Arbeitsrecht

3 P 74/21 Me

Aktenzeichen  3 P 74/21 Me

Datum:
13.7.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG Meiningen 3. Kammer
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:VGMEINI:2021:0713.3P74.21ME.00
Normen:
§ 2 PersVG TH 2019
§ 69 PersVG TH 2019
§ 73 PersVG TH 2019
Spruchkörper:
undefined

Leitsatz

Nach der Novellierung des ThürPersVG kommt dem Personalrat eine Allzuständigkeit zu, die zu seiner Beteiligung bei allen personellen, sozialen, organisatorischen und innerdienstlichen Maßnahmen führt.

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass die Entscheidung des Beteiligten zu 2) über die Verlängerung der Probezeit der Mitbestimmung des Antragstellers unterfällt.
II. Der Gegenstandswert wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt die Mitbestimmung bei der Verlängerung der laufbahnrechtlichen Probezeit einer Beamtin.
Mit Schreiben vom 02.10.2020 wurde der Antragsteller vom Beteiligten zu 1) gebeten, der Verlängerung der Probezeit der Beamtin … H… zuzustimmen. Der Antragsteller hat die Zustimmung mit Schreiben vom 15.10.2020 verweigert. Daraufhin hat der Beteiligte zu 1) das Stufenverfahren eingeleitet. Mit Schreiben vom 09.11.2020 hat der Beteiligte zu 2) mitgeteilt, dass er kein Stufenverfahren durchführen werde. Die Verlängerung der Probezeit unterfalle nicht der eingeschränkten Mitbestimmung. Die Maßnahme sei nicht im Katalog des § 73 Abs. 2 ThürPersVG genannt und sei auch nicht nach ihrer Art und Bedeutung vergleichbar. Die Landespolizeidirektion werde daher angewiesen, das Mitbestimmungsverfahren abzubrechen. Die Maßnahme wurde sodann vollzogen.
Am 19.01.2021 hat der Antragsteller ein personalvertretungsrechtliches Beschlussverfahren eingeleitet. Die Verlängerung der Probezeit unterliege seiner Mitbestimmung. Der Antrag sei als abstrakter Feststellungsantrag zulässig, da – losgelöst vom Einzelfall – zwischen den Beteiligten streitig sei, ob die Verlängerung der Probezeit der Mitbestimmung des Antragstellers unterfalle. Dies sei nach §§ 69 Abs. 1, 73 Abs. 2 ThürPersVG der Fall. Es komme nicht darauf an, ob die Verlängerung der Probezeit der Art und Bedeutung nach mit einer im Katalog des § 73 Abs. 2 ThürPersVG genannten Maßnahme vergleichbar sei. Der Gesetzgeber habe bestimmt, dass der Personalrat bei allen personellen Maßnahmen, die einzelne Beschäftigte betreffen, mitbestimmt. Im Katalog des § 73 Abs. 2 ThürPersVG seien die Fälle der Mitbestimmung nur beispielhaft aufgezählt; durch die Formulierung “insbesondere” sei klargestellt, dass die Aufzählung nicht abschließend sei. Seit der Gesetzesänderung im Juni 2019 bestimme der Personalrat in Thüringen bei allen personellen Einzelmaßnahmen mit, unabhängig davon, ob sie in § 73 Abs. 2 ThürPersVG genannt seien. Der Wortlaut des § 69 Abs. 1 Satz 1 ThürPersVG sei eindeutig. Der Gesetzgeber habe eine Abkehr von der Zuständigkeit der Personalvertretung nach einem abschließenden Katalog beabsichtigt und eine umfassende Zuständigkeit angestrebt. Er habe in § 69 Abs. 1 Satz 1 ThürPersVG ein Modell der Allzuständigkeit geschaffen, um Lücken bei der Beteiligung des Personalrats zu schließen. Eine entgegenstehende Rechtsprechung habe das Bundesverwaltungsgericht inzwischen aufgegeben. Mit Beschluss vom 15.10.2018 (5 P 9/17) habe es entschieden, dass die beispielhafte, nicht abschließende Aufzählung von Mitbestimmungstatbeständen keine abschließende Regelung darstellt, wenn der Gesetzgeber die Formulierung “insbesondere” benennt. Unabhängig davon korrespondiere § 73 Abs. 2 ThürPersVG mit dem Thüringer Laufbahngesetz, das Regelungen über die Einstellung, die Probezeit, Auswahlentscheidungen, Beförderungen, den Aufstieg, den Laufbahnwechsel und anderes enthalte. Auch § 73 Abs. 2 ThürPersVG regele die Mitbestimmung bei der Einstellung, der Beförderung, dem Laufbahnwechsel, Entscheidungen im Zusammenhang mit dem Aufstieg und z. B. die Entlassung. Die wesentlichen Entscheidungen des Laufbahngesetzes seien also in § 73 Abs. 2 ThürPersVG benannt. Bei der Verlängerung der Probezeit handele es sich um eine laufbahnrechtliche Entscheidung.
Der Bevollmächtigte des Antragstellers beantragt,
festzustellen, dass die Entscheidung des Beteiligten zu 2) über die Verlängerung der Probezeit der Mitbestimmung des Antragstellers unterfällt.
Der Vertreter des Beteiligten zu 1) und 2) beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Der Abbruch des Stufenverfahrens sei rechtmäßig gewesen und habe kein Mitbestimmungsrecht des Antragstellers verletzt, denn ein solches bestehe nicht. Aus § 69 Abs. 1 Satz 1 ThürPersVG ergebe sich kein Mitbestimmungsrecht hinsichtlich der Anordnung einer Probezeitverlängerung gem. § 33 Abs. 4 ThürLaufbG. Nach § 69 Abs. 1 ThürPersVG bestimme der Personalrat nach Maßgabe dieser Vorschrift und der §§ 69a bis 78 ThürPersVG bei allen persönlichen, sozialen, organisatorischen und sonstigen innerdienstlichen Maßnahmen mit, die die Beschäftigten der Dienststelle insgesamt, Gruppen von ihnen oder einzelne Beschäftigte betreffen oder sich auf sie auswirken. Ein umfassendes Mitbestimmungsrecht ergebe sich daraus jedoch nicht, denn seine Begrenzung für bestimmte Arten von Maßnahmen sei schon aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten. Die “Allzuständigkeit” werde durch die Katalogtatbestände des § 72 Abs. 5 Satz 1, 73 ThürPersVG begrenzt. Beide Vorschriften enthielten keine Regelung der Beteiligung bei einer Probezeitverlängerung. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung sei einem Regelbeispielkatalog der gesetzgeberische Wille zu entnehmen, dass andere als die in ihnen ausdrücklich genannten Maßnahmen nur dann der Mitbestimmung der Personalvertretung unterliegen sollen, wenn sie in ihren Auswirkungen auf die Dienststelle und die Beschäftigten den beispielhaft geregelten Maßnahmen in etwa gleichkommen, also einem der Beispielsfälle nach Art und Bedeutung vergleichbar sind. Ihrer Art nach vergleichbar sei eine Maßnahme, wenn sie eine ähnliche rechtliche Wirkungsweise und eine ähnliche rechtliche Funktion aufweise. Ihrer Bedeutung nach vergleichbar sei eine Maßnahme, die die Interessen der Beschäftigten in ähnlicher Art und Weise berühre und in ähnlichem Umfang kollektiven Schutzbedarf auslöse. Der Gesetzgeber habe schon im Gesetzgebungsverfahren zum Ausdruck gebracht, dass er einerseits eine Allzuständigkeit der Personalvertretung hinsichtlich der Tatbestände der eingeschränkten Mitbestimmung habe schaffen wollen, diese aber mittels Regelbeispielen gemäß den Vorgaben der höchstrichterlichen Rechtsprechung vom 24.06.2014 (BVerwG, 6 P 1/14) habe konkretisieren bzw. begrenzen wollen. Dem stehe auch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vom 15.10.2018 (5 P 9/17) nicht entgegen, denn diese habe sich ausdrücklich nur auf die Rechtslage nach dem bremischen Personalvertretungsgesetz bezogen. Das PersVG BR sei mit dem ThürPersVG nicht vergleichbar, denn es enthalte eine sog. Unberührtheitsklausel, wonach es bei der in § 52 Abs. 1 Satz 1 PersVG BR normierten umfassenden Allzuständigkeit und damit bei einem Mitbestimmungsrecht verbleibe. Eine solche Unberührtheitsklausel enthalte das ThürPersVG nicht. Im entsprechenden Gesetz des Landes Schleswig-Holstein gebe es zwar eine Generalklausel, die eine Allzuständigkeit begründe, aber keinen Beispielkatalog, der die Mitbestimmungstatbestände konkretisiere oder begrenze.
Die Verlängerung der Probezeit sei keine Maßnahme, die nach Art und Bedeutung mit einer im Katalog des § 73 ThürPersVG geregelten Maßnahme vergleichbar sei.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und die Behördenvorgänge des Beteiligten zu 2) verwiesen.
II.
Der Feststellungsantrag ist zulässig und hat in der Sache Erfolg.
Das Verwaltungsgericht ist nach § 83 Abs. 1 Nr. 3 Thüringer Personalvertretungsgesetz (ThürPersVG) zuständig, da Gegenstand des Verfahrens eine Frage der Zuständigkeit der Personalvertretung ist.
Der Antrag ist zulässig. Für die Bejahung des Feststellungsinteresses reicht es aus, dass die mit dem Feststellungsantrag aufgeworfenen Rechtsfragen sich auf mögliche künftige Beteiligungsverfahren beziehen, die dem Sachverhalt des zu entscheidenden Verfahrens in den Grundzügen entsprechen (VG Ansbach, B. v. 04.08.2016 – AN 7 P 16.00296 – juris).
Die Beteiligten streiten im vorliegenden Fall um die Frage der Mitbestimmung bei der Verlängerung der laufbahnrechtlichen Probezeit der Beamtin … H… im Geschäftsbereich der Beteiligten und einhergehend damit um die Frage der sogenannten Allzuständigkeit der Personalvertretung. Es ist davon auszugehen, dass sich diese Rechtsfrage in einer Vielzahl künftiger Beteiligungsverfahren stellen wird.
Der Antrag ist auch begründet.
Nach der Novellierung des Thüringer Personalvertretungsgesetzes durch das Thüringer Gesetz zur Anpassung personalvertretungsrechtlicher Vorschriften vom 28.05.2019 in der Fassung vom 23.01.2020 (GVBl.2020, 1) ist zwischen den Beteiligten streitig, ob den Personalvertretungen mit diesem Gesetz nunmehr eine umfassende Allzuständigkeit zugestanden werden sollte. Zur Überzeugung der Kammer steht fest, dass dem Personalrat nunmehr eine Allzuständigkeit zukommt.
Der Gesetzeswortlaut ist insoweit unklar.
Nach § 2 Abs. 2 ThürPersVG bestimmt der Personalrat nach Maßgabe der §§ 69 bis 78 bei allen personellen, sozialen, organisatorischen und innerdienstlichen Maßnahmen der Dienststelle für die im Sinne des § 4 in der Dienststelle Beschäftigten mit. In § 69 Abs. 1 ThürPersVG ist geregelt, dass der Personalrat nach Maßgabe dieser Vorschrift sowie der §§ 69a bis 78 bei allen personellen, sozialen, organisatorischen und innerdienstlichen Maßnahmen, die die Beschäftigten der Dienststelle insgesamt, Gruppen von ihnen oder einzelne Beschäftigte betreffen oder sich auf sie auswirken, mitbestimmt. Der Wortlaut dieser Vorschriften spricht für eine sog. Allzuständigkeit des Personalrats.
Dem steht entgegen, dass die §§ 72 Abs. 5 und 73 ThürPersVG Katalogtatbestände enthalten, in denen aufgeführt wird, welche Tatbestände der vollen Mitbestimmung (§ 72 Abs. 5 ThürPersVG) oder der eingeschränkten Mitbestimmung (§ 73 Abs. 1 bis 3 ThürPersVG) unterliegen, was den Schluss zuließe, dass eine Beteiligung des Personalrats lediglich in den aufgezählten und den ihnen nach Art und Bedeutung vergleichbaren Tatbeständen vorgesehen ist, wenn die Maßnahme in ihren Auswirkungen auf die Dienststelle und die Beschäftigten mit der beispielhaft geregelten Maßnahme vergleichbar ist.
Ist der Gesetzeswortlaut demnach widersprüchlich, ist der Wille des Gesetzgebers anhand der Gesetzgebungsgeschichte des ThürPersVG zu ermitteln.
Nach Auswertung der Begründung des Gesetzentwurfs, der Plenarprotokolle, der Protokolle des Innen- und Kommunalausschusses, der Stellungnahmen der beteiligten Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Gesetzgeber mit der Neufassung des Thüringer Personalvertretungsgesetzes eine umfassende Allzuständigkeit für die Personalvertretungen schaffen wollte (so auch VG Weimar, B. v. 28.06.2021 – 4 E 315/21 We – juris; Rehak, Änderungen des Personalvertretungsgesetzes Thüringen – Die Novellierung mit Gesetz vom 28. Mai 2019, PersV 2020, S. 84 ff.; a. A. Gorf/Braun, Die Systematik der umfassenden Mitbestimmung im neuen Thüringer Personalvertretungsgesetz, ThürVBl. 2021, S. 1ff.). An der in einem Eilverfahren mit Beschluss vom 16.08.2020 (3 E 707/20 Me) vertretenen gegenteiligen Rechtsauffassung hält die Kammer nicht fest.
Ein Gesetzentwurf der Landesregierung zur Anpassung personalvertretungsrechtlicher Vorschriften wurde zunächst im April 2018 in den Landtag eingebracht. Der Minister für Inneres und Kommunales, Georg Maier, stellte den Gesetzentwurf in der Landtagssitzung am 26.04.2018 vor und wies unter anderem darauf hin, dass die Tatbestände der vollen und eingeschränkten Mitbestimmung erweitert worden seien, um einen vermittelnden Entwurf zwischen den Positionen der Spitzenorganisationen der Gewerkschaften und der kommunalen Seite zu erarbeiten. Der Landtag beschloss nach eingehender Debatte die Überweisung des Gesetzentwurfs in den Innen- und Kommunalausschuss. Dieser hat sich über ein Jahr in sechs Sitzungen damit befasst und zahlreiche Stellungnahmen von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen dazu eingeholt. Darüber hinaus hat der Ausschuss Anhörungen in öffentlicher Sitzung durchgeführt und Vertreter des Gemeinde- und Städtebunds Thüringen, des Kommunalen Arbeitgeberverbands Thüringen, des DGB Hessen-Thüringen, des Thüringer Beamtenbunds, der Rhön-Rennsteig-Sparkasse, der Fachhochschule Erfurt, der Arbeitsgemeinschaft der Hauptpersonalräte, der Stadtverwaltung Jena, der Konferenz der Thüringer Studierendenschaften, der Friedrich-Schiller-Universität und der Thüringer Landespräsidentenkonferenz angehört. In seiner 68. Sitzung am 21.03.2019 hat der Innen- und Kommunalausschuss einen Änderungsantrag zu dem Gesetzentwurf der Landesregierung beschlossen. Unter anderem wurde mit diesem nunmehr erstmalig eine Ergänzung des § 2 durch Absatz 2 der Vorschrift sowie eine vollständige Änderung des § 69 ThürPersVG vorgeschlagen. Der geänderte Gesetzentwurf wurde am 09.05.2019 in den Landtag eingebracht und vom Landtag angenommen.
Zwar sprechen Passagen der Gesetzesbegründung zu § 73 ThürPersVG dafür, dass das Regelungsziel eine Öffnung im Sinne der Allzuständigkeit war, diese jedoch durch die Aufnahme der Mitbestimmungstatbestände begrenzt werden sollte. So heißt es, aufgrund der Zuständigkeit der Personalräte in allen personellen, sozialen, organisatorischen und innerdienstlichen Angelegenheiten seien diesen somit Beispieltatbestände an die Hand gegeben worden, damit sie bei der Beurteilung, ob ein Sachverhalt mitbestimmungspflichtig ist, Erfahrungen sammeln könnten. Die Festlegung von Katalogtatbeständen in Verbindung mit dem Wort “insbesondere” führe dazu, dass andere als die in der Vorschrift ausdrücklich genannten Maßnahmen mitbestimmungspflichtig seien, wenn sie in ihren Auswirkungen auf die Dienststelle und die Beschäftigten mit der beispielhaft geregelten Maßnahme nach Art und Bedeutung vergleichbar seien. Ihrer Art nach sei eine Maßnahme mit einer ausdrücklich geregelten Maßnahme vergleichbar, wenn sie dieser in ihrer rechtlichen Struktur ähneln würde, d. h. eine ähnliche rechtliche Wirkungsweise und eine ähnliche rechtliche Funktion aufweise. Ihrer Bedeutung nach sei eine Maßnahme mit einer ausdrücklich geregelten Maßnahme vergleichbar, wenn sie in ähnlicher Art und Weise die Interessen der Beschäftigten berühre und in ähnlichem Umfang kollektivrechtlichen Schutzbedarf auslöse.
Diese Begründung entspricht im Wortlaut der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Beispielkatalogen in Personalvertretungsgesetzen anderer Länder. Diesen müsse – so das Bundesverwaltungsgericht – ein Wille des Gesetzgebers entnommen werden, dass andere als die in ihnen ausdrücklich erfassten Maßnahmen nur dann der Mitbestimmung des Personalrats unterliegen sollen, wenn sie in ihren Auswirkungen auf die Dienststelle und die Beschäftigten den beispielhaft geregelten Maßnahmen in etwa gleichkommen (BVerwG, B. v. 24.06.2014 – 6 P 1/14 – juris, Rn. 17 ff.; so auch OVG Rheinland-Pfalz, B. v. 04.04.2018 – 5 A 10062/18 -, juris, Rn. 24 – 27).|
Jedoch passt der Wortlaut dieser Gesetzesbegründung nicht zu den übrigen Gesetzesmaterialien. Diesen kann gerade nicht der Wille des Gesetzgebers entnommen werden, die Zuständigkeit der Personalvertretungen auf die in den Beispielkatalogen aufgezählten Tatbestände zu beschränken. Aus den Äußerungen der Abgeordneten in den Plenarprotokollen, den Protokollen des Innen- und Kommunalausschusses und aus den Stellungnahmen der beteiligten Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen ergibt sich vielmehr der Wille des Thüringer Gesetzgebers, mit dem neuen ThürPersVG eine Allzuständigkeit der Personalvertretungen zu begründen.
Im laufenden Gesetzgebungsverfahren hatten sowohl der Thüringer Beamtenbund als auch der DGB gefordert, die Novellierung des ThürPersVG am Personalvertretungsgesetz des Landes Schleswig-Holstein zu orientieren und eine umfassende Allzuständigkeit des Personalrats einzuführen.
Der Regierungsentwurf zum ThürPersVG im April 2018 (Landtagsdrucksache 6/5575 vom 18.04.2018, Plenarprotokoll vom 26.04.2018, S. 9961 ff.) hatte den alten § 2 und § 69 Abs. 1 unverändert gelassen. Durch die Beschlussempfehlung des Innen- und Kommunalausschusses vom 02.05.2019 (Beschlussempfehlung des Innen- und Kommunalausschusses vom 02.05.2019 zu dem Gesetzentwurf der Landesregierung – Drucksache 6/5575 – Thüringer Gesetz zur Anpassung personalvertretungsrechtlicher Vorschriften) wurde § 2 Abs. 2 erstmalig eingefügt und § 69 Abs. 1 maßgeblich geändert. Nachdem zuvor geregelt war, dass eine Maßnahme, die der Mitbestimmung des Personalrats unterliegt, nur mit seiner Zustimmung getroffen werden kann, enthält § 69 Abs. 1 jetzt die Regelung, dass der Personalrat bei allen personellen, sozialen, organisatorischen und sonstigen innerdienstlichen Maßnahmen der Dienststelle mitbestimmt. Damit ist der Innen- und Kommunalausschuss im Wortlaut den Vorschlägen des Thüringer Beamtenbundes und des DGB gefolgt, die sich für eine solche Regelung bereits in ihren ersten Stellungnahmen aus dem Jahr 2017 zum Regierungsentwurf ausgesprochen hatten (Anlagen zum Gesetzentwurf der Landesregierung – Thüringer Gesetz zur Anpassung personalvertretungsrechtlicher Vorschriften, Drucksache 6/5575 vom 18.04.2018). Dementsprechend begrüßten beide Organisationen in ihren Stellungnahmen bzw. der Anhörung zum Änderungsentwurf des Innen- und Kommunalausschusses die nunmehr einzuführende Allzuständigkeit des Personalrates und sahen ihre Kernziele damit als erfüllt an. Der Vertreter des Beamtenbunds wies in der Anhörung allerdings bereits darauf hin, dass eine Kombination der geplanten Allzuständigkeit mit der Auflistung der Zuständigkeitsbereiche Risiken berge, die sich erst in der Praxis bewerten ließen (Ergebnis- und Beschlussprotokoll der öffentlichen 68. Sitzung des Innen- und Kommunalausschusses am 21.03.2019 nebst Anlagen).
Nach der Begründung zu § 2 Abs. 2 des neuen Gesetzentwurfs sollte eine Allzuständigkeit eingeführt und gesetzlich verankert werden und eine umfassende Zuständigkeit des Personalrats bei allen personellen, sozialen, organisatorischen und sonstigen innerdienstlichen Maßnahmen der Dienststelle unter Verweis auf die §§ 69 bis 78 festgelegt werden. Durch die Verortung der Vorschrift im Allgemeinen Teil des Gesetzes werde das Gesetzesziel festgelegt, die konkreten Regelungen zur Mitbestimmung fänden sich im 8. Teil. Diesen in § 2 Abs. 2 enthaltenen Grundsatz konkretisiert nach seiner Begründung der § 69 Abs. 1 ThürPersVG (Ergebnis- und Beschlussprotokoll der öffentlichen 68. Sitzung des Innen- und Kommunalausschusses am 21.03.2019, S. 18).
In der Landtagssitzung vom 09.05.2019 hat der Abgeordnete Kräuter den geänderten Gesetzentwurf vorgestellt und dessen Inhalt erläutert (Plenarprotokoll vom 09.05.2019, Drucksache 6/5575 zur Beschlussempfehlung des Innen- und Kommunalausschusses, Drucksache 6/7173, S. 12651 ff.). Er hat vorgetragen, der Gesetzentwurf enthalte drei wesentliche Änderungen, nämlich die zukünftige Mitbestimmung des Personalrats in allen personellen, sozialen, organisatorischen und innerdienstlichen Maßnahmen der Dienststelle, die Verbesserung der Freistellungsstaffel, weil die wesentliche Stärkung der Rechte der Personalratsmitglieder zu einer Mehrung der Aufgaben führe, sowie abweichende Regelungen bei den Hochschulen. Den nachfolgenden Redebeiträgen der Abgeordneten der Fraktionen der CDU, SPD, AFD und Bündnis 90/Die Grünen ist zu entnehmen, dass sie von einer Allzuständigkeit der Personalräte ausgehen.
So hat die Abgeordnete Lehmann ausgeführt (Plenarprotokoll vom 09.05.2019, S. 12656):
“An diesem Punkt haben die regierungstragenden Fraktionen die grundlegendste Änderung vorgenommen, indem wir den Personalräten künftig die Mitbestimmung in allen personellen, sozialen, organisatorischen und sonstigen innerdienstlichen Maßnahmen eröffnen. Davon ausgehend haben wir das Mitbestimmungsverfahren verändert, sodass in Zukunft nicht mehr die Frage besteht, ob der Personalrat zu beteiligen ist oder nicht. Er ist immer zu beteiligen. Zukünftig steht die Frage im Mittelpunkt, was passiert, wenn er einer Maßnahme nicht zustimmt, und hier haben wir die Einigungsstelle als Schlichtungsinstanz gestärkt.”
Insbesondere der Abgeordnete Adams von Bündnis 90/Die Grünen hat dies deutlich gemacht. Er hat erklärt (Plenarprotokoll vom 09.05.2019, S. 12659):
“Wir haben uns mit diesem Gesetz stark an Schleswig-Holstein orientiert, vor allem, indem wir die Mitbestimmung der Personalräte in allen personellen, sozialen, organisatorischen und sonstigen innerdienstlichen Maßnahmen der Dienststelle eingeführt haben. Das ist der wirklich revolutionäre Schritt, das ist das Besondere, das Neue an diesem Gesetz und das kann man nicht oft genug betonen. Das ist ein großer Fortschritt und war auch eine Kernforderung der Personalräte und Gewerkschaften. Für uns heißt das, dass der Personalrat nun umfassend und fortlaufend in all diese Maßnahmen einbezogen wird, auch wenn es nach Maßgabe der §§ 69 und 78 geschieht. Dabei haben wir unter anderem den Mitbestimmungskatalog des § 73, der vorher abschließend war, beibehalten, nun aber umformuliert. Durch das Wort “insbesondere” zeigt er, dass dies die Beispiele sind und macht deutlich, was damit gemeint ist.”
Dem gesamten Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens und den Äußerungen aller daran Beteiligten ist zu entnehmen, dass der Gesetzgeber erstmalig in Thüringen eine Allzuständigkeit des Personalrats einführen wollte.
Dementsprechend formuliert § 2 Abs. 2 ThürPersVG unter der Überschrift “Grundsätze der Zusammenarbeit” das Gesetzesziel, nämlich die Mitbestimmung des Personalrats bei allen personellen, sozialen, organisatorischen und innerdienstlichen Maßnahmen der Dienststelle. In § 69 Abs. 1 Satz 1 ThürPersVG wird unter der Überschrift “Umfang der Mitbestimmung” nochmals klargestellt, dass der Personalrat nach Maßgabe dieser Vorschrift sowie der §§ 69a bis 78 bei allen personellen, sozialen, organisatorischen und innerdienstlichen Maßnahmen, die die Beschäftigten der Dienststelle insgesamt, Gruppen von ihnen oder einzelne Beschäftigte betreffen oder sich auf sie auswirken, mitbestimmt.
In Satz 2 der Vorschrift sowie in den Absätzen 3 bis 6 zählt das Gesetz ausdrücklich die Maßnahmen auf, in denen eine Mitbestimmung nicht bzw. nur dann stattfindet, wenn Beschäftigte es beantragen oder Betroffene zustimmen. Daraus ist zu schließen, dass § 69 ThürPersVG den Umfang der Mitbestimmung abschließend regelt und bei allen anderen Maßnahmen als den in der Vorschrift genannten eine Mitbestimmung stattfindet. Der Verweis in § 69 Abs. 1 ThürPersVG auf die §§ 69a bis 78 ThürPersVG bezieht sich ersichtlich nur auf das Verfahren der Mitbestimmung und die Durchführung des Einigungsstellenverfahrens.
Allein durch den Umstand, dass § 73 ThürPersVG Katalogtatbestände aufzählt, in denen eine eingeschränkte Mitbestimmung stattfindet, wird die eindeutige Formulierung in § 2 Abs. 2 und § 69 Abs. 1 ThürPersVG nicht in der Weise relativiert, dass eine Mitbestimmung nur bei den den Katalogtatbeständen nach Art und Bedeutung vergleichbaren Maßnahmen stattfindet. Der Begründung zum Gesetzentwurf (Ergebnis- und Beschlussprotokoll der öffentlichen 68. Sitzung des Innen- und Kommunalausschusses, S. 28) ist zu entnehmen, dass durch die Einfügung des Wortes “insbesondere” die Regelung im Sinne der Allzuständigkeit geöffnet werden sollte. Die Begründung stellt weiter klar, dass die Katalogtatbestände in das Gesetz aufgenommen wurden, um den Personalvertretungen aufgrund der Einführung der Allzuständigkeit Beispieltatbestände an die Hand zu geben, damit sie bei der Beurteilung, ob ein Sachverhalt mitbestimmungspflichtig ist, Erfahrungen sammeln können. Dadurch sollte die Gefahr von Streitigkeiten zwischen Dienststelle und Personalrat über die Mitbestimmungspflicht einer Maßnahme minimiert werden. Zwar zitiert die Begründung im Folgenden die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, nach der andere als die in der Vorschrift genannten Maßnahmen mitbestimmungspflichtig sind, wenn sie in ihren Auswirkungen auf die Dienststelle und die Beschäftigten mit den beispielhaft geregelten Maßnahmen nach Art und Bedeutung vergleichbar sind. Diese Passage der Begründung, die auch der Abgeordnete Kräuter in der Landtagsdebatte am Ende seiner Ausführungen wörtlich wiedergegeben hat, steht jedoch in so starkem Widerspruch zur Begründung des neuen § 2 Abs. 2 und § 69 Abs. 1 ThürPersVG, dass die Kammer mit dem VG Weimar (B. v. 28.06.2021 – 4 E 315/21 We – juris) davon ausgeht, dass es sich um eine Art “Büroversehen” handelt, dem keine maßgebliche Bedeutung beigemessen werden kann. Es ist eher anzunehmen, dass sich die Abgeordneten der Tragweite dieses Begründungstextes vor allem im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (B. v. 24.06.2014 – 6 P 1/14 – juris) nicht bewusst waren. Denn die gesamte Gesetzgebungsgeschichte sowie die Begründung zu § 2 Abs. 2 ThürPersVG steht der Begründung zu § 73 ThürPersVG diametral entgegen. In ihr heißt es (Ergebnis- und Beschlussprotokoll der öffentlichen 68. Sitzung des Innen- und Kommunalausschusses, S. 18):
“Mit der Änderung wird ein neuer Absatz 2 in § 2 eingefügt. Diese Vorschrift regelt den Gegenstand der Mitbestimmung. Mit ihr wird die Allzuständigkeit in das Thüringer Personalvertretungsgesetz unter Beachtung des Grundsatzbeschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Mai 1995, Az.: 2 BvF 1/92 eingeführt und gesetzlich verankert. Es wird eine umfassende Zuständigkeit des Personalrats bei allen personellen, sozialen, organisatorischen und innerdienstlichen Maßnahmen der Dienststelle unter Verweis auf die §§ 69 bis 78 festgelegt. Diese Zuständigkeit wird ausschließlich in Form der Mitbestimmung wahrgenommen. Durch die Verortung der Vorschrift im Allgemeinen Teil des Gesetzes wird das Gesetzesziel festgelegt, die konkreten Regelungen zur Mitbestimmung befinden sich im Achten Teil des Gesetzes – Beteiligung der Personalvertretungen.”
In der Begründung zu § 69 Abs. 1 ThürPersVG findet sich folgende Formulierung (Ergebnis- und Beschlussprotokoll der öffentlichen 68. Sitzung des Innen- und Kommunalausschusses, S. 22):
“Absatz 1 konkretisiert den bereits in § 2 Abs. 2 enthaltenen Grundsatz über die Mitbestimmung der Personalvertretungen. Voraussetzung für die Mitbestimmung ist das Vorliegen einer Maßnahme. Dabei handelt es sich um eine Entscheidung der Dienststelle, deren Ziel die Veränderung eines bestehenden Zustandes ist und die sich auf die Beschäftigten auswirkt oder sie betrifft.”
Dies lässt den Schluss zu, dass die Katalogtatbestände des § 73 ThürPersVG als Beispiele für personelle, soziale, organisatorische und innerdienstliche Maßnahmen im Sinne des Gesetzes dienen sollten und nicht als Beispiele für die Mitbestimmungsbedürftigkeit einer solchen Maßnahme.
Dem steht auch nicht die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Bremischen Personalvertretungsgesetz (PersVG Bremen) entgegen (B. v. 15.10.2018 – 5 P 9/17 – juris). Das PersVG Bremen enthält – ähnlich wie das neue ThürPersVG – den Grundsatz, dass der Personalrat in allen sozialen, personellen und organisatorischen Angelegenheiten mitzubestimmen hat (§ 52 Abs. 1 Satz 1 PersVG Bremen). Die §§ 63, 65 und 66 PersVG Bremen enthalten Beispielkataloge für die Mitbestimmung des Personalrats in sozialen, personellen und organisatorischen Angelegenheiten, denen – wie in Thüringen – das Wort “insbesondere” beigefügt wurde. Anders als in Thüringen enthalten die jeweiligen Vorschriften jedoch jeweils einen Absatz, nachdem durch die Aufzählung der Beispiele die Allzuständigkeit des Personalrats nach § 52 Abs. 1 Satz 1 PersVG Bremen nicht berührt wird. Zwar stellt diese sog. Unberührtheitsklausel nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (B. v. 15.10.2018 – 5 P 9/17 -, juris) eine Eigenheit des bremischen Landesrechts dar, die die Auslegung des § 52 Abs. 1 Satz 1 PersVG Bremen steuert. Aus der Rechtsprechung ist jedoch nicht der Schluss zu ziehen, dass das Fehlen einer solchen Unberührtheitsklausel eine Allzuständigkeit im Falle von ergänzenden Beispielkatalogen ausschließt. Zwar ist mit dem Bundesverwaltungsgericht davon auszugehen, dass diese Unberührtheitsklausel zu einem Wegfall jeglicher Zweifel an der Allzuständigkeit des Personalrats in Bremen führt. Die Bedenken, die hinsichtlich der Gesetzeslage in Thüringen an der Allzuständigkeit des Personalrats bestehen, werden hingegen durch den oben herausgearbeiteten Willen des Gesetzgebers zerstreut (vgl. die oben zitierten Passagen aus den Landtagsprotokollen).
Für diese Auslegung spricht auch die nicht unerhebliche Verbesserung der Freistellungsstaffel in § 45 ThürPersVG. Erfolgte bisher bis zu einer Zahl von 800 Beschäftigten die Freistellung von Personalratsmitgliedern im Umfang einer Vollzeitstelle, sind jetzt bei 501 bis 900 Beschäftigten bereits Personalratsmitglieder im Umfang von zwei Vollzeitstellen, bei 901 bis zu 1.500 Beschäftigten im Umfang von drei Vollzeitstellen, bei 1.501 bis 2000 Beschäftigten im Umfang von vier Vollzeitstellen freizustellen. Diese deutliche Erhöhung spricht dafür, dass der Gesetzgeber von einem künftig erheblich wachsenden Arbeitspensum der Personalräte ausging, was sich nur mit einer vom Gesetzgeber beabsichtigten Allzuständigkeit des Personalrats erklären lässt.
Nach alledem geht die Kammer von einer durch die Novellierung des Thüringer Personalvertretungsgesetzes durch das Thüringer Gesetz zur Anpassung personalvertretungsrechtlicher Vorschriften vom 28.05.2019 in der Fassung vom 23.01.2020 eingeführten Allzuständigkeit des Personalrats aus. Die Verlängerung der Probezeit der Beamtin … H… unterlag daher der Mitbestimmung des Antragstellers.
Einer Kostenentscheidung bedarf es im Hinblick auf den objektiven Charakter des nicht kontradiktorisch angelegten personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahrens nicht.
Die Festsetzung des Gegenstandswertes beruht auf § 33 in Verbindung mit § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG. Es entspricht regelmäßig billigem Ermessen, im personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahren von einem Gegenstandswert in Höhe von 5.000,- EUR auszugehen.


Ähnliche Artikel

Mobbing: Rechte und Ansprüche von Opfern

Ob in der Arbeitswelt, auf Schulhöfen oder im Internet – Mobbing tritt an vielen Stellen auf. Die körperlichen und psychischen Folgen müssen Mobbing-Opfer jedoch nicht einfach so hinnehmen. Wir klären Rechte und Ansprüche.
Mehr lesen

Das Arbeitszeugnis

Arbeitszeugnisse dienen dem beruflichen Fortkommen des Arbeitnehmers und helfen oft den Bewerbern in die engere Auswahl des Bewerberkreises zu gelangen.
Mehr lesen


Nach oben