Arbeitsrecht

B 1 KR 32/20 R

Aktenzeichen  B 1 KR 32/20 R

Datum:
18.5.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BSG
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BSG:2021:180521UB1KR3220R0
Spruchkörper:
1. Senat

Verfahrensgang

vorgehend SG Marburg, 2. Januar 2019, Az: S 14 KR 1/18, Gerichtsbescheidvorgehend Hessisches Landessozialgericht, 27. August 2020, Az: L 8 KR 41/19, Urteil

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 27. August 2020 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 7607,48 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Beteiligten streiten über die Vergütung stationärer Krankenhausbehandlung.
2
Das klagende Krankenhaus behandelte eine Versicherte der beklagten Krankenkasse (KK) vom 9. bis 15.12.2015 stationär und rechnete hierfür 7607,48 Euro nach Fallpauschale (DRG) L06A (Kleine Eingriffe an der Harnblase mit äußerst schweren CC) ab. Die KK zahlte diesen Betrag zunächst, leitete anschließend jedoch eine Prüfung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) ein (Schreiben vom 10.3.2016). Mit zwei Schreiben vom 14. und vom 15.3.2016 teilte der MDK dem Krankenhaus als Prüfauftrag mit: “Bestand die Notwendigkeit der vollstationären KH-Behandlung nach § 39 SGB V für die gesamte Dauer vom … bis …? Unterfrage: Die Notwendigkeit der stationären Behandlung vom 9.12.2015 bis 15.12.2015 ist nicht ersichtlich.” Das erste Schreiben war mit dem Betreff “Begehung” versehen, mit dem zweiten forderte der MDK die Übersendung von zwölf im Einzelnen genannten Behandlungsunterlagen. Eine Begutachtung durch den MDK erfolgte unter Hinweis darauf nicht, dass das Krankenhaus die geforderten Unterlagen nicht vorgelegt habe. Die beklagte KK ist – anders als das klagende Krankenhaus – der Ansicht, § 7 Abs 2 Satz 4 der für Behandlungsfälle ab dem 1.1.2015 geltenden, zwischen dem GKV-Spitzenverband und der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) geschlossenen Vereinbarung über das Nähere zum Prüfverfahren nach § 275 Abs 1c SGB V vom 1.9.2014 gemäß § 17c Abs 2 Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG;
Prüfverfahrensvereinbarung – PrüfvV 2014) enthalte eine materielle Ausschlussfrist. Sie verrechnete daher den Rechnungsbetrag mit anderweitigen – für sich genommen – unstreitigen Vergütungsforderungen des Krankenhauses. Das SG hat die Klage auf Zahlung der abgerechneten Vergütung abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 2.1.2019). Das LSG hat die Berufung des Krankenhauses zurückgewiesen: Der MDK habe von der zunächst eingeleiteten “Prüfung vor Ort” (durch “Begehung”) zur Prüfung im schriftlichen Verfahren wechseln dürfen. Der zunächst dem Grunde nach entstandene Vergütungsanspruch sei insgesamt weggefallen, weil das Krankenhaus die vom MDK angeforderten Unterlagen nicht (fristgerecht) vorgelegt habe. § 7 Abs 2 Satz 3 und 4 PrüfvV 2014 enthalte eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist und sei insoweit von der Ermächtigungsgrundlage in § 17c Abs 2 KHG gedeckt. Unter das Tatbestandsmerkmal “Näheres zum Prüfverfahren” als primärem Regelungsgegenstand der PrüfvV ließen sich ohne Weiteres auch die Auswirkungen von Verstößen gegen deren Regelungen auf den Vergütungsanspruch subsumieren. Die Aufzählung von möglichen Einzelregelungen der PrüfvV in § 17c Abs 2 Satz 2 KHG sei nicht abschließend, sondern lediglich beispielhaft (“insbesondere”), sodass hierdurch die Regelung einer Ausschlussfrist nicht ausgeschlossen werde. Die Gesetzesmaterialien, wonach Vereinbarungen auch zu anderen regelungsrelevanten Sachverhalten getroffen werden könnten, bestätigten dies (Hinweis auf BT-Drucks 17/13947 S 38). Dies entspreche auch der Rechtslage im Vertragsarztrecht, die ebenfalls auf der gesetzlichen Grundlage des § 82 SGB V die bundesmantelvertragliche Vereinbarung eines Forderungsverlusts zulasse (Hinweis auf BSG vom 23.3.2016 – B 6 KA 14/15 R – SozR 4-5555 § 17 Nr 1 RdNr 30 zu § 17 Abs 1 Satz 5 Ersatzkassenvertrag-Zahnärzte). Auch im Vertragsarztrecht und im Zusammenhang mit Arzneimittel- und Hilfsmittelverträgen habe das BSG materiell-rechtliche Ausschlussfristen in untergesetzlichen Regelungen für unbedenklich gehalten. Dieser Meinung habe sich auch das BSG in einem obiter dictum auch in dem vorliegenden Zusammenhang angeschlossen (Hinweis auf BSG vom 19.11.2019 – B 1 KR 33/18 R – SozR 4-2500 § 109 Nr 77 RdNr 16). Der Vergütungsanspruch des Krankenhauses sei daher im vorliegenden Fall weggefallen (Urteil vom 27.8.2020).
3
Das Krankenhaus rügt mit seiner Revision, § 7 Abs 2 Satz 3 und 4 PrüfvV 2014 enthalte keine materiell-rechtliche Ausschlussfrist. Ein solcher Ausschluss des Vergütungsanspruchs sei auch nicht von der Ermächtigungsgrundlage in § 17c Abs 2 KHG gedeckt, die lediglich zu Vereinbarungen über das Verfahren der Abrechnungsprüfung ermächtige.
4
Die Klägerin beantragt,
        
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 27. August 2020 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Marburg vom 2. Januar 2019 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 7607,48 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20. Juni 2016 zu zahlen,
hilfsweise,
        
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 27. August 2020 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
5
Die Beklagte beantragt,
        
die Revision zurückzuweisen.
6
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.


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