Arbeitsrecht

Auslegung eines Vergleichs im Kündigungsschutzprozess

Aktenzeichen  4 Sa 306/18

Datum:
9.1.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 6379
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 615, § 779

 

Leitsatz

Regeln die Parteien im Vergleich eines Bestandsstreits, dass das Arbeitsverhältnis über den Zeitpunkt der fristlosen Kündigung während eines beschränkten Zeitraums fortbestanden hat und während dieses Zeitraums nur noch die Hälfte der bisherigen Vergütung abzurechnen ist, bedarf es für die Anrechnung eines Zwischenverdienstes einer ausdrücklichen Regelung im Vergleich; zumal dann, wenn die Abrechnung auch restliche Urlaubstage und Feiertage erfassen soll. (Rn. 37 und 38)

Verfahrensgang

10 Ca 5977/17 2018-07-13 Endurteil ARBGNUERNBERG ArbG Nürnberg

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Endurteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 13.07.2018, Az.: 10 Ca 5977/17, abgeändert.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin
– für Oktober 2015 1.343,75 € brutto abzüglich auf die Bundesagentur übergegangener 1.021,80 € netto nebst 5 Prozentpunkte Zinsen über dem Basiszinssatz aus 321,95 € brutto seit 01.11.2015,
– für November 2015 1.343,75 € brutto abzüglich auf die Bundesagentur übergegangener 272,48 € netto nebst 5 Prozentpunkte Zinsen über dem Basiszinssatz aus 1.071,27 € brutto seit 01.12.2015,
– für Dezember 2015 1.343,75 € brutto nebst 5 Prozentpunkte Zinsen über dem Basiszinssatz hieraus seit 01.01.2016,
– für Januar 2016 1.343,75 € brutto nebst 5 Prozentpunkte Zinsen über dem Basiszinssatz hieraus seit 01.02.2016 zu bezahlen sowie
– der Klägerin für die Monate Oktober 2015 bis einschließlich Januar 2016 Lohnabrechnungen über monatlich 1.343,75 € brutto zu erteilen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
4. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.
Die Berufung ist zulässig.
Sie ist statthaft, § 64 Abs. 1, Abs. 2 b ArbGG, und auch in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO.
II.
Die Berufung ist sachlich begründet.
Der Klägerin stehen die geltend gemachten Abrechnungs- und Zahlungsansprüche gegen die Beklagte zu, denn hierzu hatte sich die Beklagte in Ziffer 2 des Vergleiches vom 15.03.2016 verpflichtet, §§ 779 Abs. 1, 611 Abs. 1 BGB.
Die Auslegung der Ziffer 2 des Vergleiches ergibt gem. §§ 133, 154 BGB unter Berücksichtigung der Regelungen in den Ziffern 3 und 6 dieses Vergleiches, dass im Rahmen des § 779 Abs. 1 BGB eine eigenständige konstitutive Abrechnungs- und Zahlungspflicht begründet werden und nicht lediglich ein Verweis auf die bestehende gesetzliche Rechtslage nach § 615 BGB erfolgen sollte.
Die Auslegung des Erstgerichts, die sich vollumfänglich an den Gründen der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 01.07.2015 (1 Sa 194/15 – LAGE Nr. 26 zu § 615 BGB 2002) orientiert, lässt unberücksichtigt, dass sich die Parteien in dem vorliegenden Fall ausdrücklich auf die Abrechnung und Zahlung eines bestimmten monatlichen Bruttobetrages geeinigt haben, der von dem gesetzlichen Anspruch auf Annahmeverzugslohn erheblich abweicht und sich auf nur 50% des gesetzlichen Anspruchs beläuft.
Dies unterscheidet den Fall von dem vom Landesarbeitsgericht Düsseldorf entschiedenen, denn dort sollte die Abrechnung „auf der Basis des Monatsgehalts zum Zeitpunkt der Schließung zuzüglich vertraglicher Sonderzahlungen“ erfolgen. In dem dortigen Fall lag es nahe, dass Inhalt des Vergleiches die Abrechnung des gesamten Annahmeverzugslohnes geworden ist und damit auch die Anwendbarkeit des § 615 Satz 2 BGB eröffnet werden sollte.
Anders ist die konkrete Festschreibung des Vergleichsbetrages von EUR 1.343,75 brutto zu verstehen, denn hierbei handelt es sich gerade nicht um den gesetzlich geschuldeten Annahmeverzugslohn für den Zeitraum 01.10.2015 bis 31.01.2016 sondern einen hiervon erheblich abweichenden Zahlungsbetrag. Schon dies begründet Zweifel daran, dass es sich hierbei lediglich um einen Verweis auf den gesetzlichen Anspruch nach § 615 BGB handeln sollte.
Aufgrund der vollständigen Einbringung des Urlaubs nach Ziffer 3 des Vergleiches und der gesamten Abgeltung aller sonstiger Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis gem. Ziffer 6 des Vergleiches steht zudem fest, dass die in Ziffer 2 des Vergleiches geregelte Zahlungspflicht der Beklagten auch die Urlaubsvergütung gem. § 11 BUrlG und die Feiertagslohnzahlung gem. § 2 EFZG einbezieht. Dies hätte jedoch auf Basis des letzten Bruttomonatseinkommens der Klägerin von EUR 2.687,50 brutto erfolgen müssen, was aufgrund der Regelungen zur Unabdingbarkeit in den §§ 13 Abs. 1 BurlG, 12 EFZG auch den am Vergleichsschluss beteiligten Rechtsanwälten klar sein musste. Nach Abzug der für einzelne Tage geschuldeten vollen Bruttovergütung erschließt sich aus dem Inhalt der Ziffer 2 des Vergleiches nicht, welche ordnungsgemäße Abrechnung lediglich des hälftigen bisherigen Bruttomonatseinkommens sich in welchem konkreten Zeitraum auf den gesetzlichen Anspruch der Klägerin auf Annahmeverzugslohn gem. § 615 BGB beziehen sollte.
Insoweit ist bei der gegebenen Vergleichssituation – Beendigung des Vertragsverhältnisses zu einem vorfristigen Entlassungstermin bei gleichzeitiger Reduzierung der geschuldeten Gesamtvergütung auf 50% des bisherigen Einkommens – von einer vollständigen Entkoppelung des im Vergleich geregelten Zahlungsanspruchs von der gesetzlichen Regelung des § 615 BGB auszugehen.
Hinzu kommt, dass bei einer Reduzierung der Vergütung auf den hälftigen Betrag, dem bisher in Vollzeit tätigen Arbeitnehmer – wie einem Teilzeitbeschäftigten – ein Hinzuverdienst nicht hätte verweigert werden dürfen, um sein bisheriges Einkommensniveau annähernd zu erreichen. Dies verlangt nach einer klarstellenden Regelung zur Hinzuverdienstmöglichkeit im Vergleich. Denkbar ist in dieser Fallkonstellation, dass jegliche Anrechnung unterbleiben soll (wie von der Klägerin vertreten), ein eventueller Zwischenverdienst nur zu 50% berücksichtigt werden soll oder eine vollständige Anrechnung erfolgen soll (wie von der Beklagten vertreten).
Nach § 615 Satz 2 BGB müsste sich die Klägerin auch nur den Zwischenverdienst anrechnen lassen, den sie während der Arbeitszeit erzielt hat, in der sie im Annahmeverzugszeitraum bei der Beklagten hätte Arbeitsleistungen erbringen müssen (vgl. BAG v. 24.02.2016 – 5 AZR 425/15 – NZA 2016, 687). Infolge der Herabsetzung der geschuldeten Vergütung auf den hälftigen Betrag, müsste konsequenter Weise von lediglich einer Halbtagestätigkeit ausgegangen werden. Dies eröffnet eine anrechnungsfreie Hinzuverdienstmöglichkeit während der verbleibenden Tagesarbeitszeit.
Insoweit wäre es geboten gewesen, im Vergleich eine vollständige oder teilweise Anrechnung eines Zwischenverdienstes zu regeln, wenn das Einkommensniveau der bisher vollzeitbeschäftigten Klägerin in Ziffer 2 des Vergleiches auf das einer Teilzeitkraft von 50% abgesenkt wird.
Der Vergleichstext enthält hierzu jedoch keine Klarstellung, was aufgrund der Regelung in Ziffer 6 des Vergleiches zum Nachteil der Beklagten gereicht, denn es sollte eine umfassende Regelung aller Rechte und Pflichten erfolgen. Die Beklagte hätte sich die Anrechnung eines etwaigen Zwischenverdienstes bei der vorliegenden Vergleichssituation im Vergleich ausdrücklich vorbehalten müssen.
Die Klägerin hat vereinbarungsgemäß das bezogene Arbeitslosengeld in Abzug gebracht.
Sonstige Einwände gegen die Berechnung der Haupt- und der Zinsforderungen werden von der Beklagten nicht erhoben. Insoweit erübrigen sich weitergehende Ausführungen.
III.
1. Die unterlegene Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, § 91 Abs. 1 ZPO.
2. Die Revision ist zuzulassen, denn der Auslegung einer Vergleichsklausel, die die Abrechnung und Zahlung eines erheblich reduzierten Monatseinkommens zum Inhalt hat, wird in Bezug auf eine Anrechnung von Zwischenverdienst gem. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG grundsätzliche Bedeutung beigemessen.


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