Arbeitsrecht

5 M 195/06

Aktenzeichen  5 M 195/06

Datum:
24.1.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
AG Zeitz
Dokumenttyp:
Beschluss
Normen:
§ 765a ZPO
§ 902 ZPO
§ 906 Abs 2 ZPO
Spruchkörper:
undefined

Leitsatz

Die vom Arbeitgeber gewährte Corona-Sonderzahlung stellt eine von der Bundesregierung initiierte Anerkennung für besondere Leistungen während der Pandemie dar, sie ist nicht pfändbar. Mangels konkreter gesetzlicher Regelung ist die Unpfändbarkeit unter Anwendung der besonderen Schuldnerschutzvorschrift des § 765a ZPO festzustellen.

Verfahrensgang

vorgehend AG Zeitz, 29. Dezember 2020, 5 M 195/06, Beschluss

Tenor

1. Der dem Schuldner nach § 899 Abs. 1 und § 902 Satz 1 ZPO zu gewährende monatliche Freibetrag wird gemäß § 906 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 765a ZPO für den Monat Dezember 2021 einmalig
um 600,00 € erhöht.
2. Es wird angeordnet, dass der Schuldner über den unter Punkt 1) festgestellten Erhöhungsbetrag des pfändungsfreien Betrages für den Monat Dezember 2021 bis zum Ende des Kalendermonats der Rechtskraft dieser Entscheidung verfügen darf. Soweit der Schuldner bis dahin nicht über ihn verfügt hat, wird angeordnet, dass dieser Betrag entsprechend § 899 Abs. 2 ZPO in den drei darauffolgenden Kalendermonaten nicht von der Pfändung erfasst ist und dem Schuldner zusätzlich zur freien Verfügung steht.
3. Die mit Beschluss vom 07.01.2022 angeordnete einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung wird aufgehoben.
4. Der Beschluss wird mit seiner Rechtskraft wirksam.

Gründe

Mit Schreiben vom 03.01.2022, bei Gericht eingegangen am 05.01.2022, beantragte der Schuldner die Freigabe der von seinem Arbeitgeber mit der Lohnzahlung 12/2021 gewährten und am 23.12.2021 auf seinem P-Konto gutgeschriebenen Corona-Sonderzahlung in Höhe von 600,00 € zusätzlich zum monatlichen Freibetrag. Der Schuldner legte dar, dass ihm die Corona-Sonderzahlung vom Arbeitgeber im Rahmen der von der Bundesregierung aufgelegten Sofortprogramme als Anerkennung für besondere Arbeitsleistungen in der Corona-Krise gewährt wurde. Zum Nachweis legte der Schuldner die Lohnbescheinigung für 12/2021 vor, in welchem die „Corona-Beihilfe“ ausgewiesen und als steuerfrei aufgeführt ist. Weiterhin legte der Schuldner den Kontoauszug vom 23.12.2021 vor.
Die Gläubigerin erhielt Gelegenheit zur Stellungnahme. Eine Stellungnahme ist nicht eingegangen.
Der Antrag des Schuldners ist zulässig und in der Sache erfolgreich.
Die von seinem Arbeitgeber mit der Lohnzahlung 12/2021 gewährte Corona-Sonderzahlung stellt eine von der Bundesregierung initiierte Anerkennung für besondere Leistungen während der Pandemie dar. Der Schuldner arbeitete während der Corona-Pandemie bei der X-AG , welche den Betrieb trotz der pandemiebedingten Einschränkungen und unter erhöhten Sicherheitsbestimmungen und Hygieneauflagen aufrechterhalten hat.
Aufgrund der Coronakrise können Arbeitgeber ihren Beschäftigten Sonderzahlungen bis 1.500 Euro steuerfrei in Form von Zuschüssen und Sachbezügen gewähren. Die Regelung wurde bis März 2022 verlängert. Geregelt ist dies nun in § 3 Nummer 11a EStG. Dabei ist erforderlich, dass es sich um steuerfreie Beihilfen und Unterstützungen zur Abmilderung der zusätzlichen Belastung durch die Coronakrise handelt, welche zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn geleistet werden. Die steuerfreien Leistungen sind im Lohnkonto aufzuzeichnen und bleiben auch in der Sozialversicherung beitragsfrei. Mit der Steuer- und Beitragsfreiheit der Sonderzahlungen wird die besondere und unverzichtbare Leistung der Beschäftigten in der Corona-Krise anerkannt (vgl. https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Pressemitteilungen/Finanzpolitik/2020/04/2020-04-03-GPM-Bonuszahlungen.html).
Bei der Einführung dieser Anerkennung für Beschäftigte in der Corona-Krise hat der Gesetzgeber zwar nicht ausdrücklich festgelegt, dass derartige Sonderzahlungen auch gesetzlich pfändungsfrei gestellt werden. Jedoch ist es nach Sinn und Zweck dieser Maßnahmen folgerichtig festzustellen, dass diese steuer- und sozialversicherungsfrei gestellten Corona-Sonderzahlungen ausschließlich und uneingeschränkt den Beschäftigten als Anerkennung zugutekommen sollen und daher unpfändbar sein müssen. Würde man diese Sonderzahlungen nicht pfändungsfrei stellen, stünden diese bei Überschreiten der Pfändungsfreigrenzen von Lohnzahlungen bzw. von Pfändungsschutzkonten den Gläubigern und nicht mehr den Beschäftigten selbst zur Verfügung. Der Zweck der Sonderzahlungen wäre verfehlt.
Eine Freigabe der Corona-Sonderzahlungen direkt auf der Grundlage des § 906 ZPO n.F. ist nicht möglich, da sich die Unpfändbarkeit der Corona-Prämie des Arbeitsgebers weder aus bundes- noch aus landesrechtlichen Vorschriften herleiten lässt.
Es ist daher unter Anwendung der besonderen Schuldnerschutzvorschrift des § 765a ZPO auf Schuldnerantrag die Unpfändbarkeit dieser Corona-Sonderzahlungen durch das Vollstreckungsgericht festzustellen (vgl. zur individuellen Ergänzungsfunktion des § 765a ZPO auch BGH, Beschluss vom 04.07.2007 – VII ZB 15/07 -, juris). Denn eine Pfändung der Corona-Sonderzahlung stellt eine sittenwidrige Härte für den Schuldner dar und liefe dem gesetzgeberischen Ziel dieser Sonderzahlungen entgegen, dass dem Beschäftigten mit der Sonderzahlung eine ungekürzte Anerkennung seiner Leistungen während der Corona-Krise zukommen soll. Überwiegende Belange der Gläubigerin stehen einer Pfandfreigabe der Corona-Soforthilfe nicht entgegen.
Mithin war von der am 23.12.2021 auf dem P-Konto gutgeschriebenen Lohnzahlung für 12/2021 der Betrag der durch die Lohnbescheinigung ausgewiesenen Corona-Prämie in voller Höhe von 600,00 € für den Schuldner pfandfrei zu stellen.
Um sicherzustellen, dass dem Schuldner dieser pfändungsfreie Betrag der Corona-Sonderzahlung tatsächlich zugutekommt, war anzuordnen, dass der Schuldner über den zusätzlich pfandfrei gestellten Betrag in Höhe von 600,00 € bis Ende des Kalendermonats der Rechtskraft der Entscheidung verfügen darf und eine Übertragung des nicht verbrauchten Teils in die drei darauffolgenden Monate entsprechend § 899 Abs. 2 ZPO erfolgt (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Januar 2018 – VII ZB 27/17 –, Rn. 28, juris).
Die Wirksamkeit der Entscheidung war von der Rechtskraft abhängig zu machen, um der Gläubigerin ausreichend Möglichkeit zur Prüfung und Rechtsmitteleinlegung zu geben.


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