Arbeitsrecht

Anspruch auf Vereinbarung eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses

Aktenzeichen  2 Sa 55/18

Datum:
30.5.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 22301
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
Tarifvertrag zu flexiblen Arbeitszeitregelungen für ältere Beschäftigte (TV FlexAZ) zwischen der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) und den Gewerkschaften ver.di und dbb vom 29.04.2010 idF vom 29.04.2016 § 2, § 4
ATZG § 3 Abs. 1 Nr. 3

 

Leitsatz

In Verwaltungen/Betrieben kommunaler Arbeitgeber mit weniger als 40 Tarifbeschäftigten besteht kein Anspruch auf Vereinbarung eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses nach § 4 TV FlexAZ.

Verfahrensgang

11 Ca 661/17 2017-10-19 Urt ARBGWUERZBURG ArbG Würzburg

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Würzburg – Kammer Aschaffenburg – vom 19.10.2017, Az. 11 Ca 661/17, in Ziffern 1 und 3 abgeändert.
2. Die Klage wird hinsichtlich des Klageantrags zu 1 abgewiesen.
3. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Von den Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens trägt der Kläger 87%, die Beklagte 13%.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Berufung der Beklagten ist begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Abschluss eines Altersteilzeitvertrages.
A.
Die Berufung der Beklagten ist zulässig.
Sie ist statthaft, § 64 Abs. 1, 2 b ArbGG, und auch in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO.
B.
Die Berufung ist auch begründet. Der Kläger hat weder nach dem TV FlexAZ noch auf Grundlage des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes einen Anspruch auf Abschluss eines Altersteilzeitvertrages. Das Urteil des Arbeitsgerichts war daher abzuändern und die Klage insoweit abzuweisen.
I.
Die Klage ist zulässig, insbesondere hinreichend bestimmt im Sinne von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Der Kläger strebt die Verurteilung der Beklagten zum Abschluss einer Altersteilzeitvereinbarung im Blockmodell für die Zeit vom 01.07.2017 bis 30.06.2021 an. Inhaltlich soll sich das Altersteilzeitarbeitsverhältnis nach den Bestimmungen des TV FlexAZ richten. Mit Rechtskraft eines obsiegenden Urteils gilt die Annahmeerklärung der Beklagten nach § 894 Satz 1 ZPO als abgegeben und der Altersteilzeitarbeitsvertrag zwischen den Parteien als zustande gekommen. Seit Inkrafttreten des § 311a Abs. 1 BGB idF des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26.11.2001 (BGBl. I S. 3138) kommt auch die Verurteilung zur Abgabe einer Willenserklärung in Betracht, mit der ein Vertragsangebot angenommen werden soll, das rückwirkend auf eine Vertragsänderung zu einem in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt gerichtet ist (BAG 13.12.2016 – 9 AZR 606/15 Rn 15f mwN). Dies gilt selbst in Fällen, in denen der Vertrag hinsichtlich der Vergangenheit tatsächlich nicht durchgeführt werden kann (BAG 10.05.2015 – 9 AZR 115/14 Rn 14).
II.
Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Abschluss eines Altersteilzeitvertrages.
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Abschluss eines Altersteilzeitvertrages mit der Beklagten nach § 4 TV FlexAZ. Einen solchen Anspruch haben die Tarifparteien für Verwaltungen/Betriebe mit weniger als 40 tariflichen Mitarbeitern nicht geschaffen.
a. Der Kläger erfüllt die in § 5 TV FlexAZ genannten persönlichen Voraussetzungen. Er hat den Antrag fristgerecht gestellt.
b. Der Anspruch ist jedoch – im Gegensatz zur Ansicht des Arbeitsgerichts – nach § 4 Abs. 2 iVm Abs. 1 und § 2 Abs. 1 b TV FlexAZ ausgeschlossen. Dies folgt aus der Auslegung der tariflichen Regelungen.
aa. Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt nach ständiger Rechtsprechung des BAG den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln (vgl. nur BAG 10.12.2014 – 4 AZR 503/12 – Rn. 19). Somit ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefern und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an die Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags, gegebenenfalls auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (vgl. nur BAG 26.03.2013 – 3 AZR 68/11 – Rn. 25). In diesem Zusammenhang ist ferner noch auf folgenden Auslegungsgrundsatz Bedacht zu nehmen: Bedienen sich die Tarifvertragsparteien eines Rechtsbegriffs, der im juristischen Sprachgebrauch eine bestimmte Bedeutung hat, ist der Begriff in seiner allgemeinen juristischen Bedeutung auszulegen, sofern sich nicht aus dem Tarifvertrag etwas anderes ergibt (vgl. BAG 16.04.2014 – 4 AZR 802/11 – Rn. 24).
bb. Bereits der Wortlaut der tariflichen Regelungen spricht dafür, dass in Verwaltungen/Betrieben mit weniger als 40 Mitarbeitern ein Anspruch auf Altersteilzeit nicht besteht.
Nach der gemäß § 4 Abs. 2 TV FlexAZ iVm mit der hierzu vereinbarten Protokollerklärung der Tarifparteien hatten im Jahre 2017 bei der Beklagten rechnerisch 0,425 Tarifbeschäftigte einen Anspruch auf Altersteilzeit (17 Beschäftigte × 2,5% = 0,425). Dabei kommt es nicht auf die Stundenzahl der Mitarbeiter an, sondern auf die „Kopfzahl“ (Breier u.a., TVöD Kommentar, § 4 TV FlexAZ Rn 3.1). Eine Umrechnung auf Vollzeitkräfte erfolgt nicht. Diese Berechnungsmethode ist zwischen den Parteien auch unstreitig. Streitig ist hingegen, ob die sich ergebende Quotenzahl der Mitarbeiter auf- oder abzurunden ist. Nach Auffassung des Klägers ist die Quotenzahl aufzurunden, so dass unabhängig von der Mitarbeiterzahl der Verwaltung mindestens ein Tarifmitarbeiter Anspruch auf Altersteilzeit hätte. Nach Auffassung der Beklagten ist abzurunden, so dass ein Anspruch erst in Verwaltungen mit mindestens 40 Tarifmitarbeitern entstehen könnte. In größeren Verwaltungen hätte dies regelmäßig zur Folge, dass nach Ansicht des Klägers ein Mitarbeiter mehr als nach Ansicht der Beklagten Anspruch auf Altersteilzeit hätte.
Zwar ist dem Kläger zuzugeben, dass seine Rechtsauffassung mit dem Wortlaut des § 4 Abs. 2 TV FlexAZ in Einklang zu bringen ist. Danach ist der Anspruch ausgeschlossen, wenn und solange 2,5 v.H. der Beschäftigten … der Verwaltung … von einer Altersteilzeitregelung im Sinne des Altersteilzeitgesetzes Gebrauch machen. Diese Regelung isoliert betrachtet lässt in der Tat die Interpretation zu, dass ein Anspruch nicht ausgeschlossen ist, wenn die ermittelte Quotenzahl – hier 0,425 – über der Zahl derjenigen Mitarbeiter liegt, die von Altersteilzeit bereits Gebrauch machen – hier 0 – (vgl. ohne Begründung Klapproth/Hock, ZTR 2010, 278, 284 in einem Beispiel). § 4 Abs. 2 TV FlexAZ selbst enthält nämlich – wie das Arbeitsgericht insoweit zutreffend festgestellt hat – keine Regelungen zur Mindestzahl von Arbeitnehmern in der Verwaltung/im Betrieb oder zur Frage des Auf- oder Abrundens. Andererseits schließt der Wortlaut – eben weil keine explizite Regelung enthalten ist – die Interpretation der Beklagten auch nicht aus.
§ 4 Abs. 2 TV FlexAZ steht jedoch nicht isoliert im Tarifvertrag. Er regelt in Ergänzung des § 4 Abs. 1 TV FlexAZ die Quote, ab der ein Anspruch auf Altersteilzeit ausgeschlossen ist. Der Anspruch selbst besteht nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 2 Buchstabe b TV FlexAZ „im Rahmen einer Quote (§ 4)“ und des § 4 Abs. 1 TV FlexAZ „im Rahmen der Quote nach Absatz 2“. Im Rahmen heißt, dass der Rahmen, also die Quote, nicht überschritten werden darf (so Breier u.a., a.a.O, § 4 TV FlexAZ Rn 3). Dies spricht deutlich für die Auslegung der Beklagten. Denn anderenfalls hätten in den allermeisten Fällen – außer die Zahl der Tarifmitarbeiter einer Verwaltung ist durch 40 teilbar – mehr als 2,5% der Tarifmitarbeiter Anspruch auf Altersteilzeit. Dies zeigt sich gerade bei kleinen Verwaltungen und Betrieben. Nähme bei der Beklagten ein Mitarbeiter Altersteilzeit in Anspruch, läge die Quote bei 5,88% (100 ÷ 17). Ausgehend vom Wortlaut der tariflichen Regelungen spricht deutlich mehr für die Interpretation der Beklagten.
cc. Nach dem Willen der Tarifparteien sollte jedenfalls in Verwaltungen/Betrieben mit weniger als 40 Tarifbeschäftigten ein Anspruch auf Altersteilzeit ausgeschlossen sein. Dieser Wille findet zum einen Ausdruck bereits in der bereits seit 2010 geltenden tariflichen Regelung („im Rahmen“, s.o.). Zum anderen haben die Tarifparteien selbst diesen Willen in der Tarifrunde 2018 mit der Niederschriftserklärung zu § 4 TV FlexAZ zum Ausdruck gebracht. Sie haben damit keine neue Regelung geschaffen, die erst mit dem Tarifabschluss in Kraft tritt, sondern die schon bestehenden Regelungen klargestellt.
Niederschriftserklärungen oder Protokollnotizen normsetzender Parteien haben unterschiedliche Bedeutung. Sie können eigenständige tarifliche Regelungen darstellen, sie können aber auch lediglich den Charakter einer authentischen Interpretation des Tarifvertrages oder eines bloßen Hinweises auf Motive der Vertragschließenden haben. Welcher rechtliche Status ihnen zukommt, ist durch Auslegung zu ermitteln (BAG 27.02.2018 – 9 AZR 430/17 Rn 19).
Die Tarifparteien haben mit der Niederschriftserklärung keine eigenständige tarifliche Regelung getroffen, sondern § 4 TV FlexAZ authentisch interpretiert. Hierfür spricht bereits die Überschrift „Niederschriftserklärung“. § 4 TV FlexAZ selbst wurde in der Tarifrunde 2018 nicht verändert. Bezugspunkt der Niederschriftserklärung ist daher eindeutig und ausschließlich der bereits vor der Tarifrunde 2018 vorhandene seit 2010 bestehende Tariftext. Weiter beginnt die Niederschriftserklärung mit der Formulierung, „Die Tarifvertragsparteien sind sich darüber einig, dass …“. Hätten die Tarifvertragsparteien § 4 TV FlexAZ ändern wollen, hätten sie dies eigenständig im § 4 TV FlexAZ formuliert. Die Niederschriftserklärung diente daher der Klarstellung und ist Ausdruck des seit 2010 bestehenden Willens der Tarifparteien, Mitarbeitern in Verwaltungen und Betrieben mit weniger als 40 Mitarbeitern einen Anspruch auf Altersteilzeit nicht einzuräumen. Dies wiederum bedeutet, dass die sich für den einzelnen Arbeitgeber ergebende Quotenzahl abzurunden ist.
dd. Diese Auslegung entspricht auch dem Sinn und Zweck der Tarifregelung. Im Jahre 2010 haben sich die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Inanspruchnahme von Altersteilzeit grundlegend geändert. Insbesondere sind die Erstattungsleistungen der Bundesagentur für Arbeit für Altersteilzeitverhältnisse, die nach dem 01.01.2010 begonnen haben, weggefallen (§ 1 Abs. 2 und § 16 ATZG). Damit wurde die Altersteilzeit für Arbeitgeber teurer. Mit dem TV FlexAZ haben die Tarifparteien auf die veränderten Rahmenbedingungen reagiert (vgl. Breier u.a., a.a.O. § 1 TV FlexAZ Rn 1 ff) und gegenüber dem zuvor relevanten Altersteilzeittarifvertrag (TV ATZ) erhebliche Veränderungen und Einschränkungen umgesetzt. Die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Altersteilzeit wurde beschränkt im Rahmen einer Quote von 2,5% der Beschäftigten. Mit dieser Überlastquote haben die Tarifparteien eine wirtschaftliche Überforderung des kommunalen Arbeitgebers ausgeschlossen. Die Quotierung dient u.a. dazu, altersteilzeitbedingte finanzielle Mehraufwendungen des Arbeitsgebers in Grenzen zu halten (BAG 10.02.2015 – 9 AZR 115/14 Rn 19). Dieses Ziel der Begrenzung auf 2,5% würde bei der Auslegung des Klägers aber umso deutlicher verfehlt je kleiner der kommunale Arbeitgeber ist. Dies zeigt der vorliegende Fall anschaulich.
Der Kostendämpfung dienten auch die weiteren Einschränkungen: Aufstockungsleistungen werden nur noch in Höhe von 20% des Teilzeit-Regelarbeitsentgelts gewährt (§ 7 Abs. 3 TV FlexAZ). Eine darüber hinaus gehende Mindestnettoaufstockung findet nicht mehr statt. Altersteilzeit kann frühestens ab dem 60. Lebensjahr für längstens fünf Jahre durchgeführt werden (§§ 5 Abs. 1, 6 Abs. 1 TV FlexAZ).
Die Neuregelungen im TV FlexAZ dienen auch dazu, angesichts der demografischen Entwicklung mehr erfahrene Beschäftigte im Arbeitsleben zu halten und auf die Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittsalters zu reagieren. Dem Ziel, erfahrene Kräfte zu halten, dient die Auslegung der Beklagten eher als die Auslegung des Klägers. Darüber hinaus ist für kleine Arbeitgeber die Ermöglichung von Altersteilzeit organisatorisch deutlich schwieriger als für größere Arbeitgeber.
ee. Vor diesem Hintergrund kommt es auf die bisherige Tarifübung nicht entscheidend an. Allerdings hat die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände bereits mit Rundschreiben vom 17.08.2010 ihre Auffassung kundgetan, dass aus der Anzahl der zum Stichtag vorhandenen Tarifbeschäftigten ermittelt wird, wie viele Beschäftigte 2,5% der Gesamtzahl entsprechen und dass bei Bruchteilen abzurunden sei (Sponer/Steinherr, TVöD Gesamtausgabe, 186 AL 5/2018, 3.3). Dieser Auffassung ist die Gewerkschaftsseite – soweit ersichtlich – nie entgegengetreten. Sie hat sie vielmehr durch die Niederschriftserklärung in der Tarifrunde 2018 jedenfalls für Arbeitgeber mit weniger als 40 Tarifbeschäftigten bestätigt. In der mündlichen Verhandlung hat die Vertreterin der Beklagten mitgeteilt, dass erst in jüngerer Zeit die hier strittige Auslegungsfrage aufgekommen sei.
c. Der Anspruch des Klägers ist auch nach § 2 TV FlexAZ in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Nr. 3 ATZG ausgeschlossen.
aa. In § 2 TV FlexAZ ist geregelt, dass Altersteilzeit auf der Grundlage des Altersteilzeitgesetzes vom 23. Juli 1996 in der jeweils geltenden Fassung möglich ist. Dieselbe Formulierung enthielt der TV ATZ. Das Bundesarbeitsgericht hat hieraus geschlossen, dass der TV ATZ einen Anspruch auf Altersteilzeit nur im Rahmen der Überforderungsquote des § 3 Abs. 1 Nr. 3 ATZG einräume (BAG 15.04.2008 – 9 AZR 111/07). Es ist nach den o.g. Auslegungskriterien nicht anzunehmen, dass die Tarifparteien im TV FlexAZ zwar dieselbe Formulierung verwendet, damit aber andere Inhalte verbunden haben. Es spricht deshalb viel dafür, dass die Überforderungsklausel des § 3 Abs. 1 Nr. 3 ATZG tariflich in Bezug genommen ist und neben der tariflichen Überforderungsklausel des § 4 Abs. 3 TV FlexAZ zur Anwendung kommt (so Breier u.a., a.a.O, § 4 TV FlexAZ Rn 6). Im vorliegenden Fall wäre mit dem Altersteilzeitverhältnis des Klägers auch die 5% Quote des § 3 Abs. 1 Nr. 3 ATZG überschritten. Insoweit wird auf die ausführliche Berechnung der Beklagten im Schriftsatz vom 03.04.2018 (Blatt 202 f. der Akten) verwiesen. Der Kläger hat die Berechnung selbst nicht bestritten.
bb. Selbst wenn aber § 3 Abs. 1 Nr. 3 ATZG nicht von der Bezugnahme in § 2 TV FlexAZ erfasst sein sollte und nicht neben § 4 Abs. 2 TV FlexAZ zur Anwendung käme, wäre dies für die Auslegung des § 4 TV FlexAZ von Bedeutung. Denn wenn § 4 Abs. 2 TV FlexAZ an die Stelle der Überforderungsklausel des § 3 Abs. 1 Nr. 3 ATZG getreten wäre, so ist vor dem Hintergrund der beabsichtigen Kostendämpfung nicht anzunehmen, dass mit der neuen Regelung die alte Quote überschritten werden sollte. Dies wäre aber bei Arbeitgebern mit weniger als 20 Tarifbeschäftigten immer und mit weniger als 40 Tarifbeschäftigten häufig der Fall, da nach § 7 Abs. 2 ATZG bei der Ermittlung der 5% Quote die Teilzeitbeschäftigung zu berücksichtigen ist. Die Überforderungsquote des § 3 Abs. 1 Nr. 3 ATZG griff nicht erst dann ein, wenn der Arbeitgeber überhaupt eine die 5% -Quote übersteigende Zahl von Altersteilzeitarbeitsverhältnissen eingegangen ist, sondern bereits, wenn sie durch das “neue” Altersteilzeitarbeitsverhältnis überschritten wurde (BAG 23.01.2007 – 9 AZR 393/06 – Rn 33).
d. Ob ein Anspruch des Klägers auch nach § 4 Abs. 3 TV Flex AZ wegen entgegenstehender dienstlicher Gründe ausgeschlossen wäre, kann letztlich dahinstehen. Die Beklagte war nicht allerdings gehindert, entsprechende Gründe in der Berufungsbegründung vorzubringen (§ 67 Abs. 4 ArbGG).
aa. Ein entgegenstehender dienstlicher oder betrieblicher Grund liegt vor, wenn die Umsetzung des Arbeitszeitverlangens die Organisation, den Arbeitsablauf oder die Sicherheit im Betrieb wesentlich beeinträchtigt oder unverhältnismäßige Kosten verursacht. Insoweit genügt es, wenn der Arbeitgeber rational nachvollziehbare, hinreichend gewichtige Gründe hat, der Verringerung der Arbeitszeit nicht zuzustimmen. Maßgeblich für das Vorliegen entgegenstehender dienstlicher oder betrieblicher Gründe ist der Zeitpunkt der Ablehnung des Altersteilzeitwunsches durch den Arbeitgeber. Aus der Formulierung in § 4 Abs. 3 TV FlexAZ „Der Arbeitgeber kann ausnahmsweise … ablehnen“ wird deutlich, dass dieser die entgegenstehenden dienstlichen oder betrieblichen Gründe darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen hat (BAG 10.02.2015 – 9 AZR 115/14 – Rn 16). Dabei stellen die Aufwendungen, die typischerweise mit jedem Altersteilzeitverhältnis verbunden sind, für sich genommen im Regelfall keine dienstlichen oder betrieblichen Gründe dar (BAG a.a.O, Rn 17).
bb. Im vorliegenden Fall beruft sich die Beklagte in erster Linie darauf, dass wegen, aber auch vor der langen Erkrankung des Klägers, die im Zeitpunkt der Ablehnung des Antrags auf Altersteilzeit am 11.04.2017 noch andauerte, viel Arbeit liegen geblieben sei, der Kläger für zahlreiche Projekte auf Grund seiner Kompetenz die alleinige Zuständigkeit erworben habe und er daher berufen sei, diese im einzelnen benannten Projekte (Blatt 205 der Akten) zu Ende zu führen. Auf Grund einer Organisationsuntersuchung habe die Beklagte in 2016 beschlossen, neben den 4 Verwaltungsangestellten (Kläger Vollzeit, 1 Mitarbeiter 30 Stunden, 2 Mitarbeiter 19,5 Stunden) einen weiteren Mitarbeiter im Bereich des Bau- und Ordnungsamts bis zum offiziellen Altersruhestand des Klägers zu beschäftigen. Dieser Mitarbeiter sei zur personellen Unterstützung des Klägers eingestellt worden, um ihn von den Alltagsgeschäften zu entlasten und ihm die Möglichkeit zu geben, die liegen gebliebenen und dringend anstehenden Arbeiten und Projekte zu ermöglichen. Die Beklagte beruft sich im Ergebnis darauf, dass die bei ihr anfallenden Arbeiten vom Kläger alleine nicht zu erledigen seien, er aber der Spezialist für bestimmte noch anstehende oder abzuarbeitende Projekte sei und dies über die Arbeitsphase hinaus andauere.
Der Kläger hat zwar eingewandt, dass durch die Einstellung der weiteren Vollzeitkraft die personelle Situation wie vor seiner Erkrankung hergestellt worden sei und betriebliche Gründe daher nicht vorlägen. In der Berufungserwiderung schildert er jedoch eindringlich die Überbelastung, der er vor seiner Erkrankung ausgesetzt gewesen sei. Wenn die Beklagte vor diesem Hintergrund eine weitere Kraft zur Entlastung des Klägers einstellt, um ihn in die Lage zu versetzen nach Genesung die liegen gebliebenen und anstehenden Projekte zu erledigen, steht dies gerade in Übereinstimmung mit dem klägerischen Vortrag.
Im Hinblick auf die Ausführung unter b. und c. musste das Gericht dem aber nicht weiter nachgehen.
2. Ein Anspruch des Klägers auf Abschluss eines Altersteilzeitvertrages folgt auch nicht aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz.
a. Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz gebietet dem Arbeitgeber, Arbeitnehmer oder Gruppen von Arbeitnehmern, die sich in vergleichbarer Lage befinden, bei Anwendung einer selbst gegebenen Regelung gleich zu behandeln. Der Gleichbehandlungsgrundsatz wird inhaltlich durch den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG bestimmt. Bei freiwilligen Leistungen muss der Arbeitgeber die Leistungsvoraussetzungen so abgrenzen, dass Arbeitnehmer nicht aus sachfremden oder willkürlichen Gründen ausgeschlossen werden. Verstößt der Arbeitgeber bei der Gewährung freiwilliger Leistungen gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, hat der benachteiligte Arbeitnehmer Anspruch auf die vorenthaltene Leistung (st. Rspr., vgl. BAG 13.12.2016 – 9 AZR 606/15 – Rn 27 mwN). Bildet der Arbeitgeber Gruppen von begünstigten und benachteiligten Arbeitnehmern, muss diese Gruppenbildung sachlichen Kriterien entsprechen. Dabei kommt es darauf an, ob sich nach dem Zweck der Leistung Gründe ergeben, die es unter Berücksichtigung aller Umstände rechtfertigen, der einen Arbeitnehmergruppe Leistungen vorzuenthalten, die der anderen Gruppe eingeräumt worden sind. Eine unterschiedliche Behandlung der Arbeitnehmer ist dann mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz vereinbar, wenn die Unterscheidung gerade nach dem Zweck der Leistung gerechtfertigt ist (BAG a.a.O.).
b. Zu Gunsten des Klägers geht das Gericht davon aus, dass die Beklagte mit dem Abschluss der Altersteilzeitverträge mit dem vormaligen Geschäftsleiter und dem Bauhofmitarbeiter in den Jahren 2004 und 2006 eine freiwillige Leistung erbracht hat, da die Beklagte die Überlastquote von 5% des TV ATZ iVm § 3 Abs. 1 Nr. 3 ATZG überschritten hat (vgl. hierzu BAG 13.12.2016 – 9 AZR 606/15 – Rn 26).
c. Der Kläger befindet sich jedoch nicht in einer vergleichbaren Lage. In den Jahren 2004 und 2006 galt eine andere Rechtslage. Mit Einführung des TV FlexAZ ist mit § 4 Abs. 2 eine neue restriktivere Überforderungsklausel eingeführt worden. Der Anspruch auf Altersteilzeit wurde auf eine völlig neue Grundlage gestellt. Die Beklagte hat nach Einführung des TV FlexAZ keine Altersteilzeitverträge mehr abgeschlossen und sich damit an die neue Rechtslage gehalten. Sie hat außerdem bekundet, dies auch künftig tun zu wollen. Im Unterschied hierzu hat die Arbeitgeberin im Fall des BAG 13.12.2016 – 9 AZR 606/15 die Altersteilzeitverträge unter der Geltung des TV ATZ und des TV ATZ LSA (Sachsen-Anhalt) abgeschlossen, die beide nur auf die Überforderungsquote des § 3 Abs. 1 Satz 3 ATZG Bezug nehmen. Die dortige Arbeitgeberin hat trotz Abschluss eines neuen Tarifvertrags wieder unter Überschreitung der Überforderungsquote ein Altersteilzeitverhältnis abgeschlossen.
C.
Da die Berufung der Beklagten erfolgreich war, hat der Kläger die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO). Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens waren entsprechend neu zu verteilen, da die Beklagte gegen das Urteil des Arbeitsgerichts nur teilweise in die Berufung gegangen ist. Soweit das Ersturteil rechtskräftig wurde, bleibt es bei der Kostentragungspflicht der Beklagten (§ 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Ein gesetzlicher Grund, die Revision zuzulassen, liegt nicht vor (§ 72 Abs. 2 ArbGG).


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