Arbeitsrecht

Angelegenheiten der Bundesagentur für Arbeit

Aktenzeichen  S 22 AL 411/20

Datum:
10.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 39728
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 12.10.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.12.2020 verurteilt, dem Kläger für den Zeitraum vom 01.10.2020 bis 27.12.2020 Arbeitslosengeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

Die Klage hat vollumfänglich Erfolg. Sie ist zulässig und begründet.
Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid vom 12.10.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.12.2020, mit dem die Beklagte für den Zeitraum 01.10.2020 bis 27.12.2020 das Ruhen des Arbeitslosendgeldanspruches wegen Erhalts einer Entlassungsentschädigung festgestellt hat. Weiter einbezogen sind auch die Bewilligungsbescheide, mit denen die Beklagte für den Zeitraum (erst) ab 28.12.2020 Arbeitslosengeld bewilligt hat. Die Bescheide bilden eine einheitliche rechtliche Regelung (vgl. grundlegend: BSG, Urteil vom 05.08.1999, B 7 AL 14/99 R).
Die Klage ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§§ 87, 90 und 92 Sozialgerichtsgesetz – SGG). Statthafte Klageart ist die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gem. § 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.
Die Klage ist begründet, weil der streitgegenständliche Ruhensbescheid rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt. Die Voraussetzungen des Ruhens nach § 158 Abs. 1 Satz 1 SGB III liegen nicht vor.
Rechtsgrundlage für die Feststellung des Ruhens ist § 158 Abs. 1 SGB III. Hat die oder der Arbeitslose wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung, Entschädigung oder ähnliche Leistung (Entlassungsentschädigung) erhalten oder zu beanspruchen und ist das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer der ordentlichen Kündigungsfrist des Arbeitgebers entsprechenden Frist beendet worden, so ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld von dem Ende des Arbeitsverhältnisses an bis zu dem Tag, an dem das Arbeitsverhältnis bei Einhaltung dieser Frist geendet hätte. Diese Frist beginnt mit der Kündigung, die der Beendigung des Arbeitsverhältnisses vorausgegangen ist, bei Fehlen einer solchen Kündigung mit dem Tag der Vereinbarung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Kann der Arbeitnehmerin oder dem Arbeitnehmer nur bei Zahlung einer Entlassungsentschädigung ordentlich gekündigt werden, so gilt nach § 158 Abs. 1 Satz 4 SGB III eine fiktive Kündigungsfrist von einem Jahr.
Der Kläger hat wegen der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses eine Abfindung erhalten. Er war nicht mehr unkündbar, nachdem die Tarifvertragsparteien – wie im MTV vorgesehen – im konkreten Fall einer ordentlichen Arbeitgeberkündigung mit Schreiben vom 20.01.2020 ausdrücklich zugestimmt haben. Eine der ordentlichen Kündigungsfrist des Arbeitgebers entsprechende Frist ist ebenfalls eingehalten worden. Nach § 8 Ziff. 2 Abs. II MTV ist nach mehr als 20 Jahren Betriebszugehörigkeit von sieben Monaten zum Monatesende auszugehen. Diese Frist ist mit Abschluss des Aufhebungsvertrages vom 06.02.2020 nicht verkürzt worden.
Eine Anwendung der fiktiven Jahresfrist nach § 158 Abs. 1 Satz 4 SGB III scheidet im vorliegenden Fall nach Ansicht der erkennenden Kammer aus. Schon nach dem Wortlaut der Vorschrift gilt die Fiktion nur dann, wenn der Arbeitnehmerin oder dem Arbeitnehmer nur bei Zahlung einer Entlassungsentschädigung ordentlich gekündigt werden kann. Nach Ansicht des Bundessozialgerichts scheidet in diesem Zusammenhang das Ruhen dann aus, wenn die tarifvertraglich vorgesehene Zustimmung zur Kündigung unabhängig von der Zahlung einer Abfindung erteilt worden ist (BSG, Urteil vom 05.02.1998, B 11 AL 65/97 R, juris-Rn. 21). Genau das ist hier der Fall. Die IG Metall hat in ihrem Zustimmungsschreiben vom 20.01.2020 ausdrücklich angegeben, dass die Zustimmung unabhängig davon erteilt werde, ob dem Kläger eine Abfindung gezahlt werde oder nicht. Die Erklärung stand also ausdrücklich nicht unter einer rechtlichen Bedingung und sie war nicht mit einer geforderten Abfindungszahlung verknüpft. Der Arbeitgeber hätte somit nach Erhalt des Schreibens den Kläger nach 48 Jahren Betriebszugehörigkeit auch ohne Abfindungszahlung betriebsbedingt kündigen können. Die Gewerkschaft ist somit für ihr Mitglied ein hohes rechtliches Risiko eingegangen, auch wenn faktisch möglicherweise mündliche Absprachen zwischen den Beteiligten des Aufhebungsvertrages bezüglich eines Abfindungsangebotes bestanden haben mögen. Mit Blick auf den Wortlaut des § 158 Abs. 1 Satz 4 SGB III lässt sich im Ergebnis festhalten, dass der Kläger eben gerade nicht „nur bei Zahlung einer Entlassungsentschädigung“ ordentlich gekündigt hätte werden können. Die Beklagte kann dem nicht entgegenhalten, dass die Tarifvertragsparteien der Kündigung nur deshalb zugestimmt haben, weil sie für den Kläger eine Abfindung tatsächlich erwartet haben. Die bloße Erwartung ist kein vom Gesetz vorgesehener Maßstab, es kommt auf die rechtliche Möglichkeit an („kann“). Es ist auch unschädlich, dass die Vermeidung eines Ruhens des Arbeitslosengeldanspruches in den Erläuterungen des Arbeitgeberverbandes zum MTV als Grund für die Zustimmungsmöglichkeit angegeben wird. Diese Gestaltungsmöglichkeit lässt das Gesetz zu, also kann hiervon auch Gebrauch gemacht werden. Sollte der Gesetzgeber in Konstellationen wie diesen ein Ruhen dennoch erreichen wollen, müsste er die Fiktionsvorschrift anpassen. Ein Ruhen ist im streitgegenständlichen Zeitraum nach alledem nicht eingetreten mit der Folge, dass der Bescheid aufzuheben und die Beklagte dem Grunde nach zur Bewilligung von Arbeitslosengeld auch im Zeitraum vom 01.10.2020 bis zum 27.12.2020 zu verurteilen war.
Im Ergebnis war die Klage somit erfolgreich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
Gegen dieses Urteil findet gemäß § 143 SGG die Berufung an das Bayerische Landessozialgericht nach Maßgabe der beigefügten Rechtsmittelbelehrungstatt.


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