Arbeitsrecht

Annahmeverzugsvergütung eines Handelsvertreters nach Erreichen der Altersgrenze

Aktenzeichen  7 U 4410/16

Datum:
29.3.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
NWB – 2017, 1569
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB BGB § 133, § 157, § 307, § 313
HGB HGB § 89b
AGG AGG § 6 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3, § 7 Abs. 1, Abs. 2
SGB VI SGB VI § 1, § 2 S. 1 Nr. 9, § 41 S. 2

 

Leitsatz

1. Sieht ein Handelsvertretervertrag eine – auf die Vollendung des 65. Lebensjahres abstellende – automatische Beendigungsklausel vor, kann sich der Handelsvertreter nicht auf die Altersgrenzen in der gesetzlichen Rentenversicherung berufen, da diese für ihn als selbständigen Kaufmann ohne Belang ist. (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine analoge Anwendung des § 41 S. 2 SGB VI auf selbständige Handelsvertreter scheidet aus, da der Gesetzgeber dort den persönlichen Anwendungsbereich durch die Beschränkung auf „Arbeitnehmer“ abschließend geregelt hat und nicht unterstellt werden kann, dass er dies unter irrtümlicher Außerachtlassung der ansonsten von ihm im SGB VI berücksichtigten arbeitnehmerähnlichen Selbständigen vorgenommen hat. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

29 O 4064/16 2016-08-11 Bes LGMUENCHENI LG München I

Tenor

– 1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 11.08.2016 (Az. 29 O 4064/16) wird einstimmig zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Dieser Beschluss und das angegriffene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des gegen ihn vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 12.906,48 € festgesetzt.

Gründe

– I.
Der Kläger war als selbständiger Handelsvertreter für die Beklagte tätig. Mit seiner Klage begehrt er die Zahlung von Annahmeverzugsvergütung für den Zeitraum vom 01.10.2015 bis 31.01.2016 in Höhe von 12.906,48 €, da das zwischen den Parteien bestehende Handelvertreterverhältnis nicht zum Ende des Monats, in dem der Kläger das 65. Lebensjahr vollendet habe (d.h. zum 30.09.2015), sondern erst mit Erreichen der gesetzlichen Regelsaltersgrenze zum 31.01.2016 geendet habe.
Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 12.906,48 € sowie von vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 1.029,35 € zu verurteilen.
Die Beklagte hat die Abweisung der Klage beantragt.
Das Landgericht hat die Klage mit Endurteil vom 11.08.2016 abgewiesen. Auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils wird Bezug genommen. Mit seiner zulässigen, insbesondere form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Begehren weiter.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Landgerichts München I aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 12.906,48 € sowie vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 1.029,35 € zu bezahlen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
II.
Die Berufung ist durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, da sie keine Aussicht auf Erfolg im Sinne der genannten Vorschrift hat, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung aufweist und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts aufgrund mündlicher Verhandlung erfordern.
Auf den Hinweis des Senats vom 24.1.2017 wird Bezug genommen. Aus den dort näher ausgeführten Gründen, in denen auch und insbesondere auf das Berufungsvorbringen des Klägers im einzelnen eingegangen wird, sieht der Senat die Berufung als nicht begründet an. Dem Berufungsführer wurde Gelegenheit zur Äußerung auf die Hinweise bis 13.03.2017 gegeben. Eine Stellungnahme erfolgte mit Schriftsatz vom 13.03.2017. Die hierin erhobenen Einwände des Klägers geben zu keiner von der im Hinweis geäußerten Rechtansicht abweichenden Beurteilung Anlass. Lediglich ergänzend ist folgendes anzumerken:
Wie das Landgericht unter Ziffer B. I. 3. seines Urteils mit Hinweis auf den Vertragswortlaut richtig ausführt, kann ein Auslaufen des Vertretungsvertrages erst mit Erreichen der Regelaltersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung zum 31.01.2016 nicht im Wege der Auslegung der Beendigungsklausel in Nr. 11.3 des Vertretungsvertrages nach §§ 133, 157 BGB erreicht werden. Für die Annahme, die Vertragsparteien hätten entgegen dem Wortlaut an die Regelaltersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung anknüpfen wollen, enthält der Vertragstext nämlich keine genügenden Anhaltspunkte. Dort ist nämlich von einer Rentenversicherungspflichtigkeit des Klägers überhaupt keine Rede. Vielmehr handelt es sich um einen Vertrag zwischen dem Kläger als selbständigem Kaufmann, für den die Altersgrenzen in der Rentenversicherung schon allein deshalb ohne Belang sind, und seinem Prinzipal. Demzufolge sieht der Vertrag in Nr. 7 auch vor, dass die Beklagte dem Kläger nach einer Mindesttätigkeitsdauer von zwei Jahren einen Zuschuss zur privaten Altersvorsorge des Klägers bezahlt. Auf die einseitigen Motive des Klägers bei Vertragsabschluss und seine Erwartungen hinsichtlich einer Fortsetzung des Vertreterverhältnisses über das 65. Lebensjahr hinaus kommt es im Hinblick auf die vertragliche Beendigungsvereinbarung nicht an.
Eine Beendigung des Vertretervertrages zum 30.09.2015 scheitert auch aus den im Hinweisbeschluss des Senats vom 24.01.2017 genannten Gründen nicht an § 307 BGB. Wenn der Kläger im Berufungsbegründungsschriftsatz vom 22.12.2016 (dort S. 3 und 4) zur Begründung einer unangemessenen Benachteiligung iSd. § 307 BGB auf die für den Kläger nach Beendigung seines Vertreterverhältnisses nicht mehr bestehende Betreuungsmöglichkeit seiner früheren Kunden und endende Provisionszahlungen abstellt, so übersieht er hierbei, dass er hierfür eine Kompensation in Form des Ausgleichsanspruchs nach § 89b HGB erhält. Denn mit dem Ausgleichsanspruch sollen gerade die dem Handelsvertreter durch die Beendigung des Vertragsverhältnisses entstehenden Nachteile abgegolten werden (vgl. Hopt in Baumbach/Hopt, HGB, 37. Auflage, München 2016, Rdnr. 2 zu § 89b HGB).
Die in Nr. 11.3 des Vertretungsvertrages vom 11.03.2005 vereinbarte automatische Beendigungsklausel ist auch nicht wegen eines Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG gemäß § 7 Abs. 2 AGG unwirksam, da im streitgegenständlichen Fall – unabhängig von der Frage, ob überhaupt eine Diskriminierung vorliegt – der persönliche Anwendungsbereich des AGG schon nicht eröffnet ist. Der Kläger ist nämlich keine arbeitnehmerähnliche Person iSd. § 6 Abs. 1 Nr. 3 AGG, da für deren Annahme allein die Tatsache, dass es sich laut Ziffer 4 des Vertretungsvertrages um einen Einfirmenhandelsvertreter handelt, nicht ausreicht. Nicht jeder Einfirmenhandelsvertreter ist notwendigerweise arbeitnehmerähnlich (vgl. Hopt in Baumbach/Hopt, HGB, 37. Auflage, München 2016, Rdnr. 1 zu § 92a HGB). Der im Schriftsatz der Klägervertreterin vom 13.03.2017 (dort S. 2) zur Schutzbedürftigkeit des Klägers und seine Einbeziehung in den Kreis der arbeitnehmerähnlichen Personen erfolgte Vortrag ist höchst pauschal und nicht hinreichend substanziiert, um eine derartige Einstufung zu tragen.
Der persönliche Anwendungsbereich des AGG ist für den Kläger als Selbständigen auch nicht gemäß § 6 Abs. 3 AGG eröffnet, da sich Nr. 11.3 des Vertretungsvertrages weder auf den Zugang zur Erwerbstätigkeit noch auf den beruflichen Aufstieg bezieht, sondern nur auf die Beendigung des Handelsvertreterverhältnisses. Dem Kläger ist es nämlich durch die automatische Beendigung nicht verwehrt, nach Vollendung des 65. Lebensjahres und Beendigung des streitgegenständlichen Vertreterverhältnisses eine andere Handelsvertretertätigkeit aufzunehmen.
Ein Andauern des Handelsvertreterverhältnisses über den 30.09.2015 hinaus kann auch nicht aus einer analogen Anwendung des § 41 S. 2 SGB VI auf selbständige Handelsvertreter hergeleitet werden. Eine Analogie wäre nämlich nur zulässig, wenn das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthielte. Die Lücke müsste sich also aus dem unbeabsichtigten Abweichen des Gesetzgebers von seinem dem konkreten Gesetzgebungsverfahren zugrunde liegenden Regelungsplan ergeben. Darüber hinaus müsste der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht soweit mit dem vom Gesetzgeber geregelten Tatbestand vergleichbar sein, dass angenommen werden könnte, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie beim Erlass der herangezogenen Norm, zum gleichen Abwägungsergebnis gekommen (BGH Urteil vom 04.12.2014, Az. III ZR 61/14, Rdnr. 9).
An einer solchen planwidrigen Lücke fehlt es im streitgegenständlichen Fall aber, da der Gesetzgeber den persönlichen Anwendungsbereich des § 41 S. 2 SGB VI durch die Beschränkung auf „Arbeitnehmer“ abschließend geregelt hat. Der Gesetzgeber hat nämlich im Rahmen des SGB VI durchaus berücksichtigt, dass es bestimmte Gruppen von Selbständigen gibt, die sozial genauso schutzbedürftig sind wie Arbeitnehmer, und dementsprechend die Rentenversicherungspflicht nicht nur auf (unselbständig) „Beschäftigte“ iSd. § 1 SGB VI, sondern darüber hinaus in § 2 SGB VI auch auf einige selbständig Tätige erstreckt. Zu diesem besonders geschützten Kreis Selbständiger gehören gemäß § 2 S.1 Nr. 9 SGB VI die sogenannten arbeitnehmerähnlichen Selbständigen (vgl. Gürtner in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Stand Dezember 2016, Rdnr. 2 zu § 2 SGB VI). Selbst wenn der Kläger – wie nicht – ein arbeitnehmerähnlicher Selbständiger iSd. § 2 S. 1 Nr. 9 SGB VI wäre, kann jedenfalls nicht unterstellt werden, dass der Gesetzgeber die tatbestandliche Beschränkung auf „Arbeitnehmer“ in § 41 S. 2 SGB VI unter irrtümlicher Außerachtlassung der ansonsten von ihm im SGB VI berücksichtigten arbeitnehmerähnlichen Selbständigen vornahm. Eine Ausdehnung des Anwendungsbereiches des § 41 S. 2 SGB VI auf arbeitnehmerähnliche Selbständige durch Analogie ist folglich mangels planwidriger Lücke nicht möglich.
Schließlich kommt auch aus den zutreffenden Gründen des landgerichtlichen Urteils (dort Ziffer B. I. 4.) eine Anpassung des Vertrages gemäß § 313 BGB durch Verlängerung seiner Laufzeit bis zum 30.01.2016 nicht in Betracht.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
IV.
Die Festsetzung des Streitwertes für das Berufungsverfahren beruht auf § 3 ZPO. Mit der Berufung erstrebt der Kläger in der Hauptsache ausweislich seiner Anträge im Berufungsbegründungsschriftsatz vom 22.12.2016 nur die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 12.906,48 €, nicht mehr aber die Verurteilung der Beklagten zur Erteilung eines Buchauszuges und zur Auskunftserteilung. Insoweit war also für das Berufungsverfahren auch kein Streitwert festzusetzen.




Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht
Richterin am Oberlandesgericht
Richter am Oberlandesgericht


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