Arbeitsrecht

Ablehnung von Prozesskostenhilfe für Klage wegen Erteilung einer Niederlassungserlaubnis

Aktenzeichen  M 4 K 17.997

Datum:
6.11.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 40025
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 166
ZPO § 114 S. 1
AufenthG § 7 Abs. 1, § 9 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, Nr. 4, § 12 Abs. 2, § 25 Abs. 5, § 26 Abs. 4 S. 4, § 33, § 35 Abs. 1
SGB III § 136

 

Leitsatz

1 Bei einer Biographie eines 29-jährigen Klägers, der zwar einen qualifizierten Hauptschulabschlusses erworben hat, aber zahlreiche Verurteilungen wegen Straftaten aufweist und keine Ausbildung absolviert hat, ist das Ermessen zur Erteilung einer Niederlassungserlaubnis aufgrund von § 26 Abs. 4 S. 4 AufenthG iVm § 35 AufenthG nicht auf Null reduziert. (Rn. 56 – 57) (redaktioneller Leitsatz)
2 Für eine positive Prognose, dass der Lebensunterhalt des Ausländers in Zukunft auf Dauer ohne die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel gesichert ist, kommt es neben den aktuellen Verhältnissen auch auf die voraussichtliche Entwicklung an, wobei die bisherige Erwerbsbiographie gewichtige Anhaltspunkte für die anzustellende Prognose liefern kann (Anschluss an OVG NRW BeckRS 2008, 30011). (Rn. 61) (redaktioneller Leitsatz)
3 Hinsichtlich der prognostischen Sicherheitsgefährdung durch den Ausländer im Rahmen von § 9 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 AufenthG kann nach im Regelfall die Strafbarkeitsgrenze der Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Jugend- oder Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten oder einer Geldstrafe von mindestens 90 Tagessätzen als Anhaltspunkt herangezogen werden (Anschluss an BayVGH BeckRS 2013, 47552). (Rn. 72) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe

I.
Der Kläger begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für seine im Hauptantrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis gerichtete Klage.
Der Kläger ist serbischer Staatsangehöriger. Er wurde am … … 1989 im Bundesgebiet geboren und ist hier aufgewachsen. Er erhielt erstmals als damals Achtjähriger am 30. Oktober 1997 eine bis zum 4. Januar 2005 befristete Aufenthaltserlaubnis. Anschließend erteilte der Beklagte dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis nach § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG, gültig bis zum 4. Januar 2007. Währenddessen erwarb der Kläger am 20. Juli 2006 den qualifizierten Hauptschulabschluss. Am 16. Januar 2007 verlängerte der Beklagte die Aufenthaltserlaubnis des Klägers nach § 32 Abs. 2 AufenthG (Kindernachzug) bis zum 4. Januar 2009. Am 19. Februar 2008 beantragte der Kläger seine Einbürgerung. Am 8. Dezember 2008 verlängerte der Beklagte die Aufenthaltserlaubnis des Klägers erneut nach § 32 Abs. 2 AufenthG (Kindernachzug) bis zum 4. Januar 2011.
Am 29. Dezember 2010 beantragte der Kläger erstmals die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis (Bl. 36). Hinsichtlich der Sicherung des Lebensunterhalts gab er an, in Zeitarbeit beschäftigt zu sein. Der vorgelegte Arbeitsvertrag vom 10. Dezember 2010 war bis zum 23. Dezember 2010 befristet.
Im Laufe des Verfahrens auf Erteilung der Niederlassungserlaubnis teilte das jobcenter dem Beklagten mit Schreiben vom 11. Januar 2011 (vermutlich gemeint: 2012) mit, dass der Kläger Arbeitslosengeld II in Bedarfsgemeinschaft mit seiner Mutter aufstockend zur Miete bis zum 14. Oktober 2011 bezogen habe und seit dem 30. Dezember 2011 auf voraussichtlich nicht absehbare Dauer beziehe (Bl. 112).
Am 11. Juni 2013 lief der Reisepass des Klägers ab.
Für den Zeitraum vom 1. Februar 2014 bis zum 16. Mai 2014 wurden dem Kläger Leistungen nach dem SGB II bewilligt (Bl. 113).
Am 11. August 2014 legte der Kläger dem Beklagten seinen am 15. Juli 2014 ausgestellten Reisepass vor (Bl. 273, 396).
Am 5. September 2014 teilte das jobcenter dem Beklagten mit, dass der Kläger ALG II-Leistungen erhalte. Die letzte Bewilligung sei am 1. Januar 2014 bis zum 16. August 2014 erfolgt (Bl. 206).
Im Laufe des Verfahrens auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis gelangten die nachfolgenden strafrechtlichen Verurteilungen des Klägers zur Akte:
. Verurteilung durch das AG N … am 24. Januar 2011: Geldstrafe von 60 Tagessätzen wegen falscher Versicherung an Eides Statt am 29. Oktober 2010.
2. Verurteilung durch das AG i … am 26. April 2013: Geldstrafe von 15 Tagessätzen wegen Leistungserschleichung am 30. Januar 2013.
3. Verurteilung durch das AG N … am 14.Oktober 2013: Freiheitsstrafe von sechs Monaten, Bewährungszeit zwei Jahre, wegen Diebstahls von Fahrrädern am 1. März 2013 und am 6. März 2013.
4. Verurteilung durch das AG N … am 16. Juni 2014: Freiheitsstrafe von neun Monaten unter Einbeziehung der Verurteilung vom 14. Oktober 2013, Bewährungszeit drei Jahre, wegen Urkundenfälschung in zwei Fällen am 16. August 2013 und am 30. August 2013 und wegen unerlaubten Aufenthalts ohne Pass. Die Bewährungszeit wurde nachfolgend bis zum 15. Juni 2018 verlängert.
5. Verurteilung durch das AG N … am 11. September 2014: Geldstrafe von 30 Tagessätzen wegen fahrlässiger Körperverletzung.
Am 16. Januar 2015 nahm der Kläger seinen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis zurück und beantragte die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis (Bl. 237).
Am 19. Februar 2015 erteilte der Beklagte dem Kläger daraufhin eine bis zum
16. Mai 2015 befristete Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG mit der Nebenbestimmung „Zur Wohnsitznahme im Landkreis N …n verpflichtet.“ (Bl. 232).
Am … April 2015 heiratete der Kläger im Bundesgebiet eine serbische Staatsangehörige. Sie hatten am 3. April 2015 gemeinsam einen Mietvertrag über eine im Bundesgebiet gelegene Wohnung abgeschlossen.
Am 12. Mai 2015 verlängerte der Beklagte die Aufenthaltserlaubnis des Klägers nach § 25 Abs. 5 AufenthG – mit der Nebenbestimmung zur Wohnsitznahme – bis zum 17. Mai 2016.
Vom 1. Juli 2015 bis zum 8. Juli 2015 und vom 16. November 2015 bis zum 31. Dezember 2015 bezog der Kläger Arbeitslosengeld gemäß § 136 SGB III (Bl. 264).
Mit Bescheid vom 9. Dezember 2015 bewilligte das jobcenter dem Kläger vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum vom 1. Januar 2016 bis zum 30. Juni 2016 (Bl. 254).
Am 22. April 2016 nahm der Kläger eine Tätigkeit als Zusteller auf. Ausweislich des Arbeitsvertrags vom 21. April 2016 wurden eine wöchentliche Arbeitszeit von 15 Stunden, ein monatlicher Bruttoverdienst von rund 700,00 € und eine sechsmonatige Probezeit vereinbart.
Der Verfahrensbevollmächtigte beantragte beim Beklagten mit Schreiben vom 28. April 2016, das am 2. Mai 2016 bei diesem einging, die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis (Bl. 314).
Zum 8. Mai 2016 stellte die Bundesagentur für Arbeit die Zahlung von Arbeitslosengeld gemäß § 136 SGB III an den Kläger wegen Anspruchserschöpfung ein (Bl. 263).
Am 19. Mai 2016 beantragte der Kläger persönlich mit Formblatt die Verlängerung seines Aufenthaltstitels ohne Angabe eines Aufenthaltszwecks (Bl. 247). Auf die Frage nach der Sicherung des Lebensunterhalts, gab der Kläger an, „von der Agentur für Arbeit“, er beziehe Grundsicherung für Arbeitssuchende und ALG I i.H.v. 864 € monatlich.
Auf Nachfrage des Verfahrensbevollmächtigten teilte der Beklagte diesem am 10. Juni 2016 telefonisch mit, dass die Erteilung der Niederlassungserlaubnis mangels Sicherung des Lebensunterhalts scheitere; zudem lägen Straftaten vor und die Probezeit des Arbeitsverhältnisses sei noch nicht abgelaufen. So lange der Lebensunterhalt nicht gesichert sei, könne auch keine Zustimmung zum Familiennachzug erteilt werden (Bl. 313).
Mit Schreiben vom 25. Oktober 2016 wies der Verfahrensbevollmächtigte auf den Ablauf der Probezeit des Arbeitsverhältnisses des Klägers hin (Bl. 323). Der Kläger erziele einen durchschnittlichen Nettolohn von 1.560,00 €.
Am 8. November 2016 teilte der Beklagte dem Verfahrensbevollmächtigten telefonisch mit, dass bei einem vertraglich vereinbarten Bruttomonatsverdienst i.H.v. 700,00 € der Lebensunterhalt nicht ausreichend gesichert sei. Selbst wenn man einen durch Überstunden und aufgrund Nachtzuschlägen tatsächlich erreichten Bruttomonatsverdienst von 1.680,00 € zu Grunde lege, reiche dies nicht aus. Außerdem könne keine Niederlassungserlaubnis erteilt werden, wenn sich im Auszug aus dem Bundeszentralregister noch Eintragungen befänden. Dann komme nur eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis in Betracht (Bl. 335, 361).
Mit Verfügung vom 8. Dezember 2016 verlängerte der Beklagte die Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG mit der Nebenbestimmung zur Wohnsitznahme (Bl. 386) bis zum 7. Dezember 2018. Am 10. Februar 2017 bestätigte der Kläger, dass er das Zusatzblatt Nr. W 1565825 und die Rechtsbehelfsbelehrung:erhalten hat (Bl. 400).
Der Kläger wandte sich an die Regierung von Oberbayern, die ihm mit Email vom 14. Dezember 2016 mitteilte, dass seine Verurteilungen ein Ausweisungsinteresse nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG mit der Folge eines Regelversagungsgrunds darstellten. Die Beklagte habe jedoch seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht ablehnen wollen, was für ihn die Ausreisepflicht zur Folge gehabt hätte, und sich deshalb entschieden, ihm statt einer bloßen Duldung eine humanitäre Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Dies habe zur Folge, dass ein Familiennachzug wegen
§ 29 Abs. 3 Satz 3 AufenthG nicht in Betracht komme. Es bestehe für seine Ehefrau die Möglichkeit, ein Visum zur Arbeitsaufnahme zu erhalten (Bl. 392).
Aus einem Aktenvermerk des Beklagten vom 13. Februar 2017 ergibt sich, dass die Wohnsitzauflage verfügt wurde, weil der Kläger seinen Lebensunterhalt nur aufgrund der erheblichen Überstunden habe sichern können (Bl. 404).
Mit Schriftsatz vom 9. März 2017, bei Gericht am selben Tag per Telefax eingegangen, ließ der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten Klage gegen den Bescheid vom 8. Dezember 2016 erheben und beantragte unter Aufhebung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG vom 8. Dezember 2016 die Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung einer Niederlassungserlaubnis hilfsweise unter Aufhebung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG vom 8. Dezember 2016 zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 33 AufenthG ohne Nebenbestimmung, weiter hilfsweise die Nebenbestimmung zur Wohnsitzname aufzuheben.
Die Klage wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der Lebensunterhalt des Klägers gesichert sei, weil er sich in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis mit einer monatlichen Bruttovergütung von 700,16 € befinde. Wegen zahlreicher Überstunden habe der Kläger von Juli bis Oktober 2016 Nettolöhne zwischen 1300,24 € und 1899,34 € erzielen können. Auch Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung stünden der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nicht entgegen. Die Mutter des Klägers besitze seit dem 1. Januar 2005 eine Niederlassungserlaubnis. Der Kläger habe deshalb einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 33 AufenthG und nicht nur nach § 25 Abs. 5 AufenthG. Es sei kein Grund ersichtlich, weshalb es dem Kläger nicht gestattet sei, seinen Wohnsitz außerhalb des Landkreises zu nehmen. Die Beschränkung benachteilige den Kläger unverhältnismäßig.
Mit Schriftsatz vom 31. März 2017 teilte der Prozessbevollmächtigte mit, dass der Kläger derzeit über kein Erwerbseinkommen verfüge, sondern Leistungen nach dem SGB II beziehe.
Mit Urteil vom 27. April 2017, rechtskräftig seit 10. Oktober 2017, verurteilte das Amtsgericht n … den Kläger wegen Betrugs am 7. Mai 2016 zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen (Bl. 424 ff.).
Am 22. Dezember 2017 legte der Prozessbevollmächtigte die Erklärung des Klägers über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom 15. Dezember 2017 vor. Er teilte mit, dass der Kläger von September 2017 bis November 2017 aufgrund einer bis zum 15. Dezember 2017 befristeten Anstellung als Fahrer einen monatlichen Nettoverdienst zwischen rund 1.160,00 € und 1.365,00 € und im Zeitraum von April 2017 bis zum November 2017 jeweils einen monatlichen Nettoverdienst als Aushilfe in einer Bäckerei in Höhe von rund 290,00 € erzielt habe.
Mit Schreiben vom 30. Januar 2018 bat der Beklagte den Prozessbevollmächtigten um Mitteilung, ob der Arbeitgeber des Klägers den Arbeitsvertrag zwischenzeitlich an die als Zusteller tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden angepasst habe (Bl. 441).
Die Polizeiinspektion n … übermittelte der Staatsanwaltschaft im Januar 2018 einen Vorgang gegen die Ehefrau des Klägers wegen falscher uneidlicher Aussage in der öffentlichen Sitzung des Amtsgerichts am 27. April 2017 (Bl. 444).
Mit Schriftsatz vom 22. Februar 2018, bei Gericht am 12. März 2018 eingegangen, legte der Beklagte die Akten vor, beantragte Klageabweisung und führte aus, die Voraussetzungen des § 9 AufenthG lägen nicht vor. Der Lebensunterhalt sei nicht gesichert. Eine positive Prognose sei aufgrund des bisherigen Beschäftigungsverlaufs des Klägers nicht möglich. In den letzten zehn Jahren habe der Kläger eine Vielzahl verschiedener Beschäftigungen mit sehr geringer Dauer ausgeübt. Auch Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung stünden der Erteilung der Niederlassungserlaubnis entgegen. Der Auszug aus dem Bundeszentralregister weise für den Kläger sechs Verurteilungen für den Zeitraum von Januar 2011 bis April 2017 auf. Die letzte Verurteilung sei am 27. April 2017 während des laufenden Klageverfahrens erfolgt. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auf der Grundlage von § 33 AufenthG scheide aus. § 33 AufenthG regele nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung nur die erstmalige Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Anschluss an die Geburt eines Kindes. Die Nebenbestimmung der Wohnsitzauflage für den Landkreis sei rechtmäßig. Sie beruhe auf § 12 Abs. 2 AufenthG. Zwar habe der Kläger im Zeitpunkt der letzten Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis am 8. Dezember 2016 in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden, jedoch seinen Lebensunterhalt damit nicht sichergestellt. Bei Vorlage eines Arbeitsvertrags bei einem Arbeitgeber in einer anderen Stadt mit einem unterhaltssichernden Einkommen und damit einhergehender Notwendigkeit eines Wohnsitzwechsels könne die Wohnsitzauflage gestrichen werden.
Die Deutsche Rentenversicherung legte dem Beklagten am 23. Februar 2018 den Versicherungsverlauf für den Kläger vor (Bl. 448 ff.).
Am 26. Februar 2018 übermittelte die … dem Beklagten eine Versicherungsbescheinigung für den Kläger (Bl. 452 ff.).
Mit Schriftsatz vom 22. März 2018 erwiderte der Prozessbevollmächtigte u.a., dass die Auflistung des Beklagten über die Beschäftigungsverhältnisse des Klägers deutlich mache, dass der Kläger sich stets um die Aufnahme einer Beschäftigung bemüht habe. Die Wohnsitzauflage hindere den Kläger daran, sich auf Stellenangebote außerhalb des Landkreises zu bewerben.
Am … Mai 2018 kam der Sohn des Klägers im Bundesgebiet zur Welt.
Mit Schreiben vom 16. Juli 2018 legte der Prozessbevollmächtigte die aktuelle Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers vom 12. Juli 2018 mit Anlagen vor.
Der Prozessbevollmächtigte teilte im September 2018 mit, dass der Kläger einen vom 10. September 2018 bis zum 9. März 2020 befristeten Arbeitsvertrag mit der S … ag … zu einer monatlichen Bruttovergütung von 2.000,00 € bei einer Probezeit von sechs Monaten abgeschlossen habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten nimmt das Gericht Bezug auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Behördenakten.
II.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat keinen Erfolg.
Einer Partei ist auf ihren Antrag hin Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wenn sie nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann und die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichenden Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO).
Im vorliegenden Fall bleibt der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe erfolglos, weil die Klage keine hinreichenden Erfolgsaussichten hat.
Für die Beurteilung der hinreichenden Erfolgsaussichten der Klage ist der Zeitpunkt der Bescheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags maßgebend. Bescheidungsreife tritt regelmäßig dann ein, wenn die Voraussetzungen der § 166 VwGO, § 117 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 4 ZPO – Darstellung des Streitverhältnisses, Vorlage einer Vordruckerklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse – erfüllt sind und der Gegner Gelegenheit zur Stellungnahme hatte (§§ 166 VwGO, 118 Abs. 1 Satz 1 ZPO) (OVG Saarlouis, B.v. 20.8.2015 – 1 D 134/15 – BeckRS 2015, 53955).
Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für die Erfolgsaussichten der Klage ist vorliegend Ende Januar 2018, weil der Kläger die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse dem Gericht erstmals am 22. Dezember 2017 vorgelegt hat und vorliegend ein Zeitraum von vier Wochen als Gelegenheit zur Stellungnahme durch den Beklagten vom Gericht als angemessen betrachtet und zu Grunde gelegt wird. Es liegt auch nicht der Ausnahmefall der Änderung der rechtlichen Beurteilung unabhängig von der Änderung der tatsächlichen Umstände nach Eintritt der Bescheidungsreife vor, in dem auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen sein könnte (vgl. Schoch/Schneider/Bier/Olbertz VwGO § 166 Rn. 54). Unabhängig davon sind die Erfolgsaussichten der Klage jedoch auch im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht gegeben.
I.
Der Kläger hatte unabhängig davon, dass kein Formblatt zum Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nachgereicht wurde, zum maßgeblichen Zeitpunkt nach summarischer Prüfung keinen Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis, weder nach § 35 Abs. 1 Satz 2 AufenthG noch nach § 26 Abs. 4 Satz 4 AufenthG i.V.m. § 35 AufenthG noch nach § 9 AufenthG.
Hierbei geht das Gericht davon aus, dass in der Beantragung einer Aufenthaltserlaubnis durch den Kläger persönlich am 19. Mai 2016 ein eigenständiger Antrag und keine Rücknahme des zuvor durch seinen Prozessbevollmächtigten gestellten Antrags auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis liegt und somit noch ein Rechtschutzinteresse für die Klage im Hauptantrag besteht.
Ob der Beklagte durch die Verlängerung der humanitären Aufenthaltserlaubnis (nur) den klägerischen Antrag vom 19. Mai 2016 verbeschieden hat oder darin (zugleich) die Ablehnung der Niederlassungserlaubnis zu sehen ist, ist im Ergebnis unerheblich. Denn selbst wenn man hinsichtlich der Niederlassungserlaubnis von einer Nichtverbescheidung ausginge, lägen die Zulässigkeitsvoraussetzungen für eine Untätigkeitsklage gemäß § 75 VwGO jedenfalls auch schon im maßgeblichen Zeitpunkt der Bescheidungsreife vor.
1. Der Kläger hatte im Zeitpunkt der Bescheidungsreife keinen Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis gemäß § 35 Abs. 1 Satz 2 AufenthG.
Der Anspruch scheitert daran, dass der Kläger im Zeitpunkt der beantragten Umwandlung seines akzessorischen Aufenthaltsrechts aus familiären Gründen in ein unbefristetes Aufenthaltsrecht nicht mehr im Besitz dieses akzessorischen Aufenthaltsrechts war (vgl. GK-AufenthG § 35 Rn. 3). Der Kläger war weder im Zeitpunkt der Beantragung der Niederlassungserlaubnis im Mai 2016 noch im Zeitpunkt der Bescheidungsreife im Januar 2018 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen. Seit dem 19. Februar 2015 verfügt der Kläger (nur noch) über eine humanitäre Aufenthaltserlaubnis.
2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis aufgrund von § 26 Abs. 4 Satz 4 AufenthG i.V.m. § 35 AufenthG entsprechend.
Diesem Anspruch steht zwar nicht grundsätzlich entgegen, dass der Kläger (nur noch) eine humanitäre Aufenthaltserlaubnis besitzt. Er scheitert aber daran, dass die Erteilung auf dieser Rechtsgrundlage im Ermessen der Behörde steht (GK-Aufenth, § 26 Rn. 35.1., OVG NRW, B.v. 11.5.2009 – 18 A 462/09 – juris Ls. 1; OVG Sachsen, B.v. 29.3.2007 – 3 Bs 113/06 – juris Rn. 6) und eine Ermessensreduzierung auf Null nicht ersichtlich ist.
Eine Ermessensreduzierung auf Null ist – ausnahmsweise – dann gegeben, wenn nur eine ganz bestimmte Entscheidung jeden denkbaren Ermessensfehler vermeidet. Dies bedeutet, dass vorliegend nur die Erteilung der Niederlassungserlaubnis an den Kläger als einzig mögliche Entscheidung ermessensfehlerfrei sein müsste. Dies ist indes nicht der Fall.
Dem bisherigen Integrationserfolg des im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt 29-jährigen Klägers – dem Erwerb des qualifizierten Hauptschulabschlusses – stehen sowohl zahlreiche Verurteilungen wegen Straftaten als auch eine nicht vollständig gelungene wirtschaftliche Integration gegenüber. Eine Ausbildung hat der Kläger nicht absolviert, weshalb zu erwarten ist, dass er seinen Lebensunterhalt auch in Zukunft mit ungelernter Erwerbstätigkeit bestreiten wird. Ausweislich der Übersicht des Beklagten in der Klageerwiderung hatte der Kläger im Zeitraum vom 24. April 2009 bis zum Januar 2018 23 Arbeitsverhältnisse, deren jeweilige Dauer zwischen einem Tag und maximal knapp zehn Monaten lag. Es liegen auch beträchtliche Zeiten des Bezugs von SGB II-Leistungen vor. Somit kann vorliegend nicht von einer derart gelungenen rechtlichen und wirtschaftlichen Integration des Klägers ausgegangen werden, die nur die Entscheidung für die Erteilung der Niederlassungserlaubnis zulässt.
3. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis auf der Grundlage von § 9 AufenthG, weil die Erteilungsvoraussetzungen nach § 9 Abs. 2 AufenthG nicht vorliegen.
Der Kläger hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der Bescheidungsreife weder seinen Unterhalt gesichert (§ 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG) noch erfüllt er die Erteilungsvoraussetzung, dass Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung nicht entgegenstehen (§ 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG). Ob er die erforderliche Besitzzeit gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG erfüllt, bedarf keiner Entscheidung.
3.1. Der Kläger sichert nicht seinen Lebensunterhalt.
Nach § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ist der Lebensunterhalt eines Ausländers gesichert, wenn er ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann, wobei der Bezug bestimmter in § 2 Abs. 3 Satz 2 AufenthG aufgeführter öffentlicher Mittel außer Betracht bleibt. Dies erfordert die positive Prognose, dass der Lebensunterhalt des Ausländers in Zukunft auf Dauer ohne die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel gesichert ist. Neben den aktuellen Verhältnissen kommt es auch auf die voraussichtliche Entwicklung an, wobei die bisherige Erwerbsbiographie gewichtige Anhaltspunkte für die anzustellende Prognose liefern kann (OVG NRW, B.v. 4.12.2007 – 17 E 47/07 – juris Rn. 6). Es ist somit – auch aufgrund rückschauender Betrachtung – abzuschätzen, ob ohne unvorhergesehene Ereignisse in Zukunft gewährleistet erscheint, dass der Ausländer den Lebensunterhalt dauerhaft ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel aufbringen kann. Dies ist im maßgeblichen Zeitpunkt nicht der Fall.
3.1.1. Welcher Bedarf für den Lebensunterhalt in Ansatz zu bringen ist, bemisst sich grundsätzlich nach den Maßstäben des Sozialrechts (vgl. BVerwG, U.v. 26.8.2008 – 1 C 32.07 – juris Rn. 19; dem folgend: BVerwG, U.v. 18.4.2013 – 10 C 10.12 – juris Rn. 13).
Abzustellen ist vorliegend auf die Bedarfsgemeinschaft des Klägers mit seiner Ehefrau, weil im maßgeblichen Zeitpunkt das Kind des Klägers noch nicht geboren war. Die Bedarfsgemeinschaft ist maßgebend, weil der Kläger eine Aufenthaltserlaubnis zum Zusammenleben mit seiner Ehefrau in einer häuslichen Gemeinschaft anstrebt. In einem solchen Fall gelten nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung für die Berechnung seines Anspruchs auf öffentliche Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II grundsätzlich die Regeln über die Bedarfsgemeinschaft nach § 9 Abs. 1 und 2 i.V.m. § 7 Abs. 3 SGB II (BVerwG, U.v. 16.11.2010 – 1 C 21/09 – juris Rn. 15).
Dass der Kläger eine Aufenthaltserlaubnis zum Zusammenleben mit seiner Ehefrau im Bundesgebiet anstrebt, ergibt sich für das Gericht daraus, dass der Kläger seine Ehefrau in der Erklärung vom 15. Dezember 2017 zwar ohne Angabe ihrer Wohnanschrift, aber unter Vorlage eines gemeinsam abgeschlossenen Mietvertrags im Bundesgebiet als Unterhaltsberechtigte aufgeführt. Außerdem lässt das vorangegangene behördliche Verfahren erkennen, dass der Kläger eine Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug für seine Ehefrau erstrebt. Er hat u.a. das Angebot eines Arbeitsvertrags für seine Ehefrau ebenfalls als Zustellerin vorgelegt und sich in seinen Schreiben an den Beklagten mehrfach auf den beabsichtigten Familiennachzug bezogen. Deshalb sind vorliegend die Regeln über die Bedarfsgemeinschaft maßgebend.
3.1.2 Der erforderliche Bedarf für die Bedarfsgemeinschaft des Klägers und seiner Ehefrau betrug im Januar 2018 1428,00 €. Das Einkommen des Klägers aus seiner geringfügigen Beschäftigung betrug nach Angaben des Beklagten im Schriftsatz vom 31. Oktober 2018 195,70 €. Der Bedarf überstieg die Einkünfte somit bei Weitem. Dies gilt sogar dann, wenn man nur den Bedarf des Klägers und nicht den der Bedarfsgemeinschaft mit seiner Ehefrau zugrunde legt.
Im Zeitpunkt der Bescheidungsreife war der Kläger arbeitssuchend, das befristete Beschäftigungsverhältnis vom September 2017 mit der D AG war seit 15. Dezember 2017 beendet. Die Einkünfte im Rahmen des auf drei Monate befristeten Arbeitsverhältnisses mit der D AG hatten sich monatlich auf durchschnittlich netto 1.300,00 € belaufen. Der Kläger ging seit April 2017 noch einer geringfügigen Beschäftigung als Helfer in einer Bäckerei zu einem Stundenlohn von 10,00 € nach und erzielte hierbei Einkünfte von durchschnittlich 320,00 € netto. Das Beschäftigungsverhältnis als Zusteller war zum 2. Februar 2017 beendet worden.
Ausweislich der vom Beklagten vorgelegten Unterlagen war der Kläger vom 24. April 2009 – zu diesem Zeitpunkt hatte der Kläger die Schule bereits seit fast drei Jahren beendet und keine Ausbildung abgeschlossen – bis zum maßgeblichen Zeitpunkt Ende Januar 2018 in 23 Arbeitsverhältnissen beschäftigt, deren jeweilige Dauer zwischen einem Tag und maximal knapp zehn Monaten lag. In dem Zeitraum von knapp neun Jahren war der Kläger nur rund 3 V Jahre versicherungspflichtig beschäftigt. Innerhalb dieser Erwerbsbiografie war im Januar 2018 auch keine Verbesserung bzw. Verstetigung zu erkennen.
Doch selbst wenn man davon ausgehen würde, dass – wie nicht – im maßgeblichen Zeitpunkt der Lebensunterhalt aufgrund der Erwerbstätigkeit des Klägers gesichert gewesen wäre, würde eine punktuelle Betrachtung dennoch nicht eine positive Prognose für die Zukunft rechtfertigen. Vor dem Hintergrund der Erwerbsbiografie des Klägers als Ungelernter mit vielfach wechselnden Arbeitgebern und Arbeitsverhältnisses von nur kurzer Dauer und Zeiten von Arbeitslosigkeit konnte im Zeitpunkt der Bescheidungsreife nicht die Prognose getroffen werden, der Kläger werde den Lebensunterhalt seiner Familie dauerhaft ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel aufbringen können (OVG NRW, B.v. 4.12.2007, a.a.O.).
Bei dieser Sachlage ist die positive Prognose, der Kläger werde in Zukunft den Lebensunterhalt der Bedarfsgemeinschaft auf Dauer ohne Inanspruchnahme öffentlicher Leistungen sichern, weder im Januar 2018 möglich gewesen noch ist sie es -auch unter Berücksichtigung des neuen Arbeitsvertrags des Klägers seit September 2018 – im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts über den Prozesskostenhilfeantrag.
3.2. Der Erteilung der Niederlassungserlaubnis standen im maßgeblichen Zeitpunkt auch Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung entgegen. Dies ergibt die Abwägung zwischen der prognostischen Sicherheitsgefährdung durch den Kläger und seinen Bindungen an das Bundesgebiet gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG.
3.2.1. Die Sonderregelung in § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG verdrängt, soweit es um Ausweisungsinteressen geht, die sich auf Straftaten beziehen, die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG (BVerwG, U.v. 16.11.2010 – 1 C 21.09 – juris Rn. 12 f,).
3.2.2. Hinsichtlich der prognostischen Sicherheitsgefährdung durch den Ausländer im Rahmen von § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG kann nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, soweit besondere Umstände – wie beispielsweise eine besonders hohe Wiederholungsgefahr – nicht vorliegen, die Strafbarkeitsgrenze der Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Jugend- oder Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten oder einer Geldstrafe von mindestens 90 Tagessätzen als Anhaltspunkt herangezogen werden (BayVGH, B.v. 11.2.2013 – 19 AS 12.2476 – BeckRS 2013, 47552 Rn. 20).
Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs ist zu Lasten des Klägers die rechtskräftige, noch nicht getilgte und auch nicht tilgungsreife Verurteilung vom 16. Juni 2014 zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten, deren Bewährungszeit bis zum 15. Juni 2018 verlängert wurde, zu berücksichtigen.
Andererseits ist zu seinen Gunsten als Bindung an das Bundesgebiet in den Blick zu nehmen, dass der Kläger im Bundesgebiet geboren und aufgewachsen ist und hier den qualifizierten Hauptschulabschluss erworben hat. Die wirtschaftliche Integration ist indes, wie bereits im Zusammenhang mit der mangelnden Sicherung des Lebensunterhalts ausgeführt, nicht ausreichend gelungen. Als soziale Bindungen an das Bundesgebiet berücksichtigt das Gericht zu Gunsten des Klägers, dass – soweit ersichtlich – die Mutter und der (deutsche) Bruder des Klägers im Bundesgebiet leben; es handelt sich hierbei jedoch nicht um die Kernfamilie. Auf die serbische Ehefrau des Klägers wird in diesem Zusammenhang nicht abgestellt, weil diese sich zwar -soweit ersichtlich – gemeinsam mit dem Kläger im Bundesgebiet aufhält und im Jahr 2015 gemeinsam mit den Kläger den Mietvertrag für die Familienwohnung im Bundesgebiet unterzeichnet hat, jedoch – soweit aus der Akte ersichtlich – nicht über ein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet verfügt, so dass sie sich hier allenfalls besuchsweise aufhalten darf. Damit stellt die serbische Ehefrau des Klägers, so lange sie sich nicht dauerhaft rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten darf, keinen als Bindung an die Bundesrepublik zu berücksichtigenden Belang dar. Dies gilt auch für das Kind des Klägers, das – soweit ersichtlich – ebenfalls nicht über ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht verfügt.
Vor diesem Hintergrund fällt die Abwägung zwischen der prognostischen Sicherheitsgefährdung durch den Kläger und seinen Bindungen an das Bundesgebiet zu Ungunsten des Klägers aus.
3.2.3. Vorliegend ist auch nicht von einem „Verbrauch“ der Straftaten in dem Sinn auszugehen, dass diese dem Kläger nicht mehr entgegengehalten werden dürfen.
3.2.3.1. Anders als in den Fällen, in denen das Nichtvorliegen eines Ausweisungsinteresses (nur) eine Regelerteilungsvoraussetzung ist (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG), handelt es sich bei § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG um eine zwingende Erteilungsvoraussetzung. Das Gericht ist der Auffassung, dass bereits aus diesem Grund im Hinblick auf die Straftat des Klägers ein „Verbrauch“ überhaupt nicht eintreten kann.
3.2.3.2. Des Weiteren hat der Beklagte durch seine Entscheidung, dem Kläger zwar keine Niederlassungserlaubnis, aber eine humanitäre Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, schon nicht die grundsätzlich berechtigte Erwartung geweckt, die Verurteilung aus dem Jahr 2014 werde bei künftigen ausländerrechtlichen Entscheidungen außer Betracht bleiben. Der Beklagte hat im gesamten Verfahren deutlich gemacht, dass die Erteilung eines unbefristeten Aufenthaltsrechts neben der mangelnden Unterhaltssicherung auch an den entgegenstehenden Gründen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung scheitert.
3.3. Das Gericht verneint des Weiteren, dass der Kläger die erforderliche fünfjährige Besitzzeit nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG erfüllt.
Mit der Rücknahme des ersten Antrags auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis am 16. Januar 2015 ist die Fortgeltungsfiktion des § 81 Abs. 4 AufenthG für die frühere Aufenthaltserlaubnis gemäß § 32 AufenthG entfallen. Die Beantragung einer Aufenthaltserlaubnis am 16. Januar 2015 hat mangels Anknüpfungspunkt nach Auffassung des Gerichts keine weitere Fiktionswirkung ausgelöst, so dass der Kläger erst seit 19. Februar 2015 (wieder) im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis ist. Die Fiktionszeit ist nach Auffassung des Gerichts bei einer Rücknahme des Antrags der bestandskräftigen Ablehnung gleich zu stellen, und somit nicht auf die erforderliche Besitzzeit anzurechnen. Damit ergibt sich eine Lücke von mehr als einem Jahr, die auch nicht gemäß § 85 AufenthG überwunden werden kann.
Es ist auch nicht dem Beklagten anzulasten, über den ersten Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis vom 29. Dezember 2010 nicht früher entschieden zu haben: Der Kläger hat es sich selbst zuzuschreiben, dass der Beklagte aufgrund der Verurteilungen des Klägers und von Zeiten der Passlosigkeit über einen langen Zeitraum nicht in der Lage war, den Antrag positiv zu verbescheiden.
II.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 33 AufenthG.
Mangels vorherigen Antrags an die Behörde auf Erteilung einer diesbezüglichen Aufenthaltserlaubnis fehlt bereits das Rechtsschutzinteresse für diese Klage, weshalb sie unzulässig ist. Die Klage ist auch unbegründet, weil die Norm ausschließlich die Konstellation der erstmaligen Erteilung der Aufenthaltserlaubnis aufgrund der Geburt im Inland regelt (BeckOK, AuslR/Tewocht, AufenthG, § 33 Rn. 5).
III.
Die Klage auf Aufhebung der Nebenbestimmung hat ebenfalls keinen Erfolg.
Gemäß § 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG kann die Aufenthaltserlaubnis mit Auflagen, insbesondere einer räumlichen Beschränkung, verbunden werden. Es handelt sich hierbei um eine Ermessensentscheidung, die vom Gericht nur eingeschränkt überprüfbar ist (§ 114 Satz 1 VwGO). Ermessensfehler sind vorliegend nicht ersichtlich.
Die wohnsitzbeschränkende Auflage untersagt dem betroffenen Ausländer nicht den Aufenthalt in anderen Teilen des Bundesgebiets, sondern die Wohnsitznahme dort. Ziel ist die Sozialhilfelastenverteilung innerhalb der Länder. Sie ist vorliegend nicht unzulässig, weil dem Kläger dadurch nicht die Ausübung einer erlaubten Beschäftigung unmöglich wird. Sie ist auch nicht aus sonstigen Gründen unverhältnismäßig. Anlass war jeweils – wie sich aus dem Akteninhalt und explizit aus dem Aktenvermerk vom Februar 2017 ergibt – die schwankende Einkommenssituation des Klägers und die Verhinderung, Sozialhilfelasten auf andere Kommunen abzuwälzen. Der Beklagte hat zudem klar gestellt, dass bei Nachweis eines unterhaltssichernden Einkommens an einem anderen Ort die Wohnsitzauflage aufgehoben wird. Der Kläger ist somit durch die Nebenbestimmung nicht daran gehindert, sich eine lukrative Beschäftigung außerhalb des Landkreises zu suchen. Das Nachschieben bzw. Ergänzen von Ermessenserwägungen ist vorliegend zulässig. Aus dem Verlauf des behördlichen Verfahrens ergibt sich, dass der Grund für die Verfügung der Nebenbestimmung das nicht lebensunterhaltsichernde Einkommen des Klägers war.


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