Arbeitsrecht

Außerordentliche Kündigung, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Keine Treuwidrigkeit, Teilurteil, Rechtsschutzinteresse, Vollmachtsmangel, Klage und Widerklage, Nachweis einer Vollmacht, Fehlende Vollmacht, Vollmachtsrüge, Rechtsgeschäftliche Vollmacht, Vollmachtsurkunde, Vollmachtsvorlage, Zwischenfeststellungsklage, Einseitiges Rechtsgeschäft, Streitwertfestsetzung, Kündigungserklärung, Kündigungsandrohung, Hilfsweise ordentliche Kündigung, Kündigungsschreiben

Aktenzeichen  9 U 4822/20 Bau

Datum:
11.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 22224
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

2 O 16039/18 2020-07-28 TeU LGMUENCHENI LG München I

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Teilurteil des Landgerichts München I vom 28.07.2020, Az. 2 O 16039/18, wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München I ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 4.377.178,40 € festgesetzt.

Gründe

I.
Im Zusammenhang mit dem Ausbau des Glasfasernetzes beauftragte die Beklagte vertreten durch die … im September 2016 die Klägerin, auf einer Strecke von knapp 80 km entlang der BAB A 3 eine LWL-Kabelschutzanlage in den Boden einzubauen. Dazu wurde die Anwendung eines Pflugverfahrens vereinbart.
Im Oktober 2016 begann die Klägerin mit den Pflugarbeiten zur Herstellung des Kabelgrabens.
Durch Schreiben vom 03.08.2017 kündigte die … außerordentlich, weil die Klägerin nach einer Auseinandersetzung über die vertragsgerechte Pflugmethode und andere Mängel eigenmächtig ihre Arbeiten vollständig eingestellt habe. Das Schreiben war unterzeichnet von Frau „… Ltd. … “ (Anlage K 19). Da keine Vollmacht beigefügt war, ließ die Klägerin durch Schreiben vom 04.08.2017 die Kündigung zurückweisen (Anlage K 20). Dies wiederum wies die … durch Schreiben von Frau … vom 07.08.2017 zurück, da eine Vollmachtsvorlage schon mit Rücksicht auf den im Internet eingestellten Organisationsplan nicht erforderlich sei (Anlagen K 21 und K 22). In diesem Vorgehen sah die Klägerin einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung ihrerseits, die sie durch Schreiben vom 21.08.2017 aussprach (Anlage K 23). Diese Kündigung wies die … durch Schreiben vom 29.08.2017 zurück (Anlage K 24).
Die Klägerin fordert mit ihrer Klage Restwerklohn und Schadensersatz von rund 4,5 Mio. €.
Widerklagend begehrte die Beklagte Feststellung der wirksamen Beendigung des Vertragsverhältnisses durch Schreiben vom 03.08.2017 als außerordentliche Kündigung, hilfsweise ordentliche Kündigung.
Das Landgericht hat durch Teilurteil die Widerklage abgewiesen. Die Zurückweisung der außerordentlichen Kündigung sei wegen fehlender Vollmachtsbeifügung wirksam gewesen. Dem Hilfsantrag fehle das Rechtsschutzinteresse.
Hinsichtlich der weiteren Feststellungen wird Bezug genommen auf den Tatbestand des angefochtenen Teilurteils des Landgerichts München I vom 28.07.2020, Az.: 2 O 16039/18, § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.
Mit der Berufung verfolgt die Beklagte die Widerklageanträge weiter. Parallel dazu hat sie in erster Instanz ihre Widerklage erweitert auf den Ersatz von Fertigstellungsmehrkosten und Mangelbeseitigungskosten von rund 4,6 Mio. €.
Die Beklagte führt aus, Frau … sei auf Grund der Geschäftsordnung der … als Leiterin der Rechtsabteilung für die Kündigungserklärung zeichnungsberechtigt gewesen. Zu einer Zurückweisung der Kündigung wegen fehlender Vollmachtsvorlage nach § 174 Satz 1 BGB sei die Klägerin nicht berechtigt gewesen. Diese Vorschrift sei auf das hier delegierte organschaftliche Vertretungsrecht nicht anwendbar. Dieses sei nach außen ausreichend durch das Organigramm der … im Internet bekannt gemacht. Mindestens sei die Berufung auf die Zurückweisung treuwidrig, weil in den Monaten zuvor die anwaltlich vertretene Klägerin diverse Mängelrügen der Rechtsabteilung der …, zum Teil mit Fristsetzungen und Kündigungsandrohungen, inhaltlich beantwortet habe und nie die Vollmacht bezweifelt habe und auch die eigene Kündigung nicht auf den Vollmachtsmangel gestützt habe. Insbesondere die eigenmächtige Räumung der Baustelle und die Einstellung der Arbeit führe zu einem wichtigen Grund für die außerordentliche Kündigung. Auch hätte die Beklagte ein Rechtsschutzinteresse an der hilfsweise beantragten Feststellung der Wirksamkeit der freien Kündigung.
Die Klägerin tritt dem entgegen. Die Berufung gegen ein Zwischenurteil sei nicht statthaft. Unstreitig sei die Vertragsbeendigung erfolgt und habe Frau … intern die Befugnis zur Kündigung besessen. Die Zurückweisung der Kündigung wegen der fehlenden Vollmachtsvorlage sei dennoch berechtigt gewesen. Sie sei nicht organschaftliche Vertreterin des Präsidenten der … gewesen, anderenfalls wäre im Organigramm hinter ihrem Namen ein Sternchen angebracht gewesen. Folglich gehe es um eine rechtsgeschäftliche Vollmacht, die genau unter den Schutzzweck des § 174 BGB falle. Im Vorfeld der Kündigung habe es keine Korrespondenz mit Frau … gegeben, so dass keine Treuwidrigkeit aus der Akzeptanz ihrer Einschaltung folgen könne. Aus dem Kündigungsschreiben der Klägerin vom 21.08.2017 könne nicht herausgelesen werden, dass die Klägerin die Vollmachtsrüge fallen gelassen hätte. Ein Grund für eine außerordentliche Kündigung habe nicht bestanden. Vielmehr habe die … das Vertragsverhältnis torpediert.
Die Berufungsklägerin beantragt zuletzt,
1. Das Teilurteil des Landgerichts München I vom 28.07.2020 (Az.: 2 O 16039/18) wird abgeändert.
2. Auf die Widerklage der Beklagten wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Vertragsverhältnis durch das Schreiben der … vom 03.08.2017 (Anlage K 19)
2.1 als außerordentliche Kündigung im Sinne von § 8 Abs. 3 VOB/B,
2.2 hilfsweise als ordentliche Kündigung im § 8 Abs. 1 VOB/B,
2.3 wirksam beendet worden ist.
3. Hilfsweise zu 2: Der Rechtsstreit wird an das Landgericht München I zurückverwiesen.
4. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits, jedenfalls aber die Kosten dieses Rechtsmittels zu tragen (§ 97 ZPO).
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das Teilurteil des Erstgerichts.
Im Übrigen wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und die Hinweise des Senats in der mündlichen Verhandlung vom 30.03.2021 (Bl. 382 d.A.) verwiesen.
II.
Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet.
Die Berufung ist zulässig (vgl. IBR 2015, 114). Eine Zwischenfeststellungsklage ist zulässig, wenn beide Parteien mit Klage und Widerklage selbstständige Ansprüche verfolgen, für die das streitige Rechtsverhältnis vorgreiflich ist, mögen sie auch in ihrer Gesamtheit die Ansprüche erschöpfen, die sich aus dem Rechtsverhältnis überhaupt ergeben können (BGH, Urt. v. 7. 3. 2013 – VII ZR 223/11 (OLG München), NJW 2013, 1744 im Anschluss an BGH, WM 1967, 1245 [1246] = BeckRS 1967, 31177819).
Der Senat folgt in allen wesentlichen Punkten dem sorgfältig begründeten Teilurteil des Erstgerichts und macht sich dessen Argumentation zu eigen, die auch durch das Berufungsvorbringen der Beklagten nicht entkräftet wird.
Danach war die durch die Beklagte mit Schreiben vom 03.08.2017 (Anlage K 19) erklärte Kündigung des streitgegenständlichen Auftrags gemäß § 174 S. 1 BGB unwirksam, da die Klägerin das einseitige Rechtsgeschäft der Bevollmächtigten der Beklagten unverzüglich zurückgewiesen und die Bevollmächtigte keine Vollmachtsurkunde vorgelegt hat.
1. Auch beim Vertrag mit einer juristischen Person des öffentlichen Rechts sind die zivilrechtlichen Wirksamkeitsvoraussetzungen zu beachten, z.B. die Vollmacht des Unterzeichners (Althaus/Heindl, Der öffentliche Bauvertrag, Teil 2, Rdnr. 279).
2. Auf das tatsächliche Bestehen einer Vollmacht kommt es im Zusammenhang mit § 174 S. 1 BGB ebenso wenig an wie auf die Rechtsnatur der Vollmacht.
3. Der Hinweis auf das im Internet eingestellte Organigramm (Anlage K 22) genügt für den Nachweis einer Vollmacht nicht und ersetzt daher nicht die Vorlage einer  Vollmachtsurkunde. Aus dem Organigramm ergibt sich nicht die Vertretungsmacht der Abteilungsleiterin Frau …, da diese dort weder als Präsidentin der … … noch als Vertreterin bzw. 2. Vertreterin des Präsidenten mit einem Sternchen gekennzeichnet ist.
4. Es liegt daher auch kein Fall der organschaftlichen Vertretung vor, für den § 174 S. 1 BGB keine Anwendung findet, weil es da anderweitig Klarheit gibt aus dem Handelsregister (für juristische Personen des Privatrechts) bzw. aus der Gesetzeslage (für juristische Personen des öffentlichen Rechts). Hier ist sicher organschaftlicher Vertreter der Behördenleiter der … und auch seine Vertreter. Abteilungsleiter aber nicht.
5. Die Zurückweisung erfolgte unverzüglich, da auf die Kündigung bereits mit Schreiben vom 04.08.2017 (Anlage K 20) – und damit bereits am anderen Tag – reagiert wurde.
6. Unerheblich ist die Tatsache, dass das Zurückweisungsschreiben der Klägerin vom 04.08.2017 „zu Händen Herrn …“ adressiert war, da das Schreiben an die … mit korrekter Anschrift gerichtet war und die Leiterin der Rechtsabteilung der … das Schreiben erhalten und darauf unmittelbar reagiert hat, zumal Herr … der Klägerin als Ansprechpartner für die … benannt worden war.
7. Die Geschäftsordnung (Anlage BB 1), aus der sich eine Vollmacht der Leiterin der Rechtsabteilung für eine Kündigung hätte ergeben können, lag der Klägerin damals nicht vor. Dies ist auch im Vorfeld der Kündigung zwischen den Vertragsparteien nicht kommuniziert worden.
8. Ein Ausschluss der Zurückweisung nach § 174 S. 2 BGB lag nicht vor. Es fehlt bereits an einer ausreichenden In-Kenntnissetzung von der Bevollmächtigung. Das Organigramm ist eher nichtssagend (kein Sternchen etc., s.o). Die bloße Stellung als Abteilungsleiterin und sei es auch als Leiterin der Rechtsabteilung ist kein sicherer Hinweis auf eine bestehende zivilrechtliche Vollmacht für das Aussprechen einer Kündigung. Die von der Beklagten zitierte Rechtsprechung des BAG, Urteil vom 20.08.1997 – 2 AZR 518/96 – NZA 1997, 1343 ist nicht übertragbar, da es dort um eine behördeninterne Kündigung durch den Abteilungsleiter des Arbeitnehmers ging. Auch ist es nicht so, dass die Rechtsabteilung im Regelfall mit Vollmacht handelt. Dies kann sein, muss aber nicht sein. Im Regelfall handeln diese Personen gerade nicht in Vollmacht.
Eine Treuwidrigkeit durch Berufung auf den Vollmachtsmangel liegt nicht vor. Der Umstand, dass im Vorfeld der Kündigung im monatelang geführten Schriftverkehr gegenüber anderen Mitarbeitern der …, z.B. Frau … …, die fehlende Vollmacht nicht gerügt wurde, folgt keine Treuwidrigkeit bei Berufung auf einen Vollmachtsmangel gegenüber Frau L1. …, da letztere erstmals mit der Kündigung – quasi „aus dem Nichts“ – in Erscheinung getreten ist und die Kündigung als einseitiges Rechtsgeschäft in 9 U 4822/20 Bau – Seite 6 – seiner Wirkung und seinen Rechtsfolgen nicht mit der vorhergehenden Korrespondenz mit Frau … … vergleichbar ist.
9. Auch ergibt sich eine Treuwidrigkeit durch Berufung auf den Vollmachtsmangel nicht aus dem Umstand, dass sich die Klägerin mit dem postwendend erfolgten Schreiben der Leitenden … Frau … (Anlage K 21) und ihrem darin erfolgten Hinweis auf das Organigramm zufrieden gegeben hätte und keine weitere Beanstandung der fehlenden Vollmacht mehr erfolgt wäre. Die Aufforderung der Klägerin, eine Vollmachtsurkunde für die ausgesprochene Kündigung vorzulegen, war mit deren Schreiben vom 04.08.2017 (Anlage K 20) in der Welt und ist von der Klägerin durch die nachfolgenden Schreiben nicht etwa für gegenstandslos erklärt worden. Ein solcher Erklärungswert kann nach Auffassung des Senats dem nachfolgenden Schriftverkehr zwischen den Beteiligten nicht entnommen werden, zumal Frau L2. … sich in ihrem Antwortschreiben vom 07.08.2017 (Anlage K 21) geweigert hatte, eine Vollmacht nachzuweisen, da sie der Meinung war, „keiner Vollmacht für hier gegenständliche Vertragsabwicklung zu bedürfen“. Damit standen sich zwei konträre Rechtsauffassungen hinsichtlich des Nachweises einer Vollmacht für die ausgesprochene Kündigung gegenüber, ohne dass damit verbunden war, dass eine der beiden Seiten in der Folge ihren Rechtsstandpunkt aufgegeben bzw. diesen nicht weiterverfolgt hätte. Es kann daher keine Rede davon sein, „dass die Klägerin der Sache nach keinen Wert auf eine Klärung der Vollmachtsfrage gelegt hätte“. Als die Klägerin auf den Vollmachtsmangel im Rahmen der Klage wieder zu sprechen kam, ist das keinesfalls treuwidrig, da sich aus dem vorherigen Verhalten der Klägerin auch nach dem objektiven Empfängerhorizont der Beklagten gemäß §§ 133, 157 BGB nicht ergibt, dass die Klägerin damit zumindest konkludent zugesagt hätte, daraus künftig keine Rechte mehr geltend machen zu wollen. Entgegen der Berufung kann der Senat hier nicht erkennen, dass „die Klägerin nach den Grundsätzen über die Wirkung eines unterbliebenen Widerspruchs auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben, jedenfalls nachträglich die Rüge der fehlenden Bevollmächtigung zurückgezogen hätte“.
10. Mit zutreffender Begründung hat das Erstgericht auch den Widerklage-Hilfsantrag für unzulässig gehalten. Dies gilt auch für die im Berufungsverfahren gestellten Hilfsanträge unter Ziffer 2.2. Insoweit fehlt es schon an der Vorgreiflichkeit, jedenfalls aber am Feststellungsinteresse, da zwischen den Parteien jedenfalls Einigkeit besteht, dass das Vertragsverhältnis beendet ist und (falls keine außerordentliche Kündigung der Beklagten vorliegt) abzurechnen ist, wie wenn durch die Beklagte gekündigt worden ist.
III.
Die Kostenentscheidung findet ihre Grundlage in § 97 ZPO. IV.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit fußt in § 708 Nr. 10 ZPO.
V.
Die Revision war nicht zuzulassen, da ein Zulassungsgrund im Sinne des § 543 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 ZPO nicht vorlag.
VI.
Die Streitwertfestsetzung gründet in den §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 Satz 1, 40, 48 GKG; 3 ff. ZPO. Bei der Zwischenfeststellungsklage wird wie bei der positiven Feststellungsklage das wirtschaftliche Interesse gemäß § 3 ZPO bemessen und ein Abschlag von in der Regel 20% vorgenommen (vgl. Thomas/Putzo, ZPO, 42. Aufl. 2021, § 3 Rz. 65, 189). Das wirtschaftliche Interesse an der Feststellung der Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung der Beklagten ergibt sich aus den von ihr letztlich mit der Widerklage geltend gemachten Fertigstellungsmehrkosten in Höhe von 5.471.473,00 €, von welchen ein Abschlag von 20% vorzunehmen ist, so dass sich als Berufungsstreitwert 4.377.178,40 € ergibt.


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