Arbeitsrecht

Außerordentliche Kündigung einer Mitgliedschaft in einem Fitnessstudio wegen Depression

Aktenzeichen  132 C 9505/17

Datum:
28.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 40956
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 122 Abs. 1, § 254, § 281, § 313 Abs. 1, Abs. 3, § 621
GG Art. 3 Abs. 3 S. 2

 

Leitsatz

1. Dem Trainingskunden eines Fitnesstudios steht bei einem Dauervertrag mit einer Mindestlaufzeit von 24 Monaten das Recht zur außerordentlichen Kündigung wegen einer psychischen Erkrankung zu, die besonders bei sportlicher Belastung auftritt, weil dies außerhalb seines Verantwortungsbereiches liegt und ihm ein Festhalten am Vertrag unzumutbar ist. (Rn. 15 – 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Begriff des Verantwortungsbereichs bei der außerordentlichen Kündigung ist nicht gleichzusetzen mit dem des Risikobereichs. Nur weil es eine Erkrankung des Trainingskunden ist, heißt es nicht, dass diese automatisch auch „sein Risiko“ ist. Zu verantworten ist nur Geschehen, das in seinem Entstehen oder seinem Ablauf für den Trainingskunden beherrschbar ist. Dies ist bei der vorliegenden Erkrankung – einer chronischen und psychischen – nicht der Fall. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
3. Selbst bei einer Erkrankungsdisposition bestehen bei Abschluss eines Fitnessvertrages keine Offenbarungspflichten hierüber. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
4. Eine ausgeprägtere depressive Störung ist als stärker behindernde Störung zu sehen, mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit. Sie rechtfertigt die Bezifferung mit einem Grad der Behinderung von 40%. Eine Behinderung führt dann zu einem grundrechtlich verbriefen Diskriminierungsverbot in Art. 3 Abs. 3 S.2 GG. Darin liegt auch ein Verfassungsauftrag an die staatlichen Organe, den dortigen Schutz beim Verständnis einfachgesetzlicher Vorschriften Rechnung zu tragen und diesen Schutzauftrag über die dortigen Öffnungsmöglichkeiten ausstrahlen zu lassen. Eine solche Möglichkeit ist die Auslegung allgemein gehaltener Begriffe wie Zumutbarkeit. Da die Erkrankungsdisposition des Beklagten eine ähnliche Ausprägung genommen hat und sich zu einer Behinderung entwickeln konnte, verbietet sich eine Wertung als Risiko des Beklagten. Menschen mit behindernden Erkrankungen sind als Teil der Gesellschaft hinzunehmen und der Umstand, dass sie behindert sind, rechtfertigt nicht, ihnen hierfür finanzielle Risiken aufzubürden. (Rn. 29 – 30) (redaktioneller Leitsatz)
5. Entgegen der Satzlogik von § 313 Abs. 3 BGB (Anpassung unmöglich = Kündigung) ist eine Anpassung des Vertrages bei gleichzeitiger Kündigung des Vertrages geboten. Gesetzeskonform erfolgt die Anpassung des Vertrages nach § 313 Abs. 1 BGB dann durch die Annahme, dass die Parteien für diesen Fall – das Akutwerden der Erkrankung des Beklagten – ein sofortiges Kündigungsrecht mit Wirkung zum jeweiligen Monatsende vereinbart hätten, ähnlich § 621 BGB, so dass der letzte „angebrochene“ Monate nicht tageweise, sondern noch insgesamt zu bezahlen ist. Eine angemessene Regelung wäre gewesen, dass für die Zeit bis zum Wirksamwerden einer Kündigung der Tarif der Klagepartei zugrunde gelegt wird, der für einen entsprechend kürzeren Trainingszeitraum sonst gegolten hätte. Wenn von vorneherein klar gewesen wäre, dass der Trainingskunde das Training nur für kürzere Zeit nutzen wird, hätte das Fintenssstudio den teureren Tarif beansprucht und der Kunde diesen Tarif auch gewählt. (Rn. 35 – 36) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 280,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 01.06.2017 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 76 und der Beklagte 24 Prozent zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Jede Partei kann die Vollstreckung der Gegenpartei durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Gegenpartei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Der Streitwert wird auf 1.188,30 € festgesetzt.
5. Die Berufung für den Beklagten wird zugelassen.

Gründe

A.
Eine Entscheidung in der Sache ist zulässig.
Die Klage ist am Wohnsitz der Beklagtenpartei erhoben, die Klageforderung hält sich im Rahmen der Zuständigkeit des Amtsgerichts. Die Klage ist nach der Verhandlung entscheidungsreif, da abschließend verhandelt wurde.
B.
In der Sache ist die Klage nur zu einem geringen Teil begründet.
I. Für die Zeit nach Wirksamwerden der Kündigungserklärung hat die Klägerin keinen Zahlungsanspruch. Der Beklagte hat den Vertrag aufgrund eines Kündigungsrechts wirksam gekündigt.
1. Unter Zugrundelegung höchstrichterlich entwickelter Kriterien hatte der Beklagte ein außerordentliches Kündigungsrecht. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist dabei eine zweistufige Prüfung angezeigt:
a. Es muss sich zunächst um Umstände handeln, die „außerhalb der Verantwortung“ des Beklagten (BGH NJW 1986, 3134) oder außerhalb seines „Verantwortungsbereichs“ (BGH NJW 2012, 1431) liegen.
Unstreitig und unbestreitbar ist, dass der Beklagte nichts für seine Erkrankung „kann“. Sie ist Ausdruck seines Schicksals, und damit eines allgemeinen Lebensrisikos, dem jeder Mensch unterliegt. Sowohl seine Erkrankungsdisposition und damit das erhöhte Risiko, dass eine Erkrankung akut wird, als auch die akute Erkrankung als solches liegen außerhalb dessen, was der Beklagte zu verantworten hat. Klarzustellen ist dabei, dass Verantwortungsbereich nicht gleichzustellen ist mit Risikobereich. Nur weil es „seine“ Erkrankung ist, heißt es nicht, dass diese automatisch auch „sein Risiko“ ist. Zu verantworten ist nur Geschehen, das in seinem Entstehen oder seinem Ablauf für den Beklagten beherrschbar ist. Dies ist bei der vorliegenden Erkrankung – eine chronischen psychischen Erkrankung – nicht der Fall.
b. In der zweiten Stufe stellt sich dann die Frage der Zumutbarkeit. Erst hier werden Fragen der Risikoverteilung relevant. Für denjenigen, der ein Risiko zu tragen hat, ist zumutbar, die Folgen hinzunehmen, wenn sich das zu tragende Risiko realisiert. Dabei gibt es zwei grundsätzliche Quellen, die eine solche Risikoverteilung zumessen:
(1.) Dies ist zum einen die vertragliche Risikostruktur, ob also dem Vertrag Risiken und deren Verteilung zugrunde gelegt sind, insbesondere Risikobewertungen zwischen den Parteien erfolgt sind. Dies ist auch im gegebenen Vertrag der Fall, allerdings ohne dass dies entscheidungserheblich wird:
Mit dem Abschluss eines längerfristig bindenden Vertrages wird zum Ausdruck gebracht, dass der Vertragspartner, der die Sachleistung auf längere Dauer in Anspruch nimmt, damit rechnet, dass die Leistung in dieser Zeit für ihn absehbar auch über längeren Zeitraum werthaltig bleiben wird. Es ist also sein Risiko, ob er das Interesse an der Leistung verliert, weil sich Lebensumstände ergeben, die die persönlichen Prioritäten verändern. Die Möglichkeit einen Vertrag mit kürzerer Dauer aber höherem Preis abzuschließen, spiegelt dies wieder. Kennzeichnend dafür ist aber, dass sich bei diesem Risiko der Aufwand für das In-Anspruch-Nehmen der Sachleistung nicht verändert, sondern nur die anderen Lebensumstände, so dass die Wahrnehmung des Vertrages nur „mittelbar“ teurer wird, weil andere Prioritäten – vermehrt anfallende Arbeit, stärkere familiäre Forderung o.ä. – die im Fitnessstudio verbrachte Zeit als für andere Tätigkeiten wertvoller als zunächst eingeschätzt erscheinen lassen.
Dies ist hier aber nicht der Fall: Die Erkrankung betrifft nicht alleine die Frage der Wertschätzung der im Fitnessstudio verbrachten Zeit, sondern die Frage der Nutzbarkeit durch den Beklagten überhaupt. Dieses Risiko ist nicht in der Wahl eines von mehreren zeit- und preisgestaffelten Vertragstypen begründet, sondern nur unter dem Gesichtspunkt des Dauerschuldverhältnisses: Weil es sich um ein Dauerschuldverhältnis handelt, sind Umstände auf Seiten des Kunden unbeachtlich, wenn sich dadurch im Verhältnis zur Gesamtdauer des Vertrags nur kurze Zeiträume der Unbenutzbarkeit ergeben. Wäre der Beklagte nur kurzfristig durch seine Erkrankung verhindert, wäre dies nur sein Risiko.
Im konkreten Fall geht es aber nicht um eine absehbar kurze Verhinderung aus persönlichen Gründen, sondern um eine im Zeitpunkt der Kündigung in ihrem Ende unabsehbare Verhinderung. Hierfür liegt dem Vertrag keine Risikoverteilung zugrunde.
(2.) Die zweite Quelle der Zumessung von Risiken sind gesetzlichen Vorschriften und deren Wertung.
(a.) In Betracht kommen einfachgesetzlichen Wertungen, die aus dem Verstoß des Beklagten gegen Pflichten oder Obliegenheiten bei der Vertragsanbahnung folgen könnten, und damit aus § 281 BGB, § 254 BGB und § 122 Abs. 1 BGB folgende Wertungen.
(aa.) Selbst bei einer Erkrankungsdisposition bestehen bei Abschluss eines Fitnessvertrages keine Offenbarungspflichten hierüber. Gegenstand des Vertrages sind keine Therapiemaßnahmen, und das Training wird nicht von Therapeuten angeleitet. Die Klägerin hätte mit einem Wissen um die Erkrankung ihr Leistungsangebot in der Sache nicht verändert. Auch eine Erkrankungswahrscheinlichkeit hätte die Klägerin nicht einschätzen und damit nicht einpreisen können. Zudem handelt es sich um Informationen nicht aus dem persönlichen, sondern aus dem höchstpersönlichen Lebensbereich des Beklagten, so dass dem dringende Notwendigkeiten gegenüber stehen müssten, um eine Offenbarungspflicht anzunehmen. Anders wäre dies zu beurteilen, wenn der Beklagte eine akute Erkrankung verschwiegen hätte. Dies ist aber nicht der Fall.
(bb.) Der Beklagte hätte auch nicht aus Gründen des Selbstschutzes eine andere Vertragsgestaltung wählen müssen. Da er nicht akut krank war und die Aufnahme von sportlicher Betätigung mit seinen Ärzten abgesprochen war, durfte er darauf vertrauen, sich mit dem Training nicht selbst zu schädigen. Ein vorsorgliches Eingehen eines kürzeren Vertrages gegen höheres Entgelt oblag ihm nicht. Obliegenheiten richten sich auf den Schutz vor Selbstschädigung oder Mitwirken / fehlendem Schutz vor fremder Schädigung. Das Vermeiden einer (sei es auch nur finanziellen) Schädigung anderer stellt keine Obliegenheit dar, sondern wäre als Schutzpflicht zu sehen.
(cc.) Eine Krankheitsdisposition begründet aber keine Verpflichtung, andere vor der Enttäuschung finanzieller Erwartungen zu bewahren. Pflichten entstehen erst, wenn Vertrauen in Anspruch genommen wird, also zugelassen wird, dass der Vertragspartner im Vertrauen finanziellen Aufwand tätigt. Dies ist hier nicht der Fall.
(b.) Zudem sind bei der Risikoverteilung maßgeblich grundgesetzliche Wertungen zu berücksichtigen:
Eine ausgeprägtere depressive Störung ist als stärker behindernde Störung zu sehen, mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit. Sie rechtfertigt die Bezifferung mit einem Grad der Behinderung von 40% (vgl. etwa SG Duisburg, Urt. v. 24.3.2011 – S. 40 (23) SB 238/09, unter Verweis auf den in Teil B Nr. 3.7 der Anlage zur VersMedV definierten Bewertungsrahmen). Eine Behinderung führt dann zu einem grundrechtlich verbriefen Diskriminierungsverbot in Art. 3 Abs. 3 S.2 GG. Darin liegt auch ein Verfassungsauftrag an die staatlichen Organe, den dortigen Schutz beim Verständnis einfachgesetzlicher Vorschriften Rechnung zu tragen und diesen Schutzauftrag über die dortigen Öffnungsmöglichkeiten ausstrahlen zu lassen. Eine solche Möglichkeit ist die Auslegung allgemein gehaltener Begriffe wie Zumutbarkeit.
Da die Erkrankungsdisposition des Beklagten eine ähnliche Ausprägung genommen hat und sich zu einer Behinderung entwickeln konnte, verbietet sich eine Wertung als Risiko des Beklagten. Menschen mit behindernden Erkrankungen sind als Teil der Gesellschaft hinzunehmen und der Umstand, dass sie behindert sind, rechtfertigt nicht, ihnen hierfür finanzielle Risiken aufzubürden.
II. Die Klagepartei hat aber für die Zeit vor Wirksamwerden der Kündigungserklärung einen Zahlungsanspruch. Der Vertrag ist dahingehend anzupassen, dass für die Zeit bis zum Wirksamwerden der Kündigung ein kürzerer und damit teurerer Zeittarif der Klagepartei galt. Die höheren Beträge sind vom Beklagten noch nicht erfüllt worden.
1. Die bisherigen Ausführungen zu Risikowertungen zeigen auf, dass ein außerordentliches Kündigungsrecht bei Dauerschuldverhältnissen entgegen BGH NJW 2012, 1431 nicht mehr in jedem Fall nach einem von Rechtsprechung und Lehre entwickelten „allgemeinen Grundsatz“ zu prüfen ist. In Fällen wie dem vorliegenden hat die Prüfung auf der Grundlage einer durch Kodifizierung der Rechtsentwicklung festgelegten gesetzlichen Norm zu erfolgen, nämlich nach der Vorschrift zum Wegfall der Geschäftsgrundlage, § 313 BGB. Dies ergibt sich auch in der Konsequenz aus der vom BGH selbst vorgenommenen Fallgruppenbildung zu außerordentlichen Kündigungsrechten, etwa in BGH NJW 1991, 1828. Dort wird unterschieden zwischen zum einen einem außerordentlichen Kündigungsrecht aus Anlass bestimmter Vertragsverstöße des Partners des Kündigenden, und zum anderen einem außerordentlichen Kündigungsrecht bei „Zerrüttung der Vertragsgrundlage“. Diese zweite Fallgruppe ist inzwischen gesetzlich normiert.
2. Bei Berücksichtigung dieser gesetzlichen statt der höchstrichterlichen Maßstäbe ergibt sich dann für die Vertragszeit bis zur Kündigung ein Zahlungsanspruch der Klägerin, und zwar aus § 313 BGB (Wegfall der Geschäftsgrundlage), mittels Anpassung des Vertrages:
a. Der Beklagte war nach § 313 Abs. 3 S.2 zur Kündigung des Studionutzungsvertrages berechtigt. Beide Vertragsparteien gingen bei Vertragsschluss davon aus, dass der Beklagten das Studio dauerhaft nutzen können würde, ohne sich hierdurch zu gefährden. Dies hat sich nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert, da der Beklagte nach einigen Monaten dann so erkrankte, dass er das Sportstudio auf unabsehbare Zeit nicht mehr nutzen konnte. Wenn die Parteien dies vorhergesehen hätten, hätten sie den Vertrag in dieser Form nicht geschlossen, der Beklagte nicht, weil er sich dann nicht so lange gebunden hätte, die Klägerin nicht, weil sie für die kürzere Zeit bis zum Hinderniseintritt einen anderen Tarif angeboten hätte. Dem Beklagten kann aber unter Berücksichtigung der vorliegenden Umstände, insbesondere der vertraglichen und gesetzlichen Risikozuordnung (s.o.) das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden. Die in der weiterdauernden Zahlungsverpflichtung liegende Zumutung für den Beklagten kann durch eine Anpassung der Verpflichtung nicht behoben werden.
b. Allerdings ist entgegen der Satzlogik von § 313 Abs. 3 (Anpassung unmöglich = Kündigung) eine Anpassung des Vertrages bei gleichzeitiger Kündigung des Vertrages geboten. Gesetzeskonform erfolgt die Anpassung des Vertrages nach § 313 Abs. 1 BGB dann durch die Annahme, dass die Parteien für diesen Fall – das Akutwerden der Erkrankung des Beklagten – ein sofortiges Kündigungsrecht mit Wirkung zum jeweiligen Monatsende vereinbart hätten, ähnlich § 621 BGB, so dass der letzte „angebrochene“ Monate nicht tageweise, sondern noch insgesamt zu bezahlen ist.
c. „Faire“ Regelung wäre zudem gewesen, dass für die Zeit bis zum Wirksamwerden einer Kündigung der Tarif der Klagepartei zugrunde gelegt wird, der für einen entsprechend kürzeren Trainingszeitraum sonst gegolten hätte. Wenn von vorneherein klar gewesen wäre, dass der Beklagte das Training nur für kürzere Zeit nutzen wird, hätte die Klägerin den teureren Tarif beansprucht und der Beklagte diesen Tarif auch gewählt.
Dies bedeutet zwar eine rückwirkende Änderung des Vertrags. Dies ist aber für Verträge, die nicht voll erfüllt sind, in Ausnahmefällen zulässig, jedenfalls wenn einem Vertrag ein gemeinsam angenommenes spekulatives Element zukommt. Dies war aber für den gegenständlichen Vertrag der Fall: Ihm kam mit der gemeinsamen Erwartung für die Mindestdauer des Vertrages ein als Zukunftserwartung notwendig spekulatives Element zu. Über dieses spekulative Element war auch die konkrete Preisbestimmung mit der geschuldeten Leistung der Klägerin verknüpft, weil nur wegen der längeren Dauer ein günstigerer Preis angeboten wurde. Durch die ursprünglich nicht vorgesehene Kündigungsmöglichkeit wird – ohne Verschulden auch nur einer der Parteien – diese Verknüpfung aufgelöst. Es ist dann notwendig und gerechtfertigt, durch Vertragsanpassung die der intendierten Verknüpfung am nächsten kommende Verknüpfung durch entsprechende Preisbestimmung herzustellen. Diese Preisbestimmung folgt dann der Preisstaffelung, die die Klagepartei auch sonst anbot. In ihr kommt der für die Leistungen der Klagepartei marktübliche und damit „faire“ Preis für kürzere Vertragszeiten zum Ausdruck.
Dies ergibt folgende Berechnung: Vertragsbeginn war der 01.08.2017. Kündigung erfolgte am 16.02.2017 und wirkte zum 28.02.2017. Tatsächliche Vertragslaufzeit belief sich so auf 7 Monate. Grundlage war damit der von der Klägerin angebotene 6-Monats-Tarif, mit einem monatlichen Betrag von 109,90 Euro statt von 69,90 Euro. Der Beklagte hatte bis einschließlich des Kündigungsmonats nach seinem Tarif bezahlt, so dass die Differenz für 7 Monate offen ist, also 7x 40 Euro, gesamt 280 Euro.
III. Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten sind nicht zu erstatten. Der Beklagte hatte sich zeitnah zu seiner Kündigung mit der Klägerin in Verbindung gesetzt und eine vergleichsweise Lösung angeboten, deren Inhalt dem vorliegenden Urteil in etwa entsprach. Das Geltendmachen höherer Forderungen und dafür die Einschaltung eines Anwalts durch die Klägerin war von ihm nicht herausgefordert und stellt damit keinen ihm zurechenbaren Schaden dar.
IV. Entscheidungsgründe zur Kostentragung:
Die Kostenfolge ergibt sich aus dem Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen, § 92 Abs. 1 S1 ZPO. Die Nebenforderung der Rechtsanwaltskosten ist bei der Frage der Kostentragungspflicht nicht zu beachten.
V. Entscheidungsgründe zur vorläufigen Vollstreckbarkeit:
Die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich wegen der Höhe der vollstreckbaren Beträge, die unter 1.500 Euro liegen, nach §§ 708 Nr.11, 711 ZPO.
VI. Entscheidungsgründe zum Streitwert:
Der Streitwert ergibt sich aus dem von der Klagepartei verfolgten wirtschaftlichen Interesse und damit aus der Höhe der Klageforderung bei Einleitung des Verfahrens (§ 3 ZPO)
VII. Die Berufung war für den Beklagten eigens zuzulassen (§ 511 Abs. 4 ZPO), da das Gericht mit der Annahme einer Kündigung bei Vertragsanpassung statt einer außerordentlichen Kündigung von höchstrichterlicher Rechtsprechung abweicht und mit der Zulässigkeit einer Kündigung neben einer Vertragsanpassung das Gesetz fortbildet. Die Rechtsentwicklung geht dabei im Effekt zu Lasten des Beklagten, so dass diesem eine Überprüfungsmöglichkeit offen stehen muss. Der Beschwerdewert ist aber nicht erreicht, so dass die Berufung eigens zuzulassen war.
Für die Klägerin liegt der Beschwerdewert ohnehin über 600 Euro.


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