Arbeitsrecht

Anforderungen an das Merkmal der altersgeldfähigen Dienstzeit

Aktenzeichen  W 1 K 19.1577

Datum:
26.5.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 11224
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AltGG § 3, § 6 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3, Abs. 4
BRRG § 123a

 

Leitsatz

1. In Zeiten einer Zuweisung gemäß § 123a Abs. 3 BRRG legt der Beamte  eine Dienstzeit in einem Beamtenverhältnis im Dienst eines öffentlich-rechtlichen Dienstherrn zurück, sodass diese Zeiten unter § 6 Abs. 1 Satz 1 AltGG fallen (Rn. 13). (redaktioneller Leitsatz)
2. Zeiten einer Zuweisung gemäß § 123a Abs. 3 BRRG sind als Zeiten, die „im Bundesdienst zurückgelegt“ wurden, anzusehen (Rn. 16 – 21). (redaktioneller Leitsatz)
3.  Die europarechtlichen Implikationen des AltGG stehen einer restriktiven, engen Auslegung der einen Altersgeldanspruch begründenden Tatbestandsmerkmale entgegen (Rn. 20). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger unter Aufhebung des Bescheids vom 13. Dezember 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. September 2019 Altersgeld nach dem Altersgeldgesetz zu gewähren.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Gewährung von Altersgeld nach dem Altersgeldgesetz. Der ablehnende Bescheid vom 13. Dezember 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. September 2019 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1, Abs. 5 VwGO).
Gem. § 3 Abs. 1 Satz 1 AltGG besteht ein Anspruch auf Altersgeld, wenn eine altersgeldfähige Dienstzeit nach § 6 Abs. 1 bis 4 AltGG von mindestens sieben Jahren, davon wenigstens fünf Jahre im Bundesdienst, zurückgelegt worden ist.
Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger.
1. Der Kläger hat zunächst eine altersgeldfähige Dienstzeit von mindestens sieben Jahren nach § 6 Abs. 1 bis 4 AltGG zurückgelegt. Im Zeitraum vom 22. Februar 1988 bis zum 31. August 1992 leistete der Kläger Dienst beim Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen. Diese Zeit unterfällt als Zeit im Dienst eines öffentlich-rechtlichen Dienstherren im Beamtenverhältnis bereits § 6 Abs. 1 Satz 1 AltGG. Des Weiteren wurde er für die Zeit vom 1. September 1992 bis zum 28. Februar 1995 gem. § 123a Abs. 1 BRRG der Kommission der Europäischen Gemeinschaften als nationaler Sachverständiger zugewiesen. Gem. § 123a Abs. 3 BRRG bleibt dabei die Rechtstellung des Beamten unberührt. Die Rechte und Pflichten aus dem Beamtenverhältnis zu seinem Dienstherrn bestehen fort; der Beamte erhält auch weiterhin von diesem seine Bezüge. Die zugewiesene Tätigkeit wird als dienstliche Aufgabe in beamtenrechtlicher Verantwortung gegenüber dem bisherigen Dienstherrn wahrgenommen (BeckOK Beamtenrecht Bund, Brinktrine/Schollendorf, 17. Edition, Stand 1.2.2019, § 123a BRRG Rn. 3). Dienstherrenbefugnisse werden nicht übertragen, sondern nur Direktions- und Weisungsbefugnisse (BayVGH, B.v. 10.4.2007 – 3 B 02.3062 – juris). Insofern legte der Beamte auch in dieser Zeit eine Dienstzeit in einem Beamtenverhältnis im Dienst eines öffentlich-rechtlichen Dienstherrn zurück, sodass diese Zeiten ebenfalls unter § 6 Abs. 1 Satz 1 AltGG fallen.
Vom 1. März 1995 bis zu seinem Ausscheiden aus dem Beamtenverhältnis mit Ablauf des 15. September 2018 erhielt der Kläger Sonderurlaub ohne Fortzahlung der Bezüge für Tätigkeiten am Europäischen Währungsinstitut und der Europäischen Zentralbank. Die Zeiten der Tätigkeit am Europäischen Währungsinstitut und der Europäischen Zentralbank sind zwar Zeiten der Beurlaubung ohne Dienstbezüge, sodass § 6 Abs. 1 Satz 3 AltGG i.V.m. § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 BeamtVG einschlägig sein könnte, vorrangig erfolgt dessen Berücksichtigung aber über § 6 Abs. 2 Nr. 2 AltGG (zum vergleichbaren § 6 BeamtVG: Weinbrenner, Beamtenversorgungsrecht des Bundes und der Länder, Juli 2018, § 6 Rn. 305). Die Gleichstellung gem. § 6 Abs. 2 Nr. 2 AltGG besteht für Zeiten einer Verwendung im öffentlichen Dienst einer zwischenstaatlichen oder überstaatlichen Einrichtung. Bei der Europäischen Zentralbank sowie bei deren Vorgänger, dem Europäischen Währungsinstitut, handelt es sich um eine zwischenstaatliche Einrichtung im Sinne der Norm. Die Europäische Zentralbank ist bereits im Verzeichnis öffentlicher zwischenstaatlicher oder überstaatlicher Organisationen und Einrichtungen, Stand 3. November 2015, im Anhang der Entsendungsrichtlinie Bund, erfasst. Die Zeiten erfolgten auch für eine Verwendung im öffentlichen Dienst dieser Einrichtung. In Betracht kommen vor allem, aber nicht ausschließlich, Zeiten einer Entsendung in öffentliche zwischenstaatliche oder überstaatliche Organisationen gemäß der Entsendungsrichtlinie des Bundes oder den entsprechenden Entsendungsrichtlinien der Länder (zum vergleichbaren § 6 BeamtVG: Weinbrenner, Beamtenversorgungsrecht des Bundes und der Länder, Juli 2018, § 6 Rn. 305). Vorliegend wurde der Kläger zum 1. März 1995 an das Europäische Währungsinstitut gem. Abschnitt I und II der Entsendungsrichtlinie vom 15. August 1998 entsendet. Somit sind die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 Nr. 2 AltGG erfüllt.
Der Kläger hat somit eine altersgeldfähige Dienstzeit von mehr als sieben Jahren im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 AltGG i.V.m. § 6 Abs. 1 – 4 AltGG zurückgelegt.
2. § 3 Abs. 1 Satz 1 AltGG sieht zudem weiter die Einschränkung vor, dass von dieser altersgeldfähigen Dienstzeit wenigstens fünf Jahre im Bundesdienst zurückgelegt worden sein müssen. Diese Voraussetzung ist beim Kläger ebenfalls erfüllt. Neben den Zeiten beim Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen wurden zumindest auch die Zeiten der Zuweisung nach § 123a BRRG „im Bundesdienst“ zurückgelegt. Da diese zusammen mehr als fünf Jahre betragen, kommt es auf die Frage der Berücksichtigungsfähigkeit der Zeiten des Sonderurlaubs mithin nicht mehr entscheidungserheblich an.
Eine Auslegung der Formulierung „im Bundesdienst“ ergibt, dass auch die Zeiten der Zuweisung darunter zu subsumieren sind.
Der Wortlaut „im Bundesdienst“ ist nicht eindeutig. Er ist aufnahmefähig für eine Auslegung, die das Erfordernis der tatsächlichen Erfüllung einer Dienstleistungsverpflichtung gegenüber dem Dienstherrn beinhaltet, ebenso wie für eine Auslegung, die es ausreichen lässt, dass die Tätigkeit dem Bund dient, ohne eine unmittelbare Dienstverrichtung gegenüber dem Dienstherrn vorzusehen. Allerdings legt schon der Wortlaut das letztgenannte Verständnis nahe. So drückt die Aussage, ein Beamter stehe „im Dienst“ eines bestimmten Dienstherrn, regelmäßig nur aus, dass der Beamte in ein Beamtenverhältnis berufen wurde und dieses weiter fortbesteht und nicht, dass tatsächlich unmittelbar für den Dienstherrn Dienste geleistet werden (vgl. zu ähnlichen Erwägungen VG Gelsenkirchen, U.v. 14.9.2018 – 3 K 4304/15 -, Rn. 35, juris).
Zudem entspricht es dem Sinn und Zweck der Norm, die Zeiten der Zuweisung als Zeiten, die „im Bundesdienst zurückgelegt“ wurden, anzusehen. In der Gesetzesbegründung heißt es zur Wartezeit des § 3 Abs. 1 AltGG, dass es Zweck der Wartezeit sei „dass der Dienstherr über einen vertretbaren Zeitraum an der Arbeitskraft des Beamten partizipiert, bevor ein Anspruch auf Altersgeld entsteht“, weiter heißt es dort, dass kein übermäßiger Anreiz geschaffen werden soll, den Bundesdienst vorzeitig zu verlassen (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drs. 17/12479). Dies erfordert aber weder nach dem Wortlaut noch nach dem Sinn und Zweck, dass eine tatsächliche Erfüllung einer Dienstleistungsverrichtung gegenüber einem Dienstherrn i.S.d. § 2 BBG notwendig ist (so aber die Durchführungshinweise des Bundesministeriums des Innern vom 20.9.2013 zum AltGG). Im Falle einer Zuweisung partizipiert der Dienstherr nämlich ebenfalls von der Arbeitskraft des Beamten. Nach § 123a BRRG wird ein Beamter im dienstlichen oder öffentlichen Interesse einer öffentlichen Einrichtung zugewiesen. Die zugewiesene Tätigkeit wird dabei als dienstliche Aufgabe in beamtenrechtlicher Verantwortung gegenüber dem bisherigen Dienstherrn wahrgenommen. Bereits aus dem Umstand, dass einer Zuweisung nach § 123a BRRG ein dienstliches oder öffentliches Interesse zugrunde liegen muss, wird deutlich, dass die Arbeitskraft des zugewiesenen Beamten weiterhin auch dem Dienstherrn dient und dieser somit auch von der Arbeitskraft partizipiert, auch wenn die tatsächliche Dienstverrichtung nicht unmittelbar für den Dienstherrn erfolgt. Dies umso mehr als der Dienstherr in aller Regel durch eine Zuweisung eines Beamten durch diesen auch seine Interessen verfolgen will. Anders als etwa im Falle eines Sonderurlaubs geht eine Zuweisung von Seiten des Dienstherrn aus, der nach § 123a Abs. 2 BRRG unter besonderen Voraussetzungen sogar dazu berechtigt wäre eine Zuweisung ganz ohne Zustimmung des Beamten vorzunehmen. Ein Anreiz den Dienstherrn zu verlassen, kann dabei bei Berücksichtigung der Zeiten des § 123a BRRG nicht gesehen werden, da es der Beamte nicht zwingend selbst in der Hand hat, zugewiesen zu werden. Zudem hat der Gesetzgeber mit einer generellen Wartezeit von sieben altersgeldfähigen Jahren sowie einem Abschlag von 15 Prozent (§ 7 Abs. 1 Satz 1 AltGG) bereits Regelungen im AltGG getroffen, die sich im Vergleich zum BeamtVG als weniger günstig darstellen. Zur Aufrechterhaltung des vorgenannten Gleichgewichts ist es vor diesem Hintergrund nicht notwendig, auch noch das Merkmal „im Bundesdienst“ restriktiv – nämlich im Sinne der tatsächlichen Dienstleistung gegenüber einem Dienstherrn nach § 2 BBG – zu verstehen (vgl. VG Gelsenkirchen, U.v. 14.9.2018 – 3 K 4304/15 -, Rn. 55, juris). Dem Sinn und Zweck des AltGG im Allgemeinen lässt sich schließlich kein Argument für ein anderes Verständnis des Tatbestandsmerkmals „im Bundesdienst“ entnehmen. Das AltGG dient dazu, die Mobilität und Flexibilität der Beamten zu erhöhen und den Austausch mit der Wirtschaft zu fördern, indem die mit der Nachversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung verbundenen wirtschaftlichen Nachteile abgebaut werden (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drs. 17/12479, S. 11, linke Spalte; siehe auch Hebeler, ZBR 2013, 289 (291)). Versorgungsrechtlich wirksame Beamtendienstzeiten sollen damit portabel gemacht werden (vgl. auch den Diskussionsbeitrag des Abgeordneten Schuster (CDU/CSU), BT-PlPr 17/228, S. 28509 A.; VG Gelsenkirchen, U.v. 14.9.2018 – 3 K 4304/15 – juris).
Das AltGG ist auch vor dem Hintergrund der in Art. 45 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) fundierten Arbeitsnehmerfreizügigkeit zu sehen. So hat der EuGH mit Urteil vom 13. Juli 2016 – C-187/15 – in der Rs. Pöpperl entschieden, dass die Arbeitnehmerfreizügigkeit beschränkt wird, wenn ein Beamter im Falle seines freiwilligen Ausscheidens das Ruhegehalt aus der Beamtenversorgung verliert und in der gesetzlichen Rentenversicherung nachversichert wird. Dies führt zu einer Rechtfertigungslast des Mitgliedstaats. Eine Rechtfertigung ist etwa – wie in der Rs. Pöpperl – schon dann ausgeschlossen, wenn der Mitgliedstaat mit einer derartigen Regelung die Treue der Beamten zum öffentlichen Dienst fördern will, dies aber nicht in kohärenter und systematischer Weise geschieht, weil beispielsweise Versorgungsanwartschaften im Falle eines Wechsels zwischen den Gliedstaaten eines Mitgliedstaats portabel sind, nicht aber im Falle des Wechsels in einen anderen Mitgliedstaat (EuGH, U.v. 13.7.2016 – C-187/15 -, Rn. 28, 37, juris). Die Länge der Wartezeit in § 3 Abs. 1 S. 1 AltGG wird vor diesem Hintergrund im Schrifttum teilweise sogar als europarechtlich bedenklich angesehen (vgl. etwa Ruland, ZESAR 2018, 53 (60)). Jedenfalls stehen die europarechtlichen Implikationen des AltGG einer restriktiven, engen Auslegung der einen Altersgeldanspruch begründenden Tatbestandsmerkmale entgegen (VG Gelsenkirchen, U.v. 14.9.2018 – 3 K 4304/15 – juris).
Sofern sich die Beklagte darauf beruft, dass aufgrund der Systematik lediglich Zeiten nach § 6 Abs. 1 AltGG zu berücksichtigen seien, so geht dieses Argument bereits ins Leere, da die Zeiten der Zuweisung gem. § 123a BRRG bereits unter § 6 Abs. 1 AltGG zu fassen sind.
Somit erfüllt der Kläger bereits mit Hinzurechnung der Zeiten der Zuweisung gem. § 123a BRRG die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Satz 1 AltGG, sodass dem Kläger dem Grunde nach ein Anspruch auf Altersgeld zusteht.
3. Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass sich die Höhe des Altersgeldes gem. § 7 Abs. 1 AltGG nach der altersgeldfähigen Dienstzeit gem. § 6 AltGG richtet, sodass bei der Berechnung der altersgeldfähigen Dienstzeit neben den Zeiten der Zuweisung nach § 123a BRRG, welche bereits unter § 6 Abs. 1 AltGG fallen, auch die Zeiten des Sonderurlaubs nach § 6 Abs. 2 Nr. 2 AltGG, zu berücksichtigen sein dürften.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


Ähnliche Artikel

Mobbing: Rechte und Ansprüche von Opfern

Ob in der Arbeitswelt, auf Schulhöfen oder im Internet – Mobbing tritt an vielen Stellen auf. Die körperlichen und psychischen Folgen müssen Mobbing-Opfer jedoch nicht einfach so hinnehmen. Wir klären Rechte und Ansprüche.
Mehr lesen

Das Arbeitszeugnis

Arbeitszeugnisse dienen dem beruflichen Fortkommen des Arbeitnehmers und helfen oft den Bewerbern in die engere Auswahl des Bewerberkreises zu gelangen.
Mehr lesen


Nach oben