Arbeitsrecht

Aufenthaltserlaubnis für heranwachsenden geduldeten Ausländer

Aktenzeichen  B 6 K 20.1282

Datum:
20.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 41368
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 19d Abs. 1a, § 25a Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Nr. 2, Nr. 3, Nr. 4, Nr. 5, § 60c Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. a
AsylG § 55

 

Leitsatz

1. Der persönliche Anwendungsbereich des § 25a Abs. 1 AufenthG und die Erteilungsvoraussetzungen müssen, wenn der Ausländer während des Gerichtsverfahrens die gesetzliche Altersgrenze überschreitet, nicht nur zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bzw. der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfeantrags, sondern auch bei Vollendung des 21. Lebensjahres gegeben gewesen sein. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Ausbildungsduldung für einen Asylbewerber führt zu einem nahtlosen Übergang von der Aufenthaltsgestattung gem. § 55 AsylG zur Ausbildungsduldung gem. § 60c AufenthG, ohne dass der Ausländer nach dem Erlöschen seiner Aufenthaltsgestattung zuvor eine allgemeine Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG besessen haben muss. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Dem Kläger wird Prozesskostenhilfe bewilligt. Es wird ihm Rechtsanwalt …, unter Beschränkung auf die Kosten eines im Gerichtsbezirk ansässigen Rechtsanwalts beigeordnet. Der Kläger hat auf die voraussichtlichen Prozesskosten monatliche Raten in Höhe von 63,00 EUR zu zahlen.

Gründe

I.
Der Kläger begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine Klage auf Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25a AufenthG.
Der Kläger, geb.am …, afghanischer Staatangehöriger, reiste am 30.09.2015 ohne Visum und Identitätspapiere als unbegleiteter Minderjähriger erstmals ins Bundesgebiet ein. Nachdem am 21.12.2015 für ihn ein Asylantrag gestellt worden war, erhielt er Aufenthaltsgestattungen zur Durchführung des Asylverfahrens. Seit 25.01.2018 war er in einer Staatlichen Gemeinschaftsunterkunft in der Stadt … untergebracht.
Mit Bescheid vom 04.09.2018 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) den Asylantrag ab. In Ziffer 5 des Bescheides forderte die Behörde den Kläger für den Fall der Klageerhebung auf, die Bundesrepublik Deutschland 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen. Sollte er die Ausreisefrist nicht einhalten, werde er nach Afghanistan abgeschoben. Mit Telefax vom 12.09.2018 ließ der Kläger dagegen Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth erheben, die bei Gericht zuletzt unter dem Az. B 8 K 18.31569 geführt wurde.
Seit 11.09.2018 absolvierte er an der Staatlichen Berufsfachschule für Sozialpflege in … (* …*) eine zweijährige, bis 31.07.2020 dauernde (rein schulische) Ausbildung zum staatlich geprüften Sozialbetreuer und Pflegefachhelfer. Eine Erlaubnis gemäß § 61 AsylG holte er dafür nicht ein. Seinen Lebensunterhalt bestritt er mit Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.
Am 27.03.2019 legte er bei der für ihn zuständigen Regierung von Oberfranken – Zentrale Ausländerbehörde, Dienststelle … (ZAB) eine überbeglaubigte Tazkira im Original vor.
Am 26.07.2019 erhielt der Kläger das Jahreszeugnis über das erste Schuljahr. Die Berufsfachschule gestattete ihm darin das Vorrücken in die nächste Jahrgangsstufe und bescheinigte ihm, damit habe er auch die Mittelschule erfolgreich abgeschlossen.
Auf seinen Antrag vom 25.10.2019 hin gestattete der Beklagte dem Kläger den Auszug aus der Gemeinschaftsunterkunft. Er nahm seinen Wohnsitz in … (Landkreis …*) bei …, die ihn als Kind annahm. Laut Ziffer 2 des Endbeschlusses des Amtsgerichts … vom 30.06.2020 (Az. …*) betreffend die Erwachsenenadoption führte er nunmehr den Geburtsnamen „…“.
Am 12.03.2020 legte der Kläger einen bis 29.01.2025 gültigen afghanischen Reisepass vor. Am 17.03.2020 erhielt er letztmals eine bis 24.10.2020 gültige Aufenthaltsgestattung.
Mit Telefax vom 27.05.2020 nahm der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Klage im Verfahren B 8 K 18.31569 zurück. Mit Beschluss vom 28.05.2020 stellte das Verwaltungsgericht Bayreuth daraufhin das Asylklageverfahren ein.
Mit Telefax ebenfalls vom 27.05.2020 beantragte der Verfahrensbevollmächtigte des Klägers beim Beklagten eine Ausbildungsduldung und zugleich eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25a AufenthG. Am 31.05.2020 vollendete der Kläger das 21. Lebensjahr.
Mit bestandskräftigem Bescheid vom 07.07.2020 erteilte der Beklagte dem Kläger eine Ausbildungsduldung ab 28.06.2020 bis 31.07.2020 für die von ihm bereits 2018 aufgenommene Ausbildung zum Sozialbetreuer/Pflegefachhelfer. Am 24.07.2020 erhielt der Kläger sein Abschlusszeugnis über die bestandene Prüfung zum Staatlich geprüften Sozialbetreuer und Pflegefachhelfer.
Am 30.07.2020 ließ der Kläger beim Beklagten die „Verlängerung“ der Ausbildungsduldung und eine Beschäftigungserlaubnis für die von ihm ab 01.09.2020 beabsichtigte dreijährige Anschlussausbildung zum Pflegefachmann beantragen und einen Ausbildungssowie einen Schulvertrag vorlegen. Mit bestandkräftigem Bescheid vom 11.08.2020 erteilte ihm der Beklagte eine neue Ausbildungsduldung dafür vom 01.09.2020 bis 31.08.2023.
Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 21.10.2020 lehnte der Beklagte nach vorheriger Anhörung die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25a AufenthG ab.
Zur Begründung stützte er sich darauf, der Kläger habe zum Zeitpunkt der Vollendung des 21. Lebensjahres am 31.05.2020 keine Duldung besessen und auch keinen Anspruch darauf gehabt. Eine (Ausbildungs-) Duldung habe ihm erst nach Ablauf der Ausreisefrist von 30 Tagen ab dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens durch den Erlass des Einstellungsbeschlusses des Gerichts am 28.05.2020, also ab 28.06.2020, erteilt werden dürfen.
Mit Telefax vom 20.11.2020 ließ der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth erheben und sinngemäß beantragen, ihm unter Aufhebung des Bescheides vom 21.10.2020 eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen bzw. hilfsweise den Beklagten zu verpflichten, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts über den Antrag erneut zu entscheiden.
Mit dem gleichen Telefax vom 20.11.2020 hat er beantragen lassen,
dem Kläger Prozesskostenhilfe zu gewähren und Rechtsanwalt … … beizuordnen.
Am 23.11.2020 legte er die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse und entsprechende Unterlagen vor.
Zur Klagebegründung führt der Prozessbevollmächtigte des Klägers aus, der Kläger sei im nach Rücknahme der Klage im Asylverfahren vollziehbar ausreisepflichtig und damit am 31.05.2020, als er das 21. Lebensjahr vollendet habe, wie ein Geduldeter zu behandeln gewesen. Jedenfalls habe er aber, wenn er wegen der laufenden Ausreisefrist noch nicht hätte geduldet werden können, bereits alle Voraussetzungen für eine Ausbildungsduldung erfüllt und damit eine einseitig nicht mehr entziehbare Rechtsposition innegehabt, so dass ihm spätestens nach Ablauf der Ausreisefrist eine Ausbildungsduldung zu erteilen gewesen sei.
Der Beklagte, der am 28.12.2020 auf die Klage erwiderte, hat Klageabweisung beantragt.
Zur Begründung macht er geltend, der Kläger habe vor Vollendung des 21. Lebensjahres am 31.05.2020 keinen Anspruch auf Duldung gehabt, weil seine vollziehbare Ausreiseverpflichtung so lange nicht habe vollstreckt werden können, bis die Ausreisefrist fruchtlos abgelaufen sei. Da innerhalb der dreißigtägigen Ausreisefrist noch Gründe hätten bekannt werden können, die der Erteilung einer Ausbildungsduldung hätten entgegenstehen können, habe der Kläger solange noch nicht eine Rechtsstellung genossen, die der Beklagte ihm nicht mehr habe nehmen können. Schließlich sei dem Beklagten nicht bekannt gewesen, dass der Kläger als Asylbewerber eine Ausbildung an der Berufsfachschule für Sozialpflege begonnen hatte.
In einem Telefonat am 12.07.2021 mit dem Gericht erklärte die zuständige Teamleiterin der ZAB, nach Lage der Akten habe der Kläger am 28.12.2020 die begonnene Ausbildung weiterbetrieben und führe sie bis heute fort, so dass auch die Ausbildungsduldung Bestand habe.
Für die weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die in elektronischer Form vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
1. Dem Kläger wird Prozesskostenhilfe für seine Verpflichtungsklage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25a AufenthG bewilligt.
Gemäß § 166 VwGO, §§ 114 ff. ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Wird ihr Prozesskostenhilfe bewilligt, so ist ihr im Verfahren ohne Anwaltszwang nach § 121 Abs. 2 ZPO ein Anwalt beizuordnen, wenn die Vertretung durch einen Anwalt erforderlich ist.
Hinreichende Erfolgsaussicht auf Rechtsverfolgung oder -verteidigung liegt vor, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Klägers aufgrund seiner Sachdarstellung und der vorhandenen Unterlagen für zutreffend oder zumindest vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht mindestens von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist. Es muss also aufgrund summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass der Kläger mit seinem Begehren durchdringen wird.
Maßgeblich für die Beurteilung der hinreichenden Erfolgsaussichten ist der Zeitpunkt der Bewilligungs- oder Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrages. Die Entscheidungsreife tritt regelmäßig nach Vorlage der vollständigen Prozesskostenhilfeunterlagen sowie nach einer Anhörung der Gegenseite mit angemessener Frist zur Stellungnahme ein (§ 166 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 118 Abs. 1 Satz 1 ZPO; BayVGH in st. Rspr., vgl. nur BayVGH, B. v. 28.02.2020 – 10 C 20.32 – juris Rn. 13). Die Prozesskostenhilfeunterlagen sind erst dann vollständig vorgelegt, wenn bei Gericht neben dem Antrag auch die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse und entsprechende Belege eingereicht wurden (§ 166 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 117 Abs. 2 Satz1 ZPO).
Nach diesen Grundsätzen war der Prozesskostenhilfeantrag entscheidungsreif, als dem Gericht am 28.12.2020 die Klageschrift, die Klageerwiderung und die vollständigen Prozesskostenhilfeunterlagen vorlagen. Zu diesem Zeitpunkt bot die Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg. Die zulässige Klage ist nach summarischer Prüfung aller Wahrscheinlichkeit nach begründet. Nach allen Anhaltspunkten wird der Beklagte, wie mit dem Hauptantrag beantragt, zu verpflichten sein, dem Kläger die begehrte Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25a AufenthG zu erteilen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
a) Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Anspruchsnorm liegen aller Voraussicht nach vor.
Gemäß § 25a Abs. 1 AufenthG soll einem heranwachsenden geduldeten Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn er sich seit vier Jahren ununterbrochen geduldet oder mit einer Aufenthaltsgestattung im Bundesgebiet aufhält (Nr. 1), er im Bundesgebiet einen anerkannten Schul- oder Berufsabschluss erworben hat (Nr. 2), der Antrag auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis vor Vollendung des 21. Lebensjahres gestellt wird (Nr. 3), gewährleistet erscheint, dass er sich auf Grund seiner bisherigen Ausbildung und Lebensverhältnisse in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland einfügen kann (Nr. 4) und keine konkreten Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Ausländer sich nicht zur freiheitlich demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekennt (Nr. 5). Ausgeschlossen ist die Erteilung, wenn die Abschiebung aufgrund eigener falscher Angaben des Ausländers oder aufgrund seiner Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit ausgesetzt ist bzw. wenn der Ausländer wegen einer im Bundesgebiet begangenen vorsätzlichen Straftat zu einer Strafe, die ein bestimmtes Strafmaß überschreitet, verurteilt wurde (§ 25a Abs. 1 Satz 3 AufenthG, § 25a Abs. 3 AufenthG). Außerdem haben im Regelfall die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen gemäß § 5 Abs. 1 AufenthG vorzuliegen.
Der persönliche Anwendungsbereich der Norm und die Erteilungsvoraussetzungen müssen, wenn der Ausländer während des Gerichtsverfahrens die gesetzliche Altersgrenze überschreitet, nicht nur im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bzw. der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfeantrages, sondern auch im Zeitpunkt der Vollendung des 21. Lebensjahres gegeben gewesen sein. Nur so wird sichergestellt, dass die gesetzliche Altersgrenze nicht dadurch umgangen wird, dass sich der Sachverhalt erst während einer länger dauernden Rechtsverfolgung zu seinen Gunsten ändert und der Ausländer erst dadurch die Erteilungsvoraussetzungen erfüllt (Röder in: Decker/Bader/Kothe, BeckOKMigR, Stand 01.01.2021, § 25a AufenthG Rn.7, 28 unter Verweis auf BVerwG, U. v. 26.08.2004 – 1 C 32.07 – BVerwGE 131, 370 = NVwZ 2009, 248 Rn.17 zum insoweit vergleichbaren § 32 Abs. 3 AufenthG a.F. betr. den Kindernachzug).
aa) Der persönliche Anwendungsbereich der Norm war nach der gebotenen, aber auch ausreichenden summarischer Prüfung sowohl eröffnet, als der Kläger am 31.05.2020 das 21. Lebensjahr vollendete, als auch als der Prozesskostenhilfeantrag am 28.12.2020 bewilligungsreif wurde.
Gemäß § 25a Abs. 1 AufenthG soll eine Aufenthaltserlaubnis einem heranwachsenden geduldeten Ausländer erteilt werden.
Die Anwendung von § 25a Abs. 1 AufenthG wird nicht durch § 19d Abs. 1a AufenthG, der den „Spurwechsel“ von einer Ausbildungsduldung zu einer Aufenthaltserlaubnis zu Erwerbszwecken regelt, als speziellerer Vorschrift ausgeschlossen. Denn anders als § 19d Abs. 1a AufenthG, der nach erfolgreichen Abschluss der Berufsausbildung (nur) eine Beschäftigung erlaubt, die der erworbenen beruflichen Qualifikation entspricht, lässt § 25a Abs. 4 AufenthG die Erwerbstätigkeit generell zu und setzt damit eine weitergehende Rechtsfolge (Röder a. O. Rn. 9 und 9.1).
Dem Kläger stand allen Anhaltspunkten nach eine Ausbildungsduldung zur Fortsetzung seiner Ausbildung zum Staatlich geprüften Pflegefachhelfer/Soziallhelfer bereits am 31.05.2020 zu.
Gemäß § 60c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a AufenthG (Ausbildungsduldung) ist eine Duldung aus persönlichen Gründen zu erteilen, wenn der Ausländer in Deutschland als Asylbewerber eine qualifizierte Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten Ausbildungsberuf aufgenommen hat und nach Ablehnung des Asylantrags diese Berufsausbildung fortsetzen möchte.
Diese „Asylbewerber-Ausbildungsduldung“ führt zu einem einen nahtlosen Übergang von der asylrechtlichen Aufenthaltsgestattung gemäß § 55 AsylG zur aufenthaltsrechtlichen Ausbildungsduldung gemäß § 60c AufenthG, ohne dass der Ausländer nach dem Erlöschen seiner Aufenthaltsgestattung zuvor eine allgemeine Duldung gem. § 60a Abs. 2 AufenthG besessen haben muss (Dietz in: Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2021, § 60c AufenthG, Rn. 14, 73). Sie dient dazu, einem Ausländer, der bereits während des Asylverfahrens im Einklang mit den gesetzlichen Vorschriften eine qualifizierte Ausbildung i.S.v. § 2 Abs. 12a AufenthG aufgenommen hat, zu ermöglichen, die Ausbildung ohne den nach der unanfechtbaren Ablehnung des Asylantrages eigentlich einsetzenden Ausreise- und Abschiebungsdruck fortzusetzen (Röder in: Decker/Bader/Kothe, BeckOKMigR, Stand 01.01.2021, § 60c AufenthG Rn. 13,15).
Eine „Asylbewerberausbildungsduldung“ kann hier allerdings nicht auf § 60c Abs. 1 Satz 1
Nr. 1b AufenthG gestützt werden. Zwar ist die vom Kläger aufgenommene Ausbildung eine Helferausbildung. Der Kläger konnte aber am 31.05.2021 noch nicht, wie die Vorschrift zusätzlich verlangt, die Zusage vorweisen, dass er nach seiner Pflegehelferausbildung eine Ausbildung zum Pflegefachmann würde anschließen können.
Am 31.05.2020 waren aber die Voraussetzungen für eine anspruchsbegründende Ausbildung i. S. v. § 60c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a AufenthG gegeben.
Die von ihm betriebene Ausbildung war eine Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten Ausbildungsberuf mit einer festgelegten Ausbildungsdauer von mindestens zwei Jahren, d.h. eine qualifizierte Berufsausbildung (§ 2 Abs. 12a AufenthG), die auch als eine rein schulische Ausbildung an einer Berufsfachschule für Altenpflege absolviert werden kann (Dollinger in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 60c AufenthG Rn. 15).
Der Kläger hatte die Ausbildung im Einklang mit den ausländerrechtlichen Vorschriften aufgenommen. Eine Erlaubnis der Ausländerbehörde war nicht erforderlich. Eine Ausbildung ist nur dann eine erlaubnispflichtige Erwerbstätigkeit i.S. von § 61 AsylG, wenn sie dem Erwerb beruflicher Kenntnisse, Fertigkeiten oder Erfahrungen im Rahmen beruflicher Berufsbildung dient (§ 2 Abs. 2 AufenthG, § 7 Abs. 2 SGB IV). An diesem betrieblichen Charakter der Ausbildung fehlt es bei einer rein schulischen Ausbildung (Röder in: BeckOKMigR, Stand 01.01.2021, § 61 AsylG Rn.13).
Die aufgenommene Berufsausbildung zum Pflegefachhelfer/Sozialbetreuer wollte er laut Antrag vom 27.05.2020 nach Ablehnung des Asylantrages bis 31.07.2020 fortsetzen. Die Ablehnung seines Asylantrages vom 21.12.2015 wurde nicht erst mit dem (deklaratorischen) Einstellungsbeschluss des Gerichts vom 28.05.2021 betr. das Asylklageverfahren, sondern bereits mit Eingang der Klagerücknahme bei Gericht per Telefax am 27.05.2021 unanfechtbar (W. – R. Schenke in: Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 92 VwGO Rn. 3).
Einer der in § 60c Abs. 2 AufenthG normierten Ausschlussgründe für die Erteilung einer Ausbildungsduldung greift voraussichtlich nicht zu Lasten des Klägers ein.
Damit hatte der Kläger, der privilegiert wird, weil er die Ausbildung bereits während des Asylverfahrens begonnen hatte, kraft Gesetzes wahrscheinlich einen Anspruch auf Erteilung einer Ausbildungsduldung, ohne dass es darauf ankäme, ob dem Beklagten die anspruchsbegründende, für Asylbewerber erlaubnisfreie schulische Ausbildung bei der Berufsfachschule für Sozialpflege vor dem Antrag vom 27.05.2021 bekannt war. Die hier vorliegende besondere Konstellation der „Asylbewerberausbildungsduldung“ führt auch dazu, dass der Erteilung der Ausbildungsduldung im unmittelbaren Anschluss an die gemäß § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AsylG erloschene Aufenthaltsgestattung, anders als wenn eine Ausbildung erst nach unanfechtbarer Ablehnung des Asylantrages angefangen wird, nicht entgegensteht, dass der Bescheid des Bundesamtes vom 04.09.2018 in Ziffer 5 eine Ausreisefrist von 30 Tagen nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens vorgesehen hatte.
Nach telefonischer Auskunft des Beklagten verfügte der Kläger auch bei Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfeantrages am 28.12.2020 über eine Ausbildungsduldung, jetzt für eine Ausbildung zum Pflegefachmann, so dass der Kläger weiterhin zu dem von § 25a Abs. 1 AufenthG begünstigten Personenkreis gehörte.
bb) Die besonderen Erteilungsvoraussetzungen der Vorschrift lagen aller Voraussicht nach sowohl am 31.05.2020 als auch am 28.12.2020 ebenfalls vor.
Zum Zeitpunkt der Vollendung des 21. Lebensjahres am 31.05.2020 hielt sich der Kläger in den vier Jahren seit 31.05.2016 zunächst gestattet und seit 27.05 2020 geduldet ohne Unterbrechung im Bundesgebiet auf (§ 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG). Wie sich aus seinem Jahreszeugnis der Berufsfachschule für Sozialpflege betreffend die 10. Jahrgangsstufe vom 26.07.2019 ergibt, hat er mit der Erlaubnis zum Vorrücken in die 11. Klasse zugleich auch die Mittelschule erfolgreich abgeschlossen und damit, wie von § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG verlangt, einen im öffentlichen Schulwesen anerkannten Schulabschluss erworben (Hailbronner in: Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2021, § 25a AufenthG Rn. 18). Den Antrag auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis hat er am 27.05.2020 und damit rechtzeitig vor Vollendung des 21.Lebensjahres gestellt (§ 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG). Weiterhin bestand am 31.05.2020 die begründete Erwartung, dass der Kläger, der kurz vor dem Ende seiner Ausbildung zum Pflegehelfer/Sozialbetreuer stand, gut Deutsch sprach und in geordneten Verhältnissen bei seiner Adoptivmutter lebte, sich gemäß § 25a
Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG in die Lebensverhältnisse in Deutschland einfügen konnte (Hailbronner, a.O., Rn. 21). Schließlich lagen auch keine Anhaltspunkte vor, die gegen seine Verfassungstreue gesprochen hätten (§ 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 AufenthG).
Zum Zeitpunkt der Bewilligungsreife am 28.12.2020 lagen die Voraussetzungen weiter vor. Nachdem er am 30.06.2020 adoptiert wurde, inzwischen seine Ausbildung zur Pflegehelferkraft/Sozialbetreuer am 24.07.2020 erfolgreich abgeschlossen hat, und seinen Lebensunterhalt durch die ihm in der Ausbildung zum Pflegefachmann gezahlte Vergütung nicht mehr aus öffentlichen Mitteln bestreiten muss, hat sich seine Integration seit 31.05.2020 noch weiter verbessert.
cc) Ausschlussgründe für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis gem. § 25a Abs. 1 Satz 3 und § 25a Abs. 3 AufenthG griffen weder am 31.05.2020 noch am 28.12.2020 ein.
dd) Die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen „Klärung der Identität“ und“ Erfüllung der Passpflicht „(§ 5 Abs. 1 Nr.1a und 4 AufenthG) sind erfüllt, seit der Kläger die Tazkira überbeglaubigt im Original und den afghanischen Reisepass, beides nachweislich echte Dokumente, dem Beklagten am 27.03.2019 bzw. am 12.03.2020 vorgelegt hat. Da er sich am 31.05.2020 in einer schulischen Ausbildung befand, wirkte sich die damalige Inanspruchnahme von öffentlichen Leistungen gemäß § 25a Abs. 1 Satz 2 AufenthG nicht zu seinen Lasten aus. Bei Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrages bezog er eine Ausbildungsvergütung und konnte damit gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG seinen Lebensunterhalt ohne Inanspruchnahme öffentlicher Leistungen sichern.
ee) Liegen damit die Voraussetzungen der Sollvorschrift des § 25a AufenthG nach summarischer Prüfung vor, kann die Aufenthaltserlaubnis nur versagt werden, wenn atypische Umstände vorliegen, denen ein höheres Gewicht beizumessen ist, als dem öffentlichen Interesse daran, das Aufenthaltsrecht integrierter heranwachsender Ausländer zu legalisieren (Hailbronner, a. O. Rn. 39f.). Derartige Umstände sind jedoch weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Damit hatte die Klage zum Zeitpunkt der Bewilligungsreife hinreichende Aussicht auf Erfolg.
2. Die Beiordnung eines Rechtsanwalts ist im Hinblick auf die Bedeutung der Sache erforderlich (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 121 Abs. 2 ZPO). Die Kosten der Beiordnung eines Rechtsanwalts sind auf die eines im Gerichtsbezirk ansässigen Rechtsanwalts zu beschränken, weil nur diese Aufwendungen zur Rechtsverteidigung notwendig sind (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 121 Abs. 3 ZPO).
Die Höhe der monatlichen Ratenzahlung errechnet sich gemäß § 115 Abs. 1 ZPO i. V. m.§ 120 Abs. 1 und 2 ZPO wie folgt: Vom Bruttoeinkommen von 1.128,20 EUR sind gemäß § 82 Abs. 2 SGB XII Lohnsteuer, Renten-, Kranken-, Arbeitslosenund Pflegeversicherung, Fahrtkosten zur Arbeit und eine Pauschale von 6,27 EUR für die Reinigung der Dienstkleidung, d.h. insgesamt 288,01 EUR, abzuziehen, so dass davon netto 840,19 EUR verbleiben. Als Erwerbsfreibetrag gemäß § 115 Nr. 1b ZPO und als Freibeträge gemäß § 115 Abs. 1 ZPO können 223,00 und 491,00 EUR angerechnet werden, so dass sich ein einzusetzendes Einkommen von 126,19 EUR und damit eine monatliche PKH-Rate von 63,00 EUR ergibt.


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