Arbeitsrecht

Arbeitgeber, Schmerzensgeld, Personalrat, Bewerber, Arbeitnehmer, Bewerbungsverfahrensanspruch, Bewerbung, Schmerzensgeldanspruch, Wartezeit, Stellenbesetzungsverfahren, verfahren, Dienststelle, Abfindung, Vergleich, ausgeschriebene Stelle, Sinn und Zweck

Aktenzeichen  2 Ca 554/19

Datum:
5.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 50856
Gerichtsart:
ArbG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Der Streitwert wird festgesetzt auf 3.000,00 €.
IV. Die Berufung wird zugelassen.

Gründe

Die Klage ist zum Teil unzulässig und insgesamt unbegründet. Dem Kläger steht der geltend gemachte Schmerzensgeldanspruch weder gemäß § 15 Abs. 2 AGG noch gem. § 823 BGB iVm Art. 2 Abs. 1, Art. 1 GG iVm. § 253 Abs. 1 BGB noch gemäß § 253 Abs. 2 BGB zu.
I.
Hinsichtlich des Feststellungsantrags (Klageantrag zu 1.) ist die Klage unzulässig. Es fehlt am nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderlichen, über den vorrangigen Leistungsantrag (Klageantrag zu 2) hinausgehenden besonderen Feststellungsinteresse.
II.
Die Klage ist hinsichtlich beider Klageanträge unbegründet. Dem Kläger steht der geltend gemachte Schmerzensgeldanspruch weder gemäß § 15 Abs. 2 AGG noch gem. § 823 BGB iVm Art. 2 Abs. 1, Art. 1 GG iVm. § 253 Abs. 1 BGB noch gemäß § 253 Abs. 2 BGB zu
1. Die Beklagte hat den Kläger im Zusammenhang mit der Nichtberücksichtigung seiner Bewerbung vom 27.03.2019 auf die von der Beklagten ausgeschriebenen Stelle als Angestellter im Bauamt nicht wegen seiner Schwebehinderung gem. § 7 Abs. 1, § 3 Abs. 1, § 1 AGG benachteiligt, weshalb ein Entschädigungsanspruch (Schmerzensgeldanspruch) nach § 15 Abs. 2 AGG ausscheidet.
a) Der insoweit darlegungs- und beweispflichtige Kläger (vgl. BAG vom 16.05.2019 – 8 AZR 315/18 NZA 2019, 1419, Rn. 24 ff.) hat schon keine Umstände vorgebracht, aus denen sich Indizien iSd. § 22 AGG dafür ergeben, dass die Nichtberücksichtigung seiner Bewerbung vom 27.03.2019 auf die von der Beklagten ausgeschriebenen Stelle als Angestellter im Bauamt durch die Beklagte wegen der Schwerbehinderung des Klägers erfolgt ist. Entgegen der Rechtsansicht des Klägers ergibt sich ein solches Indiz nicht daraus, dass die Beklagte gegen ihre Pflicht als öffentlicher Arbeitgeber verstoßen hätte, den schwerbehinderten Kläger gem. § 165 S. 3 SGB IX zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen.
aa) Zwar ist richtig, dass die Verletzung der nunmehr in § 165 S. 3 SGB IX geregelten Verpflichtung eines öffentlichen Arbeitgebers, eine/n schwerbehinderten Bewerber/in zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, grundsätzlich die Vermutung einer Benachteiligung wegen der Behinderung begründet. Diese Pflichtverletzung ist nämlich grundsätzlich geeignet, den Anschein zu erwecken, an der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen uninteressiert zu sein (vgl. etwa BAG vom 20.01.2016 – 8 AZR 194/14 NZA 2016, 681 Rn. 34 zu § 82 S.2 SGB IX a.F.)
bb) Die Beklagte war vorliegend jedoch nicht gem. § 165 S. 3 SGB IX verpflichtet, den Kläger zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen.
(a) Der Sinn und Zweck der in § 165 S. 3 SGB IX geregelten Pflicht des öffentlichen Arbeitgebers, einen (fachlich nicht offensichtlich ungeeigneten) schwerbehinderten Bewerber zum Vorstellungsgespräch einzuladen, besteht darin, dass der schwerbehinderte Bewerber die Möglichkeit erhalten soll, den öffentlichen Arbeitgeber im Vorstellungsgespräch von seiner Eignung überzeugen können (vgl. BAG vom 23.01.2020 – 8 AZR 484/18 NZA 2020,851, Rn. 48). Der Gesetzeszweck gebietet es nicht, einen schwerbehinderten Bewerber zum Vorstellungsgespräch einzuladen, mit dem bereits ein Arbeitsverhältnis bestand, dass der Arbeitgeber noch während der sechsmonatigen Wartezeit („Probezeit“) des § 1 KSchG und des § 173 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB IX gekündigt hat, weil er den Arbeitnehmer für persönlich ungeeignet befunden hat. Das gilt jedenfalls dann, wenn zwischen Beendigung des vormaligen Arbeitsverhältnisses und neu ausgeschriebener Stelle – wie vorliegend – ein Zeitraum von noch nicht einmal einem Jahr liegt. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass die Wartezeit der beiderseitigen Überprüfung der Arbeitsvertragsparteien dient, ob sie das Arbeitsverhältnis über die Wartezeit hinaus fortsetzen wollen. In der Wartezeit besteht Kündigungsfreiheit auch des Arbeitgebers. Diese Freiheit ist durch Art. 12 GG durch die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit i. S. von Art. 2 Abs. 1 GG geschützt. Die grundrechtliche Gewährleistung erstreckt sich auch auf das Interesse des Arbeitgebers, in seinem Unternehmen nur Mitarbeiter zu beschäftigen, die seinen Vorstellungen entsprechen. In der gesetzlichen Wartezeit unterliegt die Bildung der Meinung des Arbeitgebers, ob ein Arbeitnehmer seinen Vorstellungen entspricht, von Missbrauchsfällen abgesehen keiner Überprüfung nach objektiven Maßstäben. Kommt der Arbeitgeber bei dieser Prüfung zu einem negativen Ergebnis, kann er das Arbeitsverhältnis grundsätzlich frei kündigen, ohne auf entgegenstehende Interessen des Arbeitnehmers Rücksicht nehmen zu müssen. Die während der Wartezeit grundsätzlich bestehende Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers ist das Gegengewicht zu dem im Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes entstehenden materiellen Kündigungsschutz, der die Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers nicht unerheblich beschneidet (vgl. BAG vom 12.09.2013 – 6 AZR 121/12 NZA 2013, 1412, Rn.24 mwN). Der Arbeitgeber hat in der Wartezeit das Recht sich bei der Kündigungsentscheidung von seinem „Bauchgefühl“ leiten zu lassen. Bis zum Ablauf der Wartezeit kann sich der Arbeitgeber daher – außerhalb von Missbrauchs-, insbesondere Diskriminierungsfällen – frei von solchen Arbeitnehmern trennen, bei denen er während der Wartezeit den Eindruck gewonnen hat, dass eine weitere Zusammenarbeit nicht sinnvoll ist (vgl. BAG vom 12.09.2013 – 6 AZR 121/12 NZA 2013, 1412, Rn.39). Das gilt im Grundsatz auch gegenüber schwerbehinderten Arbeitnehmern, da deren Sonderkündigungsschutz gem. § 173 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB IX ebenfalls erst nach einer sechsmonatigen Wartezeit einsetzt. Macht aber der Arbeitgeber von seinem Kündigungsrecht in der Wartezeit gebrauch, weil er den Eindruck gewonnen hat, dass der Betroffene nicht in den Betrieb (bzw. in die Dienststelle) „passt“, da er dem Betriebsklima abträglich und eine weitere Zusammenarbeit daher nicht sinnvoll ist, dann kann er nicht verpflichtet sein, diesen Arbeitnehmer alsbald nach der Kündigung wieder zu einem Vorstellungsgespräch einladen zu müssen. Die Nichteinladung beruht dann auf der vom Arbeitgeber in der Probezeit bereits festgestellten fehlenden persönlichen Eignung des Bewerbers. Sie verstößt nicht gegen § 165 SGB IX S. 3, zumal der schwerbehinderte Bewerber in diesen Fällen im Hinblick auf das in der Wartezeit gekündigte Arbeitsverhältnis nicht nur die Chance hatte, den Arbeitgeber im Vorstellungsgespräch von sich überzeugen, sondern sogar im Rahmen eines bereits begründeten Arbeitsverhältnisses (vgl. zur nicht bestehenden Verpflichtung des öffentlichen Arbeitgebers zur Einladung eines persönlich ungeeigneten schwerbehinderten Bewerbers auch LAG Düsseldorf vom 27.06.2018 – 12 Sa 135/18, BeckRS 2018, 17460 Rn. 77).
(b) Vorliegend hat die Beklagte das mit dem Kläger (frühestens) zum 11.06.2018 begründete Arbeitsverhältnis während der Wartezeit wirksam mit Schreiben vom 30.07.2018 zum 31.08.2018 gekündigt (vgl. Ziff. 1 des gerichtlichen Vergleichs vom 27.02.2019 im verfahren 2 Ca 575/18). Sie hat damit von ihrem Recht Gebraucht gemacht, ihrer Einschätzung folgend, dass eine Zusammenarbeit mit dem Kläger – unabhängig von der zu besetzenden Stelle – nicht sinnvoll ist, weil dieser auf Grund seiner Persönlichkeit nicht in die Dienststelle passt und seine Weiterbeschäftigung den Betriebsfrieden gefährdet, das Arbeitsverhältnis noch während der Wartezeit zu beenden. Dies beruhte nicht auf diskriminierenden Motiven. Die Gründe, die die Beklagte führt diese Entscheidung nachvollziehbar angeführt hat, stehen nicht im Zusammenhang mit der Schwerbehinderung des Klägers. Es ist nachvollziehbar, dass die Beklagte während der Wartezeit zu der Einschätzung gelangt ist, dass auf Grund der Vielzahl der Streitigkeiten und Unstimmigkeiten, die in der kurzen Zeit des Arbeitsverhältnisses bereits aufgetreten sind, eine weitere gedeihliche Zusammenarbeit im Betrieb (bzw. der Dienststelle) nicht zu erwarten steht. Es hat sich auch im Laufe dieses (und der anderen) Gerichtsverfahren gezeigt, dass es sich beim Kläger um eine sehr schwierige, äußerst bestimmend und fordernd auftretende Persönlichkeit handelt. Die Annahme diskriminierender Motive folgt auch nicht daraus, dass in Ziffer 4 des Vergleichs vom 27.02.2019 eine Entschädigungszahlung gem. § 15 Abs. 2 AGG vereinbart wurde. Damit wurde nicht „festgeschrieben“, dass sich die Beklagte diskriminierend verhalten hat. Das dem nicht so war, ergibt sich schon aus Ziffer 3 des Vergleichs. Im Übrigen wurde die Entschädigung auf ausdrücklichen Wunsch des Klägers an Stelle einer Abfindung vereinbart. Die Beklagte war auf Grund der Kündigung vom 30.07.2018 zum 31.08.2018 daher nicht den verpflichtet, den Kläger wenige Monate später zum Vorstellungsgespräch bzgl. der im März 2019 ausgeschriebenen Stelle einzuladen.
(c) Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass die Beklagte den Kläger bei vormaligen Stellenausschreibungen zu Vorstellungsgesprächen eingeladen und die E-Mail-Adressen blockiert hat. Insoweit kann auf die Entscheidungsgründe des unter dem Az. 2 Ca 101/19 ergangenen Endurteils vom 05.8.2020 Bezug genommen werden. Im Übrigen ist es der Kläger, der sich insoweit widersprüchlich verhält: Er beanstandet, wenn er zum Vorstellungsgespräch eingeladen wird (vgl. das Verfahren 2 Ca 101/19) und er beanstandet, wenn er – wie im vorliegenden Streitfall – nicht eingeladen wird.
2. Dem Kläger stehen wegen der Nichtberücksichtigung seiner Bewerbung vom 27.03.2019 auf die von der Beklagten ausgeschriebenen Stelle als Angestellter im Bauamt auch keine Entschädigungsansprüche (Schmerzensgeldansprüche) nach § 253 BGB zu. Dadurch wurde der Kläger weder in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht iSd. § 823 Abs. 1 BGB, Art. 2 Abs. 1, Art.1 GG noch in einem sonstigen Recht iSd. § 253 Abs. 2 BGB verletzt.
a) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht begründet kein Recht auf Einstellung. Es begründet lediglich einen Anspruch darauf, dass mit eingereichten Bewerbungen nicht in ehrverletzender Weise umgegangen wird. Die Beklagte ist mit der Bewerbung des Klägers jedoch nicht in ehrverletzender Weise umgegangen. Die E-Mails der Beklagten vom 29.03.2019 und vom 21.06.2019 weisen keinerlei ehrverletzenden Inhalt auf. Eine für den Schmerzensgeldanspruch zudem erforderliche schwerwiegende Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers bzw. ein schweres Verschulden der Beklagten (vgl. etwa BAG vom 24.09.2009- 8 AZR 636/08, NJW 2010, 554, 557) ist nicht ersichtlich.
b) Eine Verletzung sonstiger Rechte iSd. § 253 Abs. 2 BGB ist nicht ersichtlich. Soweit der Kläger geltend macht, die Beklagte hätte seinen aus Art. 33 Abs. 2 GG abgeleiteten Bewerbungsverfahrensanspruch verletzt, ist dies aus mehreren Gründen nicht geeignet, einen Entschädigungsanspruch nach § 253 Abs. 2 BGB zu begründen.
aa) Ein übergangener Bewerber kann zwar Schadensersatz wegen der Nichtberücksichtigung seiner Bewerbung verlangen, wenn ein Arbeitgeber, der bei seiner Auswahlentscheidung an die Vorgaben des Art. 33 Abs. 2 GG gebunden ist, eine zu besetzende Stelle zu Unrecht an einen Konkurrenten vergibt, die bei ordnungsgemäßer Auswahl ihm hätte übertragen werden müssen, und der Bewerber es nicht unterlassen hat, den Schaden durch den Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwehren. Der Schadensersatz ist jedoch nicht – wie vom Kläger beantragt – auf Erstattung eines Nichtvermögensschadens iSd. § 253 Abs. 2 BGB (Schmerzensgeld) gerichtet, sondern auf den Ersatz eines eingetretenen Vermögensschadens durch Geldersatz gem. §§ 249 Abs. 1 BGB, 251 Abs. 1 BGB (vgl. BAG vom 28.01.2020 – 9 AZR 91/19, NJW 2020, 1754, Rn. 28).
bb) Darüber hinaus hat die Beklagte den Bewerbungsverfahrensanspruch des Klägers nicht verletzt. Sie war nicht verpflichtet, den Kläger zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen (vgl. entsprechend oben unter II 1 a bb der Gründe).
cc) Schließlich kommt hinzu, dass eine etwaige Verletzung des Bewerbungsverfahrensanspruchs allein nicht ausreichend ist, um eine Schadensersatzpflicht des Arbeitgebers zu begründen. Das Verhalten des Arbeitgebers im Bewerbungsverfahren ist für den Schaden eines zurückgewiesenen Bewerbers nur ursächlich, wenn sich jede andere Besetzungsentscheidung des Arbeitgebers als rechtsfehlerhaft erwiesen hätte. Deshalb hat der zurückgewiesene Bewerber nur in den Fällen Anspruch auf Ersatz seines Schadens, in denen ihm anstelle des Konkurrenten das Amt hätte übertragen werden müssen. Die in diesem Zusammenhang erforderliche Reduktion des dem Arbeitgeber zustehenden Auswahlermessens auf null wiederum setzt voraus, dass der erfolglose Bewerber nach den in Art. 33 Abs. 2 GG genannten Kriterien der bestqualifizierte Bewerber war. Dies ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
III.
1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
2. Der Streitwert wurde gemäß §§ 61 Abs. 1 ArbGG, 3 ff. ZPO in Höhe des eingeklagten Zahlungsbetrags festgesetzt.
3. Die Berufungszulassung beruht auf § 64 Abs. 2 a iVm Abs. 3 Nr. 1 ArbGG. Die Kammer misst der Rechtsfrage, ob der öffentliche Arbeitgeber verpflichtet ist, den schwerbehinderten Arbeitnehmer, der bereits bei ihm beschäftigt war und der sich zeitnah nach Ausscheiden wieder bewirbt, zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, grundsätzliche Bedeutung zu.


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