Arbeitsrecht

Arbeitnehmer, Arbeitgeber, Berufung, Erkrankung, Urlaubsabgeltung, Urlaubsanspruch, Arbeitsleistung, Zusatzurlaub, Schwerbehinderteneigenschaft, Auslegung, Befristung, Urlaubstage, schwerbehinderte, Frist, schwerbehinderte Menschen, Kosten des Rechtsstreits, kein Anspruch

Aktenzeichen  3 Sa 401/20

Datum:
15.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 44844
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

17 Sa 4787/19 2020-09-15 Endurteil ARBGNUERNBERG ArbG Nürnberg

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 15.09.2020, Az.: 17 Ca 4787/19, teilweise abgeändert.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 576,45 € brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 06.09.2019 zu zahlen.
Im Übriger wird die Klage abgewiesen.
3. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
4. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Die Berufung ist zulässig.
Sie ist statthaft, § 64 Abs. 1, Abs. 2 b ArbGG, und auch in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO.
II.
Die Berufung des Klägers ist aber weitgehend unbegründet. Das Erstgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, was die Urlaubsansprüche der Jahre 2015 bis 2017 und die vom Kläger beanspruchte höhere Urlaubsvergütung betrifft. Das Berufungsgericht folgt insoweit der ausführlich und zutreffend unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung begründeten Entscheidung des Arbeitsgerichts Nürnberg und macht sich dessen Erwägungen vollständig zu eigen. Von einer rein wiederholenden Darstellung wird abgesehen, § 69 Abs. 2 ArbGG. Lediglich hinsichtlich des Zusatzurlaubs für schwerbehinderte Menschen für das Jahr 2018 ist das Berufungsgericht anderer Ansicht.
1. Im Hinblick auf das Berufungsvcrbringen betreffend den Verfall der Urlaubsansprüche 2015 bis 2017 sind vertiefte Ausführungen nicht veranlasst. Der Kläger hat in seiner Berufung seine bereits erstinstanzlich vorgetragenen Rechtsansichten im Wesentlichen nur wiederholt, die angesprochenen Rechtsprobleme hat das Erstgericht bereits vollständig abgearbeitet und in seiner Entscheidung entsprechend berücksichtigt. Auch das Berufungsgericht geht davon aus, dass die genannten Urlaubsansprüche verfallen sind. Ausdrücklich ist darauf hinzuweisen, dass der Kläger unstreitig seit dem 01.01.2015 durchgehend bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses am 31.07.2019 arbeitsunfähig erkrankt gewesen ist. Ebenso unstreitig hat die Beklagte den Kläger in diesem Zeitraum nicht auf den drohenden Verfall seiner Urlaubsansprüche hingewiesen.
Hat der Arbeitgeber seine Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten nicht erfüllt und war es dem Arbeitnehmer bis zum 31.03. des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres allein aufgrund durchgehend bestehender krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht möglich, den Urlaub zu nehmen, ist § 7 Abs. 3 BUrlG richtlinienkonform dahin auszulegen, dass der Anspruch des Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub erlischt. Dies betrifft den Urlaub für Urlaubsjahre, in deren der Arbeitnehmer durchgehend arbeitsunfähig krank war und deshalb – unabhängig davon, ob der Arbeitgeber seine Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten erfüllt hat – überhaupt keinen Urlaub nehmen konnte. Auch in diesem Fall ist von besonderen Umständen auszugehen, die den Verfall des Urlaubsanspruchs rechtfertigen (BAG, EuGH – Vorlage vom 07.07.2020 – 9 AZR 401/19 (a) -, Rn. 19, juris). Allerdings bestehen die Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten des Arbeitgebers regelmäßig auch, wenn und solange der Arbeitnehmer arbeitsunfähig ist. Sie können ihren Zweck erfüllen, weil sich die Dauer der Erkrankung nicht von vorneherein absehen lässt. Jedoch ist die Befristung des Urlaubsanspruchs bei einem richtlinienkonformen Verständnis des § 7 Abs. 3 BurlG nicht von der Erfüllung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten abhängig, wenn es – was erst im Nachhinein feststellbar ist – objektiv und möglich gewesen wäre, den Arbeitnehmer durch Mitwirkung des Arbeitgebers in die Lage zu versetzen, cen Urlaubsanspruch zu realisieren (BAG a.a.O., Rn. 23). Dem Arbeitgeber ist die Berufung auf die Befristung und cas Erlöschen des Urlaubsanspruches nicht versagt, wenn auch bei Erfüllung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten deren Zweck nicht hätte erreicht werden können, es dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, in Kenntnis aller relevanten Umstände frei darüber zu entscheiden, ob er seinen Urlaub in Anspruch nimmt. War der Arbeitnehmer seit Beginn des Urlaubsjahres durchgehend bis zum 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres arbeitsunfähig sind nicht Handlungen oder Unterlassungen des Arbeitgebers, sondern allein die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers für den Verfall des Urlaubs kausal. Der Urlaubsanspruch ist auf eine bezahlte Befreiung von der Arbeitspflicht gerichtet. Kann der Arbeitnehmer die geschuldete Arbeitsleistung krankheitsbedingt nicht erbringen, wird ihm die Arbeitsleistung unmöglich. Er wird nach § 275 Abs. 1 BGB von der Pflicht zur Arbeitsleistung frei. Eine Befreiung von der Arbeitspflicht durch Urlaubsgewährung ist deshalb rechtlich unmöglich (vgl. BAG, a.a.O., Rn. 26, m.w.N.).
Das BAG ist der Ansicht, dass dieses Ergebnis im Einklang mit der durch den Gerichtshof gefundenen Auslegung des Unionsrechts steht. Eine Aussetzung des Verfahrens kam deshalb nicht in Beracht. Der Vorlagebeschluss betrifft einen anderen Fall, nämlich, dass der Arbeitgeber seine Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten nicht erfüllt hat und der Arbeitnehmer den Urlaub im Urlaubsjahr bis zum Eintritt der Arbeitsunfähigkeit zumindest noch teilweise hätte nehmen können (BAG, a.a.O., Rn. 29). Dieser Fall liegt hier aber nicht vor. Der Kläger war unstreitig vom 01.01.2015 bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses am 31.07.2019 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Damit geht das Berufungsgericht in Übereinstimmung mit dem BAG davon aus, dass es dem Arbeitgeber im vorliegenden Fall nicht verwehrt ist, sich auf die Befristung und das Erlöschen des Urlaubsanspruchs zu berufen, da die Erfüllung dieser Obliegenheiten ihren Zweck wegen der durchgehenden Arbeitsunfähigkeit des Klägers nicht hätten erreichen können. Die Urlaubsansprüche des Klägers für die Jahre 2015 bis 2017 sind verfallen. Dies umfasst auch die Ansprüche auf Zusatzurlaub nach § 208 SGB IX. Auf diesem Zusatzurlaub sind die Vorschriften über die Entstehung, Übertragung, Kürzung und Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs anzuwenden (BAG, Urteil vom 22.01.2019 – 9 AZR 45/16).
2. Dem Kläger steht auch nicht ein höherer Abgeltungsbetrag zu. Von Anfang an hat die Beklagte die Berechnung des Klägers gerügt und auf ihre Berechnung verwiesen, die den tariflichen Vorschriften entsprochen hat. Zu Recht ist dem das Arbeitsgericht gefolgt. Auch in der Berufung konnte der Kläger das von ihm behauptete „durchschnittliche Ausgangsgehalt in Höhe von 2.937,45 € brutto“ nicht substantiieren. Die Auskunft des Klägervertreters in der Verhandlung vor dem Arbeitsgericht, dass nach seiner Kenntnis der durchschnittliche Bruttomonatsverdienst des Klägers anhand der vertraglichen Daten berechnet wurde, erklärt die von ihm angenommenen Beträge nicht. Auch insoweit war die Berufung zurückzuweisen.
3. Anders als das Erstgericht geht das Berufungsgericht aber davon aus, dass dem Kläger noch 5 Tage Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen nach § 208 SGB IX für das Jahr 2018 zustehen. Nach den vorliegenden Kopien von Bescheinigungen des Versorgungsamtes (Bl. 27 d.A.) und des Schwerbehindertenausweises des Klägers (Bl. 26 f d.A.) ist das Gericht davon überzeugt, dass der Kläger bereits ab 01.01.2015 einen Grad der Behinderung von 60 % zuerkannt bekommen hat. Damit steht ihm grundsätzlich der geltend gemachte Zusatzurlaub zu. Für die Jahre 2015 bis 2017 ist er allerdings wie der vertragliche Anspruch verfallen (vgl. oben 1.). Dem Kläger steht aber roch der Anspruch auf Zusatzurlaub für das Jahr 2018 zu, dieser ist noch nicht verfallen und in der von der Beklagten bereits für 2019 abgerechneten Höhe von 576,45 € (5 Tage × 7 Stunden × 16,47 €) ebzugelten. Es mag die Nebenpflicht zur Urlaubsgewährung erst mit Kenntnis entstehen, der gesetzliche Anspruch gemäß § 208 Abs. 1 Satz 1 SGB IX entsteht aber ohne weiteres, wenn eine Schwerbehinderung vorliegt. Eine Anzeige gegenüber dem Arbeitgeber ist nicht erforderlich. Dann kann dieser allerdings seinen Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten nicht nachkommen und de: Zusatzurlaub verfällt (ebenso LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 14.01.2021 – 5 Sa 267/19). Der hier streitgegenständliche Urlaub von 2018 ist aber noch nicht verfallen und ist deshalb bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses abzugelten. Selbst wenn die Beklagte Kenntnis von der Schwerbehinderung gehabt hätte, hätte sie den Zusatzurlaub dem langzeiterkrankten Kläger nicht gewähren können, er wäre in jedem Fall abzugelten gewesen. Damit steht dem Kläger der genannte Betrag zu, §§ 7 Abs. 4, 11 Abs. 1 Satz 1 BurlG, § 208 Abs. 1 Satz 1 SGB IX.
Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286 Abs. 2 Nr. 1, 7 Abs. 4 BurlG, 288 Abs. 1 BGB.
III.
1. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, § 92 Abs. 2 Satz 1 ZPO.
2. Für die Zulassung der Revision besteht kein gesetzlich begründeter Anlass, § 72 Abs. 1 und 2 ArbGG.


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