Arbeitsrecht

Ausgleichsansprüche wegen Zuvielarbeit nach Dienstherrenwechsel

Aktenzeichen  3 B 17.1814

Datum:
16.12.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 34557
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBG Art. 48 Abs. 4
BeamtStG § 15 Abs. 3

 

Leitsatz

1. Aus dem Wortlaut der Regelung des Art. 48 Abs. 4 BayBG „wird fortgesetzt“ kann nicht geschlussfolgert werden, dass hiermit eine Regelung der Gesamtrechtsnachfolge getroffen werden sollte mit der Folge, dass auch „Altforderungen“ des Beamten oder der Beamtin gegenüber dem neuen Dienstherrn geltend zu machen sind (Rn. 30). (redaktioneller Leitsatz)
2. Die vorgesehene „Fortsetzung des Beamtenverhältnisses“ ist von dem Gedanken eines sachgerechten Interessenausgleichs getragen, so dass die Beurteilung der Frage, welche weiteren Rechtsfolgen mit einer dienstherrnübergreifenden Versetzung verbunden sind, nur mit Blick auf die jeweilige Fallkonstellation beantwortet werden kann  (Rn. 31). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 5 K 15.707 2015-09-29 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 29. September 2015 wird abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Anschlussberufung wird zurückgewiesen.
III. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen selbst.
IV. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung des Beklagten, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 125 Abs. 1 i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO), ist begründet (1.). Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Unrecht teilweise stattgegeben. Der Beklagte ist nicht zur Erfüllung des geltend gemachten unionsrechtlichen Ausgleichsanspruchs verpflichtet, weil er nicht der materiell-rechtlich Anspruchsverpflichtete ist (fehlende Passivlegitimation). Dementsprechend bleibt die Anschlussberufung des Klägers ohne Erfolg (2.).
1. Aus dem Wortlaut der Regelung des Art. 48 Abs. 4 BayBG „wird fortgesetzt“ kann, wie das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 16. März 2016 (6 A 190/14 – juris) und der Hessische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 13. Juni 2017 (1 A 2475/16 – juris) zu jeweils gleichlautenden landesrechtlichen Vorschriften (§ 25 Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 1 LBG NRW bzw. § 26 Abs. 4 BG HE) zutreffend ausgeführt haben, nicht geschlussfolgert werden, dass hiermit eine Regelung der Gesamtrechtsnachfolge getroffen werden sollte mit der Folge, dass auch „Altforderungen“ des Beamten oder der Beamtin gegenüber dem neuen Dienstherrn geltend zu machen sind (ebenso Eck in BeckOK BeamtenR Stand 1.9.2019 Art. 48 BayBG Rn. 33; Rieger in PdK Bu C-17, § 15 BeamtStG Anm. 4.1 unter Hinweis auf BVerwG, U.v. 29.10.1963 – VI C 135.62 – BVerwGE 17, 99). Vielmehr folgt daraus zunächst nur, dass das Beamtenverhältnis mit dem Wechsel zu einem anderen Dienstherrn fortdauert, das heißt, dass keine Unterbrechung eintritt. Der Dienstherrnwechsel erfolgt also nicht – was auch denkbar wäre – durch eine Beendigung des Dienstverhältnisses mit dem ursprünglichen Dienstherrn durch Entlassung sowie Begründung eines neuen Beamtenverhältnisses mit dem aufnehmenden Dienstherrn mittels Ernennung (vgl. BVerwG, U.v. 11.4.1991 – 10 C 1.91 – juris Rn. 10; OVG NW, U.v. 16.3.2016 – 6 A 190/14 – juris 37; Plog/Wiedow, Bundesbeamtengesetz, Stand November 2019, § 28 BBG 2009, Rn. 13). Aus dem Wortsinn des Begriffs „Fortsetzung“ folgt ferner, dass das bestehende Dienstverhältnis (lediglich) im zeitlichen Anschluss fortgeführt, nicht aber gewissermaßen von Anfang an „übernommen“ wird. Der neue Dienstherr tritt mit der Versetzung erst „ex nunc“ an die Stelle des vorherigen Dienstherrn, was praktischen Bedürfnissen entspricht. Die Regelung erleichtert den Übertritt der Beamten zu anderen Dienstherren und vermeidet die praktischen Schwierigkeiten und Nachteile, die eine Beendigung des Beamtenverhältnisses zum bisherigen Dienstherrn und die Begründung eines Beamtenverhältnisses zum neuen Dienstherrn sowohl für die beteiligten Verwaltungen wie für den Beamten mit sich bringt (vgl. BVerwG, a.a.O.; OVG NW, a.a.O. juris Rn. 48). Jenseits der staatsvertraglich geregelten Ausgleichszahlungen zwischen übernehmendem und abgebendem Dienstherrn hinsichtlich der Versorgungsbezüge besteht nach Sinn und Zweck der genannten Vorschriften kein Bedürfnis für eine „Belastung“ des neuen Dienstherrn mit Forderungen aus abgeschlossenen Lebenssachverhalten, die ausschließlich das Verhältnis des Beamten oder der Beamtin und des abgebenden Dienstherrn betreffen. Die von dem Verwaltungsgericht angenommene Auslegung würde dazu führen, dass Versetzungen eines Beamten oder einer Beamtin zu einem anderen Dienstherrn erschwert würden, da damit für den übernehmenden Dienstherrn unkalkulierbare Risiken verbunden wären.
Es entspricht auch nicht dem Willen des Gesetzgebers, eine Gesamtrechtsnachfolge in dem von dem Verwaltungsgericht verstandenen Sinne annehmen zu wollen. Die amtliche Begründung zum Gesetzentwurf des Bayerischen Beamtengesetzes vom 18. Juli 1960 (GVBl S. 161), in dessen Art. 34 die fragliche Regelung erstmals Aufnahme gefunden hat, verweist lediglich darauf, dass die Vorschriften über die Abordnung und Versetzung rahmenrechtlich weitgehend vorgeschrieben seien (LT-Drs. 4/720 S. 40). Nach dem Willen des Rahmengesetzgebers war es Sinn und Zweck der Vorschrift des § 18 Abs. 2 Satz 2 BRRG (vom 1.7.1957, BGBl. I S. 667) klarzustellen, dass es auch im Fall einer dienstherrnübergreifenden Versetzung „keiner Beendigung des bisherigen und Begründung des neuen Beamtenverhältnisses mehr“ bedarf (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs eines Ersten Beamtenrechtsrahmengesetzes vom 4.7.1955, BT-Drs. 2/1549, S. 41). Damit sollten der Übertritt zu einem anderen Dienstherrn erleichtert und praktische Schwierigkeiten und Nachteile vermeiden werden, die eine Beendigung des bisherigen und Neubegründung des künftigen Beamtenverhältnisses sowohl für die beteiligten Verwaltungen als auch für den Beamten mit sich bringen würde (vgl. BR-Drs. 100/55, S. 60 zu § 124 BRRG, zitiert nach BVerwG, U.v. 11.4.1991, a.a.O.). Ist danach die vorgesehene „Fortsetzung des Beamtenverhältnisses“ von dem Gedanken eines sachgerechten Interessenausgleichs getragen, kann die Beurteilung der Frage, welche weiteren Rechtsfolgen – über die ausdrücklich geregelte statusrechtliche Frage hinaus (keine Beendigung und Neubegründung des Beamtenverhältnisses) – mit einer dienstherrnübergreifenden Versetzung verbunden sind, nur mit Blick auf die jeweilige Fallkonstellation beantwortet werden. Diese Annahme findet ihre Bestätigung in der den Regelungen über die Versetzung von Beamten insgesamt zu Grunde liegenden Intention des Gesetzgebers, die zum Teil gegenläufigen Interessen des Dienstherrn und des Beamten in einem sachgerechten Ausgleich zusammen zu führen. In diesem Sinn wird in der Begründung des Gesetzentwurfs zu einem Ersten Beamtenrechtsrahmengesetz zu den Vorschriften über Abordnung und Versetzung (a.a.O., S. 40) ausgeführt: „Abordnung und Versetzung stellen Regelungen dar, die in die rechtliche Stellung des Beamten eingreifen; in ihnen begegnen sich die Interessen des Dienstherrn und der Schutz des Beamten. Beide Bedürfnisse müssen in gerechter Weise aufeinander abgestimmt werden (…).“ Auf der Grundlage dieses Ziels – Ausgleich der unterschiedlichen Interessenlage des (abgebenden, aber auch des aufnehmenden) Dienstherrn einerseits sowie Fürsorge und Schutz für den Beamten andererseits – ist der Begriff der „Fortsetzung des Beamtenverhältnisses“ auszulegen und sind die damit verbundenen Rechtsfolgen zu bestimmen. Bei der Auslegung sind ferner rechtsstaatliche Grundsätze, insbesondere in Bezug auf die Rückwirkung und des Vertrauensschutzes zu beachten.
Ausgehend von den vorstehenden Erwägungen können hinsichtlich des streitigen Anspruchs auf Ausgleich der geleisteten Zuvielarbeit eine Rechtsnachfolge und damit auch eine Anspruchsverpflichtung des Beklagten nicht bejaht werden. Der anspruchsbegründende Sachverhalt einer unionsrechtswidrigen Zuvielarbeit in der Zeit vom 1. Januar 2001 bis 31. März 2005 fiel vollständig in den Zeitraum, in dem sich der Kläger noch im Dienstverhältnis mit der Beigeladenen befand und war schon vor dem Übertritt in das Beamtenverhältnis mit dem Beklagten am 1. Januar 2006 abgeschlossen. Die Zuvielarbeit ist im vollen Umfang dem vormaligen Dienstherrn zu Gute gekommen. Die Anspruchsverpflichtung war vor dem Übergang zum neuen Dienstherrn bereits vollständig entstanden. Ein schutzwürdiges Interesse, den vormaligen Dienstherrn von einer etwaigen Ausgleichsverpflichtung freizustellen und an dessen Stelle den Beklagten als neuen Dienstherrn mit dieser Verbindlichkeit zu belasten, besteht mithin nicht. Auf der anderen Seite verlangt auch der Schutz des Beamten nicht den Übergang der Anspruchsverpflichtung auf seinen neuen Dienstherrn. Denn dem Kläger entstehen keine Nachteile dadurch, dass er den Anspruch gegenüber dem vormaligen Dienstherrn geltend machen muss.
Bleibt nach den vorstehenden Feststellungen der Klage schon mangels der Passivlegitimation des Beklagten der Erfolg versagt, bedarf es hier keiner Entscheidung, ob die vom Kläger geltend gemachten Ausgleichsansprüche verjährt sind bzw. ob es dem Anspruchsverpflichteten ggf. mit Blick auf die Grundsätze von Treu und Glauben verwehrt ist, sich auf die Einrede der Verjährung zu berufen (vgl. dazu die Urteile des Senats vom 24.7.2018 – 3 BV 15.1805-1810 und nachfolgend die Beschlüsse des Bundesverwaltungsgerichts vom 25.6.2019 – 2 B 65-69.18).
2. Da sich die Klage gegen den falschen Beklagten richtet, kann auch die auf eine höhere Ausgleichszahlung zielende Anschlussberufung keinen Erfolg haben.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10 und 711 ZPO.
4. Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen der §§ 132 Abs. 2, 191 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 127 BRRG nicht vorliegen.


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