Arbeitsrecht

Abgrenzung von mitbestimmungsfreiem Arbeitsverhalten und mitbestimmtem Ordnungsverhalten im Betrieb betreffend Sauberkeit und Ordnung am Arbeitsplatz

Aktenzeichen  4 TaBV 38/16

Datum:
14.12.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 131668
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
BetrVG § 23 Abs. 3, § 87 Abs. 1 Nr. 1

 

Leitsatz

1. Anordnungen des Arbeitgebers, das Bekleben betrieblicher Einrichtungen, die Führung überwiegend dienstlicher Kommunikation, das Aufräumen des Arbeitsplatzes, der Entsorgung technischen Equipments und die Benützung separater Abfallbehälter betreffend, unterliegen nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats gemäß § 87 Abs. 1 Ziff. 1 BetrVG, denn sie regeln den Umgang mit Firmeneigentum und betreffen schwerpunktmäßig das Arbeitsverhalten des Arbeitnehmers. (Rn. 38, 40 – 41 und 43 – 45)
2. Dagegen betreffen Beschränkungen hinsichtlich des Platzierens privater Gegenstände am eigenen Arbeitsplatz, des Belegens freier anderer Arbeitsplätze oder der Oberseite von Schränken sowie Anordnungen zur Pflege, zum Gießen und Zurückschneiden mitgebrachter privater Zimmerpflanzen schwerpunktmäßig das Ordnungsverhalten des Mitarbeiters und sind mitbestimmungspflichtig. (Rn. 37, 39, 42 und 46 – 48)

Verfahrensgang

12 BV 25/15 2016-06-08 Bes ARBGWUERZBURG ArbG Würzburg

Tenor

1. Die Beschwerden des Antragstellers und der Beteiligten zu 2) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Würzburg vom 08.06.2016, Az.: 12 BV 25/15, werden zurückgewiesen.
2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Die Beteiligten streiten über die Frage, ob die Arbeitgeberin verpflichtet ist, bestimmte Anordnungen gegenüber den Arbeitnehmern zu unterlassen.
Der Antragssteller ist der bei der Beteiligten zu 2 an deren Standort in M… gebildete 11-köpfige Betriebsrat.
Bei der Beteiligten zu 2 arbeiten ständig mehr als 400 Arbeitnehmer.
Die Beteiligte zu 2 versandte am 22.07.2015 an alle Mitarbeiter am Standort M… eine E-Mail mit dem Betreff „Rundschreiben Sauberkeit und Ordnung“. Das Rundschreiben wird mit dem Satz eingeleitet:
Aus gegebenem Anlass möchten wir Sie über Regelungen bezüglich des persönlichen Verhaltens am Arbeitsplatz insbesondere hinsichtlich Sauberkeit und Aufgeräumtheit informieren, welche ab sofort zu beachten sind.
Mit Bildbeispielen unterlegt behandelt das Rundschreiben die Punkte:
– Persönliche Gegenstände dürfen nicht mehr als 10% der Arbeitsfläche einnehmen,
– Möbel, Wände, Glasflächen u.a. dürfen nicht beklebt werden,
– Freie Arbeitsplätze dürfen nicht zusätzlich belegt werden,
– Störende Kommunikation ist im „Open-Space-Bereich“ zu unterlassen und in die vorhandenen „Think Tanks“ zu verlegen,
– Bei Arbeitsende sind der Arbeitsplatz wegen der Reinigungsarbeiten aufgeräumt zu verlassen und unternehmensinterne Dokumente unter Verschluss zu nehmen,
– Schrankoberseiten sind nicht als dauerhafte Abstellflächen zu nutzen,
– Nicht mehr genutztes IT-Equipment ist an einer bestimmten Stelle abzugeben und aus bestand abzumelden,
– Zur Mülltrennung sind die vorhandenen Restmüll- und Biomüllbehälter zu nutzen,
– Persönlich mitgebrachte Pflanzen sind regelmäßig zu pflegen, zu gießen und zurückzuschneiden
Hinsichtlich weiterer Details wird auf den Inhalt des betreffenden Rundschreibens Bezug genommen (Bl. 32 – 42 d.A.).
Der Antragssteller ist der Auffassung, es handle sich um einseitige verbindliche Anordnungen der Arbeitgeberin, welche sämtlich seinem Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG unterfielen.
Mit seiner am 04.09.2015 beim Arbeitsgericht Würzburg eingereichten Antragsschrift begehrt er die Unterlassung dieser Anweisungen ohne seiner vorherigen Zustimmung oder einer Entscheidung der Einigungsstelle.
Wegen der Anträge der Beteiligten und ihres näheren Vorbringens im erstinstanzlichen Verfahren wird auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht Würzburg hat mit Beschluss vom 08.06.2016 wie folgt erkannt:
1. Der Beteiligten zu 2) wird aufgegeben, es zu unterlassen, den Mitarbeitern eine einseitige Anordnung dahingehend zu erteilen, dass persönliche Gegenstände (Fotos, Souvenirs und andere persönliche Gegenstände) nicht mehr als 10% der jeweils zur Verfügung stehenden Flächen einnehmen dürfen, ohne dass die Zustimmung des Antragstellers eingeholt worden ist bzw. durch den Spruch der Einigungsstelle ersetzt worden ist.
2. Der Beteiligten zu 2) wird aufgegeben, es zu unterlassen, den Mitarbeitern eine einseitige Anordnung dahingehend zu erteilen, dass jeder Mitarbeiter nur einen Arbeitsplatz belegen darf sowie Arbeitsplätze, die nicht durch einen Kollegen belegt sind, weder als Ablageflächen missbraucht och anderweitig eingenommen werden dürfen, ohne dass die Zustimmung des Antragstellers eingeholt worden ist bzw. durch den Spruch der Einigungsstelle ersetzt worden ist.
3. Der Beteiligten zu 2) wird aufgegeben, es zu unterlassen, den Mitarbeitern eine einseitige Anordnung dahingehend zu erteilen, dass die Schrankoberseiten in regelmäßigen Intervallen überprüft werden müssen und sodann alles Unnötige entfernt oder an geeigneter Stelle archiviert werden muss, ohne dass die Zustimmung des Antragstellers eingeholt worden ist bzw. durch den Spruch der Einigungsstelle ersetzt worden ist.
4. Der Beteiligten zu 2) wird aufgegeben, es zu unterlassen, den Mitarbeitern eine einseitige Anordnung dahingehend zu erteilen, dass diese die persönlich mitgebrachten Pflanzen regelmäßig pflegen und gießen sowie zurückschneiden müssen, ohne dass die Zustimmung des Antragstellers eingeholt worden ist bzw. durch den Spruch der Einigungsstelle ersetzt worden ist.
5. Für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtungen in Ziffer 1 bis einschließlich 4 wird der Beteiligten zu 2) ein Ordnungsgeld von bis zu 10.000,00 € angedroht.
6. Im Übrigen werden die Anträge zurückgewiesen.
Gegen den ihren Verfahrensbevollmächtigten am 13.06.2016 zugestellten Beschluss haben die Beteiligte zu 2 mit Telefax vom 12.07.2016 und der Antragsteller mit Telefax vom 13.07.2016 Beschwerde eingelegt und sie mit weiterem Telefax vom 12.08.2016 bzw. 15.09.2016, nach entsprechender Verlängerung der Begründungsfrist, begründet.
Der Antragsteller meint, die getroffenen Anordnungen beträfen sämtlich Fragen der Ordnung des Betriebes und das Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer im Betrieb. Nach ihrem objektiven Regelungsgehalt seien die angeordneten Verhaltensregeln nicht darauf gerichtet, das Arbeitsverhalten der Arbeitnehmer an ihrem Arbeitsplatz zu konkretisieren.
Dies gelte auch für das Verbot des Beklebens von Möbeln, Wänden oder Glasscheiben, da insoweit nicht nur das Eigentumsrecht des Arbeitgebers betroffen sei, sondern auch die freie Entfaltung der Persönlichkeit der Arbeitnehmer.
Von der Anordnung zur Kommunikation im „Open-Space-Bereich“ sei nicht nur die mit der Erbringung der Arbeitsleistung verbundene Kommunikation betroffen, sondern auch die private Kommunikation der Mitarbeiter. Soweit mit der Anordnung die Vermeidung einer Störung anderer Mitarbeiter bezweckt werden sollte, gelte nichts anderes wie hinsichtlich der Geräuschquelle „Radiohören“, diesbezüglich werde vom BAG ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bejaht.
Das Aufräumen des Arbeitsplatzes könne nicht mit dem Einsatz von Drittpersonal begründet werden und geheime Dokumente könnten auch bei einem aufgeräumten Arbeitsplatz dem Zugriff Dritter ausgesetzt werden.
Auch die Bereiche Entsorgung des IT-Equipments und Mülltrennung hätten keinen unmittelbaren Bezug zum Leistungsverhalten der Arbeitnehmer und das Kreislaufwirtschaftsgesetz umschreibe allenfalls einen ausfüllungsbedürftigen Rahmen.
Der Antragsteller beantragt,
den Beschluss des Arbeitsgerichts Würzburg vom 08.06.2016, Aktenzeichen 12 BV 25/15 abzuändern und wir folgt zu entscheiden:
1. Der Beteiligten zu 2) wird aufgegeben, es zu unterlassen, den Mitarbeitern eine einseitige Anordnung dahingehend zu erteilen, dass persönliche Gegenstände (Fotos, Souvenirs und andere persönliche Gegenstände) nicht mehr als 10% der jeweils zur Verfügung stehenden Flächen einnehmen dürfen, ohne dass die Zustimmung des Antragstellers eingeholt worden ist bzw. durch den Spruch der Einigungsstelle ersetzt worden ist.
2. Der Beteiligten zu 2) wird aufgegeben, es zu unterlassen, den Mitarbeitern eine einseitige Anordnung dahingehend zu erteilen, dass diesen das Bekleben von Möbeln, Wänden, Glasflächen und dergleichen auch am persönlichen Arbeitsplatz nicht gestattet ist, ohne dass die Zustimmung des Antragstellers eingeholt worden ist bzw. durch den Spruch der Einigungsstelle ersetzt worden ist.
3. Der Beteiligten zu 2) wird aufgegeben, es zu unterlassen, den Mitarbeitern eine einseitige Anordnung dahingehend zu erteilen, dass jeder Mitarbeiter nur einen Arbeitsplatz belegen darf sowie Arbeitsplätze, die nicht durch einen Kollegen belegt sind, weder als Ablageflächen missbraucht och anderweitig eingenommen werden dürfen, ohne dass die Zustimmung des Antragstellers eingeholt worden ist bzw. durch den Spruch der Einigungsstelle ersetzt worden ist.
4. Der Beteiligten zu 2) wird aufgegeben, es zu unterlassen, den Mitarbeitern eine einseitige Anordnung dahingehend zu erteilen, dass die Kommunikation (Gespräche, Telefonate, etc.) in „Open Space“-Bereichen so zu führen ist, dass benachbarte Kollegen dadurch nicht gestört werden sowie die vorhandenen „Think Tanks“ zu nutzen sind, ohne dass die Zustimmung des Antragstellers eingeholt worden ist bzw. durch den Spruch der Einigungsstelle ersetzt worden ist.
5. Der Beteiligten zu 2) wird aufgegeben, es zu unterlassen, den Mitarbeitern eine einseitige Anordnung dahingehend zu erteilen, dass diese bei Arbeitsende den Arbeitsplatz aufgeräumt zu verlassen haben, ohne dass die Zustimmung des Antragstellers eingeholt worden ist bzw. durch den Spruch der Einigungsstelle ersetzt worden ist.
6. Der Beteiligten zu 2) wird aufgegeben, es zu unterlassen, den Mitarbeitern eine einseitige Anordnung dahingehend zu erteilen, dass die Schrankoberseiten in regelmäßigen Intervallen überprüft werden müssen und sodann alles Unnötige entfernt oder an geeigneter Stelle archiviert werden muss, ohne dass die Zustimmung des Antragstellers eingeholt worden ist bzw. durch den Spruch der Einigungsstelle ersetzt worden ist.
7. Der Beteiligten zu 2) wird aufgegeben, es zu unterlassen, den Mitarbeitern eine einseitige Anordnung dahingehend zu erteilen, dass diese alte, defekte oder nicht mehr genutzte Bildschirme oder weiteres IT-Equipment bei C… im Büro BT B, EG, Raum 00 211, abzugeben haben und diese Geräte bei N… L… (n…l…@s…-electric.com) schriftlich aus dem Bestand abzumelden haben, ohne dass die Zustimmung des Antragstellers eingeholt worden ist bzw. durch den Spruch der Einigungsstelle ersetzt worden ist.
8. Der Beteiligten zu 2) wird aufgegeben, es zu unterlassen, den Mitarbeitern eine einseitige Anordnung dahingehend zu erteilen, dass diese den Müll in Restmüll und Biomüll zu trennen und Obstschalen, Kaffeesatz usw. in den Biomüllbehälter zu geben haben, ohne dass die Zustimmung des Antragstellers eingeholt worden ist. bzw. durch den Spruch der Einigungsstelle ersetzt worden ist.
9. Der Beteiligten zu 2) wird aufgegeben, es zu unterlassen, den Mitarbeitern eine einseitige Anordnung dahingehend zu erteilen, dass diese die persönlich mitgebrachten Pflanzen regelmäßig pflegen und gießen sowie zurückschneiden müssen, ohne dass die Zustimmung des Antragstellers eingeholt worden ist bzw. durch den Spruch der Einigungsstelle ersetzt worden ist.
10. Für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtungen in Ziffer 1 bis einschließlich 9 wird der Beteiligten zu 2) ein Ordnungsgeld von bis zu 10.000,00 € angedroht.
Die Beteiligte zu 2 beantragt,
1.Der Beschluss des Arbeitsgerichts Würzburg vom 08.06.2016 (Az. 12 BV 25/15) wird abgeändert.
2.Die Anträge des Beteiligten zu 1) werden zurückgewiesen.
Zur Begründung trägt sie vor, da sie jedem Arbeitnehmer nur einen Arbeitsplatz zur Verfügung stelle, müsse durch die Anordnung, maximal 10% der zugewiesenen Arbeitsfläche mit persönlichen Gegenständen zu belegen, sichergestellt werden, dass 90% des zugewiesenen Arbeitsbereichs auch für dienstliche Zwecke genutzt werde. Hierin liege eine dem Arbeitsverhalten zuordenbare Weisung.
Die Oberseite der Schränke gehöre nicht zu der dem Arbeitnehmer zugewiesenen Arbeitsfläche und könne deshalb seiner Nutzung entzogen werden. Durch das Ablagern von Dokumenten, Unterlagen, Mustern u.ä. sei auch das Vertraulichkeitsproblem tangiert. Freie Schrankoberseiten ermöglichten zudem ihre Reinigung von Staub.
Die Pflege und das Zurückschneiden der Pflanzen diene der Vermeidung von Schädlingsbefall und einer drohenden Geruchsbelästigung sowie dem Freihalten von Durchgängen, Flucht- und Rettungswegen.
Ein Rechtsanspruch von Mitarbeitern, Möbel, Wände, Glaswände oder Ähnliches für Zwecke der persönlichen Gestaltung ihres Arbeitsplatzes zu bekleben, bestehe unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt. Die Untersagung einer zweckentfremdenden Nutzung von Betriebsmitteln sei generell mitbestimmungsfrei. Auch das Verbot der Belegung fremder Arbeitsplätze als Ablagefläche oder Ähnliches stelle eine Konkretisierung der arbeitsvertraglichen Leistungsverpflichtung dar. Die Anweisung bezüglich der Lautstärke der Kommunikation sowie der Nutzung der vorhandenen „Think Tanks“ im Großraumbürobereich betreffe überwiegend den Bereich der Arbeitserbringung und nicht den der privaten Kommunikation.
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die von den Beteiligten im Beschwerdeverfahren gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
II.
1. Die Beschwerden sind zulässig.
Sie sind statthaft, § 87 Abs. 1 ArbGG, und auch in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden, §§ 87 Abs. 2, 89, 66 ArbGG.
2. Die Beschwerden sind sachlich nicht begründet.
Das Erstgericht hat mit zutreffender Begründung nur bezüglich eines Teils der dienstlichen Anordnungen der Beteiligten zu 2 ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht des Antragstellers gem. § 87 Abs. 1 Ziff. 1 BetrVG bejaht und darauf die begehrte Unterlassung einseitiger Maßnahmen beschränkt.
a) Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass bei einer Verletzung der Rechte des Betriebsrates aus § 87 BetrVG diesem neben dem Sondertatbestand des § 23 Abs. 3 BetrVG ein eigenständiger Unterlassungsanspruch gegen den Arbeitgeber zusteht (vgl. BAG v. 03.05.1994, AP Nr. 23 zu BetrVG 1972 § 23). Der Arbeitgeber hat alles zu unterlassen, was der Wahrnehmung von Mitbestimmungsrechten durch den Betriebsrat entgegensteht. Der allgemeine Unterlassungsanspruch setzt eine Wiederholungsgefahr voraus, wobei zu Lasten des Arbeitgebers eine dahingehende Anscheinsvermutung besteht, wenn bestimmte Mitbestimmungsrechte bereits verletzt wurden.
Es hat des Weiteren die hinsichtlich des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG entwickelten Rechtsprechungsgrundsätze richtig wiedergegeben.
Dieses Mitbestimmungsrecht bezieht sich auf die Gestaltung des Zusammenlebens und Zusammenwirkens der Arbeitnehmer im Betrieb. Es erfasst die allgemeine betriebliche Ordnung und das Verhalten der Arbeitnehmer, soweit deren Zusammenleben und Zusammenwirken berührt wird und damit ein Bezug zur betrieblichen Ordnung besteht.
Zu unterscheiden ist dieses sog. Ordnungsverhalten von dem nicht mitbestimmten Arbeitsverhalten des Mitarbeiters. Bei diesem geht es um Maßnahmen, mit denen die Arbeitspflicht im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer unmittelbar konkretisiert wird oder in sonstiger Weise lediglich das Verhältnis des Arbeitnehmers zum Arbeitgeber betreffen (vgl. EK–Kania, 17. Aufl., § 87 BetrVG Rdn. 18ff; Richardi, BetrVG, 15. Aufl., § 87 Rdz. 174ff, 178ff; jeweils m.w.N.). Zu Letzterem zählen auch die Verhaltensregeln im Umgang mit dem Eigentum des Arbeitgebers, insbesondere die dem Arbeitnehmer zur Arbeitsleistung zur Verfügung gestellten Betriebseinrichtungen und Betriebsmittel und deren Nutzung (vgl. Richardi, aaO. Rdz 202, 203).
Ob eine Maßnahme das mitbestimmungsfreie Arbeitsverhalten betrifft, bestimmt sich nach deren objektiven Regelungsgehalt und nach der Art des zu beeinflussenden betrieblichen Geschehens, nicht nach den subjektiven Regelungsvorstellungen des Arbeitgebers. Soweit eine Anordnung des Arbeitgebers sowohl das Ordnungs- als auch das Arbeitsverhalten berührt, ist entscheidend, welcher Bereich hierdurch schwerpunktmäßig betroffen ist (so BAG v. 11.06.2002 – AP Nr. 38 zu § 87 BetrVG 1972 Ordnung des Betriebes).
b) Die dargestellten Grundsätze hat das Erstgericht bei der Bewertung des Inhalts des Rundschreibens vom 22.07.2015 zutreffend angewandt.
Bei dem Rundschreiben handelt es sich unabhängig von der Wortwahl bei den einzelnen Regelungsbereichen um für die Arbeitnehmer verbindliche Anordnungen. Dies ergibt sich bereits aus der Eingangsformulierung, mit welcher die Arbeitgeberseite „über Regelungen des persönlichen Verhaltens am Arbeitsplatz“ informieren möchte, „welche ab sofort zu beachten sind“.
Die für das Unterlassungsbegehren erforderliche Wiederholungsgefahr resultiert aus der Umsetzung der Anordnung im Einzelfall, wie die vom Antragsteller vorgelegte Mail vom 12.04.2016 an den Mitarbeiter F… zeigt.
Alle Anordnungen haben kollektiven Bezug, denn sie richten sich an die Ge samtheit der Arbeitnehmer im Betrieb.
aa) Die Anordnung, dass persönliche Gegenstände (Fotos, Souvenirs und andere persönliche Gegenstände) nicht mehr als 10% der jeweils zur Verfügung stehenden Arbeitsflächen einnehmen dürfen, betrifft überwiegend das Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer und die Frage des Zusammenlebens im Betrieb. Es wird nämlich das Mitbringen persönlicher Gegenstände an den Arbeitsplatz gestattet, womit sich der Arbeitnehmer eine gewisse Privatsphäre einrichten kann. Mit der Individualisierung des Arbeitsplatzes schafft sich der Arbeitnehmer eine gewisse Wohlfühlatmosphäre und unterscheidet seinen Arbeitsplatz von dem der Kollegen. Damit regelt die prozentuale Beschränkung dieser individuellen Ausgestaltung des Arbeitsumfelds überwiegend das private Wirken der Mitarbeiter im Betrieb und nicht deren Arbeitserbringung selbst oder Nebenpflichten im Umgang mit dem Eigentum der Arbeitgeberin. Diese Bereiche sind zwar mittelbar ebenfalls betroffen, jedoch nicht schwerpunktmäßig.
ab) Kein Mitbestimmungsrecht des Antragstellers besteht hinsichtlich des Verbotes des Beklebens von Möbeln, Wänden und Glasflächen. Diese Betriebsmittel stehen im Eigentum des Arbeitgebers und dieser kann mitbestimmungsfrei anordnen, dass diesbezüglich eine Privatnutzung durch Bekleben nicht eingeräumt wird. Das Verbot des Beklebens begründet eine Nebenpflicht des Arbeitnehmers im Umgang mit Betriebseinrichtungen und Betriebsmittel und betrifft schwerpunktmäßig sein Verhältnis zum Arbeitgeber und nicht das Zusammenleben der Arbeitnehmer im Betrieb. Der Arbeitgeber hat ein Interesse durch die Anordnung auszuschließen, dass in seinem Eigentum stehende Betriebsmittel durch das Bekleben beschädigt werden können.
ac) In der Anordnung, dass ein Mitarbeiter nur einen Arbeitsplatz belegen und freie Arbeitsplätze, die nicht durch einen Kollegen belegt sind, weder als Ablageflächen missbrauchen noch anderweitig einnehmen dürfe, handelt es sich um einen mitbestimmungspflichtigen Tatbestand. Hier sind in erster Linie das Ordnungsverhalten und eine Frage des Zusammenlebens im Betrieb betroffen, denn das Verbot des Ablegens bzw. sonstiger Vereinnahmung bezieht sich nicht alleine oder überwiegend auf eine dienstliche, sondern auch jedwede private Veranlassung. Zwar trifft es zu, dass der Arbeitgeber einseitig das Recht hat, dem Arbeitnehmer lediglich einen Arbeitsplatz zuzuweisen, und dass darin im Umkehrschluss auch die Anordnung liegt, dass alle anderen Arbeitsplätze dem Arbeitnehmer derzeit nicht zur Verfügung stehen. Soweit jedoch ein Arbeitnehmer auf einem ihm nicht zugewiesenen Bereich, welcher in diesem Zeitpunkt auch von keinem anderen Kollegen genutzt wird, Gegenstände (dienstlicher oder privater Art) vorübergehend ablegt, so handelt er hierdurch nicht der Anordnung bezüglich der Zuweisung eines bestimmten Arbeitsplatzes zuwider, sondern legt ein (Un) Ordnungsverhalten an den Tag, welches schwerpunktmäßig dem mitbestimmungspflichtigen Bereich zuzuordnen ist.
ad) Durch die Anordnung, die Kommunikation in „Open-Space-Bereichen“ so zu führen, dass benachbarte Kollegen dadurch nicht gestört werden, und erforderlichenfalls die vorhandenen „Think Tanks“ zu nutzen, konkretisiert in nicht mitbestimmungspflichtiger Weise das Arbeitsverhalten der Arbeitnehmer. Gespräche und Telefonate am Arbeitsplatz sind Teil der Arbeitsleistung. Die Anordnung, wie und auch wo diese Arbeitsleistung zu erbringen ist, ist eine Frage der Konkretisierung der Arbeitsleistung und unterliegt dem Direktionsrechts des Arbeitgebers. Eine zu laute Kommunikation im „Open-Space-Bereich“ beeinträchtigt im Übrigen die anderen Mitarbeiter nicht nur persönlich, sondern betrifft auch die von den Mitarbeitern zu erbringende Arbeitsleistung, so dass insoweit überwiegend der Bereich der Arbeitserbringung betroffen ist.
ae) Die Anordnung, bei Arbeitsende den Arbeitsplatz aufgeräumt zu verlassen und unternehmensinterne Dokumente unter Verschluss zu nehmen, betrifft ebenfalls überwiegend das Arbeitsverhalten. Hierdurch wird vom Arbeitgeber im Rahmen seines Direktionsrechts der abschließende Arbeitsvorgang eines Arbeitstages vorgegeben. Diese Maßnahme dient auch der Sicherstellung der Reinigung der im Eigentum des Arbeitgebers stehenden Büroeinrichtung sowie dem Schutz vertraulicher Firmendokumente.
af) Die Anordnung, die Mitarbeiter sollen Schrankoberseiten in regelmäßigen Intervallen überprüfen und alles Unnötige (Kartons, Musterteile, Schrott, Andenken) entfernen oder an geeigneter Stelle archivieren, betrifft sowohl das Arbeits- als auch das Ordnungsverhalten im Betrieb. Da hiervon auch private Sachen des Arbeitnehmers (Kartons, Schrott, Andenken) betroffen werden und eine mengenmäßige Bestimmung sich nicht generell vornehmen lässt, kann darin – vergleichbar dem unter ad) dargestellten Fall – primär eine Regelung zum bisherigen (Un) Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer und nicht zu deren Arbeitsverhalten gesehen werden. Da nur alles „Unnötige“ zu entfernen ist, dient die Anordnung auch nicht primär der Reinigung der Schrankoberflächen.
ag) Die Anweisung, wie mit alten, defekten oder nicht mehr genutzten Bildschirmen oder IT-Equipment umzugehen ist, betrifft den Umgang der Mitarbeiter mit den Arbeitsmitteln, die im Eigentum des Arbeitgebers stehen. Die Rückgabe von bisher dienstlich genutzten Arbeitsmitteln und die Frage, wie und wo dies zu geschehen hat, bezieht sich unmittelbar auf den dienstlichen Umgang mit diesen Arbeitsmitteln und betrifft damit das Arbeitsverhalten des Mitarbeiters und sein Verhältnis zum Arbeitgeber.
ah) Soweit den Mitarbeitern im Rahmen der Müllverwertung die Benützung separater Restmüll- und Biomüllbehälter aufgegeben wird, handelt es sich um eine von der Arbeitgeberin vorgenommene Umsetzung einer gesetzliche Vorgabe zur vorrangigen Verwertung von Abfällen (§§ 7 Abs. 2, Abs. 3 Kreislaufwirtschaftsgesetz), der sie mit der Bereitstellung getrennter Behältnisse und mit der entsprechenden Information der Mitarbeiter nachkommen will.
Bei der vorzunehmenden Trennung von Restmüll und Biomüll, um ihre spätere Verwertung zu ermöglichen, handelt es sich um keine öffentlich-rechtliche Rahmenregelung, die einer kollektivrechtlichen Konkretisierung bedarf, insoweit scheidet ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates aus.
ai) Mitbestimmungspflichtig ist die Frage, wie persönlich mitgebrachte Pflanzen zu behandeln, zu pflegen und zurückzuschneiden sind. Diesbezügliche Anordnungen der Arbeitgeberin betreffen nicht das Arbeitsverhalten der Mitarbeiter und regeln auch nicht den Umgang mit Betriebsmitteln, die im Eigentum der Arbeitgeberin stehen. Geregelt wird der Umgang mit im persönliche Eigentum der Mitarbeiter stehenden Sachen, welches dem Ordnungsverhalten zuzuordnen ist.
Dies wirft die spannenden Fragen auf, ob die Arbeitgeberin den Mitarbeitern weiterhin firmeneigenes Gießwassers zur Verfügung stellen darf, ohne gegen die vom Betriebsrat erwirkte Unterlassungsanordnung zu verstoßen.
Und ob nicht im Interesse der Erhaltung seines Eigentums für den Arbeitnehmer günstigere einzelvertragliche Abreden einer kollektivrechtlichen Regelung vorgehen.
aj) Die Androhung von Ordnungsmitteln ist bei entsprechendem Antrag bereits in den Vollstreckungstitel aufzunehmen (vgl. Münchener Kommentar, ZPO, 4. Aufl., § 890 ZPO Rdz. 25; Zöller-Stöber, ZPO, 31. Aufl. § 890 ZPO Rdz 12a). Der Rahmen von bis zu 10.000 EURO ist nicht unangemessen.
III.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde sind nicht gegeben, §§ 92 Abs. 1, 72 Abs. 2 ArbGG.


Ähnliche Artikel

Mobbing: Rechte und Ansprüche von Opfern

Ob in der Arbeitswelt, auf Schulhöfen oder im Internet – Mobbing tritt an vielen Stellen auf. Die körperlichen und psychischen Folgen müssen Mobbing-Opfer jedoch nicht einfach so hinnehmen. Wir klären Rechte und Ansprüche.
Mehr lesen

Das Arbeitszeugnis

Arbeitszeugnisse dienen dem beruflichen Fortkommen des Arbeitnehmers und helfen oft den Bewerbern in die engere Auswahl des Bewerberkreises zu gelangen.
Mehr lesen


Nach oben