Arbeitsrecht

Begründeter Anspruch auf Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements

Aktenzeichen  2 Ca 1068/19

Datum:
28.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 32398
Gerichtsart:
ArbG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
SGB IX § 167 Abs. 2
BGB § 241 Abs. 2

 

Leitsatz

Ein Arbeitgeber ist verpflichtet ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) durchzuführen. Es handelt sich dabei um eine echte Rechtverpflichtung. Der individuelle Anspruch des Arbeitnehmers folgt aus § 241 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 167 Abs. 2 SGB IX als Konkretisierung der allgemeinen Fürsorgepflicht des Arbeitgebers.   (Rn. 16 – 25) (red. LS Andy Schmidt)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt mit dem Kläger ein betriebliches Eingliederungsmanagement gem. § 167 SGB IX unter Beteiligung ihres Personalrats und ihrer Schwerbehindertenvertretung sowie unter Beteiligung des Integrationsamtes und der Rehabilitationsträger durchzuführen und mit diesen zu klären, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz des Klägers erhalten werden kann.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 2.907,26 Euro festgesetzt.
4. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.
Der Kläger hat einen Anspruch darauf, dass die Beklagte mit ihm ein BEM unter Beachtung der gesetzlichen Vorgaben gemäß § 167 Abs. 2 SGB IX durchführt.
Im Einzelnen gilt Folgendes:
I.
Die Klage ist zulässig.
Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten ergibt sich aus § 2 Abs. 1 Nr. 3 a ArbGG. Das Arbeitsgericht Würzburg, Kammer Aschaffenburg ist gemäß §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 17 Abs. 1 ZPO örtlich zuständig.
II.
Die Klage ist begründet.
Der Kläger hat einen Anspruch gegen die Beklagte darauf, dass diese mit ihm ein BEM durchführt.
Dieser Anspruch folgt zwar nicht ohne weiteres aus der öffentlich-rechtlichen Norm des § 167 Abs. 2 SGB IX, jedoch aus § 241 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 167 Abs. 2 SGB IX als Konkretisierung der allgemeinen Fürsorgepflicht des Arbeitgebers. (LAG Hamm Urteil vom 13.11.2014 – 15 Sa 979/14 m.w.N.).
§ 167 Abs. 2 SGB IX ist kein bloßer Programmsatz. Bei Vorliegen der Voraussetzungen, insbesondere wenn ein Beschäftigter innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig krank ist, ist der Arbeitgeber verpflichtet, ein BEM durchzuführen. Grundsätzlich ist es Sache des Arbeitgebers, die Initiative zur Durchführung des BEM zu ergreifen.
Ein BEM ist bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen auch dann durchzuführen, wenn der Arbeitgeber keine Kündigung des Arbeitsverhältnisses beabsichtigt oder erwägt. Dies gebietet der Sinn und Zweck des BEM. Durch die dem Arbeitgeber auferlegten besonderen Verhaltenspflichten soll möglichst frühzeitig einer Gefährdung des Arbeitsverhältnisses eines kranken Menschen begegnet und die dauernde Fortsetzung der Beschäftigung erreicht werden (BAG Urteil vom 18.10.2017 – 10 AZR 47/17).
Da der Kläger sowohl im Kalenderjahr 2018 als auch im Kalenderjahr 2019 Krankheitszeiten von jeweils länger als sechs Wochen aufzuweisen hatte, wäre es Sache der Beklagten gewesen, die Initiative zur Durchführung des BEM zu ergreifen. Erst recht muss sie dem vom Kläger mit Schreiben vom 02.08.2019 berechtigterweise gestellten Antrag auf Einleitung eines BEM-Verfahrens nachkommen.
Es handelt sich um eine echte Rechtspflicht des Arbeitgebers. Gleichzeitig hat der Arbeitnehmer einen Individualanspruch aus § 241 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 167 Abs. 2 SGB IX als Konkretisierung der allgemeinen Fürsorgepflicht des Arbeitgebers aus dem Arbeitsverhältnis (LAG Hamm a.a.O. m.w.N.)
Das BEM ist ein ergebnisoffenes Verfahren, bei dem die Möglichkeiten geklärt werden sollen, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann. Deshalb kann die Beklagte mit der pauschalen Behauptung, die häufigen und lang andauernden Erkrankungen des Klägers stünden in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit den dem Kläger zugewiesenen Tätigkeiten, den Arbeitsplätzen und/oder dem dortigen Umfeld die Durchführung des BEM nicht verhindern. Die Beklagte übersieht, dass gerade in Zusammenhang mit der Frage der Ursache der Erkrankungen bzw. eines möglichen Zusammenhangs mit dem Arbeitsplatz nicht ihre subjektive Meinung maßgeblich ist. Das BEM-Verfahren betreiben Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht alleine. Es soll interner und externer Sachverstand mobilisiert werden, indem der Personalrat, die Schwerbehindertenvertretung, die Rehabilitationsträger und das Integrationsamt hinzugezogen werden. Soweit erforderlich, wird auch gemäß § 167 Abs. 2 Satz 2 SGB IX der Werks- oder Betriebsarzt hinzugezogen.
Deshalb kann sich auch die Beklagte nicht darauf berufen, sie habe mit der Übertragung des neuen Arbeitsplatzes ab 2016, der Gespräche zwischen den Parteien vorausgegangen seien, ein „faktisches“ BEM durchgeführt. Bereits mangels Beteiligung der weiteren in § 167 Abs. 2 SGB IX genannten Stellen handelte es sich hierbei nicht um ein BEM im Rechtssinne.
Auch die erkennende Kammer nimmt mit Befremden zur Kenntnis, dass die Beklagte – eine Körperschaft des öffentlichen Rechts – die Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung als „völlig sinnlose Förmelei“ bezeichnet.
III.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
IV.
Als Streitwert (§ 61 Abs. 1 ArbGG) hat die Kammer ein Bruttomonatsgehalt festgesetzt, da die Durchführung des BEM unter anderem auch dazu dient, den Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers zu realisieren.


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