Arbeitsrecht

Ablehnung eines Rechtshilfeersuchens durch ersuchtes Arbeitsgericht wegen eines von ihm angenommenen unzulässigen Ausforschungsbeweises

Aktenzeichen  2 AR 111/20

Datum:
26.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 24822
Gerichtsart:
ArbG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
GVG § 158, § 159
ArbGG § 13 Abs. 2
ZPO § 358, § 359

 

Leitsatz

Eine Rechtshilfehandlung ist dann verboten, wenn sie gegen Bundes- oder Landesrecht verstößt. Zu den verbotenen Prozesshandlungen iSv § 158 Abs. 2 S. 1 GVG zählt auch die Durchführung eines sog. Ausforschungsbeweises (unter Hinweis auf BAG BeckRS 9998, 21364). (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

5 Ca 72/20 SK 2020-11-26 ARBGWIESBADEN ArbG Wiesbaden

Tenor

1. Das Rechtshilfeersuchen des Arbeitsgerichts A-Stadt vom 26.11.2020 wird abgelehnt.
2. Die Akte wird an das Arbeitsgericht A-Stadt zur weiteren Sachbehandlung zurückgegeben.

Gründe

I. Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte im streitigen Zeitraum zur Beitragszahlung an die Klägerin verpflichtet ist.
Die Klägerin ist die A.. Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Zahlung der Beiträge für den Streitzeitraum in Anspruch. Die Beklagte bestreitet, dem betrieblichen Geltungsbereich des Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe zu unterfallen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des bisherigen Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der gesamten Verfahrensakte Bezug genommen.
Am 26.11.2020 fand eine Güteverhandlung und eine anschließende Kammerverhandlung vor dem Arbeitsgericht A-Stadt statt. Das Arbeitsgericht A-Stadt erließ einen Beweisbeschluss vom 26.11.2020, wegen dessen Einzelheiten auf Blatt 73 Rückseite und 74 der Akte Bezug genommen wird.
Gleichzeitig erging ein Rechtshilfeersuchen zur Vernehmung der in Beweisbeschluss aufgeführten Zeugen an die für die Ladungsanschriften der Zeugenzuständigen Arbeitsgerichte.
II. Das Rechtshilfeersuchen des Arbeitsgerichts A-Stadt ist abzulehnen, da die vorzunehmende Handlung nach dem Recht des ersuchten Gerichts verboten ist gem. § 158 Abs. 2 S. 1 GVG.
Die Durchführung der Rechtshilfe ist dem Arbeitsgericht Nürnberg untersagt.
Eine Rechtshilfehandlung ist dann verboten, wenn sie gegen Bundes- oder Landesrecht verstößt. Zu den verbotenen Prozesshandlungen i.S.d. § 158 Abs. 2 S. 1 GVG zählt nach überwiegender und auch zutreffender Rechtsauffassung auch die Durchführung eines sogenannten Ausforschungsbeweises (BAG Beschluss vom 16.01.1991 – 4 AS 7/90 -).
Eine Beweisaufnahme im Wege der Rechtshilfe ist jedenfalls dann verboten, wenn der Beweisbeschluss keine ausreichende Grundlage für die Vernehmungen des Rechtshilferichters abgibt. Für das Verfahren vor den Arbeitsgerichten finden die Vorschriften über das Verfahren vor den Amts- und Landgerichten entsprechende Anwendung. Erfordert die Beweisaufnahme ein besonderes Verfahren, so ist dieses durch besonderen Beweisbeschluss anzuordnen (§ 358 ZPO). Nach § 359 ZPO muss der Beweisbeschluss die Bezeichnung der streitigen Tatsachen, über die der Beweis zu erheben ist, die Bezeichnung der Beweismittel unter Benennung der zu vernehmenden Zeugen und die Bezeichnung der Parteien, die sich auf das Beweismittel berufen hat, enthalten. Der Beweisbeschluss muss bereits die bestimmten Tatsachen enthalten, die der Rechtshilferichter feststellen soll.
Diesen Voraussetzungen wird der Beweisbeschluss des Arbeitsgerichts A-Stadt vom 26.11.2020 nicht gerecht. Aus dem Beweisbeschluss ergeben sich keine hinreichenden streitigen Tatsachenbehauptungen, deren Richtigkeit der Rechtshilferichter feststellen könnte. Es fehlt an konkreten tatsächlichen Angaben, welcher konkrete Arbeitnehmer an welchem Ort welche Arbeiten in welchem zeitlichen Umfang verrichtet haben soll. Der Beweisbeschluss des Arbeitsgerichts A-Stadt vom 26.11.2020 ist nichts anderes als die Übertragung der Aufgaben eines Ermittlungsrichters auf den Rechtshilferichter. Da jedoch vorliegend kein Amtsermittlungsgrundsatz gilt, kann dies nicht Aufgabe eines Rechtshilfeverfahrens sein. Es handelt sich vorliegend auch um einen klassischen Ausforschungsbeweis. Dieser liegt vor, wenn erst durch die Beweiserhebung die Grundlage zur substantiierten Tatsachenbehauptungen gewonnen werden soll (BAG vom 28.05.1998 – 6 AZR 618/96 -).
Derart verhält es sich im vorliegenden Fall. Ein Rechtshilfeersuchen kann auch mit der Begründung abgelehnt werden, es handelt sich um einen unzulässigen Ausforschungsbeweis. Die offenbar abweichende Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 26.10.1999 – 10 AS 5/99 – verdient insoweit keine Zustimmung. Danach soll nämlich eine Entscheidung, die auf ein Verfahrensrechtlich unzulässiges Beweisergebnis gestützt wird, durch das Berufungsgericht des Prozessgerichts überprüft und korrigiert werden können. Diese Erwägungen sind jedoch praxisfern, da sich die beweisbelastete Partei stets die durch eine unzulässige Beweiserhebung gewonnenen Tatsachenbehauptungen der ausgeforschten Zeugen zu eigen machen kann bis zum Abschluss des Berufungsverfahrens bei Vorliegen der Voraussetzungen im Übrigen.
Die Durchführung einer an sich unzulässigen Beweiserhebung führt daher in der Regel zu einem irreversiblen und gesetzlich nicht vorgesehenen Rechtsnachteil für die nicht darlegungs- und beweisbelastete Partei.
Auch unabhängig von der Frage, ob wegen Vorliegen eines Ausforschungsbeweises eine Rechtshilfe abgelehnt werden kann, ist die Beweisaufnahme im vorliegenden Fall nicht vom Arbeitsgericht Nürnberg durchzuführen. Der Beweisbeschluss Arbeitsgerichts A-Stadt vom 26.11.2020 lässt nämlich nicht ansatzweise erkennen, welche streitigen Tatsachen überhaupt Gegenstand der Beweisaufnahme sein sollen. Der Beweisbeschluss muss nämlich die bestimmten Tatsachen enthalten, die der Rechtshilferichter feststellen soll und darf nicht so abgefasst sein, dass sich der ersuchte Richter die Beweisfrage erst aus den Akten zusammensuchen muss.
Der Beweisbeschluss vom 26.11.2020 erhält auch ersichtlich ins Blaue hinein gemachte Angaben aus dem betrieblichen Geltungsbereich des vorliegend in Rede stehenden Tarifvertrages, zu denen die als Zeugen aufgeführten Personen ausgefragt werden sollen.
Ein derartiges Vorgehen wäre rechtlich jedoch nur statthaft bei Geltung des Untersuchungsgrundsatzes, welcher jedoch im arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren gerade keine Anwendung findet.
Nach alledem ist das Rechtshilfeersuchen des Arbeitsgerichts A-Stadt vom 26.11.2020 abzulehnen.


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