirin und Medikamente zur Blutfettsenkung vorhanden sind, um einem erneuten Hirninfarkt vorzubeugen. Gegenteiliges wurde nicht vorgetragen und ist auch nicht ersichtlich. Außerdem ist den Klägern zumutbar sich dort niederzulassen, wo sie die beste medizinische Versorgung erhalten können.
Zwar kann die Behandlung in der Ukraine davon abhängen, dass der Patient einen Betrag im Voraus bezahlt oder Medikamente und Pflegemittel auf eigene Rechnung beschafft (vgl. Lagebericht 2018 – IV.1.3, S. 18). Das Gericht ist aber überzeugt davon, dass die Kläger – sollte dies von ihnen verlangt werden – die finanziellen Mittel für eine Behandlung aufbringen können. So waren die Kläger, insbesondere die Klägerin zu 2), auch schon vor ihrer Ausreise in der Ukraine in medizinischer Behandlung. Es ist also nicht ersichtlich, warum dies nicht bei einer erneuten Rückkehr in die Ukraine gelingen soll (vgl. dazu die Ausführungen unter 2.). Außerdem ist damit zu rechnen, dass die Kläger im Notfall finanzielle Unterstützung von ihrer Tochter aus Deutschland erhalten würden.
3.2 Aus den vorgelegten Attesten ergibt sich auch nicht, dass die dargestellten Anforderungen bei Klägerin zu 2) erfüllt sind. Im Einzelnen:
Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die im Attest des Facharztes für Allgemeinmedizin und Innere Medizin Dr. S. vom 25. Juli 2018 beschrieben Frakturen aktuell noch Probleme bei der Klägerin zu 2) hervorrufen. Aufgrund dieser Problematik ist also nicht damit zu rechnen, dass sich der Gesundheitszustand der Klägerin zu 2) bei einer Rückkehr in die Ukraine wesentlich verschlechtert. Die ebenfalls in diesem Attest beschrieben Hepatitis C-Infektion ist ausweichlich des Attests ausgeheilt und kann damit auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründen.
Die in den Attesten diagnostizierten psychischen Leiden, „ängstlich-depressive Stimmungslage“ (Attest von Dr. S. vom 25. Juli 2017) bzw. das „ängstlich-agitierte Syndrom bei Angst und depressiver Stimmung gemischt“ (Vorläufiger Arztbrief des Juliusspital Würzburg vom 22.9.2018), der Klägerin zu 2) können ebenfalls kein Abschiebeverbot begründen. Zwar ergibt sich aus den Attesten, dass diese Leiden aktuell mit einen Antidepressivum (Mirtazapin, Vorläufiger Arztbrief des Juliusspital vom 22.9.2018) behandelt wird und eine ambulante psychiatrische Weiterbhandlung erfolgen soll. Allerdings ergeben sich aus dem Attest keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass es bei einer Rückkehr in die Ukraine, sogar bei einem Abbruch der Therapie, zu einer Verschlimmerung der Erkrankung kommt, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib und Leben führt, d.h. eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr der Klägerin droht. Vielmehr geht dem vorläufigen Arztbrief des Juliusspitals Würzburg vom 22. September 2018 hervor, dass sich die Klägerin zu 2) von einer Eigengefährdung distanziert. Eine Suizidalität der Klägerin zu 2) aufgrund psychischer Probleme kann daher ausgeschlossen werden. Außerdem reichen psychische Leiden wie eine mittelschwere Depression, Ein- und Durchschlafstörungen, Flashbacks, Alpträume, Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus, psychogene Kopfschmerzen und Anpassungsstörungen im Allgemeinen nicht mehr aus, um ein Abschiebungshindernis zu begründen. Die Gesetzesbegründung geht davon aus, dass eine hinreichend schwerwiegende Erkrankung regelmäßig nicht angenommen werden kann (BT-Drs. 18/7538, S. 18). Außerdem ist nicht damit zu rechnen, dass es bei einer Rückkehr in die Ukraine zu einem Abbruch der Behandlung kommt. Wie unter 3.1 ausgeführt, ist in der Ukraine eine flächendeckende medizinische Versorgung gewährleistet und es ist auch damit zu rechnen, dass die Kläger etwaige Zahlungen, die für die medizinische Behandlung zu leisten sind, aufbringen können. Außerdem gilt es darauf hinzuweisen, dass sich aus den aktuellen Auskunftsmitteln explizit ergibt, dass psychische Erkrankungen in der Ukraine behandelbar sind (Lagebericht 2018, IV.1.3, S. 18). Da nach der Auskunftslage alle gängigen Medikamente in der Ukraine zur Verfügung stehen, ist auch damit zu rechnen, dass die Klägerin zu 2) mit einem Antidepressivum behandelt werden könnte. Dass die Behandlung eventuell nicht denselben qualitativen Standard wie in Deutschland erreicht, kann ein Abschiebeverbot nicht begründen. Aus den aktuellen Erkenntnismitteln ergibt sich nach Überzeugung des Gerichts jedenfalls, dass in der Ukraine – falls notwendig – einer Verschlechterung des Gesundheitszustands entgegengewirkt werden könnte.
Auch die in den Attesten beschrieben kardiologischen Erkrankungen der Klägerin zu 2), Hyperintensive Herzerkrankung (Vorläufiger Arztbrief des Juliusspital Würzburg vom 22.9.2018) und Hypertonie (Vorläufiger Arztbrief des Juliusspital Würzburg vom 22.9.2018, Attest von Dr. S. vom 25. Juli 2017) können zu keinem Abschiebeverbot führen. Aus den ärztlichen Unterlagen ergibt sich, dass diese Leiden mit mehreren Herzmedikamenten (Bisoprolol, Ramipril, Lercanidipin) behandelt werden, die v.a. zur Senkung des Blutdrucks dienen. So wurde in der Zusammenfassung des Arztbriefs vom 22. September 2018 ausgeführt, dass zur „Optimierung der antihyertensiven Therapie“ ein weiteres Medikament (ACE-Hemmer) verschrieben worden sei. Die Notwendigkeit einer darüberhinausgehenden Therapie geht aus den medizinischen Unterlagen nicht hervor. Aufgrund der Auskunftslage ist damit zu rechnen, dass auch die kardiologischen Erkrankungen der Klägerin zu 2) in der Ukraine behandelt werden können (vgl. dazu auch die Ausführungen oben), sodass es bei einer Rückkehr in die Ukraine nicht zu einem Abbruch der Behandlungen kommen würde. Das Gericht geht auch davon aus, dass die der Klägerin zu 2) aktuell verordneten Medikamente in der Ukraine zur Verfügung stehen. Dabei handelt es sich um Betablocker, ACE-Hemmer und Calciumkanalblocker, aus Sicht des Gerichts um gebräuchliche Medikamente. Es wurde auch nicht vorgetragen und es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Medikamente in der Ukraine nicht zur Verfügung stehen. Selbst wenn einzelne Medikamente in der Ukraine nicht zur Verfügung stünden, ist das Gericht doch überzeugt davon, dass es zumindest andere Medikamente für eine antihyertensiven Therapie vorhanden sind. Eine optimale medizinische Versorgung ist gerade nicht erforderlich. Jedenfalls aufgrund der Behandlungsmöglichkeiten könnte damit einer wesentlichen Verschlechterung des Gesundheitszustands der Klägerin zu 2) begegnet werden. Dabei sind die Kläger gehalten, alle Möglichkeiten des ukrainischen Gesundheits- und Sozialsystems auszuschöpfen. Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass sich aus den Attesten auch keine Anhaltspunkte ergeben, dass es bei einer Rückkehr der Klägerin zu 2) in die Ukraine, selbst bei einem vollständigen Abbruch der Therapie, zu einer Verschlimmerung der Erkrankung kommt, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib und Leben führt, d.h. eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr der Klägerin droht. Es steht zwar außer Frage, dass eine optimale medizinische Versorgung der Klägerin zu 2) eine antihyertensiven Therapie erfordert. Dass es ohne diese Therapie alsbald nach der Rückkehr zu einer wesentlichen Verschlechterung des Gesundheitszustands kommen würde, kann den Attesten aber nicht entnommen werden. Insbesondere wurden schwere Herzerkrankungen (konare Herzkrankheit) durch die Untersuchungen im Juliusspital in Würzburg ausgeschlossen. Wie oben ausführlich dargelegt, ist aber mit einer Fortsetzung der Therapie in der Ukraine zu rechnen.
Dass die sonstigen unter der Kategorie „Vordiagnose“ im vorläufigen Arztbrief des Juliusspital Würzburg aufgeführten Erkrankungen bei einer Rückkehr zu einer wesentlichen Verschlechterung des Krankheitszustandes führen, ist nicht ersichtlich. Diese Erkrankungen werden nur aufgelistet, ohne dass dazu weiterführende Ausführungen gemacht werden. Jedenfalls ist davon auszugehen, dass das ukrainische Gesundheitssystem diesen Erkrankungen begegnen kann. Dasselbe gilt für den im ärztlichen Attest vom 25. Juli 2018 erwähnten Schwindel und die Rückenschmerzen.
Abschiebeverbote nach § 60 Abs. 7 Satz 1 wegen der Erkrankungen kommen also nicht in Frage.
4. Daher sind auch die Ausreiseaufforderung und die Abschiebungsandrohung in die Ukraine rechtmäßig. Gegen die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung bestehen keine Bedenken. Ermessensfehler sind nicht ersichtlich. Insbesondere hat der Kläger keine Umstände vorgetragen, die gegen die Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung sprechen.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).