Arbeitsrecht

Arbeitnehmer, Berufung, Arbeitgeber, Leistungen, Arbeitsleistung, Arbeitszeit, Vergleich, Sonderzahlung, Arbeitszeitkonto, Freistellung, Anrechnung, Zeitguthaben, Fortzahlung, Minusstunden, Kosten des Rechtsstreits, Kosten der Berufung

Aktenzeichen  4 Sa 423/20

Datum:
19.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 21681
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
BGB §§ 133, 157, 779

 

Leitsatz

1. Befinden sich auf dem Arbeitszeitkonto des Arbeitnehmers bei seinem Ausscheiden noch Minusstunden, darf der Arbeitgeber Entgelt hierfür nur kürzen bzw. zurückfordern, wenn dies arbeitsvertraglich vereinbart ist.
2. Hat der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis außerordentlich gekündigt und haben die Parteien in einem Vergleich Freistellung bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses vereinbart, ist dem Arbeitnehmer die Möglichkeit zur Einbringung der Minusstunden genommen. Dies geht zu Lasten des Arbeitgebers.
3. Eine Klausel im Vergleich, die besagt, dass die Freistellung unter Anrechnung auf Urlaubsansprüche und etwaige Zeitguthaben erfolgt, ist ohne Vorliegen weiterer Anhaltspunkte dahingehend zu verstehen, dass auch eventueller Streit über den Stand des Arbeitszeitkontos beseitigt werden soll und auch Minusstunden nicht mehr geltend gemacht werden können.

Verfahrensgang

2 Ca 200/20 2020-10-13 Endurteil ARBGWUERZBURG ArbG Würzburg

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten und Widerklägerin gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Würzburg, Kammer Aschaffenburg, vom 13.10.2020, Az. 2 Ca 200/20, wird auf Kosten der Beklagten und Widerklägerin zurückgewiesen.
II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingereichte und begründete Berufung der Beklagten und Widerklägerin ist nur teilweise zulässig und im Übrigen in der Sache nicht begründet. Der Beklagten und Widerklägerin stehen über die im arbeitsgerichtlichen Urteil zugesprochenen Beträge hinaus keine weiteren Ansprüche gegen den Kläger zu. Die Berufungskammer folgt weitestgehend den ausführlichen und sorgfältigen Ausführungen des Arbeitsgerichts, denen sie sich anschließt, so dass auf eine erneute, nur wiederholende Darstellung verzichtet werden kann (§ 69 Abs. 2 ArbGG).
Zu den in der Berufung von den Parteien vorgetragenen Tatsachen und Argumenten ist folgendes hinzuzufügen:
1. Die Berufung ist nicht zulässig, soweit sie sich auf Zahlungsansprüche von mehr als 700,34 € bezieht. Insoweit fehlt es an einer nachvollziehbaren Begründung.
a. Das Arbeitsgericht hat im Einzelnen und nachvollziehbar ausgeführt, aus welchen Gründen dem Kläger noch ein Zahlungsbetrag in Höhe von 11.784,72 € zusteht. Dem ist die Beklagte und Widerklägerin in keiner Weise entgegengetreten. Die Berufungskammer hat daher diesen Betrag als dem Kläger zustehend zugrunde zu legen.
b. Unstreitig hat die Beklagte einen Betrag von 13.299,07 € netto an den Kläger geleistet. Es errechnet sich also ein Überzahlungsbetrag von 1.514,35 €. Das Arbeitsgericht hat der Beklagten und Widerklägerin diesen Betrag zugesprochen. Der Kläger hat insoweit keine Berufung eingelegt. Dieser Betrag ist daher nicht mehr streitgegenständlich. Soweit die Beklagte und Widerklägerin sich auf die Überzahlung deswegen beruft, weil sie einen Betrag in Höhe von 2.498,73 € an den Kläger ausgezahlt hat, der zu diesem Zeitpunkt im Hinblick auf die erfolgte Überleitungsanzeige schon der Arbeitsagentur zustand, geht sie offenbar davon aus, dass dem Kläger ein geringerer Betrag als 11.784,72 € zustand.
c. Darüber hinaus hat das Arbeitsgericht der Beklagten einen Gegenanspruch über 700,34 € versagt. Insoweit hat die Beklagte und Widerklägerin das erstinstanzliche Urteil mit Gründen angegriffen.
d. Soweit die Beklagte und Widerklägerin einen weiteren Betrag von 284,04 € als widerklagend verfolgten Anspruch geltend gemacht hat, ist für die Berufungskammer nicht erkennbar, aus welchem Grund das arbeitsgerichtliche Urteil auch insoweit falsch sein soll. Letztlich kann dies nur daran liegen, dass derjenige Betrag, der dem Kläger vom Arbeitsgericht als zustehend bezeichnet worden ist, falsch sei. Die Beklagte hat sich in keiner Weise mit der ausführlichen Berechnung des Arbeitsgerichts auseinandergesetzt, hat in keiner Weise dargetan, dass und warum dies der Fall sein soll. Sie hat die behauptete Fehlerhaftigkeit des arbeitsgerichtlichen Urteils in diesem Punkt damit nicht nachvollziehbar begründet. Dies führt zur Unzulässigkeit der Berufung in Höhe des Betrages von 284,04 €.
2. Soweit die Berufung zulässig ist, ist sie nicht begründet. Der Beklagten und Widerklägerin steht kein Ausgleichsanspruch für eventuell vorhandene Minusstunden auf dem Arbeitszeitkonto des Klägers zu.
a. Dabei kann dahinstehen, ob der Kläger seine Arbeitszeit tatsächlich völlig frei einteilen konnte und ob er tatsächlich am 21.10.2019 – dem Datum des Ausspruchs der außerordentlichen Kündigung – Minusstunden in einer Höhe von 40,33 Stunden auf seinem Arbeitszeitkonto angesammelt hatte. Ein Ausgleichsanspruch der Beklagten besteht nämlich auch dann nicht, wenn ihr diesbezüglicher Vortrag zutreffen sollte.
b. Zunächst würde ein Anspruch auf Ausgleich von Minusstunden beim Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis eine entsprechende Vereinbarung voraussetzen (zuletzt etwa BAG vom 21.03.2012, 5 AZR 670/11; LAG Rheinland-Pfalz vom 03.04.2014, 5 Sa 579/13; LAG Hamm vom 11.12.2019, 6 Sa 912/19, jeweils zitiert nach juris). Schon dies ist nicht erkennbar. Die Beklagte hat das Vorliegen einer solchen Vereinbarung weder behauptet noch eine solche vorgelegt oder unter Beweis gestellt.
c. Selbst wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung selbstständig und ohne arbeitgeberseitige Weisungen einteilen und erbringen kann, ist der Arbeitgeber zum Abzug von Minusstunden nur berechtigt, wenn der Arbeitnehmer tatsächlich die Möglichkeit hatte, vor seinem Ausscheiden einen Ausgleich der Stunden herbeizuführen. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Die Beklagte und Widerklägerin hat das Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung gekündigt. Sie hat dem Kläger damit die Möglichkeit genommen, für einen entsprechenden Ausgleich seines Kontos zu sorgen. Dies geht zu ihren Lasten.
d. Letztlich kann dies jedoch dahinstehen. Die Parteien haben sich nämlich im Vergleich vom 21.11.2019 darauf geeinigt, dass der Kläger ab diesem Zeitpunkt bis zum 31.12.2019 einvernehmlich unter Fortzahlung der vereinbarten Vergütung von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt würde. Zusätzlich haben sie vereinbart, dass dies unter Einbringung von Urlaubsansprüchen und etwaigem Zeitguthaben geschehen solle. Die Parteien haben damit den Anspruch des Klägers auf Vergütung eines Arbeitszeitguthabens und auch die Möglichkeit für den Kläger ausgeschlossen, nach diesem Zeitpunkt noch Minusstunden einzuarbeiten. Dies muss sich die Beklagte zurechnen lassen.
e. Mit dieser Vereinbarung haben die Parteien zudem deutlich gemacht, dass Streit über die Höhe des Arbeitszeitkontos nicht mehr geführt werden solle. Es wäre widersprüchlich, wenn nur ein eventuelles Zeitguthaben hätte eingebracht werden sollen, Zeitschulden aber von der Vergütung noch abziehbar gewesen wären. Für eine derart einseitige Bevorzugung der Beklagten gibt es keine Anhaltspunkte. Hätte man nicht das Arbeitszeitkonto streitlos stellen, sondern tatsächlich nur Guthabenstunden, nicht aber Minusstunden regeln wollen, hätte es nahegelegen, dies in dieser Ziffer in den Vergleich aufzunehmen.
f. Bei einer vereinbarten Freistellung muss der Arbeitnehmer wegen der unterschiedlichen Rechtsfolgen, die die Freistellung haben kann, erkennen können, dass der Arbeitgeber ihn (auch) zur Erfüllung des Anspruchs auf Freistellung von der Arbeitspflicht freistellen will (BAG vom 20.11.2019, 5 AZR 578/18, zitiert nach juris). Vice versa muss er dann aber auch erkennen können, dass die Freistellung nicht gleichzeitig bedeuten soll, dass der Arbeitgeber, der ja mit der Freistellung auf die Arbeitsleistung insgesamt verzichtet, dennoch in diesem Zeitpunkt etwa vorhandene Minusstunden vom Gehalt abziehen will. Soll der Arbeitnehmer etwaiger Ansprüche auf Auszahlung von Guthabenstunden verlustig gehen, muss dies daher ausdrücklich vereinbart werden. Dasselbe gilt, wenn der Arbeitnehmer trotz der Freistellung, die ihn am Ausgleich etwaiger Minusstunden hindert, mit entsprechenden Entgeltabzügen rechnen muss.
g. Letztlich ergibt sich dies auch aus der im Vergleich vereinbarten Abgeltungsklausel. Wenn dort niedergelegt ist, dass keine gegenseitigen finanziellen Ansprüche mehr bestehen, betrifft dies auch Abzugsansprüche des Arbeitgebers. Auch diese sollten ausgeschlossen sein. Der Hinweis auf die Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Abrechnung besagt nichts anderes. Hieraus könnten allenfalls Schlüsse gezogen werden, wenn den Parteien bewusst gewesen wäre, dass noch Minusstunden offen sein könnten und wenn sie dies in die Abrechnung hätten einbeziehen wollen. Hierzu hat die Beklagte nichts vorgetragen, hierfür ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte. Die Klausel ist daher jedenfalls unter Berücksichtigung der Formulierung, dass auch Urlaubsansprüche und Ansprüche aus Zeitguthaben erledigt sein sollten, so zu verstehen, dass auch der Arbeitgeber keine Abzüge vom verstetigten Entgelt mehr vornehmen könne.
h. Diese Rechtsfolge wäre im Übrigen unabhängig von dieser Auslegung dann zwingend, soweit der Kläger tatsächlich noch offene Urlaubsansprüche eingebracht hätte. Für Zeiträume, in denen er seine Urlaubsansprüche eingebracht hat, war ohnehin das volle Entgelt ohne Abzüge zu vergüten. Irgendwelche Einzelheiten, die nachvollziehbar machen würden, welche Urlaubsansprüche noch offen waren, hat die insoweit darlegungs- und beweispflichtige Beklagte ebenfalls nicht vorgetragen.
3. Nach alldem ist die Berufung der Beklagten und Widerklägerin teils unzulässig, teils unbegründet und daher zurückzuweisen. Sie hat daher auch die Kosten der Berufung zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).
4. Für die Zulassung der Revision besteht kein gesetzlich begründeter Anlass.


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