Verkehrsrecht

Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Kraftfahrzeuge wegen Drogenkonsums (Amphetamin, Cannabis und Alkohol) – einstweiliger Rechtsschutz

Aktenzeichen  11 CS 21.968

Datum:
8.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 16394
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 19 Abs. 4 S. 1, Art. 80 Abs. 1 S. 2, Art. 100 Abs. 1 S. 1
StVG § 6 Abs. 1 Nr. 1 lit. y, § 24a
FeV § 3 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 11 Abs. 7

 

Leitsatz

1. Wer ein Elektrokleinstfahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr führt, also beispielsweise einen Elektroroller (sog. E-Scooter), unterliegt zwar den Vorschriften der Straßenverkehrsordnung und uneingeschränkt auch den Regelungen des § 24a StVG zum Konsum von Alkohol und berauschenden Mitteln, eine Fahrerlaubnis ist dafür aber nicht erforderlich, vielmehr genügt die Vollendung des 14. Lebensjahres. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es ist fraglich, ob die gesetzliche Verordnungsermächtigung in § 6 Abs. 1 Nr. 1 lit. y StVG für die Regelungen zum Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge in § 3 FeV den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG genügt, weil das Straßenverkehrsgesetz insoweit hinsichtlich der Fahreignung und Befähigung keine näheren Vorgaben dazu enthält, welche Maßnahmen der Verordnungsgeber vorsehen darf, wenn Zweifel an der Eignung oder Befähigung zum Führen solcher Fahrzeuge bestehen, unter welchen Voraussetzungen diesen Zweifeln nachzugehen ist und was daraus für den Betreffenden folgt, wenn er oder sie sich als bedingt geeignet oder ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge erweist oder wenn er oder sie an der gebotenen Klärung nicht ausreichend mitwirkt. Unabhängig davon bestehen auch Bedenken, ob die pauschale Verweisung in § 3 Abs. 2 FeV auf die für Fahrerlaubnisbewerber oder -inhaber geltenden Vorschriften hinsichtlich der Klärung von Eignungszweifeln angesichts des im Vergleich dazu geringeren Gefährdungspotenzials fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge dem Verhältnismäßigkeitsgebot gerecht wird (vgl. BVerwG BeckRS 2020, 44382 Rn. 32 ff.). (Rn. 14 und 15) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Senat behält die Klärung der Verfassungsmäßigkeit des § 6 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. y StVG einem Hauptsacheverfahren vor, weil er noch nicht mit der für eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gebotenen Gewissheit davon überzeugt ist, dass diese Verordnungsermächtigung mit dem Grundgesetz nicht vereinbar ist und sich die Beantwortung dieser Frage als unerlässlich darstellt. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass eine solche Vorlage in einem Eilverfahren mit der Garantie effektiven Rechtsschutzes in Konflikt gerät. Gleiches gilt für die Zweifel hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit der untergesetzlichen Regelung in § 3 FeV. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
4. Bei der danach gebotenen Interessenabwägung ist zu berücksichtigen, wenn sich eine Untersagung ausdrücklich nur auf fahrerlaubnisfreie Kraftfahrzeuge und somit nicht auf andere fahrerlaubnisfreie Fahrzeuge, insbesondere nicht auf Fahrräder erstreckt, dass die Teilnahme mit Elektrorollern am Straßenverkehr unter einer kombinierten Rauschwirkung von Alkohol, Cannabis und einer – wenn auch geringen – Konzentration von Amphetamin zur Beeinträchtigung der Fahreignung und Erhöhung des Unfallrisikos führt. (Rn. 17 – 20) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 6 S 20.3576 2021-03-10 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller, der nicht Inhaber einer Fahrerlaubnis ist, wendet sich gegen die Anordnung des Sofortvollzugs hinsichtlich der Untersagung, fahrerlaubnisfreie Kraftfahrzeuge auf öffentlichem Verkehrsgrund zu führen.
Die Verkehrspolizeiinspektion München teilte der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 5. Dezember 2019 mit, der Antragsteller habe am 18. August 2019 um 2:12 Uhr ein Kraftfahrzeug (E-Scooter) unter der Wirkung berauschender Mittel geführt. Nach kurzer Flucht bei einer Verkehrskontrolle habe er gestellt werden können, zuvor aber noch oral unbekannte Betäubungsmittel in unbekannter Menge zu sich genommen. Die Untersuchung der daraufhin um 3:11 Uhr entnommenen Blutprobe ergab folgende Werte: Amphetamin 5,6 ng/ml, THC 6,2 ng/ml, Alkohol 0,57 ‰. Der ärztliche Untersuchungsbericht vom 8. Oktober 2019 führt aus, die gemessene Konzentration an Amphetamin liege „in einem vergleichsweise sehr niedrigen Bereich und wäre durch eine gering dosierte und/oder einige Zeit zurückliegende Aufnahme erklärbar.“ Durch die Kombinationswirkungen der nachgewiesenen Suchtstoffe und Ethanol seien zumindest additive Leistungsminderungen zu erwarten.
Gegen den Antragsteller erging am 9. Dezember 2019 ein Bußgeldbescheid wegen Führens eines Kraftfahrzeugs unter der Wirkung eines berauschenden Mittels und mit einer Alkoholmenge im Blut, die zu einer Blutalkoholkonzentration von 0,5 ‰ oder mehr geführt hat. Der Bußgeldbescheid ist seit dem 28. Dezember 2019 rechtskräftig.
Nach Anhörung untersagte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit Bescheid vom 7. Juli 2020 das Führen fahrerlaubnisfreier Kraftfahrzeuge auf öffentlichem Verkehrsgrund und ordnete die sofortige Vollziehung an. Er habe sich durch den Amphetaminkonsum als fahrungeeignet erwiesen, weshalb ihm das Führen fahrerlaubnisfreier Kraftfahrzeuge ohne weitere Begutachtung zu untersagen sei.
Mit Schriftsatz vom 7. August 2020 ließ der Antragsteller durch seine Prozessbevollmächtigten beim Verwaltungsgericht München die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der zugleich erhobenen Klage beantragen und zur Begründung unter anderem ausführen, die geringe Dosis des festgestellten Amphetamins weise auf eine unbewusste Aufnahme hin. Dies könne durch ein kontaminiertes Getränk geschehen sein. Der Antragsteller habe bei dem Vorfall keine verhaltensmäßigen Auffälligkeiten gezeigt.
Mit Beschluss vom 10. März 2021 hat das Verwaltungsgericht den Antrag abgelehnt. Bei fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen fänden nach § 3 Abs. 2 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) die Vorschriften der §§ 11, 13 und 14 FeV und damit auch § 11 Abs. 7 FeV sowie die Anlage 4 entsprechende Anwendung. Stehe die Nichteignung fest, unterbleibe die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens. Der Antragsteller sei aufgrund des nachgewiesenen Konsums von Amphetamin als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen, ohne dass es auf die Höhe der Betäubungsmittelkonzentration oder konkrete Ausfallerscheinungen ankomme. Eine unbewusste Drogenaufnahme habe er nicht nachvollziehbar und schlüssig geschildert. Sein Vortrag sei insoweit als Schutzbehauptung zu werten. Darüber hinaus liege auch ein Mischkonsum von Cannabis und Alkohol vor, der zu einer kombinierten Rauschwirkung führen könne und für sich genommen die Fahreignung entfallen lasse. Anhaltspunkte für einen Ausnahmefall seien nicht ersichtlich. Der Antragsteller habe seine Fahreignung zum maßgeblichen Zeitpunkt auch nicht wiedererlangt. Die Ausübung des Auswahlermessens durch die Antragsgegnerin sei nicht zu beanstanden. Die Untersagung erweise sich als verhältnismäßig.
Zur Begründung der hiergegen erhobenen Beschwerde, der die Antragsgegnerin entgegentritt, lässt der Antragsteller ausführen, die im Blutplasma gemessene Amphetaminkonzentration liege dem rechtsmedizinischen Gutachten zufolge in einem sehr niedrigen Bereich und sei nur durch eine gering dosierte Aufnahme erklärbar. Zu würdigen seien auch die besonderen Umstände. Aufgrund der polizeilichen Feststellungen sei davon auszugehen, dass der Antragsteller bis zur Kontrolle keine Betäubungsmittel zu sich genommen habe. Außerdem spreche die geringe Menge des festgestellten Amphetamins dafür, dass der Antragsteller es unbewusst aufgenommen und bei der polizeilichen Kontrolle offenbar eine mit Amphetamin kontaminierte Substanz zu sich genommen habe. Die unbewusste Aufnahme, noch dazu in geringer Menge, lasse den Schluss auf die Ungeeignetheit des Antragstellers nicht zu. Auch hinsichtlich der THChaltigen Substanz sei zu Gunsten des Antragstellers davon auszugehen, dass er diese möglicherweise erst nach der Fahrt mit dem E-Roller und nicht bewusst eingenommen habe. Von einem Mischkonsum von Cannabis und Alkohol während der Fahrt könne nicht ausgegangen werden. Er sei auch sonst nicht durch einschlägige Delikte im Straßenverkehr in Erscheinung getreten. Die Staatsanwaltschaft München I habe gemäß § 45 Abs. 1 JGG von der strafrechtlichen Verfolgung abgesehen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu ändern oder aufzuheben wäre.
Allerdings teilt der Senat die in der Beschwerdebegründung zwar nicht gerügten, aber gleichwohl von Amts wegen zu berücksichtigenden Zweifel des Bundesverwaltungsgerichts hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage für die Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge (1.). Er sieht jedoch im Hinblick darauf, dass die endgültige Klärung dieser Frage einem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben muss, von einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht ab und entscheidet daher in dieser Sache aufgrund einer Interessenabwägung, die vorliegend zu Lasten des Antragstellers ausfällt (2.).
1. Erweist sich jemand als ungeeignet oder nur noch bedingt geeignet zum Führen von Fahrzeugen oder Tieren, hat die Fahrerlaubnisbehörde ihm das Führen zu untersagen, zu beschränken oder die erforderlichen Auflagen anzuordnen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13.12.2010 [Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980], zuletzt geändert durch Gesetz vom 16.4.2021 [BGBl I S. 822]). Rechtfertigen Tatsachen die Annahme, dass der Führer eines Fahrzeugs oder Tieres zum Führen ungeeignet oder nur noch bedingt geeignet ist, finden die Vorschriften der §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 3 Abs. 2 FeV).
a) Diese Regelung, die unter anderem für fahrerlaubnisfreie Fahrzeuge gilt und auf die die Antragsgegnerin ihre Maßnahme gestützt hat, ist hier einschlägig. Für die Rechtmäßigkeit der Untersagung als Dauerverwaltungsakt ist der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung maßgeblich (BVerwG, U.v. 4.12.2020 – 3 C 5.20 – juris Rn. 10 ff.; BayVGH, U.v. 17.1.2020 – 11 B 19.1274 – zfs 2020, 175 Rn. 18 ff.).
Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller, der nicht Inhaber einer Fahrerlaubnis ist, das Führen fahrerlaubnisfreier Kraftfahrzeuge untersagt. Zu dieser Fahrzeugkategorie zählen auch Elektrokleinstfahrzeuge im Sinne von § 1 Abs. 1 der Verordnung über die Teilnahme von Elektrokleinstfahrzeugen am Straßenverkehr (Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung – eKFV vom 6.6.2019 [BGBl I S. 756]), also beispielsweise Elektroroller (sog. E-Scooter). Hierbei handelt es sich um Kraftfahrzeuge (vgl. § 1 Abs. 2 und 3 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5.3.2003 [StVG, BGBl I S. 310], zuletzt geändert durch Gesetz vom 7.5.2021 [BGBl I S. 850]). Wer ein solches Elektrokleinstfahrzeug führt, unterliegt zwar den Vorschriften der Straßenverkehrs-Ordnung (vgl. § 1 Abs. 1, § 9 i.V.m. §§ 10 bis 13 eKFV). Uneingeschränkt gelten auch die Regelungen des § 24a StVG zum Konsum von Alkohol und berauschenden Mitteln. Eine Fahrerlaubnis ist aber zum Führen von Elektrokleinstfahrzeugen im öffentlichen Straßenverkehr nicht erforderlich. Vielmehr genügt hierfür die Vollendung des 14. Lebensjahres (§ 3 eKFV).
b) Die Regelungen zum Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge in § 3 FeV beruhen auf § 6 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. y StVG. Danach wird das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur ermächtigt, mit Zustimmung des Bundesrats Rechtsverordnungen zu erlassen über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr, insbesondere über Maßnahmen, um die sichere Teilnahme sonstiger Personen am Straßenverkehr zu gewährleisten, sowie die Maßnahmen, wenn sie bedingt geeignet oder ungeeignet oder nicht befähigt zur Teilnahme am Straßenverkehr sind.
Das Straßenverkehrsgesetz enthält allerdings bei fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen im Unterschied zu den Regelungen für Fahrerlaubnisbewerber und -inhaber hinsichtlich der Fahreignung und Befähigung (vgl. § 2, § 3 und § 6 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c, q und r StVG) keine näheren Vorgaben dazu, welche Maßnahmen der Verordnungsgeber vorsehen darf, wenn Zweifel an der Eignung oder Befähigung zum Führen solcher Fahrzeuge bestehen, unter welchen Voraussetzungen diesen Zweifeln nachzugehen ist und was daraus für den Betreffenden folgt, wenn er oder sie sich als bedingt geeignet oder ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge erweist oder wenn er oder sie an der gebotenen Klärung nicht ausreichend mitwirkt. Insoweit ist fraglich, ob die gesetzliche Verordnungsermächtigung den Anforderungen von Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG genügt, wonach Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetz bestimmt werden müssen. Unabhängig davon bestehen auch Bedenken, ob die pauschale Verweisung in § 3 Abs. 2 FeV auf die für Fahrerlaubnisbewerber oder -inhaber geltenden Vorschriften der §§ 11 bis 14 FeV hinsichtlich der Klärung von Eignungszweifeln angesichts des im Vergleich dazu geringeren Gefährdungspotenzials fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge dem Verhältnismäßigkeitsgebot gerecht wird (zum Vorstehenden vgl. BVerwG, U.v. 4.12.2020 a.a.O. Rn. 32 ff.).
Der Senat sieht jedoch davon ab, das Verfahren auszusetzen und zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 6 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. y StVG, auf dessen Gültigkeit es hier ankommt, gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen, dem insoweit das Verwerfungsmonopol zukommt. Zum einen ist er trotz der dargelegten erheblichen Zweifel noch nicht mit der für eine Vorlage gebotenen Gewissheit (vgl. BVerfG, B.v. 26.4.1988 – 1 BvL 84/86 – BVerfGE 78, 104/117, B.v. 16.12.2014 – 1 BvR 2142/11 – BVerfGE 138, 64 Rn. 75; Wieland in Dreier, GG, 3. Auflage 2018, Art. 100 Rn. 23; Meyer in von Münch/Kunig, GG, 7. Auflage 2021, Art. 100 Rn. 85-87) davon überzeugt, dass § 6 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. y StVG mit dem Grundgesetz nicht vereinbar ist und sich die Beantwortung dieser Frage als unerlässlich darstellt. Die Klärung dieser bisher in der Rechtsprechung und Literatur wenig diskutierten Frage (vgl. einerseits NdsOVG, B.v. 1.4.2008 – 12 ME 35/08 – NJW 2008, 2059 = juris Rn. 6; OVG NW, B.v. 23.4.2015 – 16 E 208/15 – juris Rn. 4-6; andererseits Rebler/Müller, DAR 2016, 690/695; zum Meinungsstand siehe auch Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Auflage 2021, § 6 StVG Rn. 5a, § 3 FeV Rn. 10a; Kreusch in Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, 2. Auflage 2017, § 6 StVG Rn. 6) muss einem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass die Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG in einem dann für längere Zeit auszusetzenden Eilverfahren in Konflikt gerät mit der Garantie effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG. Deshalb ist insoweit in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes Zurückhaltung geboten und über den Antrag im Wege einer Abwägung der Interessen der Verfahrensbeteiligten zu entscheiden (vgl. BayVGH, B.v. 13.1.2015 – 22 CS 14.2323 – BayVBl 2015, 390 Rn. 15 ff.; Morgenthaler in Epping/Hillgruber, BeckOK Grundgesetz, Stand: 15.2.2021, Art. 100 Rn. 18; im Ergebnis ebenso für die vorliegend fragliche Verfassungsmäßigkeit des § 6 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. y StVG: OVG Saarl, B.v. 3.5.2021 – 1 B 30/21 – juris Rn. 32 ff.). Gleiches gilt für die dargelegten Zweifel hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit der untergesetzlichen Regelung in § 3 FeV (vgl. BVerwG, U.v. 4.12.2020 a.a.O. Rn. 38), die ebenfalls nur in einem Hauptsacheverfahren geklärt werden kann.
2. Diese Interessenabwägung führt hier dazu, dass die vom Antragsteller begehrte Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Untersagung, fahrerlaubnisfreie Kraftfahrzeuge im Straßenverkehr zu führen, abzulehnen ist.
Die Antragsgegnerin hat die Untersagung ausdrücklich auf fahrerlaubnisfreie Kraftfahrzeuge beschränkt und somit nicht auf andere fahrerlaubnisfreie Fahrzeuge, insbesondere nicht auf Fahrräder, erstreckt. Die Maßnahme belastet den Antragsteller daher weit weniger als eine ansonsten in der Praxis häufig uneingeschränkt ausgesprochene Untersagung, fahrerlaubnisfreie Fahrzeuge im Straßenverkehr zu führen. In erster Linie ist es dem Antragsteller damit bis auf Weiteres lediglich untersagt, mit Elektrorollern am Straßenverkehr teilzunehmen (zur potenziellen Gefährlichkeit dieser Fahrzeuge vgl. LG Köln, B.v. 9.10.2020 – 117 Qs 105/20 – zfs 2021, 287/288; LG Stuttgart, B.v. 12.3.2021 – 18 Qs 15/21 – Blutalkohol 58 [2021], 163/164). Damit verbleibt ihm die Möglichkeit, auf andere fahrerlaubnisfreie Fahrzeuge auszuweichen, die keine Kraftfahrzeuge sind, also vor allem auf Fahrräder. Diese begrenzte Einschränkung der Mobilität des Antragstellers erscheint aus den folgenden Gründen angemessen und zumutbar.
Der Antragsteller hat einen Elektroroller und damit ein fahrerlaubnisfreies Kraftfahrzeug unter der Wirkung berauschender Mittel sowie nach Mischkonsum von Alkohol und Cannabis im Straßenverkehr geführt. Hierfür spricht der rechtskräftige Bußgeldbescheid vom 9. Dezember 2019, den der Antragsteller gegen sich gelten lassen muss, und der auf den polizeilichen Feststellungen und dem Ergebnis der Blutuntersuchung beruht. In seinem Blut wurden eine THC-Konzentration 6,2 ng/ml und eine Blutalkoholkonzentration von 0,57 ‰ festgestellt, was dem ärztlichen Untersuchungsbericht zufolge aufgrund der Kombinationswirkungen der nachgewiesenen Suchtstoffe und Ethanol zumindest additive Leistungsminderungen erwarten ließ. Wer gelegentlich Cannabis und zusätzlich Alkohol oder andere psychoaktiv wirkende Stoffe konsumiert, ist nach Nr. 9.2.2 zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet, wenn der Mischkonsum in zeitlicher und mengenmäßiger Hinsicht zu einer kombinierten Rauschwirkung führen kann. Dabei dürfen die jeweiligen Mengen nicht so gering sein, dass eine Wirkungskumulation und damit eine Erhöhung des Unfallrisikos ausscheidet (BVerwG, U.v. 14.11.2013 – 3 C 32.12 – BVerwGE 148, 230 Rn. 21 ff.). Da im Blut des Antragstellers THC und Alkohol in Konzentrationen festgestellt wurde, die bereits für sich genommen und ohne Wirkungskumulation zu einer Beeinträchtigung der Fahreignung führen können (für Alkohol vgl. § 24a Abs. 1 StVG; für Cannabis vgl. § 24a Abs. 2 und 3 StVG; BGH, B.v. 14.2.2017 – 4 StR 422/15 – BGHSt 62, 42 Rn. 14 ff. und den im Bundeseinheitlichen Tatbestandskatalog für Straßenverkehrsordnungswidrigkeiten [12. Auflage, Stand: 1.11.2017, https://www.kba.de/DE/ZentraleRegister/ FAER/BT_KAT_OWI/btkat_node.html] vorgesehenen THC-Grenzwert von 1 ng/ml im Blutserum; ebenso BVerwG, U.v. 11.4.2019 – 3 C 114.17 – BVerwGE 165, 215 Rn. 23 ff.; siehe auch Hentschel/Krumm, Fahrerlaubnis Alkohol/Drogen im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht, 7. Auflage 2018, Rn. 620), kann hier ohne Weiteres von einer kombinierten Rauschwirkung ausgegangen werden, die das Unfallrisiko erhöht hat. Mit 6,2 ng/ml ist der THC-Grenzwert von 1,0 ng/ml sogar weit überschritten.
Es kommt hinzu, dass im Blut des Antragstellers eine – wenn auch geringe – Konzentration von 5,6 ng/ml von Amphetamin festgestellt wurde. Auch wenn diese deutlich unterhalb des im Bundeseinheitlichen Tatbestandskatalog für Amphetamin festgelegten Grenzwerts von 25 ng/ml und damit dem Gutachten vom 8. Oktober 2019 zufolge „in einem vergleichsweise sehr niedrigen Bereich“ liegt, ist dies gleichwohl für die Fahreignung nicht irrelevant. Zum einen ist davon auszugehen, dass auch eine Amphetaminkonzentration in geringer Höhe die durch den THC- und Alkoholkonsum eingetretene Rauschwirkung nochmals steigert. Zum anderen ist der Amphetamin-Grenzwert nur für die Ahndung als Ordnungswidrigkeit gemäß § 24a Abs. 2 und 3 StVG relevant. Im Fahrerlaubnisrecht führt hingegen jeglicher Amphetaminkonsum unabhängig von der Menge und ohne konkreten Zusammenhang mit einer Teilnahme am Straßenverkehr zum Verlust der Fahreignung (Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV und stRspr, vgl. BayVGH, B.v. 5.2.2018 – 11 ZB 17.2069 – Blutalkohol 55, 264 = juris Rn. 10 m.w.N.). Soweit der Antragsteller einwendet, nach dem Gutachten vom 8. Oktober 2019 sei der festgestellte Wert nur „durch eine gering dosierte Aufnahme erklärbar“, käme es darauf somit nicht an. Abgesehen davon zitiert der Antragsteller das Gutachten insoweit unvollständig. Als weitere mögliche Erklärung für die gemessene niedrige Konzentration nennt das Gutachten eine „einige Zeit zurückliegende Aufnahme“, für die demnach von einer höheren Dosis auszugehen wäre.
Der Antragsteller kann sich auch nicht mit Erfolg auf einen unbewussten Konsum berufen. Hierfür fehlt jegliche plausible Erklärung. Die vom Antragsteller geltend gemachte unbewusste Einnahme von Betäubungsmitteln stellt nach allgemeiner Lebenserfahrung eine seltene Ausnahme dar. Wer sich darauf beruft, muss einen detaillierten, in sich schlüssigen und auch im Übrigen glaubhaften Sachverhalt vortragen, der einen solchen Geschehensablauf als ernsthaft möglich erscheinen lässt und der damit auch zumindest teilweise der Nachprüfung zugänglich ist (stRspr, vgl. BayVGH, B.v. 29.12.2020 – 11 CS 20.2355 – juris Rn. 14 m.w.N.). Wie es zu einem nicht bewussten Cannabiskonsum nach der Fahrt mit dem E-Roller gekommen sein soll, ist hier nicht ansatzweise ersichtlich. Da der Antragsteller nach der Fahrt kein Cannabisprodukt geraucht haben kann, käme allenfalls eine orale Aufnahme in Betracht, die jedoch aufgrund der wesentlich langsameren Resorption (vgl. Hettenbach/Kalus/Möller/Pießkalla/Uhle, Drogen und Straßenverkehr, 3. Auflage 2016, § 3 Rn. 136) in der kurzen Zeit bis zur Blutentnahme kaum zu dem festgestellten Wert hätte führen können. Außerdem erscheint eine unbewusste Aufnahme in einer solchen Situation völlig lebensfremd. Es ist daher davon auszugehen, dass der Antragsteller bewusst Cannabisprodukte konsumiert hat.
Gleiches gilt für den Amphetaminkonsum. Nach den polizeilichen Feststellungen kam es nach der Anhaltung des Antragstellers zu einer kurzen Flucht, bei der die Polizeikräfte eine „orale Aufnahme von unbekanntem BTM“ beobachtet haben. Inwieweit dies unbewusst geschehen sein soll, bleibt ebenso unerfindlich wie der Erklärungsversuch des Antragstellers in der Beschwerdebegründung, er habe bei der polizeilichen Kontrolle offenbar eine mit Amphetamin kontaminierte Substanz zu sich genommen. Die einzig plausible Erklärung ist, dass der Antragsteller eine Substanz mit sich geführt hat und verhindern wollte, dass diese im Rahmen der Kontrolle bei ihm gefunden wird. Dass die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung eines Vergehens nach § 29 BtMG gemäß Verfügung vom 19. Juli 2019 nach § 45 Abs. 1 JGG abgesehen hat, spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle und kann im Übrigen schon aufgrund des Zeitpunkts der Verfügung nur einen weiteren Vorfall vor dem hier relevanten Vorkommnis am 18. August 2019 betreffen.
Im Rahmen der Interessenabwägung ist nicht darüber zu entscheiden, ob der Konsum von Amphetamin und der Mischkonsum von Cannabis und Alkohol die Fahreignung bei fahrerlaubnisfreien Fahrzeug ebenso wie bei fahrerlaubnispflichtigen Fahrzeugen ohne Weiteres entfallen lässt oder ob dies aus Gründen der Verhältnismäßigkeit durch Einholung eines ärztlichen oder medizinisch-psychologischen Fahreignungsgutachtens zum Konsumverhalten oder zur Trennungsbereitschaft des Betreffenden zu klären ist. Aufgrund der dargelegten Umstände muss hier jedenfalls das nur in geringem Umfang eingeschränkte Mobilitätsbedürfnis des Antragstellers, der mit einem fahrerlaubnisfreien Kraftfahrzeug unter der Wirkung von Alkohol und berauschenden Mitteln am Straßenverkehr teilgenommen hat, hinter dem Schutz von Leben und Gesundheit der anderen Verkehrsteilnehmer zurückstehen.
3. Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen.
4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 1 i.V.m. § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1 und 46.14 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Von einer Reduzierung im Hinblick darauf, dass sich die Untersagung auf fahrerlaubnisfreie Kraftfahrzeuge beschränkt, sieht der Senat zur Vermeidung kleinteiliger Differenzierungen ab.
5. Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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